„Unser Antrieb war schon immer auch, einen Schritt weiterzugehen […]“ – SIMON ZÖCHBAUER und FRÉDÉRIC ALVARADO-DUPUY (FEDERSPIEL) im mica-Interview

Im musikalischen Sinne klassisch hat das österreichische Bläserensemble FEDERSPIEL eigentlich nie wirklich agiert. Die siebenköpfige Truppe war immer schon am Neuen interessiert und ist der Tradition und dem Klassischen stets mit Offenheit und einem großen Hang zum Experiment begegnet. Diesbezüglich keine Ausnahme stellt das neue Album „Albedo“ (o-tone music) dar, auf dem einmal mehr der stilistisch übergreifende Klang in seiner elegantesten Form zelebriert wird. Im Interview mit Michael Ternai sprachen SIMON ZÖCHBAUER und FRÉDÉRIC ALVARADO-DUPUY tiefergehend über das Thema des Albums, über neue Aspekte ihres Sounds und die Priorität, der ihrer Band zukommt.

Euer neues Album trägt den Titel „Albedo“. Der Begriff ist das Maß für das Rückstrahlvermögen von diffus reflektierenden, also nicht selbst leuchtenden Oberflächen. Inwieweit steht dieses Album auch für die Reflexion, für die Aufarbeitung der letzten zwei, zweieinhalb Jahre, die im Zeichen der Pandemie standen?

Simon Zöchbauer: Das Album dreht sich thematisch natürlich auch um die Zeit der Pandemie. Es behandelt schon auch Themen wie den Drang nach Freiheit, der wegen der Lockdowns und der anderen Einschränkungen natürlich stetig gewachsen ist. Das Stück „Freedom Waltz“ zieht da wahrscheinlich am offensichtlichsten eine Linie zu dieser Zeit. 
Aber es ist nicht nur das Coronathema, das dieses Album bestimmt und beeinflusst hat. Es geht darüber hinaus, auf quasi alle Ereignisse und Entwicklungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Die Klimakrise bzw. der Klimawandel sind zum Beispiel Dinge, die uns alle gleichermaßen sehr beschäftigen. Wie kann man die Albedo, also die Reflexionsfähigkeit der Erde, auch für die Zukunft erhalten?

Ihr bringt auf eurem neuen Album einen vielschichtigen Klang zu Gehör, der die Hörerin bzw. den Hörer vor allem mit seiner Wärme berührt. Zudem wirken die Stücke – obwohl sie sie sehr verschieden sind – in Summe wahnsinnig rund. Man hört einfach, dass ihr auf den Sound sehr viel Augenmerk gelegt habt.

Frédéric Alvarado-Dupuy: Das auf jeden Fall. Es sind im Grunde genommen zwei Dinge, die bei der Entstehung dieses Albums anders waren als noch davor und wesentlichen Anteil am Klang haben. Da ist zunächst, dass wir mit Christian Amstätter und Christoph Moschberger zwei neue Musiker mit an Bord haben, die zu unserem Gesamtsound neue Facetten hinzugefügt und das Ganze ein wenig in eine andere Richtung geleitet haben. Ein zweiter wesentlicher Punkt, der bei der Entstehung von „Albedo“ eine große Rolle gespielt hat, war der Aufnahmeraum in Raiding, den wir erstmalig dafür genutzt haben. Der Raum hat einen ganz speziellen Klang und den wollten wir für uns einfangen.

Simon Zöchbauer: Der Raum spielte für den Klang der Stücke mit Sicherheit eine ganz zentrale Rolle. Aber wir haben nicht nur, was den Klang betrifft, versucht, neue Akzente zu setzen. Auch musikalisch haben wir eine gewisse Umorientierung vollzogen. Unser Antrieb war schon immer auch, einen Schritt weiterzugehen und Neuerungen zuzulassen. So ist es dazu gekommen, dass wir auf dem „Albedo“den Anteil der Volksmusik, die ja lange ein starker Einfluss war, bewusst stark zurückgeschraubt haben. Es findet sich auf dem gesamten Album gerade ein Stück, bei dem Volkmusik die musikalische Basis bildet.

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Wie schon erwähnt, klingen die Stücke alle sehr verschieden. Die Einflüsse stammen aus den verschiedensten Richtungen. Woher bezieht ihr eure Inspiration?

Frédéric Alvarado-Dupuy: Wir haben ja alle unsere musikalischen Vorlieben. Das spielt sicher eine Rolle. Zudem ist es so, dass jeder für sich in seinen eigenen Projekten immer wieder neue Erfahrungen macht. Und diese nimmt er dann in die Gruppe bzw. in die Stücke, die er komponiert, natürlich mit.

