„Was der Oasch kann, kann ich auch.“ – JAZZ GITTI im mica-Interview

JAZZ GITTI hat die alternative Wiener Szene ab den 1970ern als Szenewirtin geprägt, in den 1980ern war sie als Vollfrau bei DRAHDIWABERL und ab den 1990ern wurde sie mit Schlager erfolgreich. JAZZ GITTI im Interview mit Stefan Niederwieser.

Du bist 1971 aus Israel zurückgekommen und hast im Kaffee Alt Wien gekellnert, wo die Kulturszene verkehrte. Etwa auch Helmut Qualtinger.

Jazz Gitti: Der Qualtinger! Ich meine, toller Künstler, keine Frage. Aber ein fürchterlicher, grauslicher Typ, immer angesoffen und hat sich aufgeführt. Meine Chefin hat immer gesagt, der Herr Qualtinger! Im Rausch zeigen die Leute ihr wahres Gesicht. Wenn man weiss, wie die Welt ist, dann war das Verzweiflung. Heute kann ich das verstehen. Als junge Kellnerin, die von fünf bis vier Uhr früh gerannt ist, habe ich das nicht verstanden.

Wann hast du dich in Jazz verliebt?

Jazz Gitti: Die Frau Arzt und der alte Herr Hawelka haben gemeinsam das Kaffee Alt Wien gemacht. Sie waren Compagnon. Er hat dann das Hawelka aufgemacht. Einmal sitze ich dort, sagt er, magst du zum Jazz Freddy mitfahren. Ich hatte nichts zu tun, dachte mir, der Depp braucht ein Taxi, gut, fahre ich ihn hin. Der Jazz Freddy hat Swing aufgelegt. Und ich war im Glück! Ich bin auf der Bank gehüpft. Um ein Uhr früh sagt ein Musiker, den ich aus dem Alt Wien kannte, eines sage ich dir, wenn du nicht auf Jazz stehst, steht keiner auf Jazz! Eine Kellnerin – Minona – meinte, sie suchen. Am nächsten Tag bin ich hin und habe mich selbst eingestellt. Fast zwei Jahre habe ich dort gearbeitet.

In deinem ersten Lokal, dem Cafe Zuckerl in der Heiligenstädterstraße, war Georg Danzer zu Gast.

Jazz Gitti (c) Pressefoto

Jazz Gitti: Er war einmal da. Das war genau vorm Nackerten. Er war ziemlich betrübt und hat gesagt, wenn jetzt nichts weitergeht, dann scheiss’ ich drauf. Eine ganze Tischplatte hat er vollgezeichnet. Ich hab sie abgewaschen. Natürlich hätte ich sie aufheben sollen. Aber wer denkt an das? Ich habe ihn immer wieder getroffen, zwei Lieder hat er mir geschrieben, „Es g’hörn immer zwa dazua” und „Der Bastler”. Er war sogar bei einem Video dabei. Ich kann sagen, ich war mit dem Georg Danzer im Bett [lacht]. Er war ein ganz toller Mensch, wirklich!

Wie kam’s zu deinen Spitznamen?

Jazz Gitti: Fatty George hat eine Matinee im Gartenbaukino gemacht, bei der ich Programme verkauft habe. Er sagt in der Pause, unsere ‘Jazz Gittl’ verkauft Programme. Und von da war ich die Jazz Gitti.

„Ich mag schon, wenn sie improvisieren. Aber nicht zu lang. Wenn das zu lang ist, wird es mir fad.“

Du hast im Frühjahr 1975 Gittis Jazz Club eröffnet. Das Vienna Art Orchestra hatte dort sein erstes Konzert.

Jazz Gitti: Das war im dritten Lokal am Bauernmarkt. Herr Rüegg ist eines Tages gekommen und meinte, er möchte mit seinem Art Orchester spielen. Ich habe gesagt, ja spielt ruhig. Ich war immer offen für alles. Ich mag schon, wenn sie improvisieren. Aber nicht zu lang. Wenn das zu lang ist, wird es mir fad. Ich brauche Swing oder Jazz Rock oder Blues. Sonst (wechselt ins Hochdeutsche) macht mir das nicht so viel Freude [lacht].

Alle konnten dort spielen?

Jazz Gitti: Absolut! Auch die Free Jazzer. Manchmal habe ich zu meinen Mädels gesagt, Gitti geht heute ins Kino, das müsst ihr ertragen. Einmal war ein Amerikaner im Lokal, der daraufhin meinte, nein, Sie bleiben heute da. Das war echt leiwand. Wenn mir etwas leidtut, dann, dass ich kein Tagebuch oder Gästebuch hatte. Bei mir im Lokal waren alle gleich, der Sandler, der Generaldirektor, der ganze ORF war bei mir. Wenn ein Direktor gekommen ist, habe ich gesagt, mach mal den Bindl auf, fühl dich wohl, mit oder ohne Glasl?

