„Vinyl, Nadeln, Physik, akustische Wellen, alles ganz elegant.” – MASHA DABELKA (TURNTABLISTA) IM MICA- INTERVIEW

MASHA DABELKA ist Produzentin, DJ, Veranstalterin und Gründerin der ersten DJ-Schule in Wien. „TURNTABLISTA“  ist hauptsächlich an Frauen gerichtet und setzt sich zum Ziel, ein weibliches Rollenbild für angehende Musikerinnen zu schaffen. Am 20. Juni findet der erste Workshop im Zuge von „Dance of Urgency“ im Q21 des MUSEUMSQUARTIER WIEN statt. Ada Karlbauer sprach mit MASHA DABELKA über den DJ-Begriff zwischen Sibirien und Österreich, Bro-Image und Emanzipation und Akademien als Traum-Gedanken-Fabriken.

Am 20. Juli findet der erste sogenannte TURNTABLISTA-Workshop im Zuge des „Dance of Urgency„ im Q21 statt. Was ist geplant?

Masha Dabelka: Ich werde die Grundkenntnisse des Turntablism und Beat-Matching zeigen. Es ist ein Gruppenworkshop. Bis jetzt haben sich 14 Leute angemeldet, aber ich denke es werden noch mehr. Es gibt eine Leinwand, Turntables…. Ich werde Dinge vorzeigen, aber eben nicht nur zeigen. Gerade beim Beat-Matching ist es sehr wichtig die Tempo-Unterschiede zu verstehen. Oft kommen die Mädels und haben keine musikalische Vorbildung. Wenn ich sage Tempo fragen viele „Was ist Tempo?”. Ich versuche meine eigene Methode zu entwickeln, wie man diese Themen sehr einfach vermitteln kann. Niemand hat mich diesbezüglich unterrichtet, deshalb kann ich gut nachvollziehen welche Fragen aufkommen. Ich werde auch die Geschichte und Entwicklung der Tonträger skizzieren. Begonnen mit Vinyl, denn da ist es viel einfacher, weil man alle Vorgänge auch tatsächlich sehen und alles verstehen kann.

„Es wurde zwar für Frauen ausgedacht, aber ich bin offen für alles und jeden.”

Der Untertitel der Schule lautet: „Handwerk für mutige Frauen”. Sind hier nner ausgeschlossen?

Masha Dabelka: Es wurde zwar für Frauen ausgedacht, aber ich bin offen für jeden. Ich glaube es werden auch Männer kommen und ich möchte niemanden ausschließen. Es kann natürlich auch sein, dass sich unter den Teilnehmerinnen radikalere Mädels finden, die nicht teilnehmen möchten, wenn Männer dabei sind. Das kann alles sein, aber das liegt nicht meiner Verantwortung. In meinen Kreisen gibt es viele Männer, die Feministen sind und mich gerne unterstützen. Im zeitgenössischen Diskurs ist dieses Thema sehr wichtig. Man sieht es vor allem an den Prozentsätzen: es gibt 14 % Frauen, alle anderen sind Männer.  Ich erinnere mich daran, dass ich mit 18 Jahren sehr schüchtern war. Ich wollte nicht zu einem Mann gehen und ihn fragen, ob er mich unterrichten kann. Durch die Zeit wird man mutiger, aber am Anfang ist es sehr schwer. Bei meiner Arbeit an der Akademie der Bildenden Künste habe ich auch sehr gutes Feedback bekommen. Es gab sehr viele Mädels die zu mir kamen und mir ganz ehrlich gesagt haben: „Masha, wir sind hier weil du hier unterrichtest, wir fühlen uns sehr wohl”, das ist ein wichtiger Faktor finde ich. Aber natürlich gibt es sehr viele Männer, die das auch verstehen.

Wie bringt man die Ignoranten dazu diese Problematik wahrzunehmen?

Masha Dabelka: Ich versuche alle unterschiedlichen Meinungen und Gruppen in einen Dialog zu bringen. Das Problem beginnt, wenn man keinen Dialog führt. Das ist sehr gefährlich. Das ist ein Weg zur Radikalisierung, auch politisch. Wir müssen im konstanten Dialog bleiben, auch wenn solche unreflektierten Fragen aufkommen.

Es gibt viele Initiativen wie etwa FEMDEX oder das Girls Rock Camp, die auch in verwandte Richtungen gehen.

Masha Dabelka: Das ist wahnsinnig gut und die bekommen alle super Resonanz! Auf dem Girls Rock Camp gibt es beispielsweise keinen freien Platz mehr. Ich freue mich sehr darüber zu sehen, dass viele Mädels motiviert sind, etwas neues zu lernen und kreativ zu sein.

Turntablista (c) Masha Dabelka

Das Image der österreichischen DJ-Schulen zeigen ein sehr eindeutiges Bild: „coole dudes” mit Drinks hinter einem viel zu hohen Pult.

