Totgesagte leben am längsten – Der Big Band Club Dornbirn im mica-Interview

Als sich 1968 ein paar unentwegte Jazzfanatiker im Land auf Vereinsbasis zum Big Band Club Dornbirn fanden, da ahnte noch niemand, dass dieses kühne Unterfangen  über 45 Jahre bis heute halten würde. Der Club ging aus einer Gruppe ehemaliger Militärmusiker hervor, die in der dortigen Big Band unter Franz Reiter Blut geleckt hatten und nun als erste Formation dieser Art im Land drei Jahre zuvor ein „Tanz- und Unterhaltungsorchester“ unter Leitung des Lustenauer Blasmusik-Kapellmeisters Toni Huber ins Leben riefen. Die Bekanntheit dieser Band stieg so rasch, dass die nebenberuflichen Anforderungen mit vielen Auftrittsterminen für Huber bald zu groß wurden und er seinen Ausstieg vorbereitete.

Um die Band zu erhalten, gründete man 1968 einen Verein, eben den Big Band Club Dornbirn, abgekürzt BBCD, bei dem der junge Trompeter Peter Schweizer das musikalische Kommando, Posaunist Ferdinand Scharnagl die Obmannstelle übernahm. Damit war allerdings auch ein genereller stilistischer Richtungswechsel verbunden, der in der bewegten Geschichte der Band bereits zur ersten Glaubenskrise unter den Mitgliedern auf der Suche nach ihrer eigenen Identität führte. Manche plädierten für die Beibehaltung der gewinn- und erfolgsträchtigen Kommerzschiene in Form von Ballveranstaltungen mit Tanz- und Schlagermusik, Peter Schweizer dagegen, der nach einem US-Aufenthalt bei seiner Schwester in New York damals als einziger wusste, wie Big Band Jazz wirklich funktioniert und das auch bereits in eigenen Kompositionen und Arrangements demonstrierte, verlangte vehement die Ausrichtung als reines Jazzorchester nach amerikanischen Vorbildern eines Count Basie, Duke Ellington oder Glenn Miller.

Dieser Interessenskonflikt führte dazu, dass der Club bereits 1970 zum allgemeinen Bedauern ein Abschiedskonzert in Bludenz gab und von jungen Musikern ruhend erhalten wurde, bis man sich 1973 auf die Jazzrichtung geeinigt hatte. Und nicht einmal der frühe und tragische Tod ihres Gründers und Bandleaders Peter Schweizer 1987 vermochte die Band wirklich aus der Bahn zu werfen. Mit einem „Jetzt-erst-recht“-Gefühl wurde ein Schweizer-Gedenkkonzert veranstaltet und dabei Paul Böckle als neuer Bandleader präsentiert, der das bisherige Swing-Repertoire der Band über 20 Jahre lang mit teils auch eigenen rockigen und Latin-Titeln aufmischte.

Die BBCD-Bilanz in Zahlen liest sich beeindruckend: Unzählige Konzerte im Land, darunter regelmäßig in der Propstei St. Gerold, und dem benachbarten Ausland  steigerten das Ansehen der mit ihren 45 Jahren heute ältesten Big Band Vorarlbergs, Hunderte von Musikern haben hier eine Art Intensivkurs im Big-Band-Spiel absolviert. KULTUR-Mitarbeiter Fritz Jurmann, Autor dieses Beitrages, hat als U-Musik-Chef im ORF-Studio Vorarlberg ab 1968 die Geschichte dieser Band hautnah miterlebt und war für sie ein wichtiger Förderer. Gemeinsam mit Tonmeister Fritz Stroppa entstanden rund einhundert Rundfunkproduktionen mit der Band, die ersten noch im legendären Schloßbräu-Saal. Diese Aufnahmen wurden in Radiosendungen vorgestellt und die besten davon 1976 auf der ersten LP „Swingin‘ Ländle“ veröffentlicht, wo auch Bassist Rolf Aberer mit Titeln für die Sängerin Gerty Sedlmayr vertreten war.