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Warst du bei politischen Aktionen dabei?

Jazz Gitti: Wir waren protestieren in der Au. Überall waren wir. Wenn Leute demonstrieren gegangen sind, haben die Jungen oft gesagt, Gittl, geh mit, wenn du dabei bist, bekommen wir keine Hieb’ [lacht]. Einmal waren wir beim Chef der OMV. Ich hatte 135 Kilo und wallendes Gewand, wir meinten, wir machen hier einen Sitzstreik, ist nichts Persönliches, ich muss mich da jetzt hinsetzen. Er hat die Polizei gerufen. Die meinte, Gittl bitte steh auf. Nein, es ist doch ein Sitzstreik, da kann ich nicht aufstehen! Als sie mich dann zu viert rausgetragen haben, habe ich so gelacht.

Warum hat sich Bürgermeister Zilk für das Lokal eingesetzt?

Jazz Gitti: Wir haben mit nichts gearbeitet. Das zweite Lokal war im Durchgang von Bauernmarkt zur Seilerstätte. In dem Haus haben die ganze Erste Allgemeine Verunsicherung gewohnt. Da ist es rund gegangen. 1979 hat der Bezirksvorsteher zu mir gesagt, Frau Butbul, wenn sie bis Jahresende nicht draußen sind, bekommen sie im Leben keine Konzession mehr. In meinem Lokal auf der Seilerstätte hatte ich alles genehmigt. Trotzdem hat mich die Polizei dauernd gequält. Das hat der Zilk abgestellt. Er hat gesagt, was wollt ihr von dem Mädel? Wir sollten mehr wie sie haben! Wien hatte ein großes Glück mit Herrn Bürgermeister Zilk.

Wie hast du Stefan Weber von Drahdiwaberl kennen gelernt?

Jazz Gitti: Nach einem Drahdiwaberl-Konzert sind um zwölf oder halb eins alle eingeritten, unter anderem auch der Herr Weber. Er schaut mich an und sagt, ich brauch dich bei die Drahdiwaberl! Aha, was soll ich dort machen? Was du willst! Und was ziehe ich an? Was du willst! Beim ersten Konzert hatte ich ein Blumen-Nylon-Kleid mit Hut an und habe „Im Prater blühn wieder die Bäume“ gesungen. Das Volk war begeistert. Dann wollte er mich bei „Sadomaso” dabeihaben. Eine liebe Schneiderin hat mich gemessen und mir eine Corsage genäht. Für meine dicken Haxen habe ich Stützstrümpfe und darüber eine Netzstrumpfhose besorgt. Die langen Haare waren auftoupiert.

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Wie kam es zu „Fleischwolf”?

Jazz Gitti: Ich hatte schon „Itzi Bitzi” und „Im Prater” gesungen. Stefan Weber hat „Fleischwolf“ für mich geschrieben und immer gesagt, Gitterl, du musst runter ins Publikum gehen. Und ich hab so gemacht, wääääh! Bei „McRonalds Massaker” war ich auch dabei. Das war schon lustig. Drahdiwaberl waren hochintelligente und sehr talentierte Akteure. Eine der Dominas ist heute Ärztin in Oberösterreich. Aber es sind Leute dazu gekommen, die das nicht persifliert haben, sondern die wirklich so waren. Das war mir zu blöd. Obwohl ich Stefan Weber heiß geliebt habe und sehr verehrt. Er war in Wahrheit ein Genie.

Jazz Gitti (c) Pressefoto

Mit „Hey Du” wolltest du 1984 zum Song Contest fahren.

Jazz Gitti: Ich war wirklich in der Alternativ-Szene und hatte Geldschwierigkeiten. Damit wollte ich mein Lokal retten. Ein Musiker, von dem ich nicht viel gehalten habe, hat einmal vom Song Contest erzählt. Ich dachte, was der Oasch kann, kann ich auch. Nach Dienstschluss habe ich den Text geschrieben und herumgefragt, wer mir dazu Musik schreiben kann. Das hat Thomas Rabitsch – der musikalische Leiter von Drahdiwaberl – gemacht. Bei der Vorausscheidung am Küniglberg habe ich zu allen gesagt, ihr könnts gleich heimfahren, ich gewinne das [lacht], weißt eh, goschert! Die Journalisten dachten, wir gewinnen sicher nicht, aber mit mir ist es zumindest ein Theater. Ich bin Dritte geworden – aber von hinten. Vier Minuten vor dem Auftritt bin ich leichenblass geworden. Ein steirischer Musiker meinte, scheiss dir nix. Also dachte ich mir, ich reiße ihnen den Oasch auf und zieh ihnen einen Scheitel. Das ist mein Spruch bis heute. Mach Stimmung! Das wurde damals geboren. Ich will die Menschen unterhalten.

