„Was uns interessiert, ist die elektronische Musik aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik […]“ – ACHIM BORNHÖFT und MARTIN LOSERT („Sweet Spot“) im mica-Interview

Laut WIKIPEDIA versteht man unter einem „Sweet Spot“ den „optimalen Hörort“, von dem aus Musik aus Lautsprechern genussvoll gehört werden kann. So ist nur naheliegend, wenn sich die neue Reihe für „Elektro-Akustische Musik“ in Salzburg SWEET SPOT nennt. Dabei versteht sie sich vor allem auch als Forum „klassischer und ganz neuer Produktionen Elektro-Akustischer Musik in Salzburg“.

Initiiert von ALEXANDER BAUER (Komponist, Organist), MARCO DÖTTLINGER (Komponist), MARTIN LOSERT (Saxofonist, Instrumentalpädagoge, Salzburg und Leiter von CONTEMPOHR sowie MOZARTEUM SALZBURG) und ACHIM BORNHÖFT (Komponist und Leiter des STUDIOS FÜR ELEKTRONISCHE MUSIK sowie des INSTITUTS FÜR NEUE MUSIK, MOZARTEUM SALZBURG), die sich auch die Bereiche Technik und Moderation teilen, soll in dieser Reihe in „Lounge-Atmosphäre“ das Genre zeitgenössische elektroakustische Musik nicht nur einen fixen Ort (bei gleichwohl wechselnden Locations) in Salzburg bekommen, sondern auch Gelegenheit dazu geboten werden, über das gerade Gehörte miteinander zu diskutieren. Weshalb es begleitend zu jedem Konzert auch kurze Einführungen geben wird. Didi Neidhart sprach mit ACHIM BORNHÖFT und MARTIN LOSERT über „Sweet Spot“ und elektronische Musik im Allgemeinen. 

Wie kam es zur Idee „Sweet Spot“ bzw. was ist darunter zu verstehen?

Achim Bornhöft: Die Idee hatte Martin Losert, der meinte, dass Salzburg eine Konzertreihe fehlt, die sich der elektroakustischen Musik widmet.

Martin Losert: Stimmt, aber den Namen und die Ausgestaltung der Idee kam schon von uns allen vier.

Ist das eine wie auch immer intendierte, bewusste oder unbewusste Reaktion auf das Ende der Salzburg Biennale?

Achim Bornhöft: Meines Wissens hatte es damit nichts zu tun.

Martin Losert: Nein, eher der Wunsch, zusammen mit anderen einen Ort bzw. eine Reihe zu haben, wo wir neuere und ältere Stücke gemeinsam hören und miteinander ins Gespräch kommen. Innerhalb der Biennale gab es meines Wissens nach ja keine rein elektronische Reihe. Es wurden nur hin und wieder auch Stücke mit Elektronik gespielt.

„Wir interessieren uns sicherlich auch alle für die elektronische Musik aus den Bereichen Jazz und Pop […]“

Was verstehen Sie eigentlich konkret unter Begriffen wie „elektronische Musik“ und „Computermusik“?

Achim Bornhöft: Diese Begriffe sind nicht klar definiert. Mit „elektronischer Musik“ wird in der Regel die Musik aus Lautsprechern bezeichnet. Darüber hinaus wird der Begriff auch als Abgrenzung der Computermusik bzw. digitalen Musik gegenüber der analogen Tonbandmusik verwendet.

Martin Losert: Das ist eigentlich eine recht zentrale Frage, der wir uns als gesamtes Team noch gar nicht so richtig gestellt haben. Auf der einen Seite ist es so, wie Achim beschreibt: Musik, die eben nicht durch akustische Instrumente live gespielt wird, sondern aus Lautsprechern kommt. Die Problematik dieser Definition liegt auf der Hand, denn sie sagt eigentlich nicht, was elektronische Musik ist, sondern nur, was sie nicht ist. Unter diese Definition fällt ein neuer Pop-Hit genauso wie elektronische Studien aus den 1920er-Jahren.

