Die Pforten des Mozartsaals im Wiener Konzerthaus sind geschlossen, doch öffnen sich akustisch nach dem Auftritt der vier Herren des Arditti Quartets – gänzlich in schwarz gekleidet – neue klangliche Türen: Es wird gekreischt, gejammert und geächzt. Mit dem Streichquartett Nr. 5(2006) von Brian Ferneyhough wird der Konzertabend des vorletzten Tages von Wien Modern eröffnet. Das renommierte, von Irvin Arditti angeführte Quartett scheut sich hierbei weder vor der musikalisch-hermeneutischen Diskussion über den Begriff ,,Komplexität“, welche nach dem ersten Stück von Bernhard Günther, dem künstlerischen Leiter von Wien Modern, auch mit Einbezug des Publikums moderiert wurde und ein zentrales Thema des Abends darstellte, noch vor einem gut eineinhalb Stunden langen Konzertprogramm und dessen akribisch genauer Notationen.
In Elliott Carters Gruppierungen des 3. Streichquartetts (1971) herrscht rhythmisches Ineinandergreifen und ein sich immer weiter tonal sowie rhythmisch vertiefender Klangapparat. Meisterhaft wird ein konstantes Lautstärkenverhältnis, ein Wechsel aus Forte-Plateau und unruhigen Glissando-Strichen, aus dem allmählich ein von Violinen getragenes, dissonantes Legato erwächst, geboten.
Mit den von Clemens Gadenstätter idiomatisch benannten Klängen seines Werkzyklus’ „paramyth 1–3“, bestehend aus den Teilen „häuten“ (2010-2011), „schlitzen“ (2012–2014), „reißen“ (2013–2016) geht es nach der Pause weiter. Das Publikum findet sich im Sog der immer bedrohlicheren Alarmsignale und des scheinbar endlosen freien Falls der Bogenstriche ganz gut zurecht. Vereinzelt wird jedoch, wohl angesichts der über weite Strecken herrschenden Dissonanz und Strukturfülle, der Saal verlassen. Der musikalische Fall in ungewohnte Klanggefilde wurde jedoch aufgefangen durch das souveräne, lockere und auch stellenweise witzige Auftreten von Arditti selbst: „I’ll be back!“ ruft er zu Beginn beinahe beiläufig ins Publikum, bevor er, ohne weitere Erklärung, kurz von der Bühne verschwindet und nach einer Minute wieder erscheint – ein Ausruf, der, neben einer Anspielung auf ein popkulturelles Filmzitat eines österreichischen Beitrags zur Popkultur wohl auch als Proklamation weitergedacht werden kann. Die langjährige Verbindung des Arditti Quartets mit Wien Modern soll weiterhin bestehen bleiben. Ein gelungener Konzertabend.
Lukas Brunner
Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.