Wien präsentiert sich mit seiner Landpartie auch heuer mit „Rosenstolz“. Das „Neue Volksmusik“ Festival im Theater am Spittelberg bietet wieder leckere Acts von A wie Agnes Palmisano bis Z wie Zurbrügg. Eine musikreichhaltige Woche lang von 23. bis 31. Mai 2014 zeigt die beliebte Spielstätte im Siebten Wiener Gemeindebezirk, wie vielfältig die österreichische Weltmusik ist und wie viele großartige auch sehr junge Talente es wert sind, ausgiebig gehört zu werden, weil „No Futur“ war gestern. Heute sind anständige Attitude, Spaß, Tiefgang und (künstlerisch) zensurbefreites Spielerischsein angesagt. Ein Reigen an sehens- und vor allem hörenswerten Konzerten wartet, sein Publikum mit Faszination reich zu belohnen.
Am 23. Mai beginnt die Gruppe Hotel Palindrone. Sie mixt, was gleich scheint aber unterschiedliche Ausprägungen erfahren hat: Folk und Volksmusik. Die Anfangskonsonanten ähneln sich nicht umsonst. Jetzt wird hier frischer Wind reingebracht. Folk meets Jodeling und wer nicht nur an den guten alten John Denver denkt, weiß, dass das wechselnde Springen von Kopf- und Bruststimme, diese tierischen Laute der Jodelzunft beiden Musikstilen innewohnt. Wer hätte gedacht, dass das codierte Infovermitteln von Berg zu Berg (das „Facebook“ von gestern quasi) heute hip aufgegriffen wird in improvisationsunscheuer, vorwiegend selbstgeschaffener Jugendmusik, die I-pad Nurds genauso hinterm „Ofen“ hervorzulocken versteht, wie neugierige Exhippies, Urgroßmütter und -väter. Die Instrumentenliste dieser Gruppe ist ein Kapitel für sich, Es geigen auf: Albin Paulus (cl, Maultrommeln, Dudelsäcke, fl, Bombarde, voc), Stephan Steiner (viol., Drehleier, Akk., Nyckelharpe, voc). John Morrissey (Mandola, Bouzouki, Valisette, voc) und Peter Natterer (e-b, sax, e-piano).
Im weiteren Verlauf des Abends: Kitsch & Glory, die beiden Damen Viola Falb (bcl, akk) und Maria Holzeis-Augustin (voc, fl., Loops) sind lange kein unbeschriebenes Blatt mehr in der jungen MusikerInnenszene. Sie schenken sich auf der Bühne nichts und zugleich schenken sie sich und dem Publikum den größten Schatz, den sie geben können, nämlich ihr großes musikalisches Talent, ihre spritzigen Improvisationen, mit denen sie einen sehr bunten kurzweiligen Abend zu füllen vermögen und ihre herrliche Unkonventionalität. Es ist ein Spaß, ihnen beim Musikgestalten auf der Bühne zuzuhören, denn es handelt sich um zwei Vollprofis, die mit ihrem Programm „Jetzd oba“ dem Abend einen herrlich ungestressten und prickelnden Touch verleihen und mit ihren Eigenkompositionen samt Impros und ihren unterschiedlichen Instrumentenkombinationen für Abwechslung der besonders kreativen Art sorgen.
„Sieben auf einen Streich“ – eh – auf ein Blech gibt’s am folgenden Tag auf’s Ohr vom Ensemble Blechhauf’n. Aber Vorsicht! Was auf den ersten Blick wie eine unschuldige Musikkapelle vom Land aussieht, die keiner Fliege ein Gehörhäärchen zu krümmen vermag, entpuppt sich ab dem ersten ausgestoßenen Ton als beinharte, gnadenlose und zu allem bereite Profiperformer der Kategorie: „Alle für einen“ – reschen, hervorragend gespielten Bläsersound. Ihre Waffe: sauber gespielte, hochkarätige Blasmusik in unkonventionellem Stil und musikalisch/manifestierter Sinn für Humor. Und sie zücken sie garantiert, diese Waffe!. Ein auf der Website gelisteter Buchautor sowie ein Choreograph versprechen zudem „Schluss mit Langeweile“! An den Mundstücken: Al Wieder, Georg Steiner, Reinhold Bieber, Christian Wieder, Bernhard Holl, Alex Krenn, Christoph Haider. „Burning Lips“ – Hasta La Vista!
