„Wenn alles möglich ist.“ – Didi Kern und Philipp Quehenberger im mica-Interview

Der Keyboarder PHILIPP QUEHENBERGER und der Drummer DIETER aka DIDI KERN (BULBUL, FUCKHEAD) sind seit beinahe zwei Dekaden als Duo aktiv. Bekannt für ihre ekstatischen Live-Shows liefern sie den besten Beweis, dass sich freie Improvisation nicht auf ein Genre beschränken muss, sondern vielmehr die Möglichkeit bietet, unterschiedlichste musikalische Sprachen zu verschmelzen. Im Fall von KERN/QUEHENBERGER reicht das Spektrum von Punk zu Free Jazz, von Techno zu Krautrock, von Grindcore zu Avant-Pop. Hier wird gedroschen, berzerkert, gerackert und beackert bis die Fetzen fliegen. Die Energie, die hier freigesetzt wird, übersetzt sich quer durch alle Szenen. Folglich gibt es von der Kunstgalerie bis zum besetzten Haus kaum einen Ort, den das Duo nicht schon bespielt hätte. Dass mit „Ha Ha Ha“ (Siluh Records) nun der erste Studio-Release dieser Live-Band erschienen ist, markiert eine Wende in deren Entwicklung. Shilla Strelka hat die beiden Musiker zu einem Gespräch über Vergangenes und Gegenwärtiges getroffen.

„Das war der Anfang.“

Ihr seid schon seit einer halben Ewigkeit als Duo aktiv. 2002 habt ihr begonnen oder?

Didi Kern: Ja, wir waren gemeinsam auf dem phonoTAKTIK Festival in New York. Damals hat Philipp solo gespielt, weil gerade seine Platte auf „Cheap“ ‘rausgekommen ist und ich wurde wegen meinem Release auf „Mego“ eingeladen. Ich hab’ damals mit Michi Strohmann das Konzert vor Philipp gespielt. Das war im CBGBs Keller. Wir haben Philipp kurzerhand gefragt, ob er nicht mitspielen möchte. Das war der Anfang. Die ersten sechs Jahre waren wir dann als Trio unterwegs, bis Michi begonnen hat mehr bei der Performancegruppe Toxic Dreams zu arbeiten und Philipp seine bassige Phase gekriegt hat. Da haben wir zu zweit weitergemacht.

Philipp Quehenberger: Naja, die bassige Phase . . . davor war einfach kein Platz. Ich hab‘ mich zurückgehalten, weil Michi Bass gespielt hat. Man hatte weniger Einfluss auf das Ganze. Bei zwei Leuten macht einer was und der andere reagiert darauf. Bei drei Leuten reagiert vielleicht einer und der andere nicht.

Didi Kern: Vor allem war das Trio eher so Grindcore-Gedresche. Aber ja, die Kommunikation war einfach immer eine g‘mahte Wies‘n zu zweit.

Philipp Quehenberger: Man konnte einfach total schnell Entscheidungen treffen. Das Format war komplett anders als das Band-Format, weil es so flexibel war. Wir sind beide darauf eingestiegen und wollten dasselbe.

Didi Kern: Es ist unausgesprochen immer das passiert, was man sich gedacht hat. Das ist auf einmal ohne Kommunikation wie von selbst gegangen. Wir haben uns selbst gewundert, aber auch total gefreut, dass das so gut aufgeht.

Philipp Quehenberger: Ja, das war immer schon das Ding: dass der eine etwas macht und der andere weiß schon, was der andere will und wie er darauf reagieren muss.

Quehenberger / Kern (c) Markus Krottendorfer

Wie wichtig ist es in diesem Zusammenhang dass ihr ähnlich sozialisiert seid? Ihr seid ja beide am Land mit Punk und Hardcore aufgewachsen.