Masha Dabelka: Ich habe eine Recherche gemacht: in Wien gibt es fünf private DJ-Schulen, aber es gibt keine einzige Frau, die dort unterrichtet. Musikalisch ist das auch sehr eintönig. Ich positioniere meine Schule TURNTABLISTA ganz anders und versuche den DJ-Beruf auch von seiner vermeintlichen „Coolness” zu lösen. Ich nähere mich der Thematik akademisch und stelle grundsätzliche Fragen. Dj zu sein, ist einfach mehr als ein Bier in der Hand zu halten, hinter der digitalen Konsole. Wir machen das step by step: Vinyl, Nadeln, Physik, akustische Wellen, alles ganz elegant.

Die zeitgenössischen, kommerziellen Ausformungen des DJ-Begriffs oder des DJ-Kults selbst haben sich schon lange von seinen historischen Ursprüngen entfernt.

Masha Dabelka: Genau, es gibt so viele interessante Geschichten zu erzählen. Mein Ziel ist es mit TURNTABLISTA, ein neues Bild zu prägen: auflegen kann auch akademisch sein, ich nehme das ernst. Es gibt auch soviel Künstlerinnen und Künstler, die mit Vinyl arbeiten wie etwa Christian Marclay. Wir werden uns auch viele Kunstwerke ansehen und die unterschiedlichsten Verbindungen erforschen. Es gibt wahnsinnig viel zu lernen!

Welche Rolle spielen große Konzerne innerhalb dieser Diskurse?

Masha Dabelka: Große Firmen wie Pioneer oder ähnliches versuchen durch ihre Produkte das Bild zu erzeugen, als würden Prozesse eines Djs und eines Musikproduzenten zusammenhängen. Unsere Schule legt ihren Fokus auf analoge Medien und Equipment und ist gewissermaßen auch eine Reaktion auf die schnellen Entwicklungen der Technologien. Ich finde das sehr wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass alle gerade versuchen die Regeln zu brechen, aber ohne die Regeln zu kennen! Das kann sehr gefährlich sein. Bei TURNTABLISTA lernen wir alle Prozesse, Methoden, die Technikentwicklung vom ersten Mischpult, vom Vox-Zylinder in den letzten 100 Jahren zu verstehen. Jede und jeder kann danach selber seine Form wählen. Ich habe nichts gegen digitale DJ- oder Musik-Produktion am Laptop. Auch musikalisch werde ich keine Grenzen setzen. Ich liebe beispielsweise auch Soul-Music. Ich mag Downtempo. Wenn aber jemand Drum’n’Bass auflegen will, dann auch das gerne. Ich versuche durch TURNTABLISTA auch mehr Konkurrenz für mich selbst zu kreieren [lacht]. Es ist sonst einfach zu langweilig. Es passiert keine Entwicklung in der Szene, wenn man keine Konkurrenz hat.

„…die Regeln zu brechen ohne die Regeln zu kennen kann sehr gefährlich sein.“

Masha Dabelka: Es gibt viele interessante DJs in Österreich, aber diese zu finden ist manchmal eine Herausforderung. Viele kommen, platzieren einen Track und das war’s. Das berührt mich emotional einfach nicht. Die Menschen hier arbeiten einen Schritt nach dem anderen ab. Diese Struktur ist ziemlich stark ausgeprägt. In orthodoxen Ländern geht es im Gegensatz dazu mehr um Emotionen, auch historisch betrachtet. Die Musikerinnen in Russland sind meist ziemlich chaotisch, deshalb kennt die hier auch keiner. Die kümmern sich nicht darum: „Erfolg, egal!”. Dieser emotionale Input kann in Kombination mit dem pragmatischen Zugang wirklich interessant sein, finde ich. Es ist auch ein Experiment für mich, weil ich nicht weiß, ob man dieses „Musik-Gefühl” in anderen erwecken kann, aber ich glaube schon.

In welcher Form spielt deine musikalische Sozialisierung in Russland mit ?

Masha Dabelka: Ende der 1990er Jahre gab es in Russland Acid House und Techno-Partys, auch in Sibirien. Dort habe ich zum ersten Mal die Kraft dieser riesigen Sound-Anlagen gespürt. Ich habe verstanden, dass Musik auch ganz anders sein kann.

