„VIELLEICHT SIND WIR ALLE DIE GRÖSSTEN WRESTLING-FANS ALLER ZEITEN“ – CRUSH IM MICA-INTERVIEW

Mit „Sundown“ hat die Grazer Band CRUSH ein Mini-Album auf NUMAVI RECORDS veröffentlicht. Die Sonne geht unter, die Hoffnung steigt auf – Wehmut verschwindet zwischen Synthesizerwänden aus Zuckerwatte und einer Ode an die Beatles. TINA LESSIAK, KATRIN und VERENA BORECKY sowie CHRISTIAN „CIS“ LACH und JAKOB PUTTINGER träumen nicht der Vergangenheit hinterher, sie spielen den verträumtesten Dreampop zwischen Bregenz und Neusiedl. Die Achtziger sind trotzdem ein Thema. Schulterpolster sowieso. In welchem musikalischen Wohnzimmer sie sich gefunden haben, warum sie sich bei K-Pop-Fans entschuldigen und welche Begeisterung die Helene Fischer Show auslöst, erzählen CRUSH im Gespräch mit Christoph Benkeser.

2018 erschien euer Debütalbum „Sugarcoat“ bei Numavi Records. Jetzt habt ihr mit „Sundown“ so etwas wie eine Mini-EP veröffentlicht. Ein Übergangs-Ding?

Tina Lessiak: Die musikalische Praxis und Entwicklung von Crush verlangten nach unterschiedlichen Formaten. Unsere Veröffentlichung „Damaged Goods“ im Jahr 2016 war der Versuch, unsere ersten Songs aufzunehmen. Wir haben damit den Grundstein für unseren Sound gelegt und ausprobiert, wie wir abseits der Bühne klingen wollen. Bei dieser Aufnahme haben wir gelernt, wie es weitergehen kann – und die Erkenntnisse bei unserer nächsten EP „No easy way“ umgesetzt. Damals hatten wir genug Songs für einen Langspieler, entschieden uns aber dazu, weiter mit Sounds zu experimentieren, bevor wir ein Debütalbum aufnehmen. Als wir 2018 für „Sugarcoat“ ins Studio gingen, waren wir super eingespielt und hatten genug Erfahrung als Band gesammelt, um unseren Sound als Gesamtes zu präsentieren. In der Zwischenzeit haben wir ständig an neuen Songs gefeilt und massig Demos aufgenommen. Aber wie für „Sugarcoat“ wollten wir uns fürs Album soviel Zeit nehmen, wie es braucht, um es als Ganzes zu entwickeln. Insofern ist „Sundown“ weniger ein Übergang, sondern eine weitere Station in unserem Band-Entwicklungsprozess.

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„Sundown“ hat auch ein bisschen was von Shutdown. Es wird dunkel, die Sonne geht unter – aber in eurem Sound wieder auf?

Tina Lessiak: Lustigerweise wurde in der Albumreview von UNTER.TON geschrieben, dass die Zeile „Keep on waiting“ des titelgebenden Songs „Sundown“ perfekt zur aktuellen Lage passe. Die Assoziation mit Shutdown liegt natürlich nahe und ist ganz witzig, wobei es gar nichts mit der jetzigen Situation zu tun hat. Ich muss abends oftmals stehen bleiben, wenn die Sonne untergeht. Es weckt eine seltsame Wehmut. Das ist eine gute Emotion fürs Songwriting. In dem Lied „Sundown“ ist der Sonnenuntergang zweideutig gemeint. Einerseits entsteht das Gefühl, sich nach dem emotionalen Wirrwarr der vorigen Songs geschlagen zu geben – also zu merken, dass gerade etwas zu Ende geht, woran man noch festhält. Gleichzeitig ist der Sonnenuntergang ein Wendepunkt zu etwas Neuem, wo auch Hoffnung drinnen steckt. Am Ende des Liedes kommt es zum Perspektivenwechsel – meine persönliche Lieblingsstelle vom ganzen Mini-Album. Im Hintergrund hört man „I’m ready to take a chance“. Und dann ertönt der Befreiungsschrei als Abschluss.