Didi Kern: Ja, eh. Das waren auch die ersten Dinge, die wir uns gegenseitig vorgespielt haben. Es sind ein paar Bandnamen gefallen und der andere hat gleich mit „Ah, Interessant!“ reagiert. Und überhaupt die Erscheinung! Ich bin dort bei Mego im Büro gesessen und Philipp wollte zu den Cheaps. Weil aber nie wer da war, gab‘s bei uns einen Kaffee und dann ist geratscht worden.

Ich hab‘ damals schon die längste Zeit einen Keyboarder gesucht, obwohl ich eigentlich immer einen Fimmel für One-Man-Bands gehabt hab‘. Aber weil ich nichts Harmonisches spielen konnte, dacht‘ ich mir, ob wir jetzt zu zweit sind, ist auch schon wurscht. Hauptsache das Ganze ist kompakt und mehr Musik als nur Schlagzeug.

Philipp, hast du damals schon Techno gemacht?

Philipp Quehenberger:  Ich hab‘ eher versucht, mein Ding zu machen. Damals war Techno gerade groß. Das hat mich zwar vorher schon interessiert, aber ich hätte damals wahrscheinlich nicht gesagt, dass ich Techno mach‘. Am Anfang in Innsbruck wurde mein Sound mit Suicide und ähnlichem verglichen. Die kannte ich nicht mal. Am Anfang war ich naiv. Jetzt im Nachhinein betrachtet, sind die Tracks schon beeinflusst von der Zeit.

Wie bist du zu Cheap gekommen?

Philipp Quehenberger: Ich hab‘ die Platte damals noch in Innsbruck gemacht. Dann bin ich mit den Tapes immer wieder zu den Cheaps gegangen und hab gesagt, dass sie sich’s anhören müssen und zwar während ich dabei bin, sonst glaub ich ihnen nicht, dass sie sich‘s überhaupt anhören. So hab‘ ich dann den Didi kennengelernt: ich hab mir immer was ausgemacht mit ihnen und dann sind sie nicht dahergekommen. [lacht]

Kern, Quehenberger (c) Archiv Band

Didi Kern: Man muss auch dazusagen, dass auch die zwei Megos, Peter [Rehberg Anm.] und Ramon [Reichert Anm.] von Anfang an ziemlich angetan waren von uns. Da gibt es ganz alte Pressefotos von uns im Cheap-Büro, wo ich mit dem Akkubohrer in die E-Drum bohre.

Philipp Quehenberger: Ja, aus dem haben wir dann auch einen Remix gemacht.

„[W]ir waren einfach eine Live-Band.”

Als Duo seid ihr dann aber weder auf Cheap noch auf Mego erschienen.

Didi Kern: Ja, wir waren einfach eine Live-Band. Wir waren zwar wirklich oft im Studio, aber das war nie zufriedenstellend, weil es immer in so ein Rhythmus-Gruppen-Ding verfallen ist. Uns ist damals noch nicht vorgeschwebt, wie das als Tonträger funktionieren könntet. Wir haben viel potentes Zeug aufgenommen, aber das in eine Studioplatte zu transformieren . . .

Philipp Quehenberger: Ja, der Bogen war weit gespannt. Wir haben jedes Mal etwas anderes gemacht.

Didi Kern: Und dann ist das mit Franz West relativ bald losgegangen. Da haben wir auf einmal mit Kinder-Equipment in Galerien gespielt und wieder etwas anderes gemacht. Später ist dann das mit Marco Eneidi und der freien Musik losgegangen. Da sind so viele Sachen zusammengekommen, dass es ein paar Jahre gebraucht hat bis wir gewusst haben, wo es hingeht.

Kern, Quehenberger (c) Archiv Band

Philipp Quehenberger: Naja, vor allem haben wir nicht gewusst, wie wir es verkaufen sollen. Wenn ich heute die Aufnahmen anhöre, die wir damals scheiße gefunden haben, denke ich mir oft, so müsste ich wieder spielen; das müsste ich wieder machen. Uns war schon bewusst, dass das was war und wir wollten es auch loskriegen, aber soundtechnisch hatten wir beide nicht die Möglichkeit, eine astreine Platte aufzunehmen. Da waren wir beschränkt.

