Ungewollter Elektronikpionier mit Festival – Hans-Joachim Roedelius im Porträt

Klangforscher, Elektronikpionier und Selbstverweigerer. Hans-Joachim Roedelius hat die Geschichte elektronischer Musik mitgeschrieben und gilt dabei als unbedankter Held, dem es stets um die Klänge und nie um schnöden Starruhm ging. Von der Tatsache des prominenten Fankreises von Brian Eno abwärts unbeeindruckt, lebt der 77-Jährige seit Jahren in Baden bei Wien und richtet auch diesen Sommer wieder sein More Ohr Less Festival aus.

Es ist gar nicht nötig tief in der Vergangenheit zu graben um festzustellen, dass das Werk von Hans-Joachim Roedelius’ weniger im deutschsprachigen Raum rezipiert wird als vielmehr in internationalen Dimensionen zur umso größeren Geltung kommt. Einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu seiner Person gibt es ebenso wenig wie einen üppigen Pressespiegel, den man sich bezüglich einer Person, deren Schaffen dermaßen nachwirkt, erwarten könnte. Egal ob mit Cluster, Harmonia, Aquarello oder solo unter eigenem Namen: Roedelius lässt die Musik und weniger sich selbst sprechen, auch wenn er als Kind durchaus eine gewisse Extrovertiertheit zeigte, die gerne als skurrile biografische Randnotiz bemüht wird: In den Jahren 1938 und 1941 wirkte der spätere Musikpionier neben damaligen Größen wie Brigitte Horney in zwei UFA Filmen mit. Aufmerksamen Beobachtern des jüngeren niederösterreichischen Kulturlebens ohne Zugang zur Geschichte der elektronischen Musik ist Hans-Joachim Roedelius spätestens seit dem Jahr 2004 ein Begriff, als der gebürtige Berliner erstmals das mehrtätige Musiksymposion und -festival More Ohr Less im beschaulichen Lunz am See abhielt. Die Veranstaltungsreihe arbeitet sich Jahr für Jahr an einem Themenbegriff ab und gilt längst als Institution des hiesigen Kultursommers.

Einst aus dem Chaos erstanden

Ende der Sechziger Jahre formierten sich in den Zentren Berlin und Düsseldorf jene kreativen Kräfte, die heute als der erste nachhaltige deutsche Beitrag zur internationalen Popmusik gelten. Kraftwerk nahmen ihre ersten Platten auf um zunächst auf klassisches Instrumentarium und weniger auf elektronische Gerätschaften zu setzen. Zur selben Zeit taten sich auch Hans-Joachim Roedelius, Dieter Moebius und der ehemalige Tangerine-Dream-Mann Conrad Schnitzler zusammen, um unter dem Namen Kluster und nach dem Weggang Schnitzlers ab 1971 als Cluster musikalisch zu experimentieren. Roedelius im Jahr 2006 gegenüber dem WDR über die frühen Tage: „Am Anfang war das reines Chaos – Aktionismus, Musikaktionismus. Wir haben immer aus dem Bauch heraus Musik gemacht, wir hatten kein intellektuelles Anliegen, wir wollten nicht berühmt werden. Wir wollten nicht diejenigen sein die eine neue Klangsprache erfunden haben .“ So die bescheiden anmutenden Worte zu den frühen Tagen, die im Kunstzusammenhang zu sehen sind und vermehrt in Galerien als auf Konzertbühnen stattfanden. Projektpartner Dieter Moebius im selben medialen Zusammenhang, und sämtliche romantischen Verklärungen gegenüber der Pionierzeit aufräumend: „Wir konnten nicht mal richtig Orgel spielen, wir waren darauf angewiesen, diese Art von Musik überhaupt zu machen, die wir gemacht haben. Insofern war es am Anfang sowieso klar wie es los geht.“

A Record That Set The World On Fire

Dabei nahmen Cluster im Lauf der Jahre vieles der heute herrschenden Ästhetik in der elektronischen Musik vorweg. Ebenso mit Folgeprojekten wie Harmonia (mit Neu!-Gründer und Ex-Kraftwerk-Mitglied Michael Rother) und ab 1976 mit einer vier Jahre dauernden Zusammenarbeit mit Brian Eno (u. a. Cluster & Eno, Eno-Moebius-Roedelius, Harmonia ‘76), der angetan von der bahnbrechenden Musikästhetik die kreative Nähe suchte und Mitte der 1970er in Hinsicht auf Cluster von „The World’s Most Important Rock Band” sprach. Das erste Cluster Album findet sich in der berühmten Liste „100 Records That Set The World On Fire (While Nobody Was Listening)” des britischen Wire-Magazins wieder – ein Adelsschlag sondergleichen.

More Ohr Less im August 2012

Die Kreativachse Moebius-Roedelius besteht bis heute und spiegelt sich in Kooperationen unter diversen Projektnamen wider – bis vor zwei Jahren auch als Cluster. Vor allem ab den mittleren 1990ern und in den Nuller Jahren schoss der Solo-Output von Roedelius schlagartig in die Höhe. Wobei es Herbert Grönemeyers Grönland-Label zu verdanken ist, dass auch eine junge Hörergeneration via Harmonia- und Cluster-Reissues auf die elektronischen Pioniertaten aufmerksam wurde. Der Faktor Zeit bestätigt hier nur die kreativen Großtaten der frühen bis mittleren Siebziger Jahren. Das More Ohr Less Symposion und Festival findet heuer vom 3. bis 5. August in Lunz am See unter dem Arbeitstitel „Zauber” statt. Geladen sind u. a. Tim Story, Christopher Chaplin, Stefan Schneider, Clara Luzia, Dorit Chrysler und Hotel Palindrone.
Johannes Luxner

Fotos: Nadine Blanchard