Lange Zeit wurde der Begriff auch zur Abgrenzung gegenüber der französischen Musique concrète genutzt, als eine Art Friedensangebot gilt daher seit den 1950er-Jahren elektroakustische Musik – das ist aber alles lang her und für die heutigen Komponistinnen und Komponisten nicht mehr wirklich von Belang.

Was uns interessiert, ist die elektronische Musik aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik, wobei wir uns zunächst auf die vorproduzierte Musik beschränken. Wir interessieren uns sicherlich auch alle für die elektronische Musik aus den Bereichen Jazz und Pop, doch das steht im Moment nicht ganz so im Fokus. Dabei ist uns bewusst, dass Begriffe wie „Jazz“, „Pop“ und „zeitgenössische Musik“ Krücken sind, die für viele Komponistinnen und Komponisten bzw. Musikerinnen und Musiker gar nicht mehr so relevant sind.

Bild v.l.n.r Alexander Bauer, Marco Döttlinger, Martin Losert, Achim Bornhöft
v.l.n.r Alexander Bauer, Marco Döttlinger, Martin Losert, Achim Bornhöft (c) Manuela Mitterer

Mit der Ausschreibung „Elektronikland“ sowie dem gleichnamigen, alles zwei Jahre vergebenen Preis fördert das Land Salzburg ja ein breit gefächertes Verständnis von elektronischer Musik. Wo sehen Sie das Verbindende und das Trennende der jeweiligen elektronischen Genres zwischen Neuer Musik, Pop, Dancefloor, Bass Culture, Jazz, Avantgarde?

Achim Bornhöft: Ästhetisch sind die Genres dahingehend unterschiedlich, dass die akademische elektronische Musik häufig auf beatorientierte Strukturen verzichtet, während die anderen nur selten ohne Beat auskommen. Rein technisch gesehen arbeiten diese verschiedenen Ausprägungen der elektronischen Musik aber mit den gleichen Werkzeugen. Sie verwenden sie nur unterschiedlich.

Martin Losert: Vermutlich bestehen nur wenige Unterschiede bezüglich der verwendeten Technik, wobei es schon Vorlieben für bestimmte Programme gibt, was aber auch damit zu tun hat, dass einige Software eher für den Livebetrieb ausgerichtet ist, andere eher für den Studiobetrieb. Doch das sind vermutlich nur marginale Unterschiede.

Es gibt meines Erachtens schon deutliche ästhetische Unterschiede. Also die Art und Weise, wie musikalische Strukturen aufgebaut werden, welche Klänge bevorzugt werden. Konkret hört man dies daran, ob Harmonien und melodische Schnipsel – oder Reste davon – verwendet werden und es so etwas wie einen Beat gibt. In der zeitgenössischen Musik im Sinne von „elektronischer Musik“ findet man durchaus auch mal harmonische Strukturen und einen Beat – aber eben doch sehr viel sparsamer eingesetzt.

Gibt es zwischen den beiden diesbezüglichen Ausbildungsstätten – der Fachhochschule Puch-Urstein und dem Mozarteum – überhaupt einen Austausch?

Achim Bornhöft: Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen direkten Austausch. Es wäre aber wünschenswert, wenn sich das in Zukunft ändern könnte.

Martin Losert: Das fände ich wunderbar.

„Sweet Spot“ findet ja im Rahmen der Vermittlungs- und Konzertreihe ConTempOhr, die ihrerseits wieder Teil des universitären „Kooperationsschwerpunktes Wissenschaft und Kunst“ ist, statt. Wie gestaltet sich hierbei die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Institutionen und wie finanziert sich das Ganze?

Achim Bornhöft: Finanziell wird die Reihe von ConTempOhr bzw. W & K getragen. Das Institut für Neue Musik und das Studio für Elektronische Musik am Mozarteum sind daran programmatisch beteiligt.

Bisher gab es Abende zu Themen wie „Vox“, „Abbild“, „Fallen“ und am 13. März 2018 wird es um „Natur“ gehen. Wie kommen Sie zu diesen Themen?

Achim Bornhöft: Diese Themen entstanden aus einem Brainstorming und sind entweder Themen, die ästhetisch der elektronischen Musik abgebildet wurden, oder solche, unter der sich bestimmte Werke zusammenfassen lassen. Dabei sind auch die persönlichen Interessen der vier Moderatoren ausschlaggebend.