„Das Sub ist wie unser musikalisches Wohnzimmer.“

Crush gibt es seit 2016. Was hat damals zur Gründung der Band geführt?

Bild Crush
Crush (c) Johanna Dorner

Verena Borecky: Die Legende besagt, dass Cis und Flo [Kolar, Anm.] die Idee für eine Popband hatten. Ich spielte zuvor viele Jahre Geige in einer Band mit Cis. Cis wusste zwar, dass ich früher Bass gespielt habe. Er hat mich zu diesem Zeitpunkt aber noch nie am Bass gehört. So oft stellen sich Menschen die Frage, warum so wenige Frauen* in Bands spielen oder warum es so viele Bands gibt, in denen keine einzige Frau mitspielt. Ich glaube, man muss sie einfach fragen ob sie mitspielen wollen, wenn man die Idee hat eine neue Band zu gründen.

Katrin Borecky: Wir kannten uns schon vor Crush, weil wir regelmäßig unsere Abende im Sub verbrachten, wo alle – außer mir – mit ihren vorherigen Bands aufgetreten sind. Verena, Cis und unser damaliger Schlagzeuger Flo quatschten über ihre Pläne, in einer Popband zu spielen. Verena hat mich später gefragt, ob ich auch Lust darauf hätte. Sie hat den Synthesizerspot quasi für mich reserviert.

Tina Lessiak: Ich saß gerade im Auto als mir Cis die Instrumental-Demos geschickt hat. Ich fühlte mich geehrt, aus der ganzen Grazer Musikszene ausgewählt worden zu sein. Als ich mitbekommen habe, wer sonst noch dabei sein sollte, war ich noch mehr begeistert.

Christian Lach: Das Sub ist wie unser musikalisches Wohnzimmer. Vor der Gründung von Crush habe ich dort viele Konzerte als Tontechniker gemischt und vor allem laute Bands betreut. Ich bin nicht zuletzt auch deswegen der aggressiven Musik etwas müde geworden. Um die Legende zu bestätigen: als Flo mich gefragt hat, ob ich mit ihm eine Popband gründen würde, war das für mich ein Nobrainer.

Der Bandname lässt sich auf mehreren Ebenen deuten. „Crush“ im Sinne von Zerquetschen. „Crush“ als Verliebtsein. Oder sogar die manische Synthese beider Ansätze: das Erdrücken durch Liebe. Welche Geschichte steckt hinter dem Namen?

Katrin Borecky: Beim Bandnamen waren wir uns alle einig. Kurz und prägnant sollte er sein, es wurden einige Wörter in den Raum geworfen und bei „Crush“ haben alle gesagt: „Das passt!“ Retrospektiv überlegen wir manchmal, ob es nicht doch schlauer gewesen wäre, uns einen Namen zu geben, der noch nicht so oft verwendet wurde. Aber „Crush“ hat uns so sehr überzeugt, dass wir uns darauf geeinigt haben, ohne ihn zu googeln.

Verena Borecky: Vielleicht sind wir alle die größten Wrestling-Fans aller Zeiten. Wer weiß das schon…

Tina Lessiak: Wie so oft im Leben ist die einfachste Antwort oft die richtige.

Christian Lach: Die eigentlichen Leidtragenden an unserem Versäumnis sind K-Pop-Fans, die vor der Location enttäuscht feststellen, dass nicht ihr koreanischer Superstar Crush auftreten wird. Sorry dafür!

„Im Moment macht mir das Bass-Spielen so viel Spaß, dass ich die Geige nur für das gelegentliche Geburtstagsständchen aus dem Koffer hole.“

Wie seid ihr musikalisch aufgewachsen?

Katrin Borecky: Verena und ich sind in einem musikalischen Haushalt groß geworden. Da lief von Klassik über Pop bis hin zur Blasmusik fast alles. Als Töchter eines Musiklehrers war die klassische Ausbildung ein Muss. Ich habe das sehr genossen und mich in der Musikschule zuhause gefühlt. Durch das ausführliche Musikinteresse und -wissen von Verena kam ich außerdem früh mit Bands abseits des Mainstreams in Kontakt. Der harte Weg über vielgehörte Bands, für die man sich im Nachhinein vielleicht schämen könnte, blieb mir dennoch nicht erspart. Mit 12 hörte ich zwar nur Indie, die Paramore-Phase habe ich aber mit 17 nachgeholt – und mit „After Laughter“ wieder aufgenommen.

