Und + – die Donaueschinger Musiktage 2014

Die Donaueschinger Musiktage fanden dieses Jahr bei fast frühlingshaften Temperaturen und strahlender Sonne statt. Gut so, denn auch die Spaziergänge von einem zum nächsten Veranstaltungsort waren in diesem Jahr zahlreicher und zum Teil etwas ausgedehnter. Insgesamt glich die Festivalausgabe 2014 wahrlich einem Musikmarathon, auch gehender Weise wurde (je nach Lage der Unterkunft) mehr als ein Halbmarathon absolviert.

Wenn man dabei noch dazu kleine, reizvolle neue Spielorte entdecken kann, wie etwa das fast winzige Gemäuer der alten Molkerei, ist dies durchaus lohnenswert. Schade nur, dass bei der diesjährigen Überfülle an Konzerten, Konzert- und Klanginstallationen nicht nur die Aufnahmekapazität irgendwann erschöpft war, sondern dass nicht wenige KonzertbesucherInnen es schlicht nicht geschafft haben, alle Veranstaltungen zu besuchen. Noch dazu gab es in diesem Jahr eine Ausstellung, für die man gerne etwas mehr Zeit gehabt hätte. Doch was verbirgt sich hinter dem Titel „und +“? Das Motto verweist auf künstlerische Mehrfachbegabungen von Komponierenden. Der Leiter und Kurator der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler vergab für 2014 Aufträge an solche Komponierenden, die zugleich auch zeichnen, malen, Computergraphiken entwerfen, dichten oder photographieren – und zwar unabhängig davon, ob diese Arbeiten ursprünglich für die Öffentlichkeit gedacht waren oder nicht. Und auch unabhängig von ihrem rein künstlerischen Wert. Vielmehr ging es darum, die Künstlerpersönlichkeit als Ganzes besser erfassen zu können, in einer Zeit, in der Multimedia wie isoliertes Spezialistentum mehr zählen als ein breiter gestreutes Interesse. Ob dies in einer solchen Ausstellung gezeigt werden kann, mag man diskutieren. Denkanregungen zu schaffen ist allerdings durchaus gelungen.

Ein wenig ermüdend für ein Festival wie Donaueschingen ist es allerdings, wenn in kürzeren Abständen immer wieder dieselben Komponisten vertreten sind – und zwar nicht unbedingt solche jüngeren Jahrgangs, deren Entwicklung man verfolgen möchte, sondern altgediente wie Wolfgang Rihm oder Hans Zender, dessen Sendungsbewusstsein und damit essayistische Tätigkeiten allzu bekannt sind (Helmut Lachenmann fehlte übrigens), Salvatore Sciarrino (der sich auch als Zeichner und Maler betätigt) oder Brian Ferneyhough, dessen Computergraphiken, die er an sich nicht für die Öffentlichkeit gedacht hatte, ausgestellt wurden. Allerdings ließ sein Werk „Inconjunctions“ insofern aufhorchen als der Komponist einmal nicht durchgehende Dichte und hohe Intensität in den Mittelpunkt stellte, sondern dichte Passagen mit äußerst leiser Dynamik kombinierte und diese in Relation setzte mit sparsam besetzten Abschnitten. Wenn allerdings ausdeutende Bilder im Kopf Ziel einer Komposition werden und mit formal und gestisch relativ einfachen Mitteln umgesetzt werden, wie bei Friedrich Cerhas neuem Werk „Nacht“, fragt man sich, ob solche Werke in Donaueschingen wirklich ihren Platz haben – selbst wenn die verwendeten Klangmischungen von feinem Ohr und hoher instrumentatorischer Könnerschaft gezeichnet sind.

Zwei weitere Österreicher waren vertreten. Peter Ablinger nahm für sein zweiteiliges Werk „points & views“ ein und dasselbe Ausgangsmaterial und realisierte zum einen einen Tintenstrahldruck, zum anderen ein Ensemblewerk nebst Zuspielungen, indem er erneut Wahrnehmungsfragen mittels Übertragung von alten Aufnahmen auf Instrumente thematisierte. Renald Deppe interpretierte nicht nur gemeinsam mit vier jungen österreichischen bzw. iranischen Improvisierenden einige seiner graphischen Partituren, sondern überraschte zudem auch als Zeichner mit einigen in der Ausstellung vertretenen Bildern.

