„Vielleicht hätte mich meine dickere Haut von Anfang an ein wenig beschützt“ – FARCE im mica-Interview

Als FARCE veröffentlicht VERONIKA KÖNIG mit „Trauma Bounce“ wieder neue Musik. Die sakralen Orgeln sind Bässen gewichen, die im Viervierteltakt das Blut durch die Adern pumpen, während Melodien aus dem Synthesizer-Wunderland nach glücklichen Gesichtern auf dem Dancefloor schreien, der trotz Babyelefanten immer noch geschlossen bleibt. Der Drang zur bewussten Eskalation ist der Musik von FARCE eingeschrieben. Nach Remix-Versionen ihres letzten Albums, das 2018 erschien, schiebt VERONIKA KÖNIG das Projekt in neue Ecken zwischen Hochglanz-Pop und Club-Ekstase. Warum sich FARCE von allen Abhängigkeiten losgesagt hat, was in der österreichischen Musiklandschaft falsch läuft und wieso sie als glücklicher Mensch die besseren Songs schreibt, hat die Künstlerin im Gespräch mit Christoph Benkeser besprochen.

Mit „Trauma Bounce“ erscheint am 26. Juni nach längerer Zeit wieder neue Musik von deinem Projekt Farce. Ein kurzes Lebenszeichen oder der Auftakt zum erneuten Sturm auf die österreichische Popmusik?

Veronika König: Für mich ist das der Beginn einer neuen Phase des Projekts, weil ich nun unabhängig bin. Im vergangenen Jahr habe ich mich aus meinen vorigen Fahrwassern geschält. Das ganze Rahmenwerk zum Veröffentlichen von Musik musste ich mir wieder selbst aufbauen, habe mir einen Labelcode besorgt, die Lizenzen – der ganze Papierkram drumherum war ätzend. Aber ich habe dabei auch viel Unterstützung genossen, habe begonnen, auf Instagram herumzufragen, um Freund*innen und Bekannte, die auch independent sind, zu fragen, wie sie das machen. Lulu Schmidt hatte mir damals auf meine Story geantwortet und mir das Portal AWAL empfohlen. Die lassen mir 100 Prozent meiner Rechte auf jeder Ebene – und nehmen 15 Prozent vom digitalen Verkauf. Das ist eine Rate, mit der ich in Ordnung bin, weil ich alle anderen Rechte behalte. Die Songs der EP waren in ihrer Grundform schon im Mai 2019 fertig, als Auftragsarbeit zum damaligen Hyperreality Festival. Später im Studio habe ich mir dann mit meinem Co-Produzenten Nikolaus Abit angeschaut, was noch passieren muss, um aus ihnen ein rundes Release zu machen

Du sprichst deinen Auftritt beim Hyperreality an. Was damals schon auffiel: die sakralen Orgeln haben sich verpfiffen, der Subwoofer waberte viel stärker, die Melodien kratzten mehr an der Club-Ekstase als am Düsterkult in den Katakomben der Kathedrale. Wie kam es zu dieser Entwicklung? 

Veronika König: Ich komme von der analogen Musik, das war für mich also eine graduelle Entwicklung. Mich hinaus aus dem Bandkontext zu trauen, mehr Club- und Pop-Rhyhtmen zu spielen, hat sich bereits seit der ersten EP als Farce abgezeichnet. Das Verzerrte und das Krasse meines letzten Albums [„Heavy Listening“; Anm.] ist immer noch da, aber hat ein neues Zuhause in einem anderen Kontext gefunden. Die Musik, die ich höre und die ich in Zukunft hören möchte, muss bouncen. Ich muss meinen Kopf dazu nicken können. Das war bei „Heavy Listening“ teilweise der Fall, allerdings habe ich für das Album auch viele ruhige Lieder geschrieben. Als die Songs für „Trauma Bounce“ entstanden sind, hatte ich keinen Bock auf Ruhe und Langsamkeit. Weil’s live viel mehr Spaß macht, wenn‘s ordentlich knallt und ich will, dass Leute auf meinen Konzerten tanzen können. Da ist dann eine durchproduzierte Electronica- bzw. Pop-Show, die auch emotional sein und traurig machen darf, aber vor allem das Subliminale eines Four-to-the-floor-Beats offenbart – und die Leute auf einer körperlichen Ebene mitnimmt. Das schätze ich unheimlich an Clubmusik.