Details dazu im folgenden Gespräch mit Urgestein Gerd Hämmerle (68), Bankdirektor i. R., Trompeter der ersten Stunde und bis heute Kassier des Vereins, und Josef Eberle (58), dem früheren erfolgreichen Leiter des Musikvereins Dornbirn-Rohrbach und heutigen Direktor der Musikmittelschule Dornbirn-Bergmannstraße, der seit 2007 den Club als musikalischer Leiter führt.

– Ein Zahntechniker wird Jazzfachmann –

Wie war die Stimmung damals 1968 an der Schnittstelle von Toni Huber zu Peter Schweizer?

Gerd Hämmerle: Peter hat seine ersten Arrangements geschrieben, nach dem Gehör von Woody Herman oder Count Basie-Aufnahmen, weil es damals ja nichts Gedrucktes davon gab, Toni aber hat lieber Egerländer-Musik gespielt, und wir sind natürlich erbost gewesen. Peter war Autodidakt, hat sich aber mit Hilfe vieler amerikanischer Bücher zu einem tollen Arrangeur entwickelt und war damals wirklich der einzige Fachmann im Land auf diesem Gebiet. In einer Großstadt hätte er davon leben können, da waren solche Leute gefragt, hier hat er das neben seinem Beruf als Zahntechniker machen müssen.

Euer Club war stets eine wichtige Ausbildungsstätte für junge Jazzmusiker und gab auch wesentlichen Anstoß für die Gründung eines Jazzseminars?

Gerd Hämmerle: Rolf Aberer und Benny Gleeson kamen damals als „Studierte“ von der Swiss Jazz School Bern und wollten gerne an der Musikschule Dornbirn Jazz unterrichten, doch dem damaligen Direktor Wilhelm Stärk hat das gar nicht gefallen. Wir vom Big Band Club haben dann bei Kulturreferent Bohle interveniert, der uns auch ernst genommen hat. Das führte über erste Workshops zur Gründung des Dornbirner Jazzseminars, das nach ein paar Jahren bereits 400 Schüler hatte.

Josef Eberle: Wir haben auch in meiner Zeit mit jungen, meist toll ausgebildeten Leuten Veränderungen im Stammpersonal der Band vorgenommen, allerdings nur bei Bedarf und unter Wahrung der Kontinuität. Damit wird die Formation oft neu belebt und erhält neue Ideen, wie etwa durch den Posaunisten Thomas Gertner, der nach George Nussbaumer auch als Sänger tätig ist.
Warum nennt Ihr Euch eigentlich „Laien-Big-Band“, das klingt so nach blutigen Anfängern und stimmt mit Eurem Leistungsniveau total nicht überein?

Gerd Hämmerle:
Wir sind keine professionelle Band, die allein vom Musizieren lebt, aber sicher von semiprofessioneller Qualität. Manche von uns waren und sind heute Musiklehrer oder Musikstudenten, viele haben aber auch ganz „normale“ bürgerliche Berufe: Drummer Adi Baumgartner ist Bankangestellter, unser Hoch-Trompeter Markus Weiss ist technischer Angestellter, und beim Saxophonsatz haben drei beruflich überhaupt nichts mit Musik zu tun, sind Geschäftsführer oder Steuerberater.

– Musiker spielen ohne Gagen –

Aber es stimmt, dass bei Euch für die Musiker noch nie Honorare ausbezahlt wurden?

Josef Eberle: Leute in unserer Kategorie spielen heute meist zumindest auf Spesenersatz, und das ist natürlich beim Big Band Club überhaupt nicht der Fall. Wir alle, ohne Ausnahme, spielen ohne jedes Entgelt. Unsere Einnahmen gehen in die Anschaffung von Notenmaterial sowie in die Finanzierung des Probenwochenendes und von Ausflügen und Tourneen.

