Wie aus Alltagskatastrophen Musik wird: Bulbul im Interview

Eine Band, die es schon seit 15 Jahren gibt muss schon einiges erlebt haben. Mit Bulbul geht es den Fans sicher genauso, schließlich lassen die drei Musiker auf jeder Platte erneut die Sau raus. Das neue Album “Hirn fein hacken” ist voller wilder Rhythmen und klingt wie ein Stierkampf in Mexiko. Im Interview mit Anne-Marie Darok spricht Band-Chef raumschiff engelmayer über die Erwartungshaltung der Fans und Medien, die schmuddelige Jugend und über alltägliche Katastrophen aus denen Musik wird.

Was waren die Inspirationen für das neue Album „Hirn fein hacken“? Ich höre da ziemlich viel Post Rock raus..

raumschiff engelmayer: Ja, da gibt es viele Inspirationen, Post-Rock, jemand schupst mich vom Gehsteig, jemand krallt sich einen Teil von einem anderen Land, eine kleine Katastrophe hier, eine große Katastrophe da, Krieg, Gewalt, Unsinn, Fußball-WM, Typen die allen alles wegnehmen und trotzdem im Fernsehn immer gut aussehn, ein Schimmelfleck am Plafond, schon wieder Halsweh und wenn der Nachbar das alte Fleisch zum Altpapier haut. Also eher deprimierende Einflüsse, die waren immer schon da und immer schon gut für Kunst, die nicht nur lala machen mag. Aber auch lala muss sein, unbedingt! Über dem ganzen Zeit im Bild – Kack muss Bulbul-Musik trotzdem Spass machen und fahren wie Sau. Das tut sie nämlich meist automatisch, wenn wir uns im Proberaum treffen. Den Drecks-Rucksack nehmen wir mit runter in unser Kellerloch und dort packen wir die Instrumente aus, und die haben wir jeder auf eine spezielle Art und Weise handhaben gelernt im Laufe der Jahre, der eine bei der Blasmusik, der andere nicht, aber alle immer doing by doing. Und wenn die Instrumente aufgebaut und eingesteckt sind beginnt die Umwandlung der Geschehnisse in Musik, aber wenn’s keinen Effet hat sagt einer halt, da stimmt was nicht und so geht das dahin, wochenlang und monatelang, bis keiner mehr halt sagt.

Und wie ist der Titel der Platte zu Stande gekommen? Verweist er auf die wilde Musik, die darauf zu hören ist, oder hat er gar eine ganz andere Bedeutung?

raumschiff engelmayer: Hirn fein hacken drückt einerseits aus, dass denen, die die Welt permanent vergewaltigen, das Hirn zerhackt gehört, bzw. dass das denen anscheinend eh schon widerfahren ist. Aber es sagt auch den anderen, dass sie sich anstrengen sollen und ihr eigenes Hirn hacken, es aufmischen und durcheinanderwirbeln, damit neue Gedanken entstehen und eingefahrene Muster zerbröselt werden. Aber eigentlich ist es nur die Einleitung vom Kochrezept für Hirnpofesen, zufällig gelesen. Manche Sachen passen einfach gut zusammen.

Ist es schwer nach so vielen Jahren im Musikbusiness ins Studio zu gehen und neues Material zu produzieren – in Hinsicht auf die Erwartungshaltung der Fans und vielleicht der Medien?

raumschiff engelmayer: Unsere Fans wissen ja schon, dass sie was erwartet, was sie schon erwartet haben, nämlich etwas, dass sie nicht erwartet haben. Die Medien, die haben meist nicht so viel Zeit, sich wirklich mit einem Werk auseinanderzusetzen, dann kommt ja gleich das nächste und das nächste, wenn es also nicht augenblicklich greift, dann haut das nicht hin. Bei Bulbul passiert es oft, dass unsere Platten im ersten Moment Verwirrung stiften, es ist scheinbar nicht klar was das bringen soll. Wie die Ost-Öffnung, alle haben Angst vor dem was kommen könnte. Es wird uns alles weggenommen, kaputtgemacht, böse! Und dann ist es gar nicht so schlimm wie befürchtet.

Die größte Erwartungshaltung an uns haben wir vermutlich selbst, und es ist immer wahnsinnig spannend, eine neue Platte aufzunehmen. Für mich vergeht die Zeit überhaupt am allerschnellsten, wenn ich an einem neuen Lied sitze. Den Antrieb, das zu tun, den besitze ich einfach. Ich muss es mir nicht vornehmen, ganz im Gegenteil, es kommt auf mich zu, hier ein Rhythmus, da ein Bass-Ostinato, viel zu schnell eigentlich, weil es ja auch andere Dinge zu erledigen gibt im Leben. Zwischen den Dingen schaut ein Lied vorbei und ich trinke einen Kaffee mit ihm und gebe acht, dass ich nett bin und auf Augenhöhe. So wachsen die Lieder heran und wenn wir dann gemeinsam ins Aufnahmestudio gehen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, sie in die Welt zu entlassen. Ab da kannst du nicht mehr viel für sie tun, sie müssen alleine klarkommen. Ich wünsche ihnen, dass sie viel Unsinn treiben.