Martin Losert: Ich denke, wir haben erst einmal Themen gewählt, von denen wir auch wussten, dass sie thematisch funktionieren.

Handelt es sich hierbei um spezifische Themen der elektronischen Musik bzw. der Computermusik, die mal dargestellt werden wollen, oder um aktuelle Diskurse innerhalb der jeweiligen Genres?

Achim Bornhöft: Die Interessen der Moderatoren können immer auch aktuelle Diskurse anschneiden, das ist aber nicht das Hauptaugenmerk bei der Programmierung der Konzerte.

Martin Losert: Wir haben bisher versucht, „Klassiker“ mit neuen Produktionen aus Salzburg und/oder Österreich zu mischen. Das wird nicht mit jedem Thema in gleicher Weise funktionieren, etwa beim nächsten Thema „Natur“ wird es etwas schwieriger werden.

Ich weiß nicht ganz genau, was mit aktuellen Diskursen gemeint ist. Es wird ja viel über technische Fragen diskutiert – das interessiert mich persönlich gar nicht. Ich kenne es aus der Arbeit mit Komponistinnen und Komponisten eigentlich kaum, dass ästhetische Fragen diskutiert werden. Gemeinsame Arbeit – ja, das schon. Doch der eigentliche Diskurs findet meines Erachtens in den Ensembles unter den Musikerinnen und Musikern statt, was meist übersehen wird, da diese Diskussionen nicht öffentlich sind. Natürlich gibt es die üblichen Fachzeitschriften, doch wird da wirklich ein Diskurs geführt? Und auf den Festivals und Diskussionsveranstaltungen? Aber vielleicht irre ich mich ja diesbezüglich.

Bild Sweet Spot
Bild (c) Manuela Mitterer

In der Spielsaison 2017/18 hat das oenm den „Zyklus für zeitgenössische Musik“ initiiert, wo es auch nach Themen aufgeteilte Abende, wie „schlechte Stimmung“, „mikrophonie“, „selbstorganisation“, „schatten“, mit Neuer Musik gibt. Gibt es – abgesehen von der Musik – hier nicht Parallelen zu „Sweet Spot“?

Achim Bornhöft: Da gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine von uns beabsichtigten Parallelen.

Martin Losert: Nein, da gibt es keine Parallelen. Ich selbst spiele beim Ensemble Mosaik in Berlin, da gibt es bezüglich meiner Interessen vermutlich viel mehr Überschneidungen. Einworttitel sind ja nun auch schon eine ganze Zeit sehr beliebt.

„Wenn Studierende kommen, die mir sagen, dass sie bisher noch nie elektronische Musik gehört haben, dass sie aber absolut positiv überrascht sind, dann freut mich das schon.“

Ist „Sweet Spot“ auch ein Versuch, Spielarten der Neuen Musik einem größeren Publikum näherzubringen?

Achim Bornhöft: Es geht bei „Sweet Spot“ weniger um ein größeres Publikum als darum, einem speziellen, interessierten Publikum ein vielschichtiges programmatisches Angebot zu machen.

Martin Losert: Das sehe ich ein wenig anders. Mir geht es auch um ein neues oder größeres Publikum. Verankert ist unsere Reihe derzeit ja schon stark im universitären Kontext. Wenn Studierende kommen, die mir sagen, dass sie bisher noch nie elektronische Musik gehört haben, dass sie aber absolut positiv überrascht sind, dann freut mich das schon.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vermittlung? Auch bei „Sweet Spot“ gibt es vorher einführende Worte und danach Gentränke und Gespräche – fast wie bei den legendären 1939 von Peter Yates und Frances Mullen in Los Angeles begründeten Konzertreihe für Neue Musik „Evenings on the Roof“.

Achim Bornhöft: Die Vermittlung in Form einer Moderation der Konzerte und eines möglichen Diskurses nach den Konzerten ist wichtiger Bestandteil des Konzepts.

Wie sehen Sie allgemein die Situation der neuen elektronischen Musik in Salzburg?