„Man gibt […] soviel man kann, aber man muss nicht. Es geht nicht um Leben und Tod.“

Es gab im Laufe der Jahre aber schon Releases, die auf Live-Mitschnitten basieren.

Didi Kern: Ja, nach zehn Jahren haben wir dann den ersten Tonträger rausgebracht. Das war der Mitschnitt von einem Gelitin-Konzert. Und der Release mit Juini Booth war mehr oder weniger ein Live-Mitschnitt aus dem Celeste. Es sind von drei Stunden nur 25 Minuten auf die Platte gekommen. Wir waren da sehr picky.

Philipp Quehenberger: Ja, wir waren immer total kritisch. Im Nachhinein denk‘ ich mir, dass wir eigentlich viel zu kritisch waren. Das ist meistens nicht über die eigene Schwelle gekommen. Wir haben das niemandem gezeigt, weil wir uns gedacht haben, das wäre dilettantisch.

Dilettantismus bezogen auf das Spiel oder die Aufnahme? 

Philipp Quehenberger: Naja, damals war es schon so, dass man professionell klingen wollte. Wenn das irgendwie nach Proberaum geklungen hat und nicht nach Studio . . . Und die Mitschnitte haben auch nie so geklungen wie die Konzerte sich live tatsächlich angefühlt haben. Deshalb haben wir das nie rausgebracht, obwohl es eigentlich ganz gute Mitschnitte waren. Damals haben alle diese High-End-Studioaufnahmen gemacht und unsere Sachen haben einfach nicht so geklungen. Wenn sie so aufgenommen worden wären, hätten sie vielleicht eh geknallt.

Außerdem war live einfach immer die Energie da, die wir gebraucht haben, um den Funken überspringen zu lassen – dass man mit dem Publikum in Kommunikation tritt und plötzlich alles gibt, was man hat. Das macht man halt nicht, wenn man daheim oder im Proberaum ist. Man gibt schon so viel man kann, aber man muss nicht. Es geht nicht um Leben und Tod.

„Was ist die Essenz von dem, was ich mache?“

Kern, Quehenberger (c) Archiv Band

Aber lässt sich dieser Zustand denn anders fassen als unmittelbar? Kann ein Tonträger das reproduzieren?

Philipp Quehenberger: Ich hatte ein wirklich großes Problem damit, Musik zu einem Produkt zu machen. Das hat mich total gestört. Für mich ist Musik einfach etwas, das man macht. Warum muss ich also ein Produkt erzeugen, das mich nur einengt? Und wenn man das macht, was tut man dann rein und macht man das dann nur um die Platte zu verkaufen? Was ist die Essenz von dem, was ich mache? Muss ich jetzt alles auf 5-Minuten Tracks bringen? Das war ein großes Problem. Ich hab‘ solo zwar immer Platten gemacht, aber mit dem Duo ging es ums Live-Spiel.

Didi Kern: Ja, es war schwierig diese Live-Essenz im Studio umzusetzen . . . Es gibt viele Studio-Aufnahmen, aber wir sind da immer in eine Lethargie verfallen, weil kein Publikum da war. Es waren nur die Mikros da. [lacht]

Im Begleittext zu eurem Release „Circular Mood Scale (Music for Franz West) | Marco Eneidi, Philipp Quehenberger, Didi Kern“ (Sonorus Records, 2017) steht „recorded in front of 5 guests“. Scheinbar machen diese fünf schon einen Unterschied. [alle lachen]

Philipp Quehenberger: Ja, sicher! Das macht einen Unterschied, oder wenn wenigstens der Studio-Techniker begeistert ist . . .