26. und 27. Mai: „Way down“ Vorarlberg fanden sich fünf fröhlich-freche Konservatoriumsstudierende bzw. Abgänger zu einer gemeinsamen Band namens HMBC, die durch ihren exotischen Dialekt bezaubert und zweitens den eindeutigen Beiweis liefern, dass österreichische Mundart dem Englischen näher ist als Standardgermanisch, auch wenn manch‘ Schüler nicht wahrhaben will dass die Sprachen zusammengehören. Viel verdiente Aufmerksamkeit erregte der unauslöschliche, bis in schlaflose Nächte verfolgende, einen in seeliges Alpha-Wippen eingroovende Ohrwurm “Vo Mello bis ge Schoppornou”. Endlich singt mal jemand über schmerzende Füße statt über Liebe, „zefix!“! Das hat etwas wirklich Erfrischendes und Sympathisches! Eine sehr unterschätzte Kunst wie ich meine, und die jungen Künstler heißen: Andreas Broger, Bartholomäus Natter, Johannes Bär, Philipp Lingg, und Stefan Bär. „Glernt is glernt“ und dennoch haben sie sich ihre ungeschliffenheit bewahrt. Fabelhaft!
Ein musikalischer Naschmarkt wird von Elisabeth Hasenburger, Horst Lackinger, Irene Namhofer, Erni Ströitzer und Alessandro Vocard in gleichnamiger Band dargeboten und zwar am 28. Mai 2014: Diese neuen Wienerlieder tauchen ab in das morbide Urwesen des echten Wieners. Von der regelmäßigen bis Auseinandersetzung der Unausweichlichkeit des Todes und der daraus resultierenden Gelassenheit in Bezug auf die kleinen Sorgen des Alltags führt die Kraft dieser Lieder, identifizieren leicht gemacht. Aber dem nicht genug, findet man auf einem (klanglichen) Naschmarkt, der seinen Namen verdient, selbstverständlich Balkanköstlichkeiten und andere musikalische Gewürzmischungen. Man hört die KöchInnen jodeln, polkern, walzen, herzhaft marschieren und feurig „csárdás“en, Abgerundet mit nur einem Tupfen Schlag(er), mehr ist auch oft nicht gesund!
„And the ORFF goes to…“ Gregor Narnhofer, Frederic Alvarado-Dupuy, Josef Fuchsberger, Thomas Steinwender, Fabian Hohl and Gabriel Hopfmüller – kurz: Brauch:Tanz. Ja, brauchen wir! Eine Formation die dafür sorgt, dass keine Hüfte mehr ruhig sitzen kann. Wirkt auch bei eingerosteten Fahrgestellen und Bewegungsflüchtlingen. Tuba, Posaune, Hörner, Klarinetten und Harmonikas geben sich ein geselliges Stell-dich-ein. Unverstaubte originäre Volksmusik so wie sie ist, brilliant gespielt wie es sich gehört, ist wie das zeitlose kleine Schwarze ein klanglicher Hingucker. Etwas, das „tausende“ Jahre funktioniert hat, dem wohl das Geheimnis von Groove und Coolness von Natur aus inne. Althergebrachtes kippt auch mal in Swing (nicht weniger zeitlos), gibt sich elegant hin und biegt im nächsten Moment in einem Uptempo ab, sagt ja schon der Begriff, freie Fahrt für die musikalischen Temposünder am 28. Mai am Spittelberg!
Am darauffolgenden Abend erwartet einen ein weiteres Doppelkonzert mit Agnes Palmisano und Trio, die Fackelhalterin des Weltkulturerbes „Dudeln“, wienerische Form des Jodelns. Dies hegt und pflegt die Könnerin dieser Technik mit Liebe und Hingabe und ist samt Mitmusikern immer wieder gerne dort vorzufinden, wo Neues Wienerlied entsteht, wo entwickelt wird und wo die Freude am Liedersingen zelebriert wird von Jung und Alt. Agnes Palmisano an den Stimmbändern, Helmut Stippich schrammelt stilecht an der Harmonika und fungiert ebenso als Sänger und Peter Havlicek spielt gewohnt großartig auf seiner Kontragitarre.