Überraschenderes oder besser wirklich zum Nachdenken Anregendes hörte man eher von der jüngeren Generation. Jennifer Walshe spielte in ihrer Soloperformance „The Total Mountain“ mit zahlreichen Attributen des Populären, verband Kritik am medialen Overkill von Internet, Facebook, Pop und Co mit einer subtilen Portion Ironie. Ondřej Adámek hingegen entgleiste in seinem Werk „Körper und Seele“ für selbstgebaute und subtil durchaus reizvoll einzusetzende, u. a. Luftballone aufblasende „Äir-Machine“, Chor und Orchester ein ähnlicher Versuch, nämlich der, Massenmusiken wie Volks- und Blasmusik als quasi Beschwörungsrituale zu inszenieren und sie humorvoll zu kontrastieren mit der Welt der zeitgenössischen Kunstmusik.

Den jährlichen Orchesterpreis verlieh das SWR-Sinfonieorchester diesmal an den 1976 geborenen Komponisten Simon Steen-Anderson. „Klaviersturz“ nennt sich sein durchaus mit spektakulärer Vorarbeit verbundenes Klavierkonzert. Ausgangspunkt war der gezielt herbeigeführte Fall eines Flügels von einer hohen Hallendecke. Der Pianist Nicholas Hodges bespielte dieses zerstörte Relikt, das bürgerlichste aller Instrumente. Sein Spiel, mittels Schnitttechnik bearbeitet, war als Video zu sehen und zu hören – Nicholas Hodges spielte dann live im Duo mit seinem Video, hinter beiden das Orchester, das nicht nur den Soundtrack zum Klaviersturz spielte. Auf einem weiteren Videoscreen war immer wieder der Flügelsturz zu sehen, ebenfalls rhythmisch geschnitten – in Geschwindigkeiten variierend. Humor auch hier, doch zugleich Kontraste des Alten und Neuen, Intakten und Zerstörten, konventionellen und gebrochenen Klavierklangs.

Ein weiteres Lob gebührt einer noch jüngeren Generation, in diesem Falle nicht Komponierenden sondern ausübenden Musikerinnen und Musikern, den Mitgliedern des Jugendensembles für Neue Musik des Landesmusikrates NRW (Studio Musikfabrik) unter der Leitung von Peter Veale, deren präzise und professionelle Interpretation der Konzertinstallation von François Sarhan fortgeschrittene Studierende vermuten ließ, doch die Musikerinnen und Musiker waren meist noch keine zwanzig!

Die diesjährige NOWJazz Session stand unter dem Motto „The same is (not) the same“. Sieben Trompeter und vier Vokalperformer waren zu hören. Das von Mazen Kerbaj neu ins Leben gerufene ARIHA-Trumpet Ensemble glich einem atmenden Großorganismus, das Zusammenspiel war geprägt vom Ensemblegedanken, von offenen Ohren der sechs Trompeter und einer Trompeterin. Gemeinsam energetisch gestaltete Klangbänder wechselten mit subtil heraustretenden Kleinbesetzungen auf gemeinsamer Basis des inzwischen vielfältig und von jedem einzelnen individuell verfeinerten Geräuschspiels – mit kleinen Irritationen in Form von konventioneller Tongestaltung, Tönen, Akkordbrechungen, Motiven.

Mit billigem Elektronikbreitwandsound in relativ wenig differenzierter Abstufung arbeiteten leider die vier Stimmperformer um Jaap Blonk. Zudem präsentierten sich die vier erst in kurzen, selbstdarstellerisch anmutenden Soloperformances, um dann lediglich knappe zehn Minuten im Quartett zu agieren – ohne Elektronik, entlarvend.

2017 wird der künstlerische Leiter der Donaueschinger Musiktage, Armin Köhler, offiziell in Pension gehen. Wichtig war es ihm, schon jetzt einen Nachfolger zu bestimmen, damit dieser genug Vorbereitungszeit habe, sein eigenes Profil zu entwickeln. Der bisherigen Tradition, einen SWR-Mitarbeiter zu bestellen, wurde auch diesmal gefolgt. Die Wahl fiel auf Björn Gottstein, der seit 2013 als Redakteur für neue Musik beim SWR in Stuttgart arbeitet und als Journalist wie als Veranstalter stets neuesten Entwicklungen der zeitgenössischen Musik, nicht nur der Komponierendenszene nachspürt.

2016, so bleibt zu hoffen, wird Armin Köhler seine letzte Ausgabe der Donaueschinger Musiktage besuchen können, in diesem Jahr konnte er die Konzerte aufgrund einer ernsthaften Erkrankung nur im Radio mitverfolgen.

Nina Polaschegg

http://www.swr.de/swr2/festivals/donaueschingen