Didi Kern: Aber der hat sich auch nicht ausgekannt. Das war ja das Problem. Das ist auch das Schöne bei unserer neuen Platte: Nik Hummer ist uns ewig lang nachgerannt und hat gesagt: “Kommt‘s zu mir ins Studio, mach‘ma was!”. Das war wirklich der goldene Griff, dass Nik nach 15 Jahren der Erste war, der das wirklich verstanden hat. Da war auf einmal ein Dritter in der Band, der gemerkt hat, was es noch braucht und wir haben uns angeschaut und gedacht: „Perfekt!”

„Unser Problem ist, dass wir eigentlich totale Popper sind.“

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Auf eurem gerade eben erschienenen ersten Studio-Release „Ha Ha Ha“ (Siluh Records, 2019) präsentiert ihr tatsächlich relativ konzise Nummern. Manche Tracks sind so catchy wie Popsongs.

Philipp Quehenberger: Ja! Unser Problem ist, dass wir eigentlich totale Popper sind. [lacht ausgiebig]

Didi Kern: Aber das waren wir vor zehn Jahren noch nicht. Da hätte ich mir nicht gedacht, dass wir mal sowas rausbringen würden. Es hat auch wachsen müssen.

Philipp Quehenberger: Wenigstens kann man das jetzt im Radio spielen. Es ist die Essenz dessen, was wir machen.

Didi Kern: Es sind sechs Ausschnitte, die live durchaus so daherkommen können. Vor allem haben wir in letzter Zeit oft im Clubkontext gespielt. In der Galerie waren wir eher schräg unterwegs, im Club haben wir geschaut, dass wir clubartige Musik abliefern und in der Punkbude haben wir‘s halt völlig krachen lassen. Der Release ist so eine Mischung. Die Grundrhythmen der Platte haben wir im WUK aufgenommen. Dann sind wir ein halbes Jahr gesessen und haben sondiert – was ist gut, was nicht. Früher, als wir im Studio waren, haben wir gedacht, wir müssten ein Stück von A-Z einspielen.

Unsere letzte Platte „Linz“ (Shameless, 2018) war ein Live-Mitschnitt. [lacht] Als wir damit bei der SKE um Förderung angesucht haben, wurden wir abgelehnt mit der Begründung, dass der Sound fragwürdig wäre. Da haben wir uns schon gefragt, um was es jetzt geht. Also meinen sie die Musik oder können sie nicht greifen, was da passiert? Das war der Grund, warum wir begonnen haben, Stücke zu extrahieren und auszuformulieren.

Philipp Quehenberger: Diesmal war es die richtige Mischung aus Improvisieren und sich Gedanken machen.

Didi Kern: Die Art, wie die Nummern entstanden sind, ist eigentlich eine Weiterführung unserer Live-Impro.

Philipp Quehenberger: Du hast mich eigentlich immer nur einen Take machen lassen. [lacht]

Didi Kern: Ja, ich war da beinhart. [lacht] So hat das aber relativ gut hingehaut. Auch die Limitation auf acht Spuren war sehr wichtig, damit es nicht unendlich viele Möglichkeiten gibt.

Kern, Quehenberger (c) Georg Gatsas

Ich frage mich, wie ihr von Cheap, Mego und Rock is Hell zu Siluh Records gekommen seid. Das Label wird ja eher mit Indie-Rock assoziiert.

Didi Kern: Ich kenne den Bernhard [Kern Anm.] schon lange und schätze extrem, wie er arbeitet.

Philipp Quehenberger: Ja! Total straight.

Didi Kern: Und die Techno-Labels, bei denen wir angefragt haben . . . die haben schon gehört, dass das Dance-Tracks sind, aber die hatten eine andere Vorstellung davon, wie eine Platte klingen soll. Weil wir diesen humanen Faktor drinnen haben. Wir wollten aber auch nicht Elektro Guzzi covern und schauen, dass es so tight wie möglich wird. Ich persönlich steh‘ ja auf minimale Fehler.

Philipp Quehenberger: Es sind absichtlich Parts drinnen geblieben, an denen man erkennt, dass es auch tatsächlich gespielt ist.

