Wien Modern 29

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt? Der neue künstlerische Leiter Bernhard Günther stellt in seiner ersten Festivalausgabe von WIEN MODERN „die letzten Fragen“. Das 88 Veranstaltungen und 55 Ur- und Erstaufführungen umfassende Programm 2016 ist online unter www.wienmodern.at, der Vorverkauf startet am 12. September. An 31 Spieltagen und in 21 Spielstätten lädt das vom 30. Oktober bis 30. November stattfindende Festival WIEN MODERN ein breites Publikum ein, dem heutigen Stand der zeitgenössischen Musik und ihrer (Wiener) Vorgeschichte auf den Zahn zu fühlen.

„Wien Modern nimmt mit seiner Mischung aus glanzvollen Orchester- und Kammermusikkonzerten und vielfältigen Experimenten, aus Klassikern des 20. Jahrhunderts und einer enormen Breite von Uraufführungen, aus Goldenem Saal und Kellerlokal eine ganz besondere Position unter den Festivals zeitgenössischer Musik ein“, sagt der neue künstlerische Leiter Bernhard Günther. „Das Publikum von Wien Modern ist größer und musikbegeisterter als anderswo, zugleich muss ein 29 Jahre altes Festival auch sehr wach und offen für Neugierige und die nächsten Generationen von MusikhörerInnen bleiben. Aber Tradition und Revolution gehören in der Wiener Musikgeschichte schon seit über einem Jahrhundert untrennbar zusammen – die perfekte Gelegenheit, heuer einen sehr eklektischen, integrierenden Blick zurück und nach vorn zu werfen.“

Woher kommen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt? Der Wien-Faktor

Mit Veranstaltungen im Stephansdom und auf dem Zentralfriedhof, mit Musik von zahlreichen Wiener und Wahlwiener KomponistInnen von Mahler und Schönberg bis hin zu Jorge E. López, Pierluigi Billone, Eva Reiter u.v.a. gibt sich das Programm auch im Sinn einer musikalischen Standortbestimmung heuer betont wienerisch. „Bei Wien Modern präsentiert sich die Musikstadt Wien seit 1988 von ihrer innovativen Seite. Das Festival verbindet einen Monat lang die großen Orchester und klassischen Konzertveranstalter der Stadt mit vielen weiteren Akteuren und Orten des Wiener Musiklebens quer über die gesamte Stadt. Die internationale Ausstrahlung von Wien Modern zu verstärken, gehört zu den erklärten Zielen des neuen künstlerischen Leiters. Mit heuer 88 Veranstaltungen und 55 Erst- und Uraufführungen zeigt sich Wien Modern 2016 ganz offensiv als eins der größten Festivals seiner Art weltweit. Zugleich versteht sich Wien Modern als regional stark vernetzter Impulsgeber für das zeitgenössische kulturelle Profil unserer Stadt“, betonte Kulturstadtrat Mailath-Pokorny bei der  heutigen Pressekonferenz.

Die letzten Fragen

Bild Bernhard Günther
Bernhard Günther (c) nafezrerhuf.com

Das Festivalthema „Die letzten Fragen“ ist für den neuen künstlerischen Leiter Bernhard Günther „ein ewiges Thema der Musik. Der Umgang mit Sinnsuche, Abschied, Tod und Finsternis in der Musik hat angesichts der täglichen Nachrichten von Krieg, Konflikten und Katastrophen etwas durchaus Tröstliches: Das Leben ist halt nicht immer lustig – diese schlichte Weisheit gehörte schon bei Mozart und Schubert zum Basiswissen der ‚ernsten‘ Musik. Nestroy wusste: ‚Die Welt steht auf kein Fall mehr lang.‘ Und Karl Kraus – oder war’s Gustav Mahler? – wird der Satz in den Mund gelegt: ‚Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles 10 Jahre später.‘ Kein Zufall, dass ausgerechnet einige Wiener Urahnen der zeitgenössischen Musik letzten Fragen auf den Grund gingen – von Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen bis zu Schönbergs Zweitem Streichquartett – ‚O du lieber Augustin, alles ist hin‘. Und schon gar kein Zufall ist es, dass zahlreiche unserer Zeitgenossen von Wien bis Sydney den Identitätskrisen, Schock- und Trauermomenten der Gegenwart nachspüren – mit den geheimnisvollen Möglichkeiten der neuen Musik.“