„Zum Zeitpunkt von ‚Heavy Listening‘ war Musikmachen meine Selbsttherapie. Danach bin ich in professionelle Psychotherapie gegangen.“

Das spiegelt sich in den großen Pop-Alben der letzten beiden Jahre wider. Alle wollen feiern, eskalieren, abgehen. Muss Popmusik heute mehr knallen?

Albumcover Trauma Bounce
Albumcover “Trauma Bounce”

Veronika König: Ja, wahrscheinlich schon. Ich denke zum Beispiel an „Future Nostalgia“ von Dua Lipa – eines meiner Lieblingsalben, die in letzter Zeit rausgekommen sind. Ich habe es die ganze Zeit gehört, dazu gekocht, meine kleinen Quarantäneroutinen davon untermalen lassen. Da sind starke Disco- und sogar Motown-Anleihen drin. Die Platte ist gleichzeitig reduziert und pompös, ein souveräner Sound. Darum geht’s mir. Ich trage verschiedene Einflüsse zusammen, am Ende entstehen vier Songs, die back to back keinen Platz für einen Füller lassen. Du kannst auf „Trauma Bounce“ nicht skippen.

Das EP-Format kommt da ganz gelegen. 

Veronika König: Klar, auf einem Album wären vielleicht ruhigere Tracks dazwischen. Ich habe jeden Song einzeln geliebt und zusammengelegt – das macht die EP aus. Auch der Titel „Trauma Bounce“ spielt mit hinein. Auf jedem einzelnen Song geht es um Traumata – persönliche und gesellschaftliche. „Heavy Listening“ war ein wahnsinnig depressives Album, bei der EP sollte der Spaß und die Heilung im Vordergrund stehen. Vielleicht ist es deshalb tanzbarer und clubbiger geworden.

Beim Hören habe ich mir gedacht: „Trauma Bounce“ ist die logische Antwort auf das vergangene Album.

Veronika König: Zum Zeitpunkt von „Heavy Listening“ war Musikmachen meine Selbsttherapie. Danach bin ich in professionelle Psychotherapie gegangen. Auch um mir die Fragen zu stellen: Wer bin ich ohne meine Depression? Was ist meine künstlerische Arbeit ohne meine Depression? Zum Glück hatte ich eine sehr verständnisvolle Therapeutin, die auch sofort wusste, dass es jeder kreativschaffenden Person so gehe, wenn sie sich dazu entscheidet, eine Behandlung zu machen. Man hat Angst, den Drive und die Konzentration zu verlieren, weil man die Kunst als Coping-Strategie benutzt. Man möchte von sich selbst flüchten, indem man – so wie ich damals – Musik macht, sich abarbeitet. Mittlerweile habe ich einen gesunden Arbeitsalltag. Ich kann an meiner Musik arbeiten, ohne den Drang zu haben, einen Song in einer Nacht zu schreiben.

Danke, dass du das so offen ansprichst. Schließlich spinnen wir an diesem Narrativ des manischen Geniekults gesellschaftlich immer noch mit.

Veronika König: Es geht darum, sich selbst zu beobachten, sobald man einen manischen Schaffensdrang hat. Die wichtige Frage ist: Habe ich in diesem Moment überhaupt das Ohr dafür, um Musik zu hören, sie zu machen – oder möchte ich mich nur von Problemen ablenken? Und: Ziehe ich mich in der Musik zurück oder gehe ich in die offene Konfrontation? Wenn man es schafft, mit all den Gefühlen, die einen bewegen, unbelastet an Musik zu arbeiten, entstehen gute Sachen. Man stürzt sich nicht einfach rein, weil man glaubt, nichts anderes mehr machen zu können. Es ist ein viel offener und gelassenerer Zugang. Um dorthin zu kommen, habe ich viel an mir gearbeitet. Das war oft gar nicht lustig.

„Depressive Kunst ist egozentrische Kunst, die niemanden interessiert.“

Das Schreiben von Musik ist also nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern die Möglichkeit, eine weitere Facette an dir herauszuarbeiten. 

