„Unsere Musik ist einfach sehr emotional“ – THECLOSING im mica-Interview

Mit der aktuellen CD „dents“ erfindet sich der Wiener Experimental-Act THECLOSING zwar nicht gänzlich neu, dennoch haben personelle Veränderungen und neue Techniken die nun als Duo agierende Band zum Erforschen neuer Klangwelten veranlasst, bei denen experimentelle Klangforschungen, ambieske Melancholien und pulsierende Phantom Beats auf vortreffliche Art und Weise zusammentreffen. Erschienen auf dem US-amerikanischen DIY-Label „FilthyBroke Recordings“ gehört „dents“ zu jenen Veröffentlichungen, die die aktuell herrschenden dystopischen Grundstimmungen mit Nachdruck einfangen, aber auch noch genug Energie haben, diesen zumindest für kurze Zeit etwas anderes, Optimistischeres entgegenzusetzen. Für mica hat sich Didi Neidhart mit DANIELA PALMA CAETANO AUER und ALEXANDER HENGL zum Interview getroffen.

Seit der Gründung 2004 vermischt theclosing analoge und digitale Klangquellen, auch um damit allzu einfachen Genre-Kategorisierungen zu entgehen. Wie kann diese Nichteinordenbarkeit über so lange Zeit hinweg aufrechterhalten werden? Oder gibt es mittlerweile schon so etwas wie einen theclosing-Sound?

Daniela Palma Caetano Auer: Unsere Herangehensweisen sind nicht absichtlich gewählt, um irgendwelchen Kategorisierungen zu entgehen, sondern haben sich mit der Zeit organisch ergeben. Wir haben beide sicher einen bestimmten Geschmack und Einflüsse, die sich dann widerspiegeln und vielleicht unseren Sound prägen. Diese Einflüsse ändern sich auch im Laufe der Zeit, aber ich glaube, dass sich trotzdem eine gewisse Vorliebe und Methodik durchzieht.

Alexander Hengl: Bei uns treffen mittlerweile meistens eher abstrakte Klangwolken auf rhythmische Elemente. Das hört sich nur immer anders an. Emotionen spielen auch immer eine große Rolle – unsere Musik ist nicht sehr kopflastig. So in etwa würde ich den momentanen theclosing-Sound beschreiben. Aber das kann sich auch wieder ändern. Wir nehmen uns nicht vor, wie wir klingen wollen. Das passiert einfach.

„dents“ ist das erste Album ohne dem Originalmitglied Lukas Lehner, der die Band 2015 verlassen hat. Im Pressetext wird diesem Umstand ziemlich viel Platz eingeräumt. Weit mehr als sonst, wenn es bei Acts zu personellen Veränderungen kam. In diesem Fall klingt das alles nach einer eher schmerzhaften Zäsur, die sich nicht zuletzt auch in der Musik widerspiegelt.

Daniela Palma Caetano Auer: Generell ist eine Trennung nie leicht, aber oft eine große Chance. In unserem Fall hat es auf beiden Seiten sehr viel Gutes gebracht, aber nichtsdestotrotz markiert „dents“ einen Bruch und stellt schon allein wegen des Zeitpunkts, zu dem es entstanden ist, eine Verarbeitung dieser Trennung dar.

Alexander Hengl: Diesen sehr persönlichen Text haben, bis jetzt auch nur drei Leute zu Gesicht bekommen. Ich habe ihn vor allem deshalb geschrieben, um festzuhalten, wie dieses Album entstanden ist, und da hat der Ausstieg von Lukas eine wichtige Rolle gespielt. Immerhin haben wir über zehn Jahre zusammen Musik gemacht und uns gegenseitig geprägt. Wir sind nach wie vor gut befreundet und schicken uns gegenseitig Sachen, an denen wir arbeiten. Wir schließen auch nicht aus, dass wir mal wieder etwas zusammen machen. Aber theclosing sind ab jetzt nur noch wir zwei. Er macht Musik unter dem Namen TSI, die auf dem befreundeten Label „Duzz Down San“ erscheint. Von ihm kommt übrigens auch bald was Neues – ziemlich minimalistische Zwei-Minuten-Beats. Also ganz was anderes.

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Quasi ein „Erbe“ von ihm scheint ja der Umstand zu sein, dass theclosing nun live nicht mehr mit Playbacks, sondern mit Loops arbeiten. Was hat sich dadurch für Sie verändert?

Daniela Palma Caetano Auer: Wir arbeiten jetzt wieder mit Playbacks, aber geben uns weit mehr Raum und Zeit für Improvisationen. Generell passieren viel mehr tragende Elemente unserer Musik live und dadurch wird alles organischer und intensiver.