Ich habe mit einer sehr einfachen Software angefangen. Das war ziemlich naiv. Mit 17 oder 18 Jahren bin ich dann auf eine Party gegangen und habe zum ersten Mal DJs gehört, die mit Vinyl auflegen, und die Platte als physisches Objekt nutzen. Ich habe den Kult um den DJ gesehen und begonnen, interessante Musik wie Synth-Pop zu hören. Das war damals ziemlich populär in Sibirien. Davor war meine Erfahrung immer nur, dass irgendwer auf der Bühne steht und ich nicht verstehe was die machen. In dem Moment ist etwas in meinem Kopf passiert und ich war mir sicher, dass ich das besser machen kann. Ich war mit meiner Ausbildung an der Musikschule schon am Ende und der innerliche Druck, dass ich schon so viel Zeit in Musik investiert habe, hat mich bestärkt, dass ich das auch kann. Ich war aber zu schüchtern um diese DJs zu fragen, ob sie mich unterrichten.

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Natürlich auch nur Männer zu dieser Zeit.

Masha Dabelka: Ja, diese Jungs waren alle so cool und 10 Jahre älter als ich. Ich dachte mir nur „ich bin zu klein und zu unsicher für sowas”. Dann habe ich einen Freund kennengelernt und erst nach einer längerer Zeit hat sich herausgestellt, dass er auch Dj ist [lacht]. Er hat in einem dubiosen Club gearbeitet, aber zumindest gab es Equipment dort. Jeden Tag von fünf bis sieben Uhr Früh gab es Zeit vor Ort zu üben, weil die Party da schon vorbei war. Ich habe also den ganzen Abend dort gewartet. So habe ich angefangen. Es gab eigentlich in der ganzen Stadt keinen Ort, an dem ich spielen durfte, weil die Besitzer der Clubs Angst hatten vor unserer Musik: Techno und House. Die dachten, dass kein Schwein kommen würde und der Gewinn ausbleibt. So habe ich entschieden, meine eigenen Partys in verlassenen Fabriken zu veranstalten. Zu der Zeit wusste ich noch gar nicht, dass diese Partys „Raves” heißen. [lacht]

„…die ganzen Besitzer der Clubs hatten Angst vor unserer Musik: Techno und House.“

Masha Dabelka: Der Unterschied zwischen Russland und Österreich ist gigantisch. Wenn du in Russland ein künstlerisches Statement abgeben möchtest, dann musst du dir davor erst die Struktur dafür schaffen. Es war ein ständiger persönlicher Kampf mit der Frage Wer bin ich? Was bin ich?” Bin ich Veranstalterin, Musikerin, Dj oder Lehrende? In Österreich habe ich dann auch wieder bei Null angefangen und musste diese Strukturen wieder selbst schaffen. Aus diesem Grund habe ich drei Jahre lang das RTS.FM Vienna Studio in Wien gemacht. Das war für mich eine gute Chance hier Gleichgesinnte kennen zu lernen. Das hat wiederum den Austausch mit Russland gefördert. Zu der Zeit hatte ich keine Zeit, eigene Musik zu produzieren, weil ich zuerst versucht habe, mich in diese Netzwerke zu integrieren. Meine ganzes künstlerisches Leben basiert auf dem musikalischen Underground und akademischer Musik. Techno, Ambient und Drone, verrückte Partys und Unterricht an der DJ Schule.

Sind diese beiden Bereiche deiner Praxis getrennt oder durchdringen sie sich auch an manchen Stellen?

Masha Dabelka: Ich glaube die sind nicht getrennt, denn ich versuche alles zu vereinen. Diese Felder lernen auch viel von einander. Ich bin kein Fan davon, sich auf nur eine Sache zu konzentrieren. Das ist ein sehr westeuropäischer Weg, aber nicht meiner. Dennoch liegt auf der Dj-Tätigkeit und dem Produzieren ist schon mein größter Fokus. Ich versuche alles so zu machen, dass es zu einem Beruf wird. Alles ist gleichwertig. Ich produziere Musik, aber mache auch kommerzielles Sound-Design. Das ist eine Frage von Zeitmanagement.

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„Wie leben alle im Kapitalismus und wir müssen lernen, damit umzugehen. „

In dieser Gegenwart der endlosen Möglichkeiten haben viele das Bedürfnis sich für EINE Sache zu entscheiden, um sich nicht zu verlieren.

Masha Dabelka: Ja, wunderschön. (lacht). Aber nicht viele sprechen darüber wie man die Miete zahlt. Ich habe auch viele Jahre an der Akademie der bildenden Künste studiert und wir haben alles mögliche dort gelernt, außer Self-Marketing, Self-Promotion, Social Media. Dort herrschen leider noch diese marxistisch geprägten Traum-Gedanken, die nichts mit der Realität zu tun haben. Wie leben alle im Kapitalismus und wir müssen lernen, damit umzugehen. Solche Informationen bekommt man an der Kunstuni nicht. Es ist einfach wichtig zu sagen und auch in meinen Workshops werde ich vermitteln, dass dieser Weg nicht einfach ist . Es ist einfach wichtig, kreativ zu sein. Nicht so oder so, du kannst alles mischen, du kannst alles kombinieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ada Karlbauer

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