Veronika König: Absolut. Wenn ich glücklich bin, gibt es immer noch genügend Themen, mit denen ich mich beschäftigen kann. Depressive Kunst ist egozentrische Kunst, die niemanden interessiert. Sie ist nicht zugänglich für den Rest der Welt. Natürlich identifizieren sich Leute damit, vor allem auch solche, die selbst depressiv sind. Aber es ist keine raffinierte oder informierte Art, Musik zu schreiben. Für mich geht es inzwischen darum, eine gewisse Allgemeingültigkeit zu schaffen. Dazu komme ich nur, wenn ich emotionale Klarheit habe. Man ist nicht so fragil und obsessiv mit jeder einzelnen Sache, mit jeder Hi-Hat, mit jedem Sound. Man kann einen Schritt zurücknehmen und sich selbst ordentlich produzieren. Wenn du den Anspruch hast, (fast) alles selbst zu machen, musst du das können. Dafür musste ich mich persönlich weiterentwickeln –, um zu dem Punkt zu kommen, auch glücklich zu arbeiten. Sonst ist es keine Arbeit, sondern nur Selbsttherapie und Eskapismus. Das hält man nicht lange durch.

Einen Wink in die neue Richtung gab es bereits auf den beiden Remix-Versionen deines letzten Albums, die du Ende letzten Jahres veröffentlicht hast. Vierviertelkicks und Melodien, bei denen Bilderbuch auf E im Technoclub verloren gehen. 

Veronika König: Das ist eine schöne Assoziation. Ich wollte zum damaligen Zeitpunkt Fragmente aus der Vergangenheit nehmen und neu kontextualisieren. Ich hätte auch alles runterpitchen können, um eine Vaporwave-Platte daraus zu machen. Das wäre spaßig gewesen, weil die Konstruktionen der Songs kompliziert sind und das cool klingt. Ich habe mich aber für den Club-Kontext entschieden, also habe ich Techno angehört, obwohl ich eigentlich sonst eher keinen Techno höre. Ich habe mir stundenlang monotone Sets von irgendwelchen DJs angehört, die Samples der alten Songs auf meine Maschine geladen und herumprobiert. Das heißt beim besten Willen nicht, dass ich eine Techno-Platte machen kann, weil das so einfach ist. Die Remixes waren einfach ein Ausflug und ein Versuch, einen spaßigen neuen Zugang zu meinem Debütalbum zu finden.

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Die Linearität im Techno, der nach bestimmten Strukturen funktioniert, hat quasi neue Türen geöffnet. 

Veronika König: Es gibt verschiedene Schablonen oder Bausteine, die in sich vorgegeben sind, bestimmte Beats, bestimmte Hi-Hat-Motive. Bei Pop-Musik gibt es auch Formeln, aber da macht es eher Spaß, wenn man sich von ihnen wegbewegt – oder sie mit Motiven aus anderen Genres zusammenbringt. Das sehen wir zum Beispiel bei Dua Lipa. Mit einer Bassline wie der von „Pretty Please“ hast du schon gewonnen. Auf „Future Nostalgia“ kommt sie mir als Künstlerin richtig befreit vor, spielerisch. Das macht Spaß.

Charlie XCX könnte man in diesem Kontext auch erwähnen. Sie hat vor Kurzem getwittert, dass ihr nächste Album das letztes unter ihrem Plattenvertrag sein werde, dass sie mit 16 Jahren unterschrieben hat. Das ist alles, was in der Musikindustrie falsch läuft, in a nutshell.  

Veronika König: Genau, da besteht kein Interesse daran, dich als Künstler*in zu fördern, für Jahre ein commitment zu machen, dich zu hegen und zu pflegen. Sie wollen, dass du ihnen für Jahre und Jahre Geld machst. Das ist eines der vielen Dinge, die in der sogenannten Musikindustrie falsch laufen. Aber es ist schön zu sehen, dass auch diese Künstler*innen irgendwann rauskommen, der Spuk irgendwann ein Ende hat. Ich glaube und hoffe, dass es einen Umschwung geben wird. Gerade durch Corona und die Aufdeckung der prekären Zustände in Kunst und Kultur hatte ich gehofft, dass Labels eine Verantwortung als Arbeitgeber übernehmen. Tatsächlich ist nichts dergleichen passiert. Ich habe von keinem Label gehört, dass es für seine Künstler*innen einen Überbrückungsvorschuss, ein großes Hilfspaket oder einen Corona-Ersatz für die ausgefallenen Shows gibt. Im Gegenteil: Labels heulen rum, weil sie so viel Geld verlieren. Aber sie sind die Unternehmen, die Förderungen und Notpakete geschnürt bekommen. Künstler*innen bekommen das nicht auf die gleiche Weise. Die meisten Labels in Österreich haben sich der Verantwortung gegenüber ihren Künstler*innen nicht gestellt. Meiner Meinung nach profitieren sie von der Kunst, sie müssten in einer Notsituation ihr Kapital also denjenigen Leuten zukommen lassen, die ihnen die Kunst bereitstellen. Stattdessen haben die meisten gesagt, dass man als Künstler*in noch mehr arbeiten, also zum Beispiel Home- und Streaming-Konzerte spielen solle und das als tolle Alternative präsentiert. Das finde ich frech.