„Karl MoIk wollte, dass ich schiach ausschaue.“

Wann wurdest du erstmals zum Musikantenstadl eingeladen?

Jazz Gitti: Das muss 1990 oder 1991 in Oberwart gewesen sein. Karl Moik wollte, dass ich schiach ausschaue. Er hat gesagt, in meiner Sendung mache ich, was ich will. Ich habe gesagt, nein, wenn ich fünf Minuten im Fernsehen bin, will ich schön sein und wollte schon heimfahren. Meine Musiker meinten, bist du deppert, das kann unser Durchbruch sein. Und das war dann der Durchbruch. Ich war dann unzählige Male im Musikantenstadl und die anderen Male war ich hübsch.

Was war der erste Jazz Gitti Song?

Jazz Gitti: Robert Pistracher hat „Tramway fahren” geschrieben, später war er Bassist bei Falco. Thomas Strobl hat sich dann meine Gschichtln angehört und mein erstes Album geschrieben. Michael Scheigl, ein Freund von Thomas Strobl, hat die Musik dazu gemacht.

Die Texte waren dennoch aus deinem Leben gegriffen.

Jazz Gitti: Die ganze erste Schallplatte ist aus meinem Leben! Ich bin immer mit alten Autos gefahren – mei Wagen ist a Wohnsinn und ich tät ihn niemanden borgen. Die Geschichten vom Friseur habe ich aus 30 Jahren bei meiner Eva. Sie war die beste Friseurin, die ich je hatte. Einmal hat sie eine Kundin ins Ohrwaschl gezwickt, die daraufhin in den Spiegel geschaut hat und meinte, sie können machen, was sie wollen, ich komme wieder. Daraus wurde „Hoppala”. Und „Hoppsasa”, hey, seid ihr alle, she’s a heavy girl in a heavy world and gitti is her name, das war ein Rap, der gut in die Zeit gepasst hat. Dass „Kränk di net” ein Hit wird, das hat Herr Waldner von der Universal erkannt, der Plattenchef. Alle anderen wollten mir keinen Vertrag geben. In Deutschland habe ich es nicht geschafft, weil ich zu alt war. Ich habe erst mit 40 angefangen. Entweder es passiert schlagartig in der Musikbranche oder es ist ein Konsortium, das investiert. Die rechnen sich aus, wie viel sie investieren und kassieren können. Sie wussten ja nicht, dass ich noch 35 Jahre singen werde.

1990 war Jazz Gitti die meistverkaufte Künstlerin in Österreich.

Jazz Gitti: Deshalb war ich beim Music World Award – komplett in Rot-Weiß-Rot, Dirndl, Corsage und Tütü mit weißen Strümpfen. Cliff Richard hat mir die Trophäe nicht überreicht, ich habe sie mir selbst genommen. Das war ein Hype dort. Da waren lauter Weltstars.

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Wie war es mit Voodoo Jürgens zu arbeiten?

Jazz Gitti: Ich habe mir den auf Google angeschaut – und fand das leiwand. Er ist ein ganz lieber Typ, der das auch lebt. Für das Video waren wir in einem grindigen Lokal, sowas habe ich noch nicht erlebt. Bei mir war es auch nicht High Tech, aber das war, alter Fuchs, das war geil. Dann hat Voodoo Jürgens in der Arena gespielt. Das war ein Wahnsinn, die Hütte war gesteckt voll, er hat mich zum Lied „Gibts ja ned” auf die Bühne geholt und die Leute haben brüllt, Gitti Gitti! Ich hab mir gedacht, hallo, die kennen mich! Den Refrain haben wir gleich zweimal gesungen.

Und mit Christopher Seiler?

Jazz Gitti: Die haben angerufen. Ich habe mir „Horvathslos” angesehen und gedacht, Fortsetzung von Tohuwabohu [lacht]. Ich habe seine Frau gespielt, die immer Erdäpfel schält. Mit einem Erdäpfelgulasch kragelt sie ihn ab. Und Turbobier waren bei mir daheim. Bei einem Video von Wolfgang Ambros habe ich mitgemacht. Wenn es mir passt, dann mach ich mit, wenn nicht dann nicht.

Und was ist zuletzt passiert?

Jazz Gitti: Bei den letzten Alben war immer ein Titel dabei, mit dem wir im Radio Nummer Eins waren. Im Sommer habe ich eine Tour in den Wiener Häusern zum Leben gemacht, da habe ich den Bürgermeister kennen gelernt. Mit tut nichts weh, wenn ich auf der Bühne stehe. Solange ich eine Qualität bringen kann und Kraft habe, warum soll ich aufhören. Ich lebe für die Bühne, ich lebe für den Spaß [lacht]. Ich liebe fröhliche Menschen. Und wenn ich runter schaue und die Leut unterhalten sich, wenn ich jemandem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, geht es mir gut, verstehst?

Verstehe! Besten Dank.

Stefan Niederwieser

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