Didi Kern: Als Nik begonnen hat Stellen, an denen wir einmal langsamer, einmal schneller werden, auszubügeln, also versucht hat das zu richten, hat uns einfach etwas gefehlt. Wir haben also die Ur-Version genommen, weil klar war, dass es das ist.

„Ich sag‘ Musik dazu.“

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Steht die Improvisation bei euch im Vordergrund, wenn ihr schon sagt, dass ihr eine Live-Band seid? Ihr würfelt so viele Genres zusammen, seid eklektisch, klar, aber wie fasse ich das?

Philipp Quehenberger: Das ist ja das Problem daran . . .

Didi Kern: Wir wissen es selber nicht. Ich sag‘ Musik dazu. Aber wenn jetzt wer in die Details gehen will . . .

Wenn wir von Improvisation sprechen, macht das fast automatisch den Free-Jazz-Kontext auf. Es lässt sich aber im Prinzip in fast allen Genres improvisieren. Das heißt dann vielleicht eher Jam. 

Didi Kern: Ja, auf alle Fälle!

Philipp Quehenberger: Wir können auch in jedem Kontext spielen. Das ist das, was uns zusammengehalten hat. Wir haben teilweise so viel gespielt, dass wir keine Zeit hatten, nachzudenken, ob wir jetzt etwas rausbringen wollen. Wir haben uns immer auf die Situation eingelassen, aber ohne uns zu verbiegen. Wir haben zwar unser Ding gemacht, das aber immer der Situation entsprechend. Und dadurch haben wir auch verschiedene Leute angesprochen. Wir holen sie dort ab wo sie sind, erst dann können wir sie woanders hinbringen.

Didi Kern: Und das mit der Improvisation . . . als das mit Marco [Eineidi, Anm.] im Celeste losgegangen ist, waren wir beide total fasziniert. Marco war nicht der klassische Jazz-Improvisateur. Der kam aus der harten Abteilung. Das hat uns sehr angesprochen, weil so viel Energie dahinter war. Ich für meinen Teil war nie Jazzer. Auch kein Free Jazzer, eher ein Bauern-Jazzer. Ich komm ja aus der Blasmusik und bin später total auf Punk und Hardcore abgefahren. In den 1990ern ist dann Techno dahergekommen. Wenn jemand also Free Jazz dazu sagt, gut und schön, aber eigentlich ist es Improvisation.

Ihr tretet auch oft im Kunstkontext auf und wart gut mit dem Künstler Franz West befreundet, der 2012 verstorben ist. Habt ihr eine Erklärung dafür, warum die Kunstwelt euch mit offenen Armen empfangen hat? Hat das mit eurer Ausdruckswut und Kompromisslosigkeit zu tun? Dass ihr nicht sklavisch einem Genre folgt, sondern euch selbst auch als Künstler versteht? Euer Tun hat ja etwas unmittelbar Schöpferisches.

Didi Kern: Das hab‘ ich mich am Anfang selbst gefragt, muss ich ganz ehrlich sagen. Es hat viel damit zu tun gehabt, dass uns Franz West wirklich unterstützt hat und zu Lebzeiten unser größter Fan war. Er hat einfach seine Hand für uns ins Feuer gehalten und war von uns überzeugt, auch wenn es die Leute vor den Kopf gestoßen hat.

Kern, Quehenberger, West in Rom (c) Quelle unbekannt

Philipp Quehenberger: Ich glaube aber auch, dass die Mischung aus Noise und Performance damals angesagt war. Viele haben geglaubt, dass wir performativer sind, als wir tatsächlich waren. Die meisten haben sich gewundert, dass ich eigentlich Klavier spielen kann, weil ich mich hingestellt hab und so [gestikuliert wild herum, daraufhin lachen alle] gemacht hab‘. Das ist dann meine ‚Performance‘, die viele als Fluxus-Aktion oder so verstanden haben. Ich glaube, dass man sich hinstellt und etwas tut, ist auch das, was die Künstler machen. Die machen dann halt was anderes. [alle lachen]

„Dass man nicht den Clown macht, sondern die Leute provoziert.“

Bei sich zu bleiben, sich nicht vom Markt korrumpieren zu lassen oder überhaupt der Widerstand, eure Sounds in etwas Warenförmigen zu fixieren, hat ja auch mit einer Haltung zu tun. Der Anspruch auf Autonomie, den kennt man ja auch aus den Künsten.