Zwei Künstler bleiben dann gleich dem nächsten Ensemble Mischwerk erhalten: Helmut Stippich und Herr Havlicek. Es gesellen sich im weiteren Verlauf zum Zwecke des peppigen „Rejodelns“ dazu: Maria Stippich (voc, kb), Reinhard Uhl (Hörner, Picksüsses Hölzl, Sopransax) und Franz Hofferer an der spanischen Kiste (Cajon). Andrewsisters angehauchter Vocalswing kippt gekonnt in Jodelei, jenewelche wird abgelöst von balkanischen Rhythmen, Dialektballaden fügen sich in Latinklänge. Swing-Jodler, das hat Respekt verdient und überhaupt beschwingt die Gesamtstimmung das Ensemble fesch seine ZuhörerInnen! Prädikat „bibi!“
30. Mai: Christina Zurbrügg. Die Sache ist ganz einfach: Wer sie noch nie gehört hat, sollte dies unbedingt tun, und wer bereits das Vergnügen hatte, tut es sowieso immer wieder. Nicht wegen einem Trend, sondern weil man sich um wirklich hervorragende, sehr spritzige und außergewöhnliche Musik bringen würde, wenn man sich so einem Konzertbesuch versagt. Die prickelnde Experimentierfreudigkeit, auch mit Electronics und samt schrägen, schrillen wie auch stimmungsfärbenden Sounds mit der sie das traditionelle Material aus Jodeln und „doodeln“ ungeniert einsetzt, alles mischt, was Gott niemals verboten hat, aber auf eine Weise, dass ein Hörgenuss rauskommt, dieses Talent konzentriert sich in dieser einst aus den wirklich hohen Bergen nach Wien verschlagenen Künstlerin. So macht (auch) Improvisation Spaß. Michael Hudicek darf nicht fehlen an Sopransax und Gitarre, Wolfgang Tockner unersetzbar an Keyboard und Analogsynth.
Die Spritbuam folgen: Gegen jeden „Occams Razor“ handelt es sich dabei nicht um ein Kabarettprogramm Düringers, sondern um vier fröhliche Sängerknaben, denen die „Königin der Nacht“ scheints nicht genug war und die sich der dunklen Seite der Musik – Goschenpop – zuwandten. Spielerisch leidenschaftlich sympathisch und schmähgeladen überzeugen diese Buben auch abseits der Schuluniform. Der breitenwirksame Chartstürmer „Vollgas Leberkas“ mutet auf den ersten Blick etwas zu einfach gereimt an, die Musik der jungen Tonköpfe aber ist geprägt von sehr smoothen Stimmen und kabarettistischen Farben und hat nichts mit Musik der Hansis und Andis dieses Landes zu tun. Ein gesundes Gespür für Zynismus und Selbstironie wohnt ihren Werken inne. Alle singens – außer der Tubist im Einsatz, und mehr: Stefan Bleiberschnig (Spritmaschin‘), Matthias Liener (akk) Christopf Bleiberschnig (guit), und Martin Eckmann, der sich um die Basstöne durch die Tuba kümmert.
Am 31. Mai wird als feierlicher Abschluss kräftig zum Tanzen manipuliert unter dem musikalischen Einfluss von Tanzhausgeigern bzw. dem Trio WHA: Es wird gewirbelt, gedreht, gejuchzt und gestampft, was die „Hütte“ aushält. Tanzmusikimprovisationen der Marke Eigenbau im Stile des funktionierenden Alten und des lustvoll verpackten Neuen sorgen dafür, dass das Haus dem ultimativen Härtetest ausgesetzt wird. Musik die sich durch den Körper wie ein Alien erst so richtig entfaltet ist eine Energie- und Lustspendende Quelle von Glückseligkeit. Mit pulsierenden Beats verführt man zum gemeinsamen Schütteln und Rütteln, Jiven und Schwingen.
Die Tanzhausgeiger: Johanna Kugler, Hermann Härtel, Erni Ströbitzer, Matthias Härtel und Daniel Moser. Gefolgt von dem Trio WHA Simon Wascher, Hermann Härtel und Valentin Arnold. Geigen, Bässe, Sax, Dudelsäcke, Perkussion und Alto Drehleier sorgen für eine gute Stimmung im „Ballroom“ des gemütlichen spittelberger Theaters und stellen den krönenden Abschluss des Festivals dar.
(Alexandra Leitner)
Sujet: Foto/Joseph Vonblon | Motiv/Roman Britschgi (Trio Klok)
Foto HMBC: Adolf Bereuter
Foto Agnes Palmisano: Sepp Dreissinger
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