„There are not enough women to book“ – 21 JAHRE FEMALE:PRESSURE

„There are not enough women to book“ steht auf dem Flyer der Auftaktveranstaltung zum RRRIOT Festival in Wien. Zur Eröffnung des Festivals wird gemeinsam mit der Konzertreihe BLISS auch das 21. Jubiläum von FEMALE:PRESSURE gefeiert – und eine treffendere Klammer könnte es gar nicht geben. Es ist bereits die nächste Generation an Queer-Feminist*innen am Start und FEMALE:PRESSURE hat immer noch einen wichtigen Einfluss auf und für die Protagonist*innen der elektronischen Musikszene.

Electric Indigo (c) Bernd Preiml

Wie oft mussten sich Electric Indigo aka Susanne Kirchmayr und ihre Kolleginnen wie z. B. Acid Maria und Eva Cazal Mitte der 90er-Jahre diesen Spruch anhören: „Wir wussten nicht, wen wir buchen sollen.“? Mitte November 2018 treffe ich Susanne Kirchmayer im Café Prückl und wir blicken auf 20 Jahre female:pressure zurück, bevor sie ihren Flieger nach Berlin erwischen muss. Im März 2018 erschien ihr Debütalbum „5 1 1 5 9 3“ und Electric Indigo ist als Liveperformerin, DJ, Kuratorin und Komponistin gefragter denn je. Nebenbei schupft sie nach wie vor den Hauptteil der Arbeit an der female:pressure-Datenbank und -Mailingliste und beteiligt sich an den diversen 20er-Partys und Panels und einem wichtigen Tool des umtriebigen Netzwerks, dem „Facts Survey“: Zahlen, Daten und Fakten zur Repräsentation weiblicher, Transgender-, nicht binärer Artists im Sichtbarkeitsfeld elektronischer Musikfestivals zeigen die Schieflage deutlicher als es so mancher und manchem lieb ist. Endlich – nach zwei Präsentationen – springen viele Medien, Blogs, Festivalkurator*innen und Partyveranstalter*innen auf und auf der anderen Seite melden sich neue Kolleg*innen bei female:pressure an.

Kirchmayr: „Die Reaktion der Umwelt hat mich einfach darauf aufmerksam gemacht, und zwar auf eine sehr penetrante Art und Weise, dass ich eine Frau bin. Das geht auch allen so, mit denen ich bis jetzt geredet habe, also alle Kolleginnen kennen den Spruch: ‚Für eine Frau echt gut!‘“

 

Cassy, Electric Indigo, Miss Kittin, Acid Maria (c) Miss Kittin

In der Nachbetrachtung über die Entstehung und den Niedergang der Technoszene in Berlin Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre erzählen Protagonist*innen davon, wie spontan, frei, neugierig, tanzwütig und musikbegeistert alle waren, Männer wie Frauen. Race, Class, Gender? Kein Thema, hieß es. Rockistisches Stardom? Gegessen. Gähn. Das DJ-Pult auf Augenhöhe mit der tanzenden crowd. „It’s all about the music und eine fette Anlage, Baby!“ Salopp gesagt, wurde „Friede, Freude, Eierkuchen“ ab Mitte der 90er abgelöst durch die Konkurrenz der Partycrews, durch das Aufkommen von Stars und Gesichtern, die auf einmal wieder das Bild des DJs als weißen jungen Mann determinierten. Für die Frauen verblieb die Zuschreibung „DJane“ und in den ersten Büchern zur DJ-Kultur finden sie meist keine Erwähnung. „DJ“ als Akronym verstecke das (biologische) Geschlecht, meint Kirchmayr. Viele die den Begriff „DJane“ benutzen würden, würden eigentlich etwas Richtiges tun wollen, nämlich gendern, und würden damit genau das Falsche tun, nämlich die Betonung des/der anderen, des Besonderen herausstreichen.

Zusammen sind wir stärker, Geschichte wird gemacht

Mitte der 90er schien alles irgendwie cool. Wir hatten Kim Gordon, Lydia Lunch, Kathleen Hanna, Sleater-Kinney und viele andere. Elektronische Musik spielte sich nach und nach in den Vordergrund, mit G3-Laptops jettete die Avantgarde durch die Welt. Die Überwindung des Rockmachismo, die Riot Grrrls, alles schien denkbar. Emanzen? Das sind die anderen. Die in Lila, die mit der leisen Gitarre – Achtung, Klischee! Ja, und wir hatten Laurie Anderson, Madonna und Björk. Zeitgeistmagazine brachten Titelstorys mit Electric Indigo am Cover á la „Männer haben Angst vor dieser Frau“ oder „The Future is Female!“ In der Diskurshauptstadt Hamburg tun sich zehn Kolleginnen zusammen und gründen Top Ten DJs, die einen regelmäßigen Club im Pudel bespielen, unter ihnen DJ Donna Neda, DJ Donna Maya, DJ Luka Skywalker, DJ T-Ina, Marga Glanz u. v. a, m. Musikerinnen und DJs beginnen, sich mit ihrer eigenen Rolle bzw. mit den Rollenklischees, die ihnen als Künstlerinnen immer wieder aufgedrückt werden, zu beschäftigen und Judith Butlers „Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter)“ findet den Weg auf die Nachtkästchen und in die Bücherregale.