Gerd Hämmerle: Gagen gab es bei uns nur bei Bällen. Wir können aber heute unseren Spielbetrieb mit etwa fünf Konzerten pro Jahr auch ohne große Subventionen vom Land auf diese Weise locker aufrechterhalten.

Josef, wie bist Du als früherer Blasmusiker eigentlich zur Big Band-Musik gestoßen?

Josef Eberle: Das ist mir heute noch ein Rätsel, warum man ausgerechnet mich gefragt hat, ob ich als Leader nach Paul Böckle die Band übernehmen wolle, weil ich überhaupt nicht aus diesem Bereich komme. Ich habe aber als 18-Jähriger neben meiner Klassik-Ausbildung in dieser Band unter Schweizer kurzzeitig Trompete gespielt und später auch die SSC-Big Band im Schweizer Rheintal geleitet. Auch durch meine beiden Söhne, die Popular- und Jazzmusik studiert haben, heute im Jazzorchester Vorarlberg spielen und beruflich als Jazzmusiker an vorderster Front stehen, bin ich näher mit dieser Materie vertraut geworden.

Gerd Hämmerle: Es ging damals für uns nicht so sehr darum, einen absoluten Jazzfachmann zu finden, sondern jemanden, der konzentriert mit uns proben kann.

– Die Sehnsucht nach Klangfarben –

Ist es Dir nach sechs Jahren gelungen, dieser Band so etwas wie einen persönlichen Stempel aufzudrücken?

Josef Eberle: Ich möchte Musik möglichst individuell gestalten und auch mit jenem Sound, den ich mir vorstelle. Dazu gehören, im Vergleich etwa zu Paul Böckle, auch verschiedenste Farben als Erweiterung des traditionellen Klangs, etwa mit Flöte, Klarinette oder so wie heuer mit Bassklarinette. Dazu habe ich auch eine gewisse Struktur in die Probenarbeit gebracht und erreicht, dass pünktlich begonnen und konzentriert gearbeitet wird. Das war anfangs vielleicht eine Umstellung für manche, dass ich Disziplin schon bei den Proben einfordere und nicht erst beim Konzert. Mein Motto lautet, zugegeben nicht ganz demokratisch: Die Musiker dürfen das tun, was der Bandleader sagt, denn er hat die Verantwortung, auch wenn wir die Programmauswahl meist gemeinsam diskutieren. Es ist mir aber auch wichtig, dass mit mir zusammen Klaus Peter als Obmann die organisatorische Verantwortung für den Verein übernommen hat.

Wird man auch bei Eurem traditionellen JazzXmas Neues erwarten können?

Josef Eberle: Wir präsentieren dort immer das anspruchsvollste Programm des Jahres. Schon in der Vergangenheit gab es Adaptionen von Gulda oder Klassikern wie der „Fünften“ Beethoven. Heuer bringen wir als Besonderheit raffinierte Arrangements von Matthias Rüegg vom ehemaligen Vienna Art Orchestra, die freigegeben wurden, den „Wegweiser“ aus der „Winterreise“ von Schubert und die „Fledermaus“-Ouvertüre.

Wie sieht das Resümee von Urgestein Gerd Hämmerle nach 45 Jahren Big Band Club Dornbirn aus?

Gerd Hämmerle: Ich bin natürlich sehr glücklich darüber, dass es uns über alle inhaltlichen Krisen hinweg immer noch gibt. Es existiert sicher in ganz Europa heute kein Verein, der 45 Jahre lang auf ideeller Basis Big-Band-Musik auf einem aktuellen Stand pflegt so wie wir. Das ist super.
Fritz Jurmann

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im Dezember 2013 erschienen.

Quellenangabe: Fakten und Daten für diesen Beitrag sind der Homepage des Vereins, www.bigbandclub.at, entnommen

JazzXmas ‘13
Big Band Club Dornbirn
Thomas Gertner, Vocals; Josef Eberle, Leitung
Montag, 23. Dezember, 20.00 Uhr, Götzis, Kulturbühne AmBach

 

http://www.bigbandclub.at