Tina Lessiak: Ich bin in einer unmusikalischen Familie aufgewachsen. Meine früheste musikalische Erinnerung ist, wie ich „Muss i denn zum Städtele hinaus“ mit meiner Oma singe. Das war schön. Auch wenn es lange gedauert hat, bis ich verstand, dass das Lied nicht „Musident zum Städtele hinaus“ heißt. Ich glaubte, dass ein „Musident“ so etwas wie ein Musikant sei. Jedenfalls lernte ich als Kind – obligatorisch – Blockflöte, später zwei Jahre Gitarre und beim Chor in der Schule habe ich auch kurz mitgesungen. Keine schöne Erinnerung! Ich kann mich an einen Tag erinnern, als ich alleine eine Zeile singen musste und ausgelacht wurde, weil ich die hohe Stelle nicht getroffen habe. Diese Erfahrung habe ich später überwunden und viel gesungen, Gesangsunterricht genommen, ein bisschen Schlagzeug gespielt, eine E-Gitarre bekommen und mit 14 Jahren versucht, Songs zu schreiben. Ich hatte in meiner Kindheit eine Kelly Family-Phase und fand später auch Eminem toll. Irgendwann bekam ich von meinem älteren Bruder Punk-CDs. Später entdeckte ich die Pink Floyd-, The Who– und Creedence Clearwater Revival-Platten meiner Eltern und hörte fast nur Musik aus den 60er und 70ern. Led Zeppelin, Neil Young und The Clash waren damals meine Favoriten. Daneben hatte ich aber immer eine große Vorliebe für sentimentale, langsame Musik wie von Nick Drake. Damien Rice fand ich auch großartig. Als Teenager wollte ich immer Punkmusik machen, hab es aber nie gemacht, weil ich mich besser mit „schönem“ Gesang ausdrücken konnte und wollte. Ehrlicherweise war ich auch etwas eingeschüchtert und hab mich nicht getraut.

Verena Borecky: Mit sechs Jahren habe ich mit dem Geigenunterricht begonnen und bin später in der Oberstufe in den Musikzweig gegangen. Mit 15 träumte ich davon, in einer Band zu spielen und lernte zuerst ein Jahr Gitarre und dann Bass. Mit 18 habe ich mitbekommen, dass Cis für sein Akustik-Projekt eine*n Geigen- oder Quetschenspieler*in sucht. Ich habe mich gemeldet – daraus ist eine Band entstanden. Den Bass rührte ich dann für viele Jahre nicht mehr an. Im Moment macht mir das Bass-Spielen aber so viel Spaß, dass ich die Geige nur für das gelegentliche Geburtstagsständchen aus dem Koffer hole.

Christian Lach: Punk ist und bleibt mein größter Einfluss. Mit 14 habe ich begonnen in Punkbands zu spielen und über die Jahre natürlich nur wenige peinliche Trends ausgelassen. Diese Zeit, die wir im Bandkontext hauptsächlich in besetzten Häusern, AZs und Punkerbeisln verbracht haben, hat mich musikalisch dennoch geprägt. Ein bisserl dreckig darf es immer klingen.

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Dreckig ist ein gutes Stichwort. Mit „Twist and Shout“ habt ihr keine Beatles-Nummer gecovert, sondern einen eigenen Song geschrieben. Wie kommt es zu der Fab Four-Referenz?

Katrin Borecky: Es gäbe vermutlich viele Bands, die wir großartig finden und denen wir eine Ode widmen könnten. Die Beatles stechen heraus, weil sie an Vielfältigkeit schwer mit anderen Bands zu vergleichen sind – ganz egal, ob man sie nun für ihre poppigen, rockigen oder auch punkigen Sounds toll findet.

