Walzerklänge, bei denen die Musik aus Haut und Knochen besteht – HK Gruber im Porträt

Ein Verdienst des Intendanten David Pountney ist ganz sicher, dass er dem zeitgenössischen Musiktheater ein Podium im Hauptprogramm der Bregenzer Festspiele geboten hat und bietet. Detlev Glanert und Judith Weir haben im Auftrag der Festspiele neue Opern komponiert. Nun steht die Uraufführung der „Geschichten aus dem Wienerwald“ von Heinz-Karl, alias Nali, Gruber auf dem Programm. Und dies wird wahrscheinlich ein Höhepunkt der Wirkgeschichte von David Pountney, denn unbestritten zählt der österreichische Komponist Nali Gruber international zu den renommiertesten und vor allem auch originellsten Künstler der Gegenwart.

Nali Gruber ist Orchestermusiker, Dirigent, Komponist und Chansonier in einer Person und genau diese unterschiedlichen Tätigkeitsfelder haben seine individuelle Kompositionsart geprägt, bereichert und zeichnen sie aus. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat er an der Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“ gearbeitet. Eigentlich wollte der in Wien lebende Komponist diese Oper gar nicht schreiben, merkt er im Gespräch an, „weil es ja so ein erfolgreiches Theaterstück ist und keinen Komponisten benötigt.“ Doch der Librettist Michael Sturminger und letztlich auch David Pountney haben Nali Gruber überzeugt, dass nicht etwa ein Libretto von Monty Python – das ursprünglich angedacht war – sondern Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ das richtige Sujet für eine neue Oper ist.

Geplant war ein Schauspiel mit Musik

Ödön von Horvath schrieb das Theaterstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ während der Zwischenkriegszeit und mit dem Hintergedanken, ein Schauspiel mit Musik zu verfassen. Geplant war, dass Kurt Weill die Musiknummern dazu komponieren sollte, doch dazu kam es nicht. „Offenbar hat Horvath die ‚Dreigroschenoper’ sehr genau gekannt und er war besonders von deren Volkstümlichkeit sehr beeindruckt“, weiß Nali Gruber.

Oft wird der Komponist Nali Gruber in die Nähe von Kurt Weill gestellt, doch damit trifft man den Wesenskern seines künstlerischen Schaffens nicht recht. „Ich habe Kurt Weill als 20-Jähriger im Jahr 1963 entdeckt“ erinnert sich der Komponist. „Damals war Europa dominiert von der seriellen Kompositionstechnik. Ich habe instinktiv gefühlt, ich muss einen anderen Weg gehen. Als ich Weills Oper ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny’ gehört habe, ist mir aufgefallen, dass da jemand im tonalen Bereich wahnsinnig viel musikalische Intelligenz investiert und das hat mich fasziniert. Mir wird oft unterstellt, ich würde Weill weiter entwickeln. Das war nie meine Absicht, aber ich habe mich sehr viel mit Weill beschäftigt. Die ‚Dreigroschenoper’ und meine Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“ haben stilistisch kaum Parallelen.“

Musik, die nicht von Experten erklärt werden muss

Die Tonalität bestimmt die Kompositionsart von Nali Gruber. „Viele Experten sagen, das sei abgelutscht, aber meistens sagen es diejenigen, die nicht wissen, welche Möglichkeiten es noch gibt, weil sie diese nicht hören. Ich bin gewohnt, nach Möglichkeiten zu suchen, die unerhört sind. Die Tonalität ist für mich der Garant dafür, dass wir die Musik für den Hörer nicht von Experten übersetzen lassen müssen“, erklärt der Komponist. „Das tonale Idiom ist eine Voraussetzung dafür, dass man solche Ziele erreichen kann. Das bedingt aber äußerste Sorgfalt des Komponisten, weil falsche Noten aufschreien, als würden ihnen Dampfwalzen über die Zehen fahren.“