„Für mich sind es die Labels, aber auch Clubs, die ihre Verantwortung nicht ernst genommen haben.“

Was man sieht, ist auch die Verschiebung der Verantwortung vom Label hin zum Staat, der diese Verantwortung wahrnehmen müsste und unbürokratische Hilfen für die kulturelle Basis hätte anbieten müssen. Das ist oft nicht geschehen.

Veronika König: Es ist klar, dass sich der Staat unterm Strich einen Scheiß um Künstler*innen, vor allem wenn sie kritisch oder politisch aktiv sind, kümmert. Staatliche Hilfen gab es für etablierte Unternehmen, Labels, Agenturen. Deren Verantwortung wäre es dann gewesen, diese Hilfen weiterzugeben. Ein gutes Gegenbeispiel ist die AKM/austro mechana. Sie haben die Notfallfonds innerhalb einer Woche der ersten Maßnahmen eingerichtet. Ich konnte dort einreichen und mir ein abgesagtes Konzert ersetzen lassen, das hat unbürokratisch funktioniert. Dafür muss man aber Mitglied der AKM/austro mechana sein und den Papierkram bereits erledigt haben. Für mich sind es die Labels, aber auch die Clubs, die ihre Verantwortung nicht ernst genommen haben. Der Aktivismus rund um das Clubsterben ist eine Frechheit. Clubbetreiber*innen sind Unternehmer*innen, die in der ersten Woche ihr komplettes Personal, das auf Gastro-Basis ohnehin im Prekariat lebt, gefeuert hat. Für die sollen Musiker*innen dann jetzt Konzerte spielen, um Spenden zu sammeln, dass der Betrieb irgendwann weiterlaufen kann – eine große Schieflage! Ich spreche hier nicht vom Venster99 und anderen subkulturellen Inkubatoren, sondern von den großen Clubs, die sich die ganzen Notpakete krallen, aber gleichzeitig ihre Belegschaft feuern. Man merkt, wo die Prioritäten im Nacht- und Kulturleben liegen. Nicht bei der Kunst, nicht bei der Gemeinsamkeit, sondern bei der Wirtschaft.

Der unternehmerische Anteil wird sich von der Kultur allerdings nicht lösen lassen. 

Veronika König: Ein anderes Beispiel: eine Vienna Club Commission, die mit 300.000 Euro gefördert ist, sollte nicht in erster Linie die Unternehmer und deren Clubs retten, sondern die Künstler*innen, die diese Clubs bespielen, den Betrieb ermöglichen. Das wäre doch Aufgabe einer Vermittlungsstelle zwischen Stadt, Clubs und Menschen. In Österreich gibt es so viele Gründe und Ausschlusskriterien, unter denen man als Künstler*in nicht berechtigt ist, Förderungen zu bekommen. Da geht es vor allem um Migrant*innen, Leute, die nur einen Nebenwohnsitz in Wien haben. Ich bin weiß und kann in den meisten Fällen den nötigen Papierkram, die nötigen Gebühren zur Existenzsicherung aufbringen, aber sogar ich falle für den Großteil aller Fördertöpfe in Wien weg, weil österreichisches Geld zwingend an österreichische Bürger*innen gehen muss und nie an die, die dort leben und Kultur machen. Das ist Nationalismus. Die SKE Förderung kann ich glücklicherweise beantragen, „Trauma Bounce“ war nur dadurch finanziell machbar. Labels können allerdings auch viele andere Fördertöpfe anzapfen, weil sie Unternehmen sind, die Wirtschaft wird immer gefördert. Das ist ein egoistischer Blick auf eine gemeinsame Musikindustrie, bei dem man in die eigene Tasche wirtschaftet und eben kein Verhältnis, mit dem man gemeinsam Kultur machen kann.

Als freischaffende Künstler*in steckt man mitten im Tunnel, ohne Chance, dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen. 