Tina Lessiak: Cis bittet mich manchmal, Wörter oder Phrasen in Songtexte einzubauen, die ihm gefallen. Als er mich bat, „dezent“ ein „Twist and Shout“ zu verwenden, habe ich wohl übertrieben und es in den Refrain gepackt. Aber es hat gepasst – außerdem macht es Spaß, es zu singen. Ich mache es mir deshalb zum Ziel, auf jeden Tonträger eine Beatles-Referenz zu platzieren. Mal schauen ob das hinhaut.

Christian Lach: Das ist eine interessante Methode, um aus der eigenen Comfortzone raus zu kommen. Youth von Killing Joke und Paul McCartney haben für ihr gemeinsames Projekt The Fireman ähnliche Methoden angewandt, um sich gegenseitig ihrer Kreativität zu entlocken. Alles nur geklaut!

Überhaupt nicht geklaut ist das Video zum Song. Es entstand vor dem Landeskrankenhaus in Oberwart – ein Überbleibsel der 1970er-Jahre. Wie passt der Burgenländische Betonbrutalismus zu eurem Synthesizer-Sound?

Verena Borecky: Die Idee für das Drehen vor brutalistischen Bauten in Oberwart hat Cis gehabt. Er bekam mit, dass es im OHO [Offenes Haus Oberwart, Anm,] eine Ausstellung zur Osterkirche in Oberwart von Domenig und Huth gab. In der Ausstellung ging es auch um den Hype, den brutalistische Bauten in den letzten Jahren erfahren haben. Uns war es wichtig, Kulissen einzubringen, die wir ästhetisch interessant finden. Brutalismus an sich ist schon ein spannender Stil, in vielen Gebäuden steckt auch ein sozialer Anspruch. Ich bin sowieso Fan von Domenig und Huth, die beiden haben interessante Bauwerke umgesetzt. Außerdem ist „Twist and Shout“ die wildeste Nummer auf dem Mini-Album. Gabriel Hyden hat das wie immer gut in Bilder umgesetzt. Die Nummer beginnt zwar sanft, baut sich aber auf – die Schnitte im Video werden schneller, die Perspektiven entrückter, die Kameraführung hektischer. Es ist ein klassisches Performance-Video.

Katrin Borecky: Außerdem sind Verena, Cis und ich im LKH Oberwart zur Welt gekommen. Wenn das nicht Grund genug für die Wahl der Kulisse ist!

„Minimalismus steht schon länger auf unserer To-Do-Liste.“

Um bei den Ismen zu bleiben. Mit Minimalismus in eurem Sound werde es nichts mehr, habt ihr in einem Interview mit FM4 gesagt. Die Gitarren und Synthesizer stapeln sich, eine Soundwand entsteht. Woher kommt dieser Drang zum Maximalismus? 

Tina Lessiak: Das funktioniert ungefähr so: Wir nehmen eine Demo auf. Alles ist noch überschaubar. Irgendwann hat man den Song so gut im Ohr, dass man zusätzliche Sounds und Melodien hört. Dann denkt man sich: Da wäre noch eine zweite Stimme gut. Und da auch. Und Schritt für Schritt geht’s so weiter.

Christian Lach: Minimalismus steht schon länger auf unserer To-Do-Liste. Ich beneide Bands und Musiker*innen, die aus sehr wenig sehr viel machen können. Aber: Wir geben den Songs Zeit zu wachsen. Wenn sie größer geworden sind, fühlt es sich oft falsch an, ihnen ihre Größe wieder abzusprechen. Ich bin eher eine konfrontationsscheue Person, vielleicht greife ich unsere gereiften Arrangements deshalb auch eher mit Samthandschuhen an.

Trotzdem klingt euer Sound nicht überladen, sondern – im Gegenteil und in schlichter Dreampop-Manier – sehr verträumt. Wie gelingt euch das? 

Tina Lessiak: Da schwingt wohl doch ein Punk-Minimalismus mit.

Cover Sundown
Cover “Sundown”

Christian Lach: Der Punk schwingt immer hinein, aber klangästhetisch sind wohl eher Soundwände à la Phil Spector- oder Kevin Shields-Produktionen ein Einfluss für das Klangbild von Crush-Aufnahmen. George Harrisons „All Things Must Pass“ ist für mich eines der am besten klingendsten Alben überhaupt. Der Sound ist nicht definiert, aber ich liebe diesen verträumten Klang, wenn die Sound-Layers aufeinanderprallen.

