„WENN’S EINEN ERWISCHT UND MAN ABTAUCHEN WILL, DAS IST FÜR MICH HEAT.“ – SHAKE STEW IM MICA-INTERVIEW

Seit seiner Geburtsstunde 2016 hält das Septett SHAKE STEW erfolgreich und unbeirrbar den Kurs einer einzigartigen Klangschöpfung. Nun ist die Band mit ihrem mittlerweile fünften Album „Heat“, das Ende März erscheint, wieder on Tour. Bandleader Lukas Kranzelbinder im Gespräch mit Sophia Umfahrer.

Ihr seid eigentlich schon mitten in eurer Release -Tour zum neuen Album „Heat“, gerade auf dem Weg von München zurück. Wie waren die ersten Konzerte dazu für euch?

Lukas Kranzelbinder: Super! Wir hatten zwei Konzerte hintereinander im Jazzclub Unterfahrt, beide ausverkauft und es war eine super Stimmung dort. Tatsächlich war ich gespannt, wie es funktioniert, wenn wir ein komplettes Konzert mit den neuen Stücken spielen, weil prinzipiell mischen wir das Programm mit schon bestehendem Material. Aber dieses Wochenende wollte ich mal probieren, nur Sachen vom neuen Album zu spielen. Das ist natürlich spannend, weil man da noch nicht so eine Routine hat. Aber auch ganz gut, denn dadurch sind alle irgendwie auf ihren Zehenspitzen, voll dabei und müssen sich voll konzentrieren, dass alles passt. Mir kommt vor, wir haben dadurch eine ziemlich hohe Spielenergie erzeugt. Und ja, die Leut‘ sind ziemlich eskaliert, das war super!

Die richtige Energie ist jedenfalls geflossen und ihr habt unübersehbar eine Freude ausgestrahlt. Das Aufbrechen bzw. Verschwimmen der Grenze zwischen Bühne und Publikum hat also instant funktioniert! Aber wenn sich die Musik und auch ihr als Band doch stark vom Einbezug des Publikums und von der Live-Situation an sich ernährt, vor welche neuen Herausforderungen hat euch die jüngste Vergangenheit gestellt, in der Auftritte vor größeren, physisch anwesenden Menschenmengen eher rar ausgefallen sind? Oder wurden euch da möglicherweise neue Türen geöffnet?

Lukas Kranzelbinder: Das war sehr unterschiedlich. Wir hatten im Herbst vergangenen Jahres relativ viele Konzerte unter sehr unterschiedlichen Bedingungen, weil ja in allen Ländern die Situationen anders waren. Was man aber schon extrem gemerkt hat, war die ungebrochene Energie und Begeisterung der Leute. Auch, dass teilweise bei einzelnen noch mehr Begeisterung aufgekommen ist, die das dann quasi kompensiert haben, wenn nur 50-75% der Leute zugelassen waren. Es gab schon sehr spezielle Situationen, aber eher weniger in den Konzerten. Da war’s immer cool, weil es sich nie so angefühlt hat, als ob wenig Leute dort wären. Die großen Herausforderungen waren auf jeden Fall die Reisesituation und die Vorbereitungen. Das ist sehr viel komplizierter geworden und hat vor allem einen Haufen Mehrarbeit mitgebracht. Alles einzuplanen ist nach wie vor ein extremer, auch bürokratischer, Aufwand. Obwohl sich jetzt schon alles ein bisschen wandelt, muss man ständig schauen, wo was bezüglich Maßnahmen gilt und, dass dann alles passt.

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„Es ist also keine reine Ansage, dass jetzt alles abbrennt und noch mehr Power kommt.“

Ihr seid für euren besonderen High-Energy-Sound bekannt. Holt ihr diesen in „Heat“ – sozusagen Zeichen-setzend für die Rückkehr auf die Bühne – erst recht raus und wird es damit noch „hitziger“?