„Ich glaube, solange man sich selber in einen Prozess begibt und sich immer wieder gegenüber etwas Neuem aufmacht, passiert Entwicklung automatisch.“

Federspiel gibt es seit mittlerweile 18 Jahren. Also wirklich schon lange. Und ihr habt auch schon einig mehrere Programme geschrieben. Wie stellt man sich nach so einer langen Zeit eigentlich der Herausforderung, sich mit jedem neuen Programm weiterzuentwickeln? 

Simon Zöchbauer: Unsere Musik hat einen traditionellen Anteil. Der ist einfach da. Und Tradition nimmt immer etwas mit, was schon da war. Das ist das Wesen von Tradition. Und wir machen aus dieser manchmal etwas und manchmal eben nicht. Und sie wird wahrscheinlich auch immer Teil unserer Musik sein. Was die Kompositionen angeht, ist es so wie in allen Musiken, sie sind offen für alles, was in der Welt oder in einem selbst passiert. Man versucht immer, authentisch auf das zu antworten, was man subjektiv im persönlichen Umfeld oder in der Auseinandersetzung mit der Welt fühlt. Man ist immer irgendwelchen Einflüssen ausgesetzt. Und je nach dem, welche Musik man hört oder was einen interessiert, ergibt sich die Entwicklung von selber. Ob das dann als neu empfunden wird oder als regressiv oder bereits da gewesen – ich glaube, solange man sich selber in einen Prozess begibt und sich immer wieder gegenüber etwas Neuem aufmacht, passiert Entwicklung automatisch.

Frédéric Alvarado-Dupuy: Ich denke auch, dass wenn man sich dieser Aufgabe stellt und sich den Einflüssen öffnet, die Entwicklung relativ von alleine passiert. Das Glück, dass wir bei Federspiel haben, ist, dass wir als Band nicht einem bestimmten Schema folgen müssen. Wir haben da relativ freies Spiel, auch weil unser Publikum großteils sehr offen ist. Daher ist es für uns auch nicht notwendig, eine bestimmte Schublade zu bedienen. Insofern können wir auch jeden Weg beschreiten, mit dem wir uns als Band identifizieren. Das ermöglicht uns, in unseren Nummern Ausflüge in verschiedene Richtungen zu machen. Das finde ich schön.

Was ich an eurem neuen Album sehr schön finde, ist auch die Dramaturgie, der es folgt. Auch da merkt man, wie viel Wert ihr auf diese legt.

Simon Zöchbauer: Ja, hinsichtlich der Dramaturgie machen wir uns viele Gedanken. Es beginnt mit einer ersten Tracklist, die sehr oft hinterfragt und auch neu gemacht wird. Außerdem schicken wir sie auch an externe Personen, die dann ihre Meinung dazu äußern. Das ist für uns schon wichtig, weil man ja selber tief in den Prozessen drinsteckt und irgendwann sowohl als Einzelperson wie auch als Band den Überblick über das Gesamte verliert. Da ist eine Meinung von außen schon gut.

„Man kann bei diesem Album auf so vielen Ebenen andocken […]“

Bei euch komponieren ja alle Stücke. Sind da die eigenen Stücke die liebsten?

Frédéric Alvarado-Dupuy [lacht]: Ich denke, dass man in dieser Frage natürlich befangen ist. Auch weil man meint, die eigenen Stücke besser zu verstehen. Wobei ich von meinen Stücken sagen muss, dass die nicht meine liebsten sind. Ich mag Stücke der anderen lieber. Es ist ja so, dass mir die handwerklichen Mängel bei meinen Stücken bewusst sind. Meine eigene Unzulänglichkeit kann ich da leider nicht ausblenden [lacht]. Daher genieße ich auf der Bühne gerade die anderen Stücke.

Simon Zöchbauer: Ich finde, dass speziell auf der Bühne dieses Gefühl, ob es sich jetzt um ein eigenes Stück oder um eines von einem anderen handelt, eigentlich nicht existent ist. Und ich finde es als Spieler richtig super, sich in den Stücken durch verschiedene Stilistiken zu bewegen. Vor allem durch solche, die man selber nicht abdeckt. Wenn ich zum Beispiel an „Samtig Matt“ denke, dieses Stück ist wirklich gemütlich zu spielen. Dann gibt es auf der anderen Seite mit „Kronos“ ein Stück, das extrem fordernd ist, aber auch musikalisch extrem interessant. Und dann gibt es das eigene „Inside-Outside“, was zum Spielen zach, aber künstlerisch spannend ist. Man kann bei diesem Album auf so vielen Ebenen andocken und es gibt überall irgendetwas Cooles und Inspirierendes. Auf der Bühne denke ich eigentlich gar nicht mehr darüber nach, von wem das Stück stammt.

