Wien Modern 2010: Klangforum Wien (Joanna Wozny, Schurig, Lopez) und ein Klaviermarathon mit Marino Formenti.

Den Erste Bank Kompositionspreis bei Wien Modern 2010 erhielt Joanna Wozny für ihre Komposition „as in a mirror, darkly“, ein Stück, das vom Klangforum Wien bereits beim Grazer Musikprotokoll erstmals aufgeführt wurde. Wolfram Schurigs „Gesang der Wasserspeier“ konnte man an aufeinander folgenden Abenden im Wiener Konzerthaus sogar zweimal mit verschiedenen Ensembles, Klaviersolisten und Dirigenten hören (am Vortag mit dem Remix Ensemble Casa da Musica, Porto unter Emilio Pomárico). Und Marino Formenti wiederholte seinen Morton Feldman/Klaus Lang – Marathon in Graz in einer kürzeren Variante von 15 Stunden im project space der Kunsthalle Wien.

Wien Modern, Konzert-Woche 3: Nach ereignisreichen Darbietungen, u. a. im Casino Baumgarten,  im Schömerhaus und in der Alten Schmiede, war der „Endspurt“ vor dem finalen Abend in Odeon (darüber berichten wir gesondert) der Reihe nach wieder im Konzerthaus. Er begann mit einem Kammermusik-Gastspiel des oenm („österreichisches Ensemble für neue musik“) aus Salzburg am 16..11. im Berio-Saal (Stücke von Haubenstock-Ramati, Furrer, Schurig, Wozny), wurde fortgesetzt vom Klangforum Wien unter Enno Poppe im Mozart-Saal und steigerte sich zahlenmäßig zum vollbesetzten ORF Radio-Symphonieorchester unter Beat Furrers Leitung im Großen Saal am Freitag (Anton Weberns op. 6 in der Orchesterfassung, zwei Stücke von Roman Haubenstock-Ramati und „Coptic Light“ von Morton Feldman). Von Freitagabend („Sonnenuntergang“, 16.30 Uhr bis zum „Sonnnenaufgang“ am Samstagmorgen, 07.30 Uhr) konnte man – zu späterer Stunde dort auch auf Matratzen lagernd, in Fauteuils dösend oder sogar schlafend – Marino Formentis Spiel zuhören.

Klangforum Wien unter Enno Poppe mit Joanna Wozny und Schurig

„as in a mirror, darkly“ (2010) war gleich das zu Beginn des Konzerts gespielte neue Stück  von Joanna Wozny, dank der exzellenten, klangforumerprobten Akustik des Mozartsaals auch live sehr eindrucksvoll. Spiegelphänomene, Verunreinigungen, die sich einem zeigen, wenn man durch zerkratztes Glas schaut, sind die Ausgangsidee des durchaus spannenden Stückes. Es beginnt hell, wird dann dunkler und endet mit dem „Spiegel“-Ausgang eines Zweiklangs von Oboe und Flöte.

Raffinierte Klangereignisse, Glissandi der Streicher (+ Kontrabass), Beiträge der beiden Blechblasinstrumente (Posaune, Trompete), zweier Schlagzeuger und des Pianisten, der etwa auch mit einem Bleistift klopft, schaffen eine zwingende Dramaturgie von oft auch „punktuellen“, unverbundenen Ereignissen in dieser Musik, in der es (immer veränderte) Wiederholungen gibt, die aber alles nie langatmig erscheinen lassen.

„Kunterbunt purzeln oft zum Geräusch tendierende Klangereignisse durcheinander, fügen sich trotz oder gerade wegen ihrer Kleingliedrigkeit zum komplexen Mosaik“, schreibt Walter Weidringer in der „Presse“ über das „introvertierte“ Stück. Ein Porträt der Komponistin von Joanna Wozny vom Kompositionspreis-Kurator Lothar Knessl ist im Wien-Modern-Katalog nachzulesen. Die Verleihung des Erste Bank Kompositionsauftrages ermöglicht dem Werk der Komponistin die Aufführung bei Wien Modern, sichert weitere Aufführungen durch das Klangforum Wien und eine CD-Veröffentlichung bei Kairos.