Erlaubt mir einen kleinen Exkurs in eine andere Welt: Was hält ihr von Schlagermusik?

Katrin Borecky: Tricky Frage! Bis zum absoluten Griff ins Klo mit Andreas Gabalier letztes Jahr, stand die Helene Fischer Show ziemlich weit oben auf meiner Liste. Abgesehen von einigen Rock- und Italo-Pop-Nummern ist die Musik aber eher schwer auszuhalten, wichtiger ist die Show drumherum. Denn ganz ehrlich: Helene Fischer kann einfach alles. Dafür begeistert sie mich.

Tina Lessiak: [lacht] Welchen Schlager meinst du genau? Da kann man viel darunter verstehen. Der 60er Jahre-Schlager ist schon geil! Der Hund von Baskerville von Cindy & Bert ist genial. Das ist zwar ein Black Sabbath-Cover, zeigt aber schön, wie nahe Schlager und Rock beieinander liegen. Meine Offenheit für Trash, Eurodance und Schlager stell ich auch gern mit meinem Bandprojekt Circle A zur Schau.

Verena Borecky: Schlager hat absolut seine grauenhaften Seiten, aber aus den 60er- und 80er-Jahren gibt es Unterhaltsames, das unter dem Begriff Schlager läuft. Sehr erfolgreich zeigen das zwei DJs aus Graz, die unter dem Namen Melodien für Millionen auftreten.

Christian Lach: Schlager wird absolut unterschätzt. Ich würde mich nicht als Schlagerexperten bezeichnen, bin aber letztes Jahr in die Musik von Yéyé [französisch-, spanisch- und portugiesischer Schlager/Pop, Anm.] reingekippt. Vor allem in den 60ern war der Übergang von Rock’n’Roll und Schlager schwimmend. Besonders verliebt habe ich mich in die Klänge von Clothilde. Allen Liebhaber*innen von grandios geschrieben und arrangierten Popsongs sei ihr Album „French Swinging Mademoiselle“ ans Herz gelegt.

Ich frage auch deshalb, weil das titelgebende Stück „Sundown“ zwischen Musikantenstadl und Arenabeisl vorbeischrammelt – die Hände zum Himmel, mit Schulterpolster zurück in die 80er schunkeln. Woher kommt dieser Stilmix?

Tina Lessiak: Das ist mir wirklich nicht aufgefallen. Und meinerseits war es auch nicht geplant. Vielleicht kam da die Abba-Sozialisation durch.

Verena Borecky: Mit Schulterpolstern und den 80er-Jahren liegst du mit deinen Assoziationen gar nicht verkehrt, aber den Musikantenstadl höre ich nicht raus. Die Hände können auch in der Indie-Disco zum Himmel ragen. Was heutzutage unter Schlager läuft, hört sich deutlich anders an. Unser Ziel ist es, einen guten Popsong zu schreiben. Pop ist natürlich ein großes Feld, aber schon noch mal ein paar Häuserreihen entfernt vom Musikantenstadl.

Bild Crush
Crush (c) Johanna Dorner

Christian Lach: Schlager… es gibt solchen und solchen. Man saugt alles, was man hört auf – wenn sich dabei Fehlfarben und Abba die Hände reichen, soll’s halt so sein. Man muss wohl damit leben können, dass sich die musikalische Selbstwahrnehmung manchmal nicht mit der Fremdwahrnehmung deckt, aber da kommt man schon irgendwie durch.

Apropos Fremdwahrnehmung. Das Cover zu „Sundown“ von Ivana Radmanovac ist sehr schön geworden – quasi ein Rohrschachtest in Signalfarben. Zu welcher Interpretation kommt ihr?