Philipp Quehenberger: Jaja, allerdings hat das in der Kunst dazu geführt, dass sie alle Millionäre wurden. Aber ja. Bei uns ist das teilweise wirklich so gewesen, dass wir einfach nichts hatten, das wir verkaufen hätten können. Nach dem Gig war es dann wieder vorbei. Im Endeffekt nutzt einem das nicht viel.

Didi Kern: Aber du hast schon Recht. Aus meiner Sicht geht es da schon auch um eine Haltung.

Philipp Quehenberger: Gerade wenn man so in einem gespreizten Zusammenhang ist, möchte man, dass das alles zu den eigenen Bedingungen läuft. Dass man nicht den Clown macht, sondern die Leute provoziert, bis  irgendwer zu dir kommt und sagt, du sollst aufhören.  [beide lachen]

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Passiert euch das so oft?

Philipp Quehenberger: Ja sicher, sehr oft!

Didi Kern: In Frankreich haben sie uns mit Weinflaschen runtergeschossen!

Philipp Quehenberger: Oder es kommt irgendeine Dame her und meint: „Was ist das? Hören Sie bitte auf damit.”

Philipp, du schaust beim Spielen auch gern direkt ins Publikum. Das wirkt einerseits prüfend, hat andererseits aber auch etwas Provozierendes.

Philipp Quehenberger: Das kommt vielleicht wirklich vom Punk, also dass man konfrontativ spielt und die Energy nach vorne bringt. Ich hab‘ das total drinnen in mir. Schon als Kind war es so, dass ich zu einer Jazz-Band hingegangen bin, weil ich wollte, dass sie mich kurz anschaut. Du willst ja, dass kommuniziert wird. Aber es hat schon etwas Provozierendes, ja.

Diese Auflehnung scheint bei euch schon ein Punkt zu sein. Genauso aber auch der Humor, wie sich am Titel des aktuellen Albums ablesen lässt.

Philipp Quehenberger: Ja, das allzu Ernste hat uns nie interessiert. Wir haben schon gewusst, dass wir hart und spacig spielen können und auch das Energy-Playing aus dem Free Jazz draufhaben. Es gibt so viele Genres, die streng definiert sind. Da kommt der Humor schon allein dadurch mit, dass wir das nicht so ernst nehmen und die Grenzen nicht als zementiert sehen.

Didi Kern: . . . dass wir auch einfach alles zulassen . . .

Philipp Quehenberger: Ja, offen zu sein und sich nicht abgrenzen zu wollen. Zu schauen, was passiert, wenn ich auf- und nicht zumache, wenn alles möglich ist.

“[D]ass nur mehr die coolen Leute übrig bleiben. “

Kern, Quehenberger, West (c) Quelle unbekannt

Didi Kern: Beim Franz haben wir manchmal vier Stunden durchmusiziert, also bis die Kunstgesellschaft beim Essen gesessen ist.

Philipp Quehenberger: Teilweise haben wir auch richtig heftig gespielt und eine Wand aufgezogen. Viele Leute haben das nicht ausgehalten, aber so haben wir dafür gesorgt, dass der Franz unter seinen Leuten sein konnte oder dass nur mehr die coolen Leute übriggeblieben sind. [alle lachen]

Didi Kern: Ja, es war teilweise so, dass der Franz nach drei Stunden gekommen ist und wenn jemand Ungutes da war, mit dem er nicht reden wollte, hat er gesagt, wir sollen doch bitte was Lautes spielen. Dann sind die Leute eine halbe Stunde daneben gestanden und haben gewartet. Er hat das voll ausgekostet und wir wurden gehasst dafür.