Veronika König: Die Besinnung auf den künstlerischen und subkulturellen Aspekt von Musik wäre das Licht am Ende des Tunnels. Damit müsste man sich die Chance auf das große Geld abschminken und die Arbeit selbst in die Hand nehmen –nicht für sich alleine, sondern füreinander, für eine gemeinsame (Pop-)Musikkultur.

Bild Farce
Bild (c) Farce

„Weg von einem sinnbefreiten Monopolspiel der Big Player, hin zu mehr Solidarität.“

Das bewusste Schaffen von Solidaritätsnetzwerken. 

Veronika König: Die Freunderlwirtschaft, die im negativen Sinne vor allem die höheren Ligen betrifft, müsste aufgebrochen werden. Es müsste Transparenz auf allen Ebenen geschaffen werden, Chancengleichheit wäre wichtig. Die Bereitschaft zum Teilen sollte gegeben sein. Weg von einem sinnbefreiten Monopolspiel der Big Player, hin zu mehr Solidarität. Es gibt ja genügend Publikum für alle. Dafür müsste man jedoch Musik wieder richtig cool machen. Und Musik kann man nur cool machen, wenn man aufhört, alles als Werbung zu sehen und der Vereinnahmung durch den Konsumzwang zu widerstehen. Es ist nicht subkulturell und cool, wenn jedweder künstlerische Output irgendein gebrandeter Nonsense ist. Da will niemand Fan sein. Aber bitte nicht falsch verstehen: fast Niemand macht das aus freiwilliger Liebe zum Geld. Wenn man als Künstler*in ein Endorsement hat, tut man das, denke ich, nicht aus der Liebe zur Marke oder aus reiner Profitgier, sondern weil in erster Instanz ein Label nicht genügend Geld zur Verfügung stellt, um ohne dergleichen gut überleben zu können. Hier meine ich natürlich die Big Player, nicht irgendwelche kleinen bis mittelgroßen Szenelabels aus Wien. Majors und größere Indies haben eine große Mitschuld an der aktuellen Schieflage in der Musikindustrie, sie sind nicht die unschuldigen Opfer einer bösen Konsumgesellschaft, die plötzlich keine Musik mehr kaufen will.

Die Ökonomie der Musikindustrie, und das ist es: eine Industrie, geht aber weiter. Es ist ein Top-Down-Prozess, der Monopolstellungen bedingt aber auch produziert. Ich denke da an Streaming-Plattformen, die das Kuratieren von Playlists an Marken verkaufen.  

Veronika König: Das ist inzwischen die Realität aller Künstler*innen, die Geld mit ihrer Musik verdienen möchten. Du musst dich von Spotify regieren lassen. Das hat mit der globalen Demokratisierung der Musikindustrie, die sie sich auf die Fahne schreiben, nichts zu tun. Von Streaming wirst du nicht reich – in den meisten Fällen kannst du nicht mal davon leben. Umso wichtiger ist es, dass es andere Varianten gibt, um Musik zu erleben. Die Sache ist: Spotify zu nutzen, ist bequem. Und konsumieren muss bequem sein; Fan sein aber nicht.

Was mit dem Netzwerkeffekt durch die Monopolstellung zusammenhängt. Es ist bequem, also nutzt man es. So wie man Amazon in einem Satz kritisieren kann, um im nächsten die Bestellung aufzugeben. Es ist günstig, es ist leicht zu nutzen – weil es die wahren Kosten verschleiert. Eine Möglichkeit, das im Musikbereich zu umgehen, sehe ich zum Beispiel mit Bandcamp. 

Veronika König: Alle Veränderungen, die nachhaltig sind, kommen durch einen Druck von Grassroots-Bewegungen. In politischen oder wirtschaftlichen Missständen sind es zum Beispiel Gewerkschaften, die Druck erzeugen. Niemand demokratisiert freiwillig Prozesse, die an der Macht rütteln. Durch die prekären Situationen, die im Kulturbereich übergreifend vorhanden sind, haben wir aufgehört, uns einschläfern zu lassen, uns handlungsunfähig machen zu lassen von diesem Zustand der scheinbaren Alternativlosigkeit. Wir haben eine andere Wahl. Am Anfang mag dieser Weg ungemütlich sein. Aber: es bringt auf die lange Sicht viele Vorteile mit sich. Der Austausch untereinander, zum Beispiel. Darin sehe ich die Möglichkeit, die Musik aus der Industrie zurückzuholen – und zu einem Allgemeingut zu machen. Zumindest wäre das die Musiklandschaft, in der ich leben und arbeiten möchte.