Katrin Borecky: Wir haben Ivana ausgewählt, weil uns ihre Arbeiten, die sie auf Instagram teilt, gut gefallen. Sie bekam die Demos des Mini-Albums, hatte aber alle Freiheiten. Wer die von uns verwendeten Artworks genauer betrachtet, kann trotz ihrer Unterschiedlichkeit ein Muster verfolgen. Das war gar nicht geplant, sondern geht auf unseren Freund Martin Kollmann zurück. Er hat uns zu Beginn mit seinem grafischen Talent unterstützt und mit den Grundfarben rot und blau begonnen. Seither ist in allen Artworks rosa bzw. rot und blau zu finden, ohne dass wir es jemals in Auftrag gegeben hätten.

Tina Lessiak: Ich mag am Cover sehr gerne, dass man es auf unterschiedliche Weisen sehen kann. Meine Interpretation behalte ich aber lieber für mich.

„Ich fühle mich nicht mehr wie ein Alien, wenn ich als Musikerin bei einer Location auftauche.“

Tina, Katrin und Verena, ein wichtiges Thema zum Schluss. Ihr habt 2017 ein Zine über Sexismus in der Musikszene veröffentlicht. Was hat sich seit der Veröffentlichung verändert?

Katrin Borecky: Das Thema wird nie abgeschlossen sein. Wir haben damals gemeinsame Erfahrungen im Musikleben gemacht und viel darüber gesprochen. Daraus haben wir den Entschluss gefasst, ein Zine zu schreiben. Durch das Einbinden befreundeter Musiker*innen konnten wir das Thema mit vielen Blickwinkeln behandeln. Es hat gutgetan. das Ganze niederzuschreiben, zu ordnen und mit unserem Publikum zu teilen. Das Zine fand großen Anklang. Es entstanden dadurch gute Gespräche. Trotzdem nehmen die furchtbaren Erfahrungen, die wir beim Live-Spielen leider viel zu häufig machen, nicht ab. Durch das Zine schaffen wir es aber, besser mit dem Erlebten umzugehen und es zu verarbeiten. Schließlich passieren diese Erfahrungen nicht isoliert, sondern liegen einem System zu Grunde. Hallo Patriarchat!

Tina Lessiak: Wir haben immer wieder den Drang, eine neue Ausgabe zu machen, weil sich das Thema weiter fortführt und uns nach wie vor beschäftigt. Außerdem wird uns Sexismus auch in der Musikszene noch länger begleiten. Darum ist eine breite Solidarität wichtig. Um sich gegenseitig zu stützen, voneinander zu lernen und nicht komplett wahnsinnig zu werden, bei all den Sachen die um einen so passieren. Sowohl das gemeinsame Zine als auch viele andere Initiativen und Aktionen, die im Musikbereich stattfinden, machen mir viel Mut. Ich habe das Gefühl, dass Feminismus in den letzten 15 Jahren viel häufiger diskutiert wird und nicht mehr ein Thema ist, von dem man sich als Musikerin* abgrenzen will.

Verena Borecky: Wie wir dazu stehen, wenn wir deshalb angefragt werden, weil wir Frauen in der Band haben, beschäftigt uns immer wieder. Natürlich will jede Band vordergründig deshalb gebucht werden, weil die Musik gefällt. Aber: Sagen wir ab, steht an diesem Abend vielleicht keine einzige Frau auf der Bühne. Es kam schon vor, dass wir ein Konzert aus unterschiedlichen Gründen nicht spielen wollten und vom Veranstalter unter Druck gesetzt wurden. Er meinte, es sei unsere Schuld, wenn bei seinem Festival keine Frauen auf der Bühne ständen. Für mich als weiße hetero cis-Frau hat sich in den letzten zehn Jahren trotzdem einiges zum Positiven verändert. Ich fühle mich nicht mehr wie ein Alien, wenn ich als Musikerin bei einer Location oder einem Festival auftauche. Das kann auch daran liegen, dass wir uns ein Umfeld aus Label – Bussi Numavi Records – Veranstalter*innen, Journalist*innen und befreundeten Musiker*innen geschaffen haben, die zu einer solidarischen, feministischen Musikszene aktiv beitragen. Wichtig ist es jetzt, diese Szene auch für PoC und Musiker*innen die queer oder trans sind viel, viel zugänglicher zu machen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

 

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