Auf den musikalischen Sprachstil Bezug nehmen

Ödön von Horvath hat in die „Geschichten aus dem Wienerwald“ viele Klischees eingebaut, mit denen er sprachlich und im Hinblick auf die Sprachmelodik souverän spielt. In die Regieanweisungen fügte der Autor viele Bezüge zur Musik ein. Am offensichtlichsten kommt dies im Werktitel zum Ausdruck, der sich auf einen bekannten Walzer von Johann Strauß bezieht. Horvaths musikalischer Sprachsteil bot Nali Gruber unzählige Möglichkeiten, kompositorisch darauf Bezug zu nehmen und dem Inhalt dadurch eine neue Dimension zu verleihen oder einen anderen Blickwinkel zu ermöglichen. „Selbstverständlich gibt es einen Bezug zum Walzer ‚Geschichten aus dem Wienerwald’“, erklärt der Komponist. „Am Beginn des zweiten Aktes hört man aus dem 2. Stock eines Hauses eine Schülerin diesen Walzer üben“.

Darüber hinaus wird im Theaterstück nach dem Donauwalzer, Wiener Heurigenliedern oder Volksliedern verlangt. „Die habe ich alle lediglich sinngemäß zitiert oder etwas erfunden, das ungefähr so klingt, wie Horvath sich das vorgestellt hat. Es gibt beispielsweise keinen Donauwalzer, bestenfalls einige Intervalle daraus oder Endungen, wie das berühmte ‚plim-plim, plim-plim’. Dann weiß eh jeder woran er ist“, erklärt Nali Gruber.

Viele Arien und Ensembles

Nach Prosatexten sind die Vokalpartien komponiert, doch man muss keine endlos langen Rezitative befürchten, denn Nali Gruber hat viele Arien, ariose Passagen und Songs vertont. „Das Interessante ist, dass es Arien sind, die eigentlich auf Prosatexte formuliert sind, so gibt es die Symmetrien nicht, die man normalerweise bei Arien hört.“

Die Textvorlage erlaubt es, mit Pointen zu spielen, überraschende Wendungen einzubauen und viele Ensembles zu bilden. Gegenüber dem Sprechtheater bietet das Musiktheater einen wesentlichen Vorteil, denn in der Oper sind die Zuhörer nicht frustriert, wenn zehn Leute durch- und miteinander singen. „In der Oper kann ich, vorausgesetzt ich garantiere, dass die Worte wenigstens einmal halbwegs verständlich rüber kommen, durch Ensembleszenen eine Verdichtung herbei führen und das dramatische Geschehen noch spannender machen.“

Aus dem Vollen schöpfen

Zu Beginn dachte Nali Gruber daran, die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ für  Kammerorchester zu instrumentieren. Doch dann entschied er sich für ein groß besetztes Sinfonieorchester. „Aber nicht, um es ständig spielen zu lassen, sondern damit es im entscheidenden Moment zur Verfügung steht. Man muss manchmal auch lautstark zuschlagen können“, so Nali Gruber. Im Original schrieb Ödön von Horvath unter anderem den Einsatz einer Zither vor und diese sowie eine Gitarre erklingen auch in der Oper.

Nicht süffig, sondern morbid

Da der Titel Bezug auf einen Walzer nimmt, fragt man sich, welche Rolle der ¾ Takt wohl spielen wird. Wenn Nali Gruber im Hinblick darauf seinen kompositorischen Zugang erklärt, wird zugleich deutlich, in welcher Art er seine ‚Geschichten aus dem Wiener Wald’ verstanden wissen will. „Nachdem die Oper vom Titel her auf einem Walzer beruht und beispielsweise im ersten Akt lange Sequenzen sind, wo sich die Gesellschaft am Donaustrand vergnügt, erklingen dort einige sehr lange Walzersequenzen. Aber man muss sich Walzerklänge vorstellen, bei denen die Musik eher aus Haut und Knochen besteht. Die Musik ist nicht so süffig, wie wir sie aus dem Rosenkavalier kennen. Die Harmonien sind manchmal polytonal und die Melodie selbst ist eher auf ein tonales Zentrum hin gerichtet. Da merkt der Hörer dann sofort, aha, Gefahr ist im Verzug“, lacht der Komponist.