Philipp Quehenberger: Aber es gab auch Situationen, in denen wir wirklich dazugelernt haben. Wir haben gelernt das Publikum einzuschätzen, also zu wissen, was die Menschen wollen, aber auch was wir ihnen geben wollen.

Didi Kern: Gleichzeitig sind im Kunstkontext auch so poppige Dinge passiert, weil wir einfach stundenlang Zeit hatten, Dinge auszuprobieren.

„ich hab‘ es schon immer wichtig gefunden, dass man auf der Bühne etwas darstellt”

Ist es eigentlich so abwegig, euch als performativ zu bezeichnen? Zumindest gab es eine Phase, in der Philipp diese übergroßen Sakkos anhatte. Das hatte schon fast etwas von Theater oder zumindest etwas Selbstironisches.

Philipp Quehenberger: Ja, eh. Aber das war auch einfach das, was ich angehabt hab‘ [beide lachen]. Du denkst dir halt, das wäre wie eine Rüstung, so ein Sakko. Da ist so ein Kunst-Design-Dings und ich spiel‘ da einfach im Sakko. Da können die mir nix anhaben.

Didi Kern: Der Franz hat ihn ja auch oft ins Modegeschäft geschickt . . .

Philipp Quehenberger: Ich hab‘ auch die Klamotten von meinem Vater angezogen.

Didi Kern: Dein Vater hat zum Glück nur so furchtbare Sakkos gehabt . . .  [alle lachen]

Philipp Quehenberger: Aber ja, ich hab‘ es schon immer wichtig gefunden, dass man auf der Bühne etwas darstellt; dass die Musik einen berührt, aber man weiß nicht wieso.

Philipp, man sucht bei dir oft vergeblich nach harmonischen Akkorden oder Melodien, an denen man sich orientieren könnte. Steckt da eine Vermeidungstaktik dahinter? Du hast ja eigentlich eine Klavierausbildung hinter dir . . .

Philipp Quehenberger: Ja, ich hab‘ am Konservatorium klassisches Klavier gelernt. Ich bin aber erst mit 15 aufs Kons gekommen und konnte keine Noten lesen. Dadurch hatte ich einen anderen Zugang. Danach hab‘ ich Jazz studiert, um meine Eltern zufriedenzustellen bzw. war das die einzige Schule, die mich aufgenommen hat. Ich hatte gar keine Wahl. Ich hab’ damals schon in Punkbands gespielt und mich lange gegen alles Akademische aufgelehnt. Im Endeffekt bin ich da dann auch rausgeflogen.

Kern, Quehenberger (c) Archiv Band

Aber wo dockt dein Spiel an? Woher kommt dieser Mut zu schrägen Klängen? Du haust die so selbstverständlich rein, als gäb es da eine innere Logik. Das bekommt sowas Genialisches, weil man es nicht durchschaut.

Didi Kern: Cecil Taylor.

Philipp Quehenberger: Ich spiele das, was ich höre. Aber ja, dass man das nicht durchschauen kann oder sagen kann, warum man das irgendwie gut findet . . . Mich hat von klein auf das Free-Jazz-Ding begleitet. Cecil Taylor hat mich sicher beeinflusst. Als ich ein Kind war, hat er auch kurz bei uns gewohnt. Für mich war das die ‘normale‘ Musik. Mein Vater hat damals hobbymäßig in Jazzbands gespielt und Theatermusik gemacht.

Didi Kern: Er hat auch einen der ersten Sampler gebaut in Innsbruck.

Philipp Quehenberger: Modularsynth.

Didi Kern: So Zeug halt . . . und war voll interessiert am Sound der 1970er. Als ich das erste Mal bei Peter [Quehenberger Anm.} im Studio war, hab‘ ich total gestaunt. Was es da alles gab! Auch seine eigene Musik war flashig. Er war auch ein guter Spezi vom Werner Pirchner. Die Leute haben sich gegenseitig beeinflusst.