Lukas Kranzelbinder: Das kann man auf jeden Fall so sehen. Für mich ist „Heat“ ein Begriff, der am ehesten jenes Gefühl beschreibt, das entsteht, wenn man miteinander spielt – nicht nur auf der Bühne. Dieses zwischenmenschliche Gefühl, wenn man so richtig eintaucht in die Materie. Diese Hitze, die da aufkommt, wenn’s einen packt und mitnimmt. Das ist aber tatsächlich etwas, was jetzt nicht nur bei voller Power, lauten, schnellen, energetischen Stücken passiert, sondern das passiert auch ganz oft bei diesen ganz ruhigen, trance-artigen Momenten. Sowie auch gestern und vorgestern bei unseren Konzerten beim letzten Stück, dieses ganz ruhige, das wir gespielt haben, hat eigentlich bei uns allen total solche Trance-Momente ausgelöst. Ein paar aus dem Publikum haben auch gesagt, sie seien völlig mitgenommen gewesen und in ihnen hätt‘s irgendwie etwas ausgelöst. Und das beschreibt das eigentlich. Es ist also keine reine Ansage, dass jetzt alles abbrennt und noch mehr Power kommt. Vielmehr ist es ein Wort, das genau diese Situation oder dieses Gefühl näher beschreiben soll.

Also so ein Mitnehmen, oder auch wie ich es empfunden habe, eine Entspannung und ein sich darauf Einlassen-können…

Lukas Kranzelbinder: Ja genau, so ein Abtauchen. Wenn’s einen erwischt und man abtauchen will, das ist für mich „heat“. Das ist irgendwie ein guter Begriff dafür.

Das beschreibt dann auch die emotionale Essenz, die ihr rüberbringen wollt?

Lukas Kranzelbinder: Also Emotion rüberbringen ist immer so eine Sache, weil meiner Meinung nach kann man nie planen, welche Emotion man beim Gegenüber auslöst. Ganz klar weiß man also nie, welches Stück welche Emotionen hervorruft. Das ist ja auch immer etwas Persönliches. Man kann nur von sich selbst ausgehen und bei mir ist das so, wenn mich etwas bewegt und ich merke im Bauch, dass da etwas passiert, bring ich das mit und dann spielen wir die Nummer. Oft ist es dann so, dass es im Publikum ein ähnliches Gefühl auslöst. Aber natürlich gibt es dann auch wieder Momente, wo in den Leuten etwas ganz anderes entsteht und das ist sehr spannend.

Shake Stew (c) Severin Koller

Ist „Heat“ eine Fortsetzung der vorangegangenen Alben bzw. trägt es immer noch denselben Stamm in sich, und wohin würde dabei der musikalische Ast reichen?

Lukas Kranzelbinder: Nach unserem Konzert in München hat ein Journalist der Süddeutschen gemeint, dass es eigentlich kaum eine Band gibt, die so einen starken Signature-Sound hat, wie Shake Stew. Er wüsste also sofort, „das ist die Band!“ Und das ist natürlich ein sehr großes Kompliment. Ich glaube, insofern setzt sich das auch am neuen Album fort, dass dieser Kernsound der Band einfach schon da ist. Trotzdem gibt’s sehr viel verschiedene neue Ebenen, die in diesem Album vorkommen. Es ist schon eine Weiterentwicklung und ein weiterer Schritt. Für mich ist es immer wichtig, dass neue Alben die alten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Es ist sozusagen eine weitere Facette der Gruppe und es gibt in unserer Besetzung einfach so viel Facetten, was total schön ist. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum es jetzt schon insgesamt fünf Alben in dieser kurzen Zeit gibt. Es sind so viele Ideen da, so viele Möglichkeiten, mit denen man arbeiten kann. Also ein CD-Format ist dann meistens gar wenig, wenn die Nummern so lang sind. Ich denke, es gibt am neuen Album aber auf jeden Fall ein paar Stücke, die eine neue Klangwelt öffnen, welche es in der Form noch nicht gegeben hat. Das macht mich sehr glücklich.

„Ich habe eigentlich immer schon diese Vision, dass die Leute unsere Musik nehmen und für sich „be-nutzen“.“

Das freut mich zu hören. Gibt es einen speziellen Hintergrund, den ihr vermittelt? Eine Grundlage?

Lukas Kranzelbinder: Zumindest nicht bewusst angelegt, weil wie gesagt das, was Musik vermittelt, nicht planbar ist. Ich habe eigentlich immer schon diese Vision, dass die Leute unsere Musik nehmen und für sich „be-nutzen“. Benutzen unter Anführungszeichen, weil darin oft so ein negativer Aspekt liegt. Aber ich meine das eigentlich in einem positiven Sinn. Also sie können das mitnehmen und für sich selbst das daraus machen, was es für sie ist. Das ist das Schöne, weil ich nicht planen will, welche Bedeutung ein Album beim Hören für jemanden haben oder was sich jemand darunter vorstellen soll. So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, es sind schon ein paar starke emotionale Stimmungen auf diesem Album und eher bin ich gespannt zu hören, was es in den Leuten bewegt.