Alexander Hengl: Lukas hat bei unseren letzten gemeinsamen Konzerten mit der samplr-App und viel mit Loops gearbeitet. Damit waren die Beats nicht mehr an ein fixes Playback gebunden. Das hat dann automatisch dazu geführt, dass die Tracks länger geworden sind. Er wollte uns dazu bringen, mehr wie eine Jazzband zusammenzuspielen. Alle kannten ihre Rolle innerhalb eines Tracks, aber was dann passierte, war immer eine Überraschung. Diese Erfahrung hat für Daniela und mich ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Damit ist sein Erbe vielleicht eher ein Teil unseres neuen Sounds.

„Dass wir uns mehr in Richtung Ambient und Noise geöffnet haben, liegt mehr daran, wie wir mittlerweile an die Musik rangehen, als an Einflüssen“

Ich selbst habe lange versucht, mir zu erklären, warum mir gewisse beatlose Musiken zwischen Ambient und Noise zusagen bzw. nicht, und bin dann darauf gekommen, dass ich quasi intuitiv jene Musiken bevorzuge, die entweder auf Loops basieren (wie ja schon Brian Enos „Discreets Music“ aus 1975) oder die mit Phantom Beats (etwa bei Pomassl) arbeiten. Wie wichtig sind Ihnen solche Überlegungen bzw. Unterscheidungen, zumal theclosing ja auch immer einen Hip-Hop-Background gehabt hat, Beats also wohl immer schon ein Thema waren?

Alexander Hengl: Da geht es mir ähnlich. Die Liebe zu Beats war eigentlich von Anfang an das verbindende Element bei theclosing und unsere Geschmäcker haben sich dann vor allem im experimentellen Hip-Hop überschnitten. Dass wir uns mehr in Richtung Ambient und Noise geöffnet haben, liegt mehr daran, wie wir mittlerweile an die Musik rangehen, als an Einflüssen. Und Beats machen mir manchmal mehr Spaß, wenn sie davor eine Weile abwesend waren. Ich verwende „Fruity Loops“ oder die Loopfunktionen auf den „Kaoss Pads“, Daniela einen „MPC“. Loops sind also meistens die Basis. Die helfen wahrscheinlich auch dabei, den ganz freien Elementen einen Rahmen zu geben.

Daniela Palma Caetano Auer: Das ist definitiv eine Sache, die mich schon lange beschäftigt. Ich scheine auch eher ein Typ zu sein, der sehr auf Loops anspricht, und in meiner eigenen Musik nimmt das, ich nenne es mal „Mantraartige“, sicher einen hohen Stellenwert ein. Was für mich aber nicht zwangsläufig die Anwesenheit eines Beats erfordert.

Die von Daniela Palma Caetano Auer gestalteten Videos zu den Tracks „CMB“ und „dents“ operieren mit Bildern, die als „Naturaufnahmen“ tituliert werden können. Bei „dents“ sehen wir Wiesen, Gärten, Wälder, bei „CMB“ Berge, Hügel und Wolken. Wie korrespondieren diese Bilder mit der Musik von theclosing, mit dem Unheimlichen wie Wunderlichen, das da so mitschwingt?

Daniela Palma Caetano Auer: Bei diesem Album waren die Videos eigentlich eine Zusammenarbeit mit Alex. Aber beide Videos basieren größtenteils auf Aufnahmen und Ideen von mir. In meiner visuellen Kunst arbeite ich schon immer mit Natur im weitesten Sinne. Dabei geht es mir einerseits um adäquate Bilder, um meine künstlerische Forschung darzustellen, und andererseits um eine gewisse Atmosphäre, die ich rüberbringen will, und Letzteres ist in unserer Musik sicher ein ganz wichtiger Punkt. Es ist wohl auch ganz einfach Teil meiner komischen synästhetischen Verkabelung im Hirn, dass ich Musik automatisch mit Landschaften und Natur in Verbindung bringe und eigentlich fast immer Landschaften vor mir sehe, wenn ich an einem neuen Track arbeite.

Alexander Hengl: Ich finde, dass Danielas Bildersprache generell sehr gut zu unserem Sound passt. Ich nehme mich bewusst zurück, wenn es um Artwork, Visuals oder Videos geht, und versuche, eher bei der Umsetzung zu helfen. Dass die Natur da eine große Rolle spielt, passt auch gut zu dem organischen Entstehungsprozess unserer Musik. Bilder von Bergen und darum herumschlingenden Wolken beschreiben unseren Sound ganz gut, finde ich. Ich mag die gleichzeitig beruhigende, aber auch bedrohliche Stimmung, die dabei entsteht.