„Oft geht es um gekränkte Männeregos, mit denen sich vor allem Frauen und queere Künstler*innen rumschlagen müssen.“

Du beziehst damit klar Stellung, positionierst dich politisch. Viele lagern diese emotionale, aber eben auch bürokratische Arbeit aus, wollen nichts damit zu tun haben –, mit dem Argument, sich auf die Kunst zu konzentrieren. 

Veronika König: Auf der einen Seite ist es viel Arbeit für eine einzige Person. Auf der anderen habe ich gemerkt, dass es ja das ist, was sonst ein Label macht – und unterm Strich ist das wiederum wenig. Für das, was sie dir wegnehmen, ist es nichts. Nehmen wir an, ich verwende neun Stunden Bürozeit, um mich überall anzumelden, den Papierkram zu erledigen. Das geht sich aus. Wenn ich mir überlege, dass ich das mal von einem Label habe machen lassen und weiß, welchen Preis ich dafür gezahlt habe, ist das eine Frechheit. Indem ich für mich selbst Verantwortung übernommen habe, habe ich gemerkt, wie prekär manche Labels ihre Künstler*innen halten. Dazu kommt, dass ich – in der Vergangenheit und jetzt – mit verschiedenen Marken wie Red Bull weder zusammen arbeiten noch mit ihnen assoziiert werden möchte, weil sie von Rassisten geführt werden. Das führt zu einem automatischen Ausschluss in verschiedenen Kreisen, auf Festivals oder bei Bookings, für die ich nun nicht mehr infrage komme. Die Labels sagen dann: Wenn du das Geld von den Leuten nicht nehmen willst, viel Spaß, fühl dich gut damit; aber dann bekommst du dieses und jenes nicht.

Oft geht es da um gekränkte Männeregos, mit denen sich vor allem Frauen und queere Künstler*innen permanent rumschlagen müssen. Das sind immer Leute, die ihre persönlichen Gefühle in professionelle Bereiche reinbringen. Obwohl es deine Arbeit ist, die du mit deinen Emotionen gefüllt ist, musst du als Künstler*in diejenige sein, die am professionellsten und unemotionalsten auftritt, während die Leute, die sich um den Bürokram kümmern sollten, versagen. Inzwischen mache ich das alleine, niemand schmiert irgendwen für irgendeine Platzierung und ich bin sehr glücklich, dass das öffentliche Interesse, eine Fanbase, trotzdem da ist.

Weil du dich von den Abhängigkeiten gelöst hast. 

Veronika König: Ich bin da kein Ausnahmefall. Es gibt so viele fähige Leute – vor allem Frauen – in der Musik, die das so machen oder selbstsuffizient sind. Ich will auch die Sache nicht romantisieren. Es ist nicht ideal, alles alleine zu machen. Ich mache selbst auch nicht alles alleine, sondern arbeite mit einem Co-Produzenten zusammen.

Du sprichst von einer gläsernen Decke, die sich zwar sukzessive und mit Druck verschiebt, aber immer noch viel zu schwer ist.

Veronika König: Musik ist, wie jede andere künstlerische Tätigkeit, eine kollaborative Kunst. Ein wunderbares Gegenbeispiel war auch die Kollaboration mit Wolfgang Möstl für die Æther Kombo-Single ,,Déjà-Vu’’. Wolfgang hat mir geschrieben, wir haben uns einen Studiotermin ausgemacht, einen Nachmittag produziert – und es war done. 

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Der Track „Déjà-vu“ ist auch sehr super geworden. 

Veronika König: Ich bin sehr glücklich mit ihm, es war eine tolle Zusammenarbeit. Sogar für Wolfgang, obwohl er schon so lange und so umtriebig Musik macht, war es das erste Mal, dass er für sich selbst A&R, die Presse und so weiter übernommen hat. Zusammenarbeiten wie diese bringen etwas voran. Das Publikum merkt, dass das Projekt aus dem Willen heraus entsteht, gemeinsam gute Musik zu schreiben – und nicht weil irgendwelche Marketingheinis sich gedacht haben, dass das zur gegenseitigen Erweiterung der jeweiligen Fangruppen führen könnte. In meinen Strukturen in Wien merke ich, dass es immer mehr Leute gibt, die bereit sind, es anders und auf einer gegenseitig respektvollen Ebene zu machen – ohne sich gegenseitig zu bescheißen. Das ist die Grundlage für die Art, wie wir jetzt weitermachen müssen. Es gibt nie zu wenig Menschen, die gerne gute und in dem Sinne ,,ehrliche’’ Musik hören.

