„VIELE KOMMEN NICHT, WEIL WIR IN EINER KIRCHE SIND“ – GOBI DRAB UND KLAUS HAIDL (NEUE MUSIK IN ST. RUPRECHT) im mica-Interview

Seit 20 Jahren existiert die Konzertreihe Neue Musik in St. Ruprecht in Wien. 2004 etablierte Angélica Castelló sie als „Ort für periphere Musik“ – in einer Seitengasse unweit des Donaukanals, oft unbemerkt, aber da für jene, die es zu schätzen wissen. Vor acht Jahren übernahmen die Musiker:innen GOBI DRAB und KLAUS HAIDL die Reihe. Anlässlich des bevorstehenden Jubiläums-Konzerts im Juni habt Christoph Benkeser mit ihnen über ihre Arbeit in der ältesten Kirche Wiens gesprochen.

Je besser ihr die Kirche kennenlernt, desto besser sei die Musik, hast du vor zwei Jahren gesagt, Gobi. Wie gut kennt ihr die Kirche inzwischen?

Gobi Drab: Das ist eine philosophische Frage!

Klaus Haidl: Den Raum kennen wir mittlerweile gut, aber er verändert sich mit jedem Publikum. Manchmal sind wir selbst überrascht, wie sehr sich der Raum in unterschiedlichen Konstellationen wandelt. Das ist ganz komisch – im positiven Sinn …

Einer Stimmung?

Klaus Haidl: Genau, das Verhalten beeinflusst die Stimmung. Bei der letzten Ausgabe von Wien Modern haben wir zum Beispiel die Murmelbahn von Elisabeth Flunger in die Kirche gebaut – es waren Konzerte mit viel Bewegung. Der Raum hat sich anders angefühlt, als wenn das Publikum nur auf den Kirchenbänken sitzt und zuhört.

Gobi Drab: Es ist spannend, wie der Raum diese Veränderung aufnehmen kann.

Klaus Haidl: Ja, die Ruprechtskirche ist kein steriler Raum, er bringt auch seine Geschichte mit.

Gobi Drab: Es ist also wichtig, inwiefern sich die Musiker:innen auf den Raum einlassen. Zu Beginn stelle ich ihnen deshalb immer Vitalis vor, eine …

Klaus Haidl: … Mumie.

Gobi Drab: Da schrecken sich die meisten ein bisserl, aber: Von diesem Erlebnis aus lernen unsere Künstler:innen den Raum kennen. Manche sehen ihn nur als Veranstaltungsort, in dem sie ihr Ding machen. Andere sagen, sie setzen sich mit dem Raum auseinander. Manche tun es tatsächlich. 

Klaus Haidl: Es gibt auch Projekte, bei denen wir vorab glauben, dass sie im Raum gut funktionieren, vor Ort aber nicht aufgehen. Dennoch versuchen wir immer jene zu erreichen, von denen wir annehmen, dass sie verstehen, was wir in dieser Kirche vorhaben.

Es gibt also Projekte, …

Klaus Haidl: …die in anderen Räumen besser aufgehoben sind, ja. Es soll bei uns nicht nur ein Konzert im Raum sein, sondern eine Kommunikation mit dem Raum.

Gobi Drab: Deswegen ist es wichtig, Respekt vor dem Raum zu haben. Auch weil in dieser Kirche seit jeher eine aktive Gemeinde tätig ist, für die dieser Raum ein heiliger Ort ist. 

Der Altar ist also tabu.

Gobi Drab: Ebenso wie das Taufbecken aus dem 14. Jahrhundert.

Klaus Haidl: Manche vergessen aber, dass sie in einem Kirchenraum sind.

Gobi Drab: Also erinnern wir sie gerne daran.

Neue Musik in St. Ruprecht
Neue Musik in St. Ruprecht (c) Christian Prinz

Klaus Haidl: Das honorieren auch die kirchlichen Vertreter. Sie hören zu, was wir machen. Das war vor unserem Beginn als Kurationsduo nicht immer so. Gobi und ich legen aber viel Wert auf die Kommunikation, damit das Rektorat jederzeit Bescheid weiß über unsere Tätigkeiten.

Gobi Drab: Leider haben wir Pater Joop nicht mehr miterleben dürfen. Er war Pfarrer in der Ruprechtskirche, als Angélica (Castelló, Anm.) die Reihe initiierte. Er meinte damals: Man soll nicht immer das Brot von gestern essen.

Ohne diesen Ansatz wäre das Projekt nie zustande gekommen, nein?