„Wir versuchen mit unserer Musik, das Unterbewusste oder das Unbewusste zu channeln […]“

Ich würde die aktuellen Tracks jetzt zwar nicht im Sinne von Mark Fisher als „hauntologisch“ bezeichnen, aber speziell die Vocals erinnern oft an Geister und Gespenster. Also an etwas aus der Vergangenheit, von dem wir immer noch heimgesucht werden. Teilweise erinnert das (etwa bei „CMB“) auch an europäische 70er-Jahre-Horrorfilme, ohne dieses Genre nun direkt zitieren zu wollen. Gehört das zur quasi neuen Grundstimmung von theclosing?

Daniela Palma Caetano Auer: Ich denke, dass einfach gewisse Methoden, wie wir unsere Sounds herstellen und bearbeiten, diese Stimmungen von vornherein mit sich bringen. Da entsteht ein etwas verdreckter Sound, der an manchen Stellen durch die Stimme noch hervorgehoben und unterstützt wird.

Alexander Hengl: Ich bin ja auch kein Sänger im klassischen Sinne und verwende viel Delay und loope meine Stimme oft. Das wirkt dann wohl gespenstisch. Wir versuchen mit unserer Musik, das Unterbewusste oder das Unbewusste zu channeln, weil es für uns spannend ist, wenn wir uns selbst überraschen. Es geht also vielleicht weniger um die Vergangenheit, sondern eher um andere Bewusstseinsebenen.

Bild (c) theclosing

„Artefacts“ ist die letzte, noch zusammen mit Lukas Lehner entstandene Nummer und mit knapp 22 Minuten auch eine der längsten in der Band-History. Zusammengestellt wurde sie u. a. aus Aufnahmen von „Live at the Beatmaker Sessions“ aus 2015. Wie schaut so ein Bearbeitungsgprozess eigentlich konkret aus?

Alexander Hengl: Ja, der Track besteht eigentlich aus zwei Songs, die in anderer Form schon auf dem Livealbum waren und durch eine Art Interlude verbunden sind. Grundlage für das ganze Album sind Livesets, von denen wir dann auch Spuren verwendet haben. Lukas hat uns nach der Trennung die Beats von den zwei Songs für die Playbacks der nächsten Konzerte neu eingespielt und im Nachhinein haben wir den ersten Beat fürs Album geremixt und den zweiten Beat so übernommen und das Ganze mit Liveaufnahmen zusammengemischt.

Es ist also in dem Fall eine wilde Collage aus Sachen, die im Studio entstanden sind, und einzelnen Spuren von zwei Konzerten, die teilweise übereinanderliegen. Ich finde es spannend, wenn sich diese verschiedenen Qualitäten gegenseitig beeinflussen und am Ende verschmelzen. Wir nehmen unsere Spuren jetzt deswegen auch immer auf, wenn wir live spielen. Ein großer Teil unserer Sets besteht aus unveröffentlichten Sachen und es kann ja sein, dass Parts entstehen, die wir dann vielleicht fürs nächste Album verwenden werden.

Alle Tracks durchzieht eine Art melancholische, um nicht zu sagen depressive Stimmung, in der sie jedoch nie verharren oder gar enden. Ist das ein Zweckoptimismus oder passiert das einfach?

Daniela Palma Caetano Auer: Ich glaube, für mich ist viel Musik, die andere als depressiv bezeichnen würden, sehr positiv und kraftvoll konnotiert. Ich kann das also objektiv nicht gut beurteilen, aber beim Album „dents“ ist diese Ambivalenz wahrscheinlich doch zu spüren. Das hat sicher mit der oben genannten Trennung und deren negativen, aber auch sehr positiven Konsequenzen zu tun.

Alexander Hengl: Unsere Musik ist einfach sehr emotional. Da geht es oft um Extreme. Aber ich hoffe, dass das Positive am Ende überwiegt. Für mich ist es zumindest so. Auch die Musik, die ich sonst höre, gibt mir ein gutes Gefühl, obwohl darin oft die negativen Seiten des Lebens verarbeitet werden. Es geht da aber auch um Herzlichkeit. So etwas schwingt mit. Wenn ich zum Beispiel das Gefühl habe, dass was von Arschlöchern gemacht wird, will ich das gar nicht hören.

„Es ist nicht so leicht für uns ein Album zu veröffentlichen und loszulassen“

Die aktuelle CD erscheint auf dem US-amerikanischen DIY-Label „FilthyBroke Recordings“. Wie kam es dazu und wie wichtig sind Ihnen solche noch übrig gebliebenen Nischen jenseits größerer Labels und der damit verbundenen Strukturen?