Kontrastreich und generationsübergreifend

Bild Georg Friedrich Haas
Georg Friedrich Haas (c) Substantia Jones

Ob mit Ernst oder Ironie, Melancholie oder Zorn, in Nachtschwärze oder Golddekor, puristisch oder eklektisch, experimentell oder schlicht wunderschön, für junges Publikum, Stammkunden oder Neugierige, mit Musik der Urgroßväter Mahler, Schönberg, Ravel und Satie oder 55 Ur- und Erstaufführungen – das Programm gibt sich kontrastreich und generationsübergreifend. Ebenso wie große Orchesterkonzerte mit den Wiener Philharmonikern, dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und den Wiener Symphonikern gehören auch Medienkunst, Musiktheater, eine Klanginstallation, mehrere Exkurse in die kontrastreichen Szenen der improvisierten und elektronischen Musik in Wien und anderswo, sowie zahlreiche Rahmenveranstaltungen zum Festivalprogramm – auch letztere sehr vielgestaltig, bis hin zum Künstlergespräch im Concordia Schlössl zur besten sonntäglichen Mittagessenszeit. Die auffällige Häufung runder Geburtstage prominenter KomponistInnen – Friedrich Cerha, Karl Schiske, György Kurtag, Hans Zender, Steve Reich und Sofia Gubaidulina – nutzt das Festival 2016, um einen Blick auf die existenzielle Seite der neuen Musik zu werfen. Und speziell an junges Publikum richten sich zwei Neuproduktionen in Zusammenarbeit mit dem Dschungel Wien, darunter die Netzzeit-Uraufführung von das kleine ICH BIN ICH als Musiktheater mit Musik von Georg Friedrich Haas; dazu kommen das IGNM-Projekt „Junge Musik“ und Schulworkshops zum Streichquartett-Schwerpunkt.

19 Streichquartette, davon 15 simultan

Bild Quatuor Diotima
Quatuor Diotima (c) Verena Chen

Drei spektakuläre Streichquartett-Großprojekte bieten Gesamtaufführungen aller Quartette von Birtwistle, Schönberg und Schostakowitsch – letztere in einem spektakulären begehbaren Simultankonzert mit 15 im ausgeräumten Großen Saal des Wiener Konzerthauses verteilten Quartetten am 11.11.2016. Mit dabei sind neben renommierten Ensembles aus London, New York, Hamburg und Berlin auch acht Quartette, die von der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien nominiert wurden. Das Pariser Quatuor Diotima, für The Guardian in Sachen Wiener Schule die Verkörperung von „Wärme“, „extremer Sicherheit“ und „wirklicher expressiver Tiefe in allen Aufführungen“, rekonstruiert an vier Abenden im Wiener Konzerthaus und im Musikverein (16.–19.11.2016) das Großprojekt, das Arnold Schönberg sich vom Kolisch-Quartett 1937 anlässlich der Uraufführung seines Vierten Streichquartetts in Kalifornien gewünscht hatte – alle vier Schönberg-Quartette und vier späte Beethoven-Quartette. In Wien präsentiert das Quatuor Diotima zusätzlich noch das „wohl schwerste Streichquartett der gesamten Literatur“ (Enno Poppe über Boulez’ Livre pour quatuor), dazu kommen spezielle Führungen im Arnold Schönberg Center, wo das Publikum einen Blick auf Schönbergs Manuskripte werfen kann. Das Arditti Quartet erhält am 8.11.2016 Verstärkung vom Klangforum Wien und der Sopranistin Claron McFadden für die erste Gesamtaufführung der Streichquartette von Harrison Birtwistle. Dazu kommen die Uraufführung von Georg Friedrich Haas’ 9. Streichquartett, komplett im Dunkeln gespielt vom New Yorker JACK Quartet, sowie Streichquartette von Eva Reiter (9.11.), Iannis Xenakis (14.11.), Horatiu Radulescu und Johannes Fritsch (21.11.), Hans Zender (28.11.) sowie eine Uraufführung von Johann Kitzbichler (15.11.). Zu den herausragenden Quartett-Entdeckungen, die sich bei Wien Modern präsentieren, gehören u.a. das Asasello Quartett, das Adamas Quartett, das bei der Melbourne International Chamber Music Competition 2015 mehrfach ausgezeichnete Giocoso Quartett und das Quatuor Akilone aus Paris, Gewinner des Bordeaux-Wettbewerbs 2016.

Late Night – fünf Nachtkonzerte

Der nächtliche Stephansdom wird am 6.11.2016 zur Festivalbühne, wenn die Schweizer Bratschistin Anna Spina ein faszinierendes Solowerk des italienischen Komponisten Giorgio Netti interpretiert. Das nächtliche Programm von Wien Modern 2016 umfasst ebenfalls das Gründungskonzert der SFIEMA im Keller des Café Korb, Eva Reiter im Elektro Gönner sowie Plattenpräsentationen von Flunger/Löschel im 7*Stern Kulturzentrum Café und von Radian im Semperdepot.

