. und alle Toten starben friedlich von Wolfgang R. Kubizek

Im heutigen Ö1-Zeitton wird das Oratorium “. und alle Toten starben friedlich” (Musik: Wolfgang R. Kubizek / Text: Vladimir Vertlib) präsentiert.  Der Gesamtmitschnitt des 2007 auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen uraufgeführten Werks für Soli, Chor und Orchester ist auch auf Doppel-CD erhältlich. Es thematisiert den Umgang heutiger Menschen mit der immer noch nicht bewältigten Vergangenheit und stellt damit einen bemerkenswerten Versuch zeitgemäßen Erinnerns dar.

“[: Ich träumte :], dass es keinen Krieg gegeben hat. Und alle Toten starben friedlich.
Kein Denkmal mit der Aufschrift ,Unseren Helden’, kein ,LSK’ mit Pfeil an alten Wänden, kein Kameradschaftsbund mit Stammtisch und Trompeten, kein Trauerflor und keine alten Männer, die nach Jahrzehnten nun ihr Schweigen brechen. Kein nagendes Gewissen, keine Schuld die immer ungesühnt geblieben ist. (.) Wo das KZ Mauthausen stand, ist heut’ ein Cineplex mit allem, was  dazugehört. Mit Laser werden Lichtspiele hinauf zum Himmel projiziert, und in der Disco wird nicht nur getanzt. Vorm Saaleingang zum Horrorfilm stehen die Menschen Schlange. Sie trinken Bier und essen Wurst mit scharfem Senf und Kren. Im Möbelhaus ist Winterschlussverkauf, die Shops sind bald leer geräumt, und nur im Kiosk gibt’s noch alte Ansichtskarten und im Buchladen nebenan Biographien zum halben Preis.”

So eindrucksvoll beginnt der vielschichtige und brillante Text von Vladimir Vertlib mit dem Traum der Hauptperson, eines jungen Mädchens. Kubizeks musikalischer Tonfall konterkariert ihn unaufgeregt und doch eindringlich mit einem Dialog zwischen Singstimme (Eva Klampfer) und Jazztrompete (Martin Ohrwalder). Mauthausen – so stellt sich bald heraus – lässt sich aber nicht wegträumen. Nehmen wir an, das Mädchen hat – wie viele andere in unsere – das Lager mit ihrer Schulklasse besucht. Oder besuchen müssen. Der Chor repräsentiert die Leiden der Steine schleppenden Häftlinge. Der Dialog mit der Vergangenheit setzt ein Aber was hat das Mädchen, was haben wir denn mit dieser Vergangenheit noch zu tun? Wie sollen wir mit der moralischen Verantwortung, mit Schuld und Scham fertig werden? Was fangen wir mit der Geschichte an?

 

Weitere Stimmen entfalten den österreichischen Diskurs: Eine Antisemitin, ein pseudorevolutionärer ehemaliger 68er, die empörte und angewiderte Tochter eines Shoah-Überlebenden, der Sohn eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten. Aber entscheidend sind die Stimmen der Opfer und Zeugen. In ihren Antworten geben sie dem Mädchen, das nach der Wahrheit sucht, den Weg nicht vor, sie bieten keine Lehren an, sie trösten nicht. Aber sie sind da, ihre Berichte, ihre Erfahrungen sind zum Greifen da . Man muss die Stimmen der Opfer hören, um zu wissen was geschah und Schlüsse für die Zukunft ziehen zu können
Lässt sich dies musikalisch überhaupt bewältigen? Nein. Aber Kubizek versucht es mehr als achtbar – mit einem stiloffenen, genreübergreifenden Mix aus Jazzwurzeln (auch eigenen) und Rekurs auf gute Traditionen von auch agitatorisch wirken wollender, emotioneller, dennoch anspruchsvoller Musik des 20. Jahrhunderts – Willi Zobl und Hanns Eisler lassen grüßen, Schönbergs “Überlebender aus Warschau”, der Atem Bartoks  . Die auf Fasslichkeit angelegte Musik rührt an, ist im besten Sinn uneitel und frei von jedem unnötigen Pathos, hervorragend instrumentiert,  zuweilen auch mit kunstvollen kontrapunktischen Nebenstimmen bedacht, aber niemals auf blendenden Effekt aus.

Mit Engagement waren die Solisten (neben Eva Klampfer Andrea Wögerer und Johann Leutgeb sowie Gerald Kraxberger an der Klarinette) sowie Chor und Orchester, überwiegend aus Studenten der Linzer Bruckner-Privatuniversität zusammengesetzt, bei der Sache – die musikalische Leitung hatte Christoph Cech inne. Der Erwerb der CD sei nachdrücklich und wärmstens empfohlen. Sie kann über den untenstehenden Link bestellt werden.

 

Uns bleibt, 2008 wiederum mit einem Bedenk-, Gedanken- oder wie es auch immer heißt -Jahr konfrontiert, der Diskurs über die Rolle der Musik und der MusikerInnen angesichts (und das zwingt zur Stellungnahme) steigendem Alltagsrassismus, Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus, neuen (Islam) und alten Feindbildern, einem teils zynischen Diskurs humanitärer Probleme (Bleiberecht) selbst in “seriösen” Medien – von etlichen auch an der Spitze des Staates stehenden Politikern nicht zu reden, immer noch einsprachigen Ortstafeln,  EU-Phobie und beschämenden Reaktionen auf das neue, einst gerade hierzulande verklärend herbeigesehnte “Mitteleuropa”, dessen Grenzen sich endlich noch mehr geöffnet haben .
In einem in den nächsten Tagen erscheinenden mica-Interview mit Wolfgang R. Kubizek soll dieser Diskurs bewusst mit ihm begonnen werden – er hat sich (siehe seine Werkliste und Bio) nicht zum ersten Mal diesen Fragen engagiert künstlerisch gestellt. Er sollte aber nicht bei ihm und seinesgleichen aufhören. Wehret den Anfängen!
Heinz Rögl

CD-Präsentationen:

06. Februar 2008, 23:05 Uhr: ORF Ö1 – Zeit-Ton

. 31. März 2008, 16:00 Uhr: Palais Epstein, Wien
. 03. April 2008, 19:30 Uhr: Jüdisches Kulturinstitut Salzburg
. 08. Mai 2008, 19:30 Uhr: Musilhaus, Klagenfurt
. 17. Mai 2008, 19:00 Uhr: Besucherzentrum Mauthausen
. 19. Mai 2008, 18:00 Uhr: Mozarteum Salzburg