Shake Stew (c) Severin Koller

Ihr habt euch vor Kurzem ergänzt bzw. ein wenig umgetauscht. Euer neues Bandmitglied, Astrid, mischt euren Sound und die Energie noch mal etwas auf. Inwiefern habt ihr euch da verändert und weiterentwickelt?

Lukas Kranzelbinder: In unserer Band geht es immer schon um diese Mischung zwischen einer ganz starken Gruppenenergie und starken musikalischen Persönlichkeiten. Eigentlich ist es ein Kontrast, aber es funktioniert gemeinsam total gut, weil alle durch ihr Spielen den Sound dieser Band prägen. So ist es auch bei Astrid. Als sie dazu gekommen ist, hat sie so eine natürliche Energie- und Klangquelle, und neue Tür geöffnet. Ich glaub, ich kann da für uns alle sprechen, wie wahnsinnig inspiriert wir sind von der Art, wie sie spielt. Sie ist so eine großartige Saxophonistin. Für mich ist es insofern spannend, weil wir uns tatsächlich noch gar nicht so lange kennen. Vor Stake Stew hatte ich nicht wirklich eine Band mit ihr, und sie bringt mir Aspekte in meine eigene Musik mit hinein, die ich so noch nicht gehört habe. Dafür bin ich extrem dankbar. Zusätzlich ist es auch so, dass es energetisch sehr gut passt. Wir schwimmen sehr auf einer Wellenlänge. Astrid ist aus meiner Sicht auch ein sehr körperlicher Typ, d.h. sie empfindet die Musik wie auch ich sehr körperlich, lässt sich gern mitreißen und versinkt gerne darin. Das ist total schön, wenn man das auf der Bühne teilen kann.

„Ich habe überhaupt noch kein schlechtes Konzert mit der Gruppe gespielt, wo ich mich nicht gut gefühlt hätte. Das ist natürlich eine sehr große Energiequelle.“

Gerade auf das Gesamtbild hat das besondere Auswirkungen, wenn man sich verbunden fühlt und miteinander verschmilzt, musikalisch wie persönlich. Wie wird es denn für euch nun weiter gehen? Habt ihr spezielle Erwartungen an euch selbst, wohin gehen die Tendenzen, wie schaut der Weg aus?

Lukas Kranzelbinder: Also wir haben relativ viele Konzerte bis zum Sommer und ich freu mich einfach wieder extrem darauf, live zu spielen, die Musik leben lassen zu können und mitzubekommen, wie sie sich entwickelt. Das Programm haben wir davor ja noch nicht viel gespielt und jetzt gibt es dann die Chance, das immer wieder auf‘s Neue zu entdecken. Ein großer Vorteil bei der Band ist auch, dass es immer so eine gewisse Euphorie gibt, wenn man wo spielt. Das taugt mir total; wenn man wohin kommt, sind alle irgendwie so „wuuuhuuhh“ und das fühlt sich so schön an. Du kannst dich auf jedes Konzert freuen und weißt irgendwie, okay, wenn wir dort spielen, dann wird das super werden! Ich habe überhaupt noch kein schlechtes Konzert mit der Gruppe gespielt, wo ich mich nicht gut gefühlt hätte. Das ist natürlich eine sehr große Energiequelle und alles weitere werden wir sehen. Man kann in der momentan global schwierigen Situation sowieso wenig planen. Große Visionen oder Pläne zu machen trau ich mich nicht, sondern ich bin einfach dankbar und froh, dass wir die Möglichkeit haben, uns in Form von Konzerten mit Menschen auszutauschen, Verbindungen einzugehen und das Gemeinsame zu betonen und in den Vordergrund zu stellen. Ich hoffe einfach, dass sich die Welt wieder in eine positive Richtung wieder entwickelt.

…das heißt, einfach im Flow bleiben und das annehmen, was kommt.

Genau, auf jeden Fall.

Herzlichen Dank für das Interview.

Sophia Umfahrer

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