Die ordnungsgemäßen „Laudatios“ erfolgten beim dem Konzert folgenden Schinkenfleckerl-Essen im Berio-Saal. 1973 im oberschlesischen Zabrze geboren, heute in Graz daheim, ist Joanna Woznyy immerhin nach Olga Neuwirth (1997) die zweite Frau unter den Trägern der seit 1989 jährlich vergebenen Auszeichnung.

Zurück in den Konzertsaal: Florian Müller war der brillante Solist am Klavier des in dieser Form auch als „Klavierkonzert“ erkennbaren Stücks „ … vom Gesang der Wasserspeier …“ von Wolfarm Schurig.  Das Klangforum Wien siegte bei dessen Wiedergabe gegenüber dem Remix-Ensemble aus Portugal nach Punkten, wenn man denn einen Interpretationsvergleich anstellen möchte – dem aber auch exzellenten Ensemble unter Pomárico lag am Vortag besonders ein Stück von Emanuel Nunes (geb. 1941 in Lissabon). „Omens II“ für Ensemble aus dem Jahr 1972 kann mit Fug als ein Stück Musikgeschichte der Moderne aus den sechziger Jahren bezeichnet werden.

Schurig spricht im mica-Interview vom 15.11. von einem „glücklichen Zufall“, dass zwei unterschiedliche Ensembles dasselbe Stück an zwei aufeinander folgenden Abenden spielen. Und meinte:  „Ich bin schon gespannt, weil am einen Abend das mir bislang unbekannte ‚Remix Ensemble’ mit meinem Lieblingsdirigenten Emilio Pomárico spielt und am anderen Abend mein Lieblingsensemble, das ‚Klangforum Wien’, unter der Leitung von Enno Poppe musiziert.“

Enno Poppe als Dirigent ist – bei aller Liebe des Autors dieses Artikels (auch) zu Pomárico – zu attestieren, dass er sehr exakt, mit  klarer Schlagtechnik und (ebenfalls bei Wozny, López und Mark Andre) konziser Dramaturgie ein Ensemble zu leiten versteht. Emilio Pomárico wiederum kann dafür ein wunderbarer, emotionaler Animator mit spontanem Gefühl für klangsinnliche Tempomodifikationen und „Rubati“ sein.

Schurig hat im Darwinschen Sinn in seinem Stück „die Stammesgeschichte einiger Geschöpfe unserer Phantasie“ zu erkunden gesucht, diese Phantasiegeschöpfe entfesseln beileibe nicht nur der Solist am Klavier, sondern auch die von ihren anspruchsvollen Parts geforderten Solisten des Ensembles.  Mit dem Werk „Ultima Thule“ (2004) war Wolfram Schurig, langjährig Kurator der  „Bludenzer Tage für neue Musik“, übrigens ebenfalls bereits Kompositionspreisträger bei Wien Modern.

Eine Batterie eines „letzten Gefechts“ im „letzten Frühling“ (ungarisch: „A végsö Tavasz“) schickt Jorge E.López in ein neues Gefecht, das schier endlose Angriffe zu bestehen hat. Wie immer bei ihm, werden auch Versatzstücke der Musikgeschichte bemüht. Und Christoph Waldner (tiefes Doppelhorn) hat auf seinem Instrument eine Menge zu tun, grandios seine Leistung. Man findet viele Mahler-Stellen, auch aus Wagners „Walküre“ kommt einiges vor, unverblümt schließt die Musik mit dem Anfang des Scherzos aus Mahlers „Erster“. Und in den Gefechtspausen des Krieges spielen die Streicher (exzellent auch der neu zu vernehmende Kontrabassspieler) einmal durchaus erkennbar eine Art Choral in der Art des zweitaktigen Rhythmus des Allegretto-Themas der Siebenten von Beethoven (aber mal Mahler).