Bild Federspiel
Federspiel (c) Maria Frodl

Um nochmal darauf zurückkommen, die Band gibt es schon sehr lange. Wie sehr hat sich das Bandgefüge im Laufe der Zeit verändert. Sind die Dinge zur Routine geworden? Wie sieht es mit der Freundschaft nach so vielen Jahren aus?

Frédéric Alvarado-Dupuy: Die Freundschaft, die uns von Beginn an verbindet, ist natürlich immer noch da. Es ist natürlich ein Unterschied zu noch vor 18 Jahren. Vor allem in puncto Professionalisierung hat sich sehr viel getan. Es bedarf – auch weil wir so viele sind – schon einer guten Planung, um alles unter einen Hut zu bringen. Aber wir haben uns im Laufe der Zeit die Werkzeuge erarbeitet, mit denen sich das Organisieren gut bewältigen lässt. Was sich auch nicht geändert hat, ist unsere Einstellung. Wir sind immer noch von einem hohen Grad an Idealismus angetrieben. Jeder steckt nach wie vor viel Herzblut in die Band hinein. Eine eigene Band ist schon etwas anderes, als wenn man irgendwo Sideman ist. So sehe ich das zumindest.
Was die Gruppendynamik betrifft, befinden wir uns im Moment in einer sehr spannenden Phase. Wir haben mit Christian und Christoph zwei neue Musiker mit an Bord. Das ist natürlich eine Veränderung. Die Uraltgeschichten gehen sich da nicht mehr aus. Aber die Neuen bringen sich auf ihre Art ein, wodurch sich neue Geschichten schreiben. Das heißt, dass wir mit der Band eine spannende Zeit erleben und doch auch etwas von der Routine, die wir noch vor ein, zwei Jahren hatten, verloren gegangen ist.

Simon Zöchbauer: Ich meine, sagen zu können, dass Federspiel für uns alle musikalisch die höchste Priorität genießt. Und ich glaube, dass diese Priorisierung notwendig ist. Anders würde es nicht funktionieren. Es ist ein immer Versuchen, viel möglich zu machen, und auf der anderen Seite Kompromisse einzugehen. Es ist jeder gefordert, seine Bedürfnisse zu äußern und, wenn es sein muss, auch einmal nachzugeben.

Ihr habt mit Federspiel immer schon sehr viel live gespielt. Was bedeutete diesbezüglich die Pandemie für euch. Ich nehme einmal an, dass ihr es extrem genießt, wieder auf der Bühne stehen zu können.

Simon Zöchbauer: Ich selber habe es ganz am Anfang der Pandemie im Jahr 2020, also beim ersten Lockdown, eigentlich genossen, einmal wirklich durchschnaufen zu können. Aber irgendwann ist natürlich der Punkt gekommen, an dem man wieder arbeiten und spielen wollte, weil es einfach der Beruf ist. Es war ein seltsames Gefühl. Man hat eine 20-jährige Ausbildung hinter sich und dann war der Beruf plötzlich nicht mehr möglich. Aber wir haben natürlich versucht, die Zeit so gut wie möglich mit konzeptueller Arbeit zu nutzen. Wir haben zahlreiche Zoom-Meetings gehabt und versucht, Dinge zu entwickeln. Und damit wuchs das Bedürfnis danach, wieder auf der Bühne zu stehen, ganz stark. So gesehen, sind wir natürlich wahnsinnig froh, dass all das jetzt wieder möglich ist. Denn auf der Bühne zu stehen und Konzerte zu spielen ist für uns fast wie Nahrung.

Die große Präsentation des Albums findet im Herbst statt.

Frédéric Alvarado-Dupuy: Genau.Wir werden das Album am 20. Oktober im Wiener Konzerthaus präsentieren. Und das mit einem eigenen Lichtkonzept. Das ist bei dem Thema des Albums in gewisser Weise ja aufgelegt. Wir haben uns auf jeden Fall einiges überlegt und sind sehr gespannt darauf.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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Federspiel live:
17.09. Montreux, Septembre Musical, Marche couvert
14.10. Großschönau, Kulturstadel
20.10. Wien, Konzerthaus
21.10. Kirchberg an der Pielach, Pielachtaler Classic
28.10. Salzburg, Oval
03.11. Melk, Tischlerei Melk, Melk
24.11. Telfs, Rathaussaal
25.11. Altstätten, Diogenes Theater
26.11. Fornach, Mehrzweckhalle
01.12. Selb, Rosenthal Theater

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