Achim Bornhöft: Für eine Stadt wie Salzburg, in der die museale Kultur tonangebend ist, gibt es eigentlich mehr elektronische Musik, als man annehmen würde. Diese ist aber in der öffentlichen Wahrnehmung eher unterrepräsentiert. Das zu verändern ist auch ein Ziel der Sweet-Spot-Reihe.

Martin Losert: Ich habe den Eindruck, dass in Salzburg derzeit noch eine starke Trennung zwischen E- und U-Musik besteht. Diese Trennung trennt die elektronische Musik von sich selbst. Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass Schülerinnen und Schüler und junge Musikerinnen und Musiker irgendwelche Berührungsängste zu elektronsicher Popmusik mit ihren diversen Spielarten haben. Anders sieht es mit der dem klassischen Bereich zugeordneten elektronischen Musik aus. Sie ist schlicht unter den jungen und älteren Zuhörerinnen und Zuhörer unbekannt. Es gibt kaum Konzerte und sie findet sich auch nicht in den etablierten Reihen wieder. Und doch treffe ich immer wieder Musikerinnen und Musiker, Kolleginnen und Kollegen und Interessierte, die viel elektronische Musik kennen und sich für diesen Bereich begeistern. Ich denke, mit unserer Reihe haben wir eine Lücke geschlossen, mehr kann es aber gerne immer geben.

Die sogenannte elektronische Musik hat jetzt ja auch schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Auch wenn wir die Experimente vor dem Zweiten Weltkrieg weglassen, kommen wir, ausgehend von der von Pierre Schaeffer 1949 erstmals erwähnten tonbandbasierten Musique concrète auf knapp 70 Jahre. Was ist bzw. kann da noch neu sein? Oder hat sich solch eine Fragestellung längst überholt und gilt auch das strenge Diktum von Adorno über den „Absud bereits gewesener Musik“ – damals bezogen auf den auch von Strawinksy praktizierten Neoklassizismus – nicht mehr?

Achim Bornhöft: Die Frage nach der Neuigkeit ist so alt wie das Genre selbst und wird auch heute noch immer reflexhaft gestellt. Interessanter wäre vielleicht die Frage nach der ästhetischen Qualität.

Martin Losert: Es gibt noch frühere elektronische Musik, etwa aus den 1930er-Jahren von Friedrich Trautwein aus der Radioversuchsanstalt in Berlin [heute als Studio für elektronische Musik Teil der UdK Berlin; Anm.] oder aus 1920er-Jahren mit Stücken von Welimir Chlebnikow.

Auch hier ist es eigentlich schwer zu sagen, was als elektronisch gilt. Ist ein verstärktes Instrument bereits elektronisch? Bedarf es eines Mediums, um die Musik aufzuzeichnen? Was ist mit E-Gitarren, E-Orgeln, dem Mixturtrautonium usw.? Letztendlich sind das alles doch nur Instrumente und wir müssen uns über die Musik, die mit Elektronik gemacht oder umgesetzt wird, unterhalten. Letztlich ist Elektronik nur ein Instrumentarium.

Und was in der Zukunft zu erwarten?

Achim Bornhöft: Wir hoffen, dass sich „Sweet Spot“ als regelmäßige Reihe etabliert und so lange existiert, wie wir Themen haben. Kooperationen mit verschiedenen Veranstalterinnen und Veranstaltern sowie Veranstaltungsorten sind in Planung.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

 

Nächstes Konzert:

SWEET SPOT. Lounge für elektro-akustische Musik
Die, 13.03.2018 – 19.30
„NATUR“

Programm:
Werke von Barry Truax, Hildegard Westerkamp, François Bayle und Orm Finnendahl

Kontakt und Anmeldungingeborg.schrems@sbg.ac.at | Tel. +43 662 8044 2380

Kommende Termine:

Die, 10.04.2018 – 19.30
Stadtgalerie Lehen: „FM“

Die, 8.5.2018 – 19.30
Atelier im Kunstquartier: „Minimal“

Die, 4.6.2018 – 19.30
Mirabellgarten (tbc): „Aussenbereich“

Links:
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