Alexander Hengl: Uns geht es bei einem Label vor allem darum, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die wirklich richtig Lust darauf haben und wo die persönliche Ebene passt. Und das war bei „FilthyBroke Recordings“ der Fall. Wir haben ziemlich lange nach dem richtigen Zuhause für das Album gesucht und dann habe ich zufällig auf Twitter gesehen, dass Michael J. Collins von „FilthyBroke“ geschrieben hat, dass sie noch nicht wissen, was sie nach ihrem Mai-Release als Nächstes herausbringen werden. Das war für mich ein Zeichen.

Cover “dents”

Die haben mit Leuten zusammengearbeitet, die wir sehr schätzen, wie zum Beispiel Walter Gross, Tommy V und Ceschi, der mir sogar die erste Platte des Labels bei einem Konzert geschenkt hat. Zu dem Zeitpunkt kündigten sie auch gerade das neue Curta-Album an, das mich auch ziemlich begeistert hat. Also habe ich ihm sofort eine Nachricht mit einem Link zum Album geschickt. Michael war gleich total begeistert und wir haben uns viele lange Mails geschrieben und es war alles schnell familiär. Das hat uns geholfen, diesen Schritt zu gehen.

Es ist nicht so leicht für uns, ein Album zu veröffentlichen und loszulassen. Und diese Aufmerksamkeit und freundschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe kann man wahrscheinlich eher von einem kleinen Label haben. Vielleicht wird sich ja auch mal ein größeres für uns interessieren, aber diesmal war das aber genau richtig so. Wir haben alles gemeinsam entschieden und es ist schön, Michael und Bambi, die andere Hälfte von „FilthyBroke, an unserer Seite zu haben. Wir sind seither ständig in Kontakt und haben nicht nur ein Label, sondern auch neue Freunde gefunden.

Mit der 2013 ins Leben gerufenen Konzertreihe „Wolkenvorhang“ präsentieren Sie – hauptsächlich im Wiener Veranstaltungslokal rhiz – gleichgesinnte Acts aus aller Welt. Wie wichtig sind solche internationalen Verknüpfungen für eine kleine, stilistisch zwischen allen Stühlen sitzende Band in Österreich?

Daniela Palma Caetano Auer: Ich denke, dieses Zwischen-den-Stühlen-Sitzen und die Konsequenzen, die das gerade in Österreich leider sehr oft nach sich zieht, nämlich das Ignoriertwerden von allen Seiten, können einem sehr zusetzen und „Wolkenvorhang“ hat mir definitiv wieder Mut gegeben, trotzdem dranzubleiben. Denn ein gewisses Gefühl des Verbundenseins und das Wissen um Gleichgesinnte können einen enorm stärken.

Alexander Hengl: Wir bekommen dadurch etwas mehr Feedback. Kathi Seidler hat zum Beispiel unser Album bei „Im Sumpf“ auf FM4 vorgestellt. Sie würde uns vielleicht gar nicht kennen, wenn wir ihr nicht jeden Monat unser „Wolkenvorhang“-Programm schicken würden. Und wir bekommen Auftritte, wie jetzt im August in Zürich, weil andere Verrückte, in dem Fall die Guten Leute vom Label „Mism“, deren Acts teilweise auch bei uns gespielt haben, dadurch auf uns aufmerksam geworden sind.

Kontakt zu großartigen Leuten aus dieser nicht wirklich greifbaren experimentellen DIY-/Left-Field-Hip-Hop-Szene zu haben, ist ein gutes Gefühl. Und es macht Spaß, wenn musikalische Vorbilder auf einmal Posts liken oder das neue Album teilen.

Ganz abgesehen davon ist es super, auch hier in Österreich Verbündete zu haben. Wir machen das ja zusammen mit Parkwaechter Harlekin und seit Kurzem auch mit Selbstlaut, die selbst gute Musik machen, die mehr Aufmerksamkeit verdient. Es kam ja am 14. Juli ein Remix zu „Unterdessen Dann“ auf Problembär heraus, den wir für Parkwaechter Harlekin gemacht haben. Ich merke, dass sich langsam mehr Leute von „Wolkenvorhang“ und den guten Acts, die wir holen, anstecken lassen. Einige von ihnen möchten aktiv mithelfen, was super ist, weil das viel Energie und Geld kostet. Man kann auch abseits von Hypes etwas bewegen, wenn man dranbleibt.

Herzlichen Dank für das Gespräch

Didi Neidhart

Links:
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Wolkenvorhang – theclosing