Erste Bank Preisträgerin 2016: Eva Reiter

Bild Eva Reiter
Eva Reiter (c) Moritz Schell

Die in Wien geborene Komponistin und Musikerin fordert das Klangforum Wien am 9.11.2016 in ungewohnter Rolle als Chor. Die Preisträgerin des Erste Bank Kompositionspreises ist an diesem Abend je dreifach als Solistin und Komponistin zu hören. Und doch ist dieser hemmungslos generationsüberschreitende Abend mehr als ein Porträt der Wiener Ausnahmemusikerin. Dafür sorgen Sofia Gubaidulina, John Cage und ein selten zu hörendes Schlüsselwerk des 30-jährigen Friedrich Cerha.

Claudio Abbado Konzert

Dem Festival-Mitbegründer Claudio Abbado ist das diesjährige Festivalkonzert des ORF Radio-Symphonieorchester Wien im Musikverein am 13.11. 2016 gewidmet. Unter Leitung von Emilio Pomàrico wird dabei auch der 90. Geburtstag von Friedrich Cerha gefeiert – mit der österreichischen Erstaufführung der Orchesterkomposition Nacht. Dazu kommen Luigi Dallapiccolas feingesponnenes letztes Orchesterwerk und Gustav Mahlers Letzte Worte. Übrigens: Der 1965 in Luxemburg geborene, in Australien lebende und in Wien verlegte Georges Lentz setzt in seinem Requiem auf die Opfer des verschwundenen Fluges MH370 auch Smartphones als Orchesterinstrumente ein – vermutlich eine Premiere in der Geschichte des Musikvereins

Markante Buchstaben

Im Zentrum des neuen grafischen Erscheinungsbilds steht die eigens für das Festival entworfene Monospace-Schriftart „Wien Modern“, die Logo, Plakate, Inserate, Briefpapier, Generalpass und Website prägt. Schrift und Grafik wurden von der renommierten internationalen Designagentur Pentagram gestaltet. Der erste Teil des erstmals dreiteiligen Festivalkatalogs ist bereits erschienen und enthält das komplette Festivalprogramm mit allen Programmen und Spielorten.

Ein dichtes Netz von Partnerschaften

Bild Wiener Syphoniker
Wien Symphoniker (c) Stefan Olah

Neben den institutionellen Partnern Wiener Konzerthaus und Musikverein verbindet Wien Modern heuer viele Veranstaltungsorte und Institutionen zu einem dichten Netz von Partnerschaften. Die Wiener Philharmoniker, das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, die Wiener Symphoniker und das Klangforum Wien spielen eine zentrale Rolle. Dazu kommen prominente Uraufführungskonzerte mit œnm, Company of Music, Ensemble Kontrapunkte, PHACE, Ensemble Platypus u.v.a. Gemeinsam mit dem brut Wien wird die Musiktheater-Trilogie „Ökonomien des Handelns“ von Kötter/Seidl gezeigt – die erste komplette Aufführung nach vielen einzelnen Stationen in Berlin, Frankfurt, Graz u.v.a. Die IGNM Sektion Österreich rückt beim dreitägigen „Festival im Festival“ unter dem Titel „Comprovise“ Wechselwirkungen von Komposition und Improvisation in den Fokus. Der Verein akut. geht in drei Veranstaltungen dem „Jahr ohne Sommer“ 1816 nach, in dem ein Vulkanausbruch den Planeten mit einer Aschewolke bedeckt hatte – einer der Auslöser für Franz Schuberts Winterreise, auf die auch Georg Nussbaumer mit einem eisbedeckten Klavier im Wiener Konzerthaus einen Blick wirft. Die Alte Schmiede lädt u.a. Gerhard Rühm zu einem Porträtkonzert mit fünf Uraufführungen (13.11.2016). Die mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien steuert mit der „mdw Rahmenhandlung“ ein vielgestaltiges Nachfolge-Format des „Symposiums Wien Modern“ bei, das Institut für Philosophie der Universität Wien und das Klangforum Wien gestalten ein interdisziplinäres Konzert-Symposion rund um Hans Zender, Friedrich Hölderlin und den visionären japanischen Philosophen Ikkyu Sojun.

Das Festival wird vom Verein Wien Modern in Kooperation mit der Wiener Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien veranstaltet. Wien Modern wird ermöglicht von der Kulturabteilung der Stadt Wien, dem Bundeskanzleramt Kunst und Kultur sowie dem Festivalsponsor Kapsch AG und dem Sponsor Erste Bank. Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung.

Links:
Wien Modern 2016
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