Gobi Drab: Allerdings ist es bis heute auch unter Kolleg:innen nicht unumstritten. Viele kommen nicht, weil wir in einer Kirche sind.

Klaus Haidl: Wir sagen aber immer: Uns interessiert der Raum als Raum – sei es wegen der Akustik oder seiner Kulturgeschichte. Wir veranstalten nicht wegen religiöser Aspekte. Man muss sich nur anschauen, wie viel Kraft und Leidenschaft es braucht, schweres Equipment über die Pflastersteine zur Kirche zu transportieren. 

Da tut ihr ein wenig Buße.

Klaus Haidl: In schweißtreibender Arbeit, ja.

Gobi Drab: Wir haben vor Ort inzwischen einen halben Kasten zur Verfügung, was unser Leben viel einfacher macht.

Klaus Haidl: Dank unserer Kommunikation mit den Kirchenvertretern! Sie haben uns während der Umbauarbeiten der Kirche gefragt, was wir brauchen, welche Ideen wir haben. So hat sich auch ergeben, dass wir während der Bauphase für ein einziges Konzert die Kirchenbänke geputzt haben.

Teil einer Spielzeit in der Ruprechtskirche ist das Thema. Zuletzt hieß es „Kollision“, demnächst „Falsche Stabilität und falsche Fragilität“. Wie wichtig sind euch diese Vorgaben?

Klaus Haidl: Wir machen uns vorab viele Gedanken zum Ausschreibungsthema, weil wir gewisse Vorstellungen haben. Dennoch bekommen wir jedes Jahr viele Einreichungen, die uns in der Interpretation des Themas verblüffen.

Gobi Drab: Es ist ein ständiger Lernprozess, ja. Während der Spielzeit sammeln wir die Stimmen zum Thema: Was passiert damit gerade? Daraus entwickeln sich neue Gedanken – für ein neues Thema, zum Beispiel. Im Vordergrund steht aber immer die Frage, was wir hören wollen.

Der Kirchenraum zu St. Ruprecht
Der Kirchenraum zu St. Ruprecht (c) Gobi Drab

Der Ausgangspunkt ist immer die Vorstellung vom Klang?

Klaus Haidl: Er ist ein zentraler Aspekt. Als Beispiel: Wir hatten das Thema „Analogous“ – uns erreichten überdurchschnittlich viele Elektronik-Einreichungen. Das entsprach nicht unserer ursprünglichen Idee, weil wir analoge, mechanische Geräte erwartet hätten. Die Vielfalt war aber schön, schließlich löst ein Thema bei unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Assoziationen aus. Am Ende bleibt nie viel von unserer Kernidee bestehen.

Gobi Drab: Jede Saison erreichen uns allerdings zwei, drei Einreichungen, die exakt abbilden, was wir uns vorgestellt haben.

Klaus Haidl: Was aber nicht heißt, dass wir diese Projekte einladen. Die Streuung und die Weiterentwicklung der thematischen Idee sind wichtig. 

Weil es euch auch um die persönliche Überraschung geht?

Gobi Drab: 2016 begannen wir ganz konkret – das Thema war „Les Passions de l’âme“ von René Descartes. Allerdings haben wir uns von diesem engen Rahmen immer weiter wegbewegt, auch weil wir wissen, was wir wollen, aber die Überraschung nie vorwegnehmen können.

Ist das der Wesenskern von dem, was ihr „Echtzeitmusik“ nennt?

Klaus Haidl: Das lässt sich so nicht beantworten.

Gobi Drab: Ich mag das Wort Echtzeitmusik gar nicht.

Deshalb steht es in euren Ausschreibungen?

Gobi Drab: Weil es am besten funktioniert, dennoch: Echtzeitmusik ist Impro. Würden wir nur Impro ausschreiben, wäre es zu Wischiwaschi.

Klaus Haidl: Außerdem würden viel mehr Jazzensembles einreichen. Mit dem Begriff Echtzeit setzen sich aktuell aber vor allem zeitgenössische Impro-Künstler:innen auseinander. Wir verwenden ihn also, um dezidiert sie anzusprechen.

Gobi Drab: Ja, Echtzeit ist eine Modeerscheinung. Wir versuchen die Ausschreibungen so zu formulieren, dass sie verstanden werden.

Klaus Haidl: Damit wir nicht jedem Jazzensemble mitteilen müssen, dass es zwar schön ist, was sie uns anbieten, sie aber bei näherer Betrachtung unserer Homepage gleich gesehen hätten, dass Ihr Projekt nicht zu uns passt.

Gobi Drab: Ich will aber betonen: Schlimmer als der Begriff Echtzeitmusik ist nur „Echtzeitkomposition“.