Intellektuelle Anspielungen

Nali Gruber spielt gut und gerne mit sogenannten „intellektuellen Anspielungen“, wie er sie bezeichnet. „Horvath arbeitet im Hinblick auf die Sprache und Sprachmelodik ständig mit Klischees. Die Herausforderung für mich als Komponisten bestand darin, diese Klischees zu verwenden, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie nicht zu einer kulinarischen Süffigkeit führen. Im Sinne der Erfindung von Horvath und im Sinne des Librettos darf der Hörer nicht eingelullt und zu einer falschen Gemütlichkeit verleitet werden. Es gibt Komponisten, die verweigern den prächtigen Klang. Aber ich denke, es muss möglich sein, Klangpracht zu liefern, ohne dass man in den Verdacht kommt, sich anbiedern zu wollen.“

Nicht von oben herab

Horvaths Text kann auch als sprachliche Karikatur verstanden werden. Doch mit dieser Zuschreibung ist Nali Gruber nicht einverstanden, weil sie auf ihn überheblich wirkt. „Ich habe die Horvath’schen Texte nie als Karikaturen empfunden. Ich glaube auch nicht, dass Horvath karikiert hat, sondern er betrachtet etwas und stellt das so dar und hofft, dass der Betrachter, der Hörer etwas erkennt, das er selbst aus seinem Lebensbereich in dieser Weise kennt und das ihn entsprechend berührt. Ich wollte mich nie von oben herab über die Gesellschaft lustig machen. Ich wollte die Geschichte kommentarlos ablaufen lassen. Selbstverständlich kann man, und davon habe ich oft Gebrauch gemacht, durch Musik dem Horvath’schen Text Subtexte hinzufügen.“ Und dabei immer nach der Einfachheit im Komplexen suchen, denn das ist dem Komponisten das Wichtigste.

Das Gegenteil von Liebe ist Wurst

Nali Gruber wird seine Oper selbst am Dirigentenpult mit den Wiener Symphonikern zur Uraufführung bringen. Bereits seit Mitte Juni probt er mit den SängerInnen, denn ihm ist es sehr wichtig, „die Worte zum Klingen zu bringen und über die Sprache Bilder zu evozieren.“ Ergänzend zur Oper stehen weitere Werke von HK Gruber auf dem Programm der diesjährigen Bregenzer Festspiele. Ein besonderes Vergnügen wird auch die satirische Oper „Gloria von Jaxtberg“, der „schönsten Sau des Alpenlandes, die bei jedem Fleischer denkt, er sei ihr Märchenprinz.“

Silvia Thurner

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli-August, 2014 erschienen.

Termine:
HK Gruber: „Geschichten aus dem Wiener Wald“
Oper in 3 Akten von HK Gruber
Text nach Ödön von Horváth
Libretto von Michael Sturminger
Wiener Symphoniker
Dirigent: HK Gruber
Mittwoch, 23. Juli 2014, Festspielhaus Bregenz, 19.30 Uhr
 , Uraufführung
Weitere Aufführungen
27. Juli – 11.00 Uhr
3. August – 11.00 Uhr

Orchesterkonzert
HK Gruber: Charivari
HK Gruber: Busking – Konzert für Trompete, Akkordeon, Banjo und Streicher
Wiener Symphoniker
Dirigent: Claus Peter Flor
Trompete: Jeroen Berwaerts
Banjo: Mats Bergström
Akkordeon: Claudia Buder
Montag, 4. August, Festspielhaus ,19.30 Uhr,

Gloria von Jaxtberg

Satirische Oper von HK Gruber, Kornmarkt Theater
Donnerstag, 31. Juli 2014, 19.30 Uhr, Premiere
Weitere Aufführung
2. August – 19.30 Uhr

Musik & Poesie
HK Gruber: Drei Songs aus Gomorra: Rauchlied, Der Kastengeist, Bürgerlied
PHACE Trio
Wiener Concert-Verein
Kurator, Chansonnier & Erzähler: HK Gruber
Sonntag, 3.  August 2014, Seestudio/Festspielhaus, 19.00 Uhr

Foto Heinz Karl Gruber: Bregenzer Festspiele/Karl Förster

Link:
Bregenzer Festspiele