Im Video von „Genderman Can“ sieht man euch in einem relativ kleinem Raum (Assoziation: Garage) mit euren ein bisschen abgenutzten Instrumenten. Alles wirkt ein wenig schmuddelig und sehr spontan. Spontan musste ich an eine Band von Jugendlichen denken, die ihren Spaß hat. Hält euch die Musik jung, oder besser gesagt: Fühlt ihr euch so jung, wie ihr in dem Video wirkt?

raumschiff engelmayer: Danke fürs Kompliment. Wir spielen in dieser Trio-Besetzung seit 12 Jahren zusammen und kennen dadurch beinahe alle unsere Schmuddelzonen in- und auswendig. Das gleiche gilt für den Raum und für die Instrumente. Ich habe kein Interesse, mir eine neue Gitarre zu kaufen, nur weil die alte ein bissl zerkratzt ist. Ein neues Instrument wäre wohl zu Beginn eine große Affäre, aber dann spielen sich die gleichen Gewohnheiten ein wie vorher mit dem alten Runzligen, da bin ich sicher. Ich arbeite gern mit den Sachen die zur Verfügung sind. Manchmal bricht ein Stück ab, mal sehn wie sich das Gebrechen zu einem Vorteil umwandeln lässt.

Wenn du Musiker bist, dann kann es sein, dass in der früh der Wecker nicht läutet. Einfach weil er nicht muss. Und so geht das dann den ganzen Tag, nicht vieles deckt sich mit dem Tagesablauf von jenen, die sich in Sicherheit wiegen weil ihnen gesagt wird, ja, genau, so wird das in unserer Gesellschaft gemacht, richtig, weiter so, du bist ein wertvolles Rädchen in unserem Gemeinschaftsgetriebe. Wenn der Wecker nicht läutet bist du für viele das Rädchen, das ausgetauscht oder repariert werden sollte. Also geht man anders durch diese Welt und vielleicht ist es das, was du als schmuddelig, spontan und jung empfindest?

Würdet ihr euch  eher als Live- oder als Studio-Band bezeichnen, soll heißen: Wo seid ihr kreativer und wilder?

raumschiff engelmayer: Sind für uns zwei verschiedene Sachen, wir haben den Ansatz nicht, dass wir ins Studio gehen um eine Platte einzuspielen, die so klingt wie ein live-Konzert. Ein Studio bietet andere Möglichkeiten als eine Bühne und eine Platte ist eine Reproduktion von Momenten, die diesen Status durch die Wiederholbarkeit verlieren. Daher müssen die ehemaligen Momente so gestaltet werden, dass sie nicht beim dritten mal Hören lästig oder langweilig werden. Das ist ein großer Unterschied zu einem live-Konzert, wo dir die Momente nur so um die Ohren fliegen und du gegen das Malheur oder das blöde Gschau von vor 5 Sekunden nichts machen kannst. Bestenfalls wiederholst du es, ein alter Jazz-Kniff. Ausserdem ist ein Konzert zu einem großen Teil auch etwas Visuelles, darunter leidet die Aufmerksamkeit der Ohren. Auf was man da nicht alles achten muss.

Das mica – music austria wird dieses Jahr 20. Deswegen schauen wir so ein bisschen in die Vergangenheit. Wie habt ihr das österreichische Musikbusiness in den letzten Jahren erlebt? Was hat euch geprägt, welche Tricks habt ihr gelernt und welche Veränderungen würdet ihr euch wünschen?

raumschiff engelmayer: Das mit den Tricks ist nicht ganz so unser Ding, wir haben das Glück, dass uns nach wie vor die Musik mehr interessiert als das Business und deshalb haben wir uns mit Leuten zusammengetan, die beides interessiert und für uns das Geschäft schaukeln. Rock is Hell zum Beispiel, die unsere Alben auf Vinyl rausbringen. Die haben zwar ein eigenwilliges Geschäftsverhalten, das auf Verweigerung gegenüber gängigen Vermarktungstechniken aufbaut, schaffen es aber trotzdem, dass das Label funktioniert. Grossartig! Easylistening macht Booking, Siluh übernimmt Promo. Dazu unser deutsches Label Exile on Mainstream, die unsere Alben weltweit promoten und vertreiben. Wünschen tät ich mir, dass Kultur, aber auch Bildung, Forschung, Soziales und vor allem der kategorische Imperativ, einen höheren Stellenwert auf der Welt einnehmen. Im Vergleich zum Beispiel zu Finanzen und Verteidigung. Aber ich kenne keine Fee.

Wie sieht es mit euren Plänen für die nahe Zukunft aus, bis Ende Juni seid ihr ja schon mit touren verplant…

raumschiff engelmayer: Genau und dann ab in den Urlaub.

 

Fotos: Klaus Pichler

 

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