Was ja oft das Argument ist, wenn es darum geht, den Wettbewerb anzustacheln. 

Veronika König: Ja, es gibt ja in Wahrheit nicht nur Platz für ein paar Wenige. Diese Kultur der Knappheit, in der wir leben und von der der Kapitalismus lebt, ist zwar der gegenwärtig dominante Mythos, aber nicht die Realität.

„Musik, die nur für den Profit geschrieben ist, ist scheiße, weil sie nicht Hörer*innen adressiert, sondern Kund*innen.“

Weil das neoliberale Narrativ für Wettbewerb und Innovation längst überholt ist. Es würde gemeinsam sicher stressbefreiter gehen.

Veronika König: Und qualitativ besser! Musik, die nur für den Profit geschrieben ist, ist scheiße, weil sie nicht Hörer*innen adressiert, sondern Kund*innen. Da geht es dann nur noch um Beschallung. Das ist gleichzusetzen mit einer kapitalistischen Betäubung, um ja nicht über die Hintergründe, über Politisches, über das Weltgeschehen nachzudenken. Ich möchte Leute da rausbouncen – mit Musik, die einen Pop-Anspruch hat und trotzdem politische Haltung hat. Nur weil’s gut klingt, muss es nicht unpolitisch sein. Und weil’s politisch ist, muss es nicht schlecht klingen! Ich wünsche mir, dass wir ein Bewusstsein schaffen, dass aufgeweckte Hörer*innen erkennen, wenn Industrien versuchen, plötzlich bei Subkultur-Phänomenen mitzuschneiden, sich die zu eigen zu machen. Das passiert in den letzten Jahren stark. Politisierte, subkulturelle Arbeit wird immer mehr nach unten gedrückt und ausgeblutet, alle fünf Jahre holt man einen Act raus, der zum coolen neuen Ding erklärt wird – und plötzlich wollen alle eh schon immer Feminst*innen gewesen sein. Das wird dann verkauft. So kommst du dann zu einem Act wie Billie Eilish, die jede Stelle besetzt, von der größten Spotify Playlist über das Billaradio in den Szeneblog. Ich muss dazu deutlich sagen: ich selbst finde Billie Eilish super. Sie ist noch fast ein Kind, sie klingt toll, sie macht tolle Musik. Sie ist nicht das Problem. Die Kampagne, die um sie herum stattfindet, ist besorgniserregend und höchst erfolgreich.

Auch weil es nicht wirklich um die Musik geht, sondern um die Geschichte, die man in Verbindung mit ihrer Musik verkaufen kann. 

Veronika König: Dieser Mythos, dass sie das alles allein und ohne große Mittel gemacht hat, ist nur dazu da, um den Leuten zu verklickern, dass wirklich jede*r das machen kann. Das heißt: Alle können das erreichen, was Billie Eilish erreicht hat – deshalb muss niemand dafür bezahlen. Diese Geschichte um das Genie im Bedroom-Studio wurde von der Industrie vereinnahmt und sie sagt uns, dass Musik keinen Wert hat, weil das eh jeder mit einem 50-Euro-Keyboard zusammengebasteln kann. Ein eigentlich emanzipatorisches Narrativ, verzerrt und ad absurdum geführt.

Im Englischen gibt es den wunderbaren Begriff „Hindsight Bias“ – mit dem Wissen von heute würde man vergangene Dinge meistens anders machen. Any regrets?

Veronika König: Ich bereue, dass ich mein Selbstbewusstsein von Faktoren abhängig gemacht habe, von denen ich inzwischen weiß, dass sie nichts bedeuten. Vielleicht hätte mich eine dickere Haut von Anfang an ein wenig beschützt. Alles in allem bin ich aber dankbar und denke, dass die Sterne ganz gut für mich gestanden sind und das auch jetzt so ist. Die Aggression von manchen Industrietypen verstehe ich rückblickend sogar besser: Ich brauche sie nicht. Sie brauchen aber das Talent, um ihr Geld zu machen. Das spürt man schnell, schafft aber auch Verbündete. Sonst bereue ich nichts.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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