Klaus Haidl: Wobei man sich bereits davor fragen könnte, wo man die Grenze zwischen Klangkunst und Echtzeitmusik zieht.

Es ist also eine Auslegung des … Glaubens?

Klaus Haidl: Natürlich, es ist ein Labelling. Deshalb gibt es inzwischen auch Jazzensembles, die sich nicht mehr als Freejazzer verstehen, sondern der Meinung sind, Echtzeitmusik zu machen. Am anderen Ende stehen wiederum wir, die sagen: Es ist immer noch zu tonal.

KNUSP in St. Ruprecht
KNUSP in St. Ruprecht (c) KNUSP

Gobi Drab: Tonal heißt aber nicht, dass es nicht zu uns passt. Das Manifest von Burkhard Stangl steht unverändert auf unserer Homepage, weil es auch unsere Arbeit und unseren Zugang immer noch sehr gut beschreibt. Darin kommt das schöne Wort „peripher“ vor. Ich halte es beim Auswahlprozess der Projekte immer im Hinterkopf, weil es mich anleitet zur Frage: Welchem Projekt möchte ich Raum geben, das sonst keinen Raum hat

Klaus Haidl: Deshalb darf tonale Musik auch bei uns sein – aber nicht in jener Ausprägung des Mainstreams, sondern als solche, die sonst keinen Platz findet.

Die Flunger’sche Murmelbahn zum Beispiel.

Gobi Drab: Oder unser letztes KNSUP-Projekt mit Nina Polaschegg und Gasper Piano. Innerhalb der ersten Minuten war klar, dass im Laufe des Auftritts ein Hauch eines Jazzgitarren-Duos auftauchen würde. 

Klaus Haidl: Weil Gasper das klar wollte und ich mich nicht verwehrt habe.

Gobi Drab: Es war aber spannend, weil sich dieser Moment abgezeichnet hatte, er sein durfte, und dann wieder verschwand.

Bevor ich verschwinde: Am 16. Juni findet das Jubiläumskonzert statt. Ihr feiert 20 Jahre Neue Musik in der Ruprechtskirche.

Klaus Haidl: Geplant ist eine Übertragung auf Ö1. Ich gehe davon aus, dass sie uns Raum lassen – ohne Einschränkungen und mit einer Offenheit zum Experiment. Schließlich wissen wir selbst nicht genau, wie dieser Abend klingen wird. Wir wissen nicht, welche Instrumente vor Ort sein werden. Wahrscheinlich wissen das zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal unsere Künstler:innen. 

Gobi Drab: An Ideen für das Fest mangelt es uns nicht – außerdem haben wir viele Pläne, wie wir die vorangegangenen Jahre aufarbeiten wollen.

Klaus Haidl: Trotzdem ist es schwierig, weil wir teilweise auf chaotische Jahre zurückblicken. Zu recherchieren, was tatsächlich stattgefunden hat, wird aber spannend. Wir werden dadurch auch sehen, wer und was in diesem Raum bereits möglich war.

Gobi Drab: Ja, es soll ein durchgehender Konzertkalender entstehen.

Klaus Haidl: Seitdem wir 2016 die Kuration übernommen haben, wurde fast jedes Konzert dokumentiert. Das sind knapp 100 Konzerte, die wir gerne in Gänze online archivieren könnten. Die Frage ist: Wollen wir das?

Gobi Drab: Als Verfechter:innen der Live-Situation gibt es darauf keine einfache Antwort.

Klaus Haidl: Die Dokumentation ist dennoch wichtig, gerade bei Projekten, die bei uns das erste Mal aufgeführt werden. 

Gobi Drab: Der Aufbau eines Archivs zeigt auch: Wir haben eine Vergangenheit. Es ist etwas entstanden. Aufgrund dieser Tatsache lässt sich eine pragmatische Forderung nach Förderungen ableiten. Wir müssen uns also präsentieren. Das Archiv ist eine Legitimation. 

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

++++

Termine:

Sonntag, 17. März 2024 – Broken Ghost Consort

Sonntag, 28. April 2024 – 13 Visions for Solo Violin

Sonntag, 26. Mai 2024 – Duo Katharina Gross & Fie Schouten

Freitag, 07. Juni 2024 – Lange Nacht der Kirchen

Sonntag, 09. Juni 2024 – Infra

Sonntag, 16. Juni 2024 – Jubiläumskonzert 20 Jahre Neue Musik St.Ruprecht

Links:
Neue Musik in der Ruprechtskirche (Homepage)
Gobi Drab (Homepage)
Klaus Haidl (musicaustria)