Philipp Quehenberger: Ja, der war auch oft bei uns.

Didi Kern: Tirol war schon immer ein freakiger Ort, was die Musik betrifft.

Philipp Quehenberger: Ja, das war halt die ältere Generation und dann hat es in Innsbruck noch eine Hausbesetzerszene gegeben. Da hat sich die Post-Punkszene mit der Spiral-Tribe-Szene vermischt.  Da ist alles ineinander übergegangen.

Didi Kern: Ja, mit Fuckhead hatten wir damals einen Proberaum in der Arena. Da waren auch schon diese Typen unterwegs, die dann mit dem Roland303er und -606er Synth einen ähnlichen Terror fabriziert haben wie eine Punkband. Das war ein ziemlich guter Aufbruch damals. Da sind viele Sachen passiert.

„Wir haben uns eher diversifiziert, als spezifiziert.“

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Habt ihr das Gefühl, dass sich die Genres jetzt mehr spezifizieren?

Philipp Quehenberger: Jetzt ist auch wieder eine Zeit, wo man machen kann, was man will. Das war lange Zeit nicht so. Da passen wir auch gut rein. Wir haben uns eher diversifiziert, als spezifiziert. Aber natürlich gibt es noch Genres, Kaffeehaus-Listen oder wie heißt das? . . .   Spotify-Playlists zum Kaffee trinken. [lacht]

Was wäre denn eure Kategorie auf Spotify?

Philipp Quehenberger: Ja, das ist halt die Frage . . .

Didi Kern:  Kleiner-starker-Espresso-Musik!  [alle lachen]

Eben, es kommt bei euch auch so eine Körperlichkeit mit. Die Energie einerseits, aber dann auch diese fast schon sportliche Attitüde. Euer Spiel hat etwas total Ekstatisches, Trancehaftes, fast schon Psychedelisches. Ihr steigert euch in Zustände, die dann auch auf das Publikum überschwappen. 

Didi Kern: Ja, ich kann auch nicht anders. Ich wurde in den 1990ern mit Live-Konzerten sozialisiert. Und dieser energy flow, der da von der Bühne gekommen ist, hat mich einfach total geflasht. Als um die 2000er herum alle elektronischen Live-Acts begonnen haben, sich hinter dem Rechner zu verstecken oder statisch an Kisten herumzuschrauben, sind mir die Körperlichkeit und der visuelle Aspekt total abgegangen. Ich hab Musikern und Musikerinnen immer schon gern beim Spielen zugeschaut. Diese Live-Band-Kultur ist ziemlich verschwunden gewesen, aber mittlerweile ist das wieder massiv im Kommen.

Habt ihr eigentlich seit 2002 kontinuierlich gespielt? Gab es in diesen 17 Jahren nie eine Pause?

Didi Kern: Die längste Pause waren zwei Monate, weil keine Konzerte daherkommen sind. Aber dann haben wir uns einfach im WUK getroffen, um zu spielen. Wir wollten einige Zeit auch konkrete Nummern spielen, aber das hat sich schnell wie ein Korsett angefühlt. Auf einmal konnte man Fehler machen. Das gibt es bei uns aber nicht, weil es ab da erst interessant wird

Philipp Quehenberger: Das was mir beim Punk immer getaugt hat, war dieses „Jetzt-gehts-los!.

Didi Kern: Und wir probieren stundenlang diesen Punkt zu finden – dieses „Jetzt-gehts-los!“ . . .

Na, aber jetzt geht‘s los! [alle lachen]

Herzlichen Dank fürs Gespräch!

Shilla Strelka

 

Links:
Didi Kern / Philipp Quehenberger (Facebook)
qed Sounds (Website)
“Ha Ha Ha” (SIluh Records, 2019) Spotify
Philipp Quehenberger (Facebook)
Siluh Records (Website)