Mark Andre, einer der Hauptkomponisten heuer, lässt in „… es …“ ein großes Ensemble (inkl. Harfe und zweier Klaviere) antreten. „Durch allerlei Hilfsmittel“ (wieder einmal waren Plastikkarten aus den Musiker-Geldbörseln über Saiten zu ziehen) erzeugt er „randständige Klänge, die er bündelt und gegeneinandersetzt“ (Zitat wawe/“Die Presse“). Auch diese Musik wirkt sehr eruptiv, lässt den Pulsschlag der Hörer manchmal merklich ansteigen

Klavier-Marathon mit Marino Formenti im Nowhere Vienna der Kunsthalle am Karlsplatz

„Nowhere“ hieß – nach dem Titel „now. here“ der Komposition von Klaus Lang in sieben Teilen für ihn – Marino Formentis Projekt einer täglich von 10.00 bis 22.00 Uhr zugänglichen Performance über acht Tage beim Musikprotokoll in Graz vergangenen Oktober. Unter dem Titel „Vienna, nowhere“ wiederholte er es – auf eine ganze Nacht verteilt – bei Wien Modern. Auf dem Programm (auch wiederholt gespielte) Stücke aus diesem Werk Klaus Langs, sowie aus dem Klavierwerk Erk Saties (etwa Gymnopédies, 1888, Gnossiennes, 1890. und Pièces froides pour piano 1893. Und natürlich aus dem Klavierwerk Morton  Feldmans, darunter „Extensions“, „Intermissions, „Palais de Mari“, „For Bunita Marcus“ …).

Der Raum des „project space“ mit seinen Glasscheiben auf den Verkehr in allen Richtungen am Karlsplatz war – zu verschiedenen (Nacht-)Zeiten – jeweils eine imposante Kulisse für das Unterfangen. Wir konnten – unterbrochen durch das RSO-Konzert um 19.30 Uhr – dabei ab 17.00, dann wieder um 22 Uhr und um ein Uhr früh Zeugen sein. Am Nachmittag war es noch sehr schön dort, man konnte unter den Klängen der Musik etwa auf einer freien Couch neben dem Bösendorfer-Flügel ausgestreckt liegend den Klängen „schwebend“ folgen und dabei auch auf den Verkehr schauen, welche Autokolonnen fahren durften, welche rot hatten, welche Bim (etwa 62-er oder Badener Bahn) gerade vorbeifuhr, was die Einkäufer, von und zu der U-Bahn-Station gehend, in ihren Plastiksackerln schleppten …

Um 10 Uhr abends war es ein bisschen chaotisch, sehr viele Menschen schauten vorbei und fanden gerade noch stehend Platz. Wunderbar dann zu später Nachtstunde, es waren vielleicht 25 Zuhörende im Raum. Formenti verhielt sich nach einer klaren Dramaturgie. Hatte ein Stück nach fünf, zehn oder auch zwanzig, dreißig Minuten geendet, stand er nach einer Weile vom Klavier auf, holte neue Noten, trank oder aß etwas, überprüfte den Titel des nächstzuspielenden Stücks und schrieb diesen auf einen an die Wand beim Eingang geklebten weißen Zettel, damit man wusste, was gerade „dran“ ist.

Auf der Website des Musikprotokolls in Graz kann man die Bemerkungen Erik Saties und Morton Feldmans zum „Nichts“ und zu den gespielten Stücken nachlesen – auch Klaus Lang („hardcore Biedermeier“): „Auch ich habe versucht mich dem Klavier wie ein „friendly alien“ zu nähern, mir die Frage zu stellen: „Was ist das für ein Gegenstand vor mir?“; „Was für Klänge kann er hervorbringen?“ Aber im Unterschied zum intergalaktischen Wissenschaftler geht es mir eben gerade nicht um eine marsianische Hermeneutik, nicht um Deutung oder um Neudeutung, Vorurteil oder Urteil, sondern um einen Versuch der Betrachtung ohne gleichzeitige Deutung. Wenn ich für Klavier schreibe versuche ich keine Neudeutung dessen was ein Klavier ist, sondern ich versuche das Klavier darzustellen so wie es ist. Durch das Abtasten des Instrumentes entsteht die Musik als ein Prozess des Hörbarmachens des Instrumentes. Im Falle von now. here. gehe ich von einer immer gleichbleibenden elementaren klanglichen Grundstruktur aus, nämlich der Skala der weißen Tasten (und deren Schatten den schwarzen Tasten).“

Und Marino Formenti: Ich habe dieses Projekt „nowhere“ genannt. Ich möchte, dass die Menschen, die zu dieser Nacht kommen, die Möglichkeit finden, sch auch nur kurz vom allgemeinen -Wahnsinn zu befreien, im versteckten Herz unserer wunderbaren Stadt, schreibt er im  WIMO-Katalog.
Heinz Rögl