Female Pressure, Susanne Kirchmayr (links unten), Christina Nemec (rechts oben) (c) open sounds presentation

Es läuft vieles falsch, wo sind die Frauen? Komplette Festival-Line-ups kommen ohne aus, egal ob im Indie-Bereich oder in der elektronischen Musik- bzw. Technoszene. Olympia-Washington, Hamburg, Berlin, Wien, München, Frankfurt – Leute, es muss was passieren, das Warten ist vorbei! Susanne Kirchmayr, die eine penible Arbeiterin ist, egal ob es ihre Musik, ihre DJ-Sets, neuerdings ihre Kompositionen betrifft, setzt der Unsichtbarkeit, der fehlenden Präsenz eine Datenbank für Frauen (mittlerweile erweitert durch queer, nicht binäre und Transgender-Acts) im Bereich elektronischer Musik entgegen, gemeinsam mit der Open-Source-Programmiererin Andrea Mayr: female:pressure.

Die Datenbank female:pressure listet ca. 2.000 Musiker*Innen, Komponist*innen, Produzent*innen, bildende Künstler*innen, Journalist*innen, Forscher*innen und Vermittler*innen aus über 70 Ländern im Bereich elektronischer Musik. Die dazugehörige Mailingliste mit circa 1.000 Mitgliedern ist das niederschwellige Netzwerktool, das Herz der Community, über das laufend Projekte geplant, Veröffentlichungen und Veranstaltungen angekündigt bzw. heikle politische Themen diskutiert werden. Heikel ist bei einem vielfältigen Netzwerk spontan einiges. Fragen wie: „Wer ist f:p?“, „Wer spricht für f:p?“, „Wer macht f:p-Radiosendungen?“, „Wer verwendet das Logo?“, „In welcher Sprache sprechen wir miteinander?“, „Wie adressieren wir einander als Mitglieder?“ und „Welche Initiativen unterstützen wir als f:p-Kollektiv?“ Ein Hauptteil der administrativen und inhaltlichen Arbeit verbleibt bei Kirchmayr, obwohl es die Überlegung gibt, die Verantwortung auf lange Sicht an die Kolleg*innen, die den Karren in einer kurzen Abwesenheit Kirchmayrs gezogen haben, weiterzugeben. Denn „Ausfälle von einzelnen Knotenpunkten sind verkraftbar“ und irgendwann müsse auch der Knoten Electric Indigo als Regulativ ersetzbar sein, betont Kirchmayr.

Facts-Survey-Mission: Idee, Diskussion, Kooperation, Realisierung

Generell: Wenn Frau es nicht selbst macht, wird es nicht passieren. Alles fußt auf Eigeninitiative und auf einer treibenden Kraft, bestenfalls mit ein bis  zwei Personen, die an der Realisierung mithelfen.“

Unter den unzähligen vielfältigen Aktivitäten, die female:pressure realisieren konnte, finden sich Jour-fixe-Treffen in mehreren Städten, eine CD-Compilation, eine DVD, ein Film, Compilations zur Unterstützung von politisch Gefangenen wie Pussy Riot oder den syrisch-kurdischen Frauen von Rojava sowie die Visibility-Kampagne (jeweils treibende Kraft AGFAntye Greie-Ripatti), das Perspectives-Festival in Berlin, diverse Blogs, Panels, Workshops, Radiosendungen, Podcasts und – am schlagkräftigsten – die Studie „Facts Survey“.

„Das Unschönste, aber Effizienteste, das wir je gemacht haben, und das ist genau das, wofür ein Netzwerk notwendig ist. Fürs Musikmachen brauchst du kein Netzwerk. Von der Wirkmächtigkeit her ist der ‚Facts Survey‘ am wichtigsten.“

Zwischen den Recherchen 2013 und 2017 ein kleiner Erfolg: „Vor 2015 war es unter zehn Prozent und jetzt haben wir beim Survey in den letzten fünf Jahren den Anteil verdoppelt. Es ist immer noch lächerlich wenig, aber wenn wir jetzt die Grünen wären, würden wir uns wahnsinnig freuen.“ 2017 liegen wir bei ca. 17 Prozent.

The female:pressure-Troublemakers sind schon am Start mit der Vorbereitung der nächsten harten Fakten, mit verfeinerten Untersuchungskriterien. Neben prozentuellem Anteil am Line-up wäre es  interessant zu wissen, wie der monetäre Kuchen verteilt wird, wobei wir hier an eine sehr heikle Grenze von Privatsphäre, Verhandlungsgeschick etc. schrammen. Bei manchen Festivals gilt es als (politisches) Prinzip, dass alle die gleiche Gage und Konditionen bekommen, das ist aber eher die Ausnahme. Was hingegen einfach untersucht werden kann, ist, woher das Geld stammt. Welche Förderungen der öffentlichen Hand stehen zur Verfügung? Wie setzt sich das Kurator*innen-Team zusammen, gibt es Statistiken zu den Besucher*innen-Zahlen?

Mindestens weitere „19einhalb for those who know“!

All dies wäre nicht möglich ohne die unermüdliche Arbeit von Susanne Kirchmayr und der Kollegin AGF, ohne die Berliner*innen, die neben der Radiosendung auch die Festivals Perspectives und Heroines of Sound organisieren, die Kolleg*innen, die den Podcast übernommen haben, die Kolleg*innen in Wien, die eine der female:pressure-Radiosendungen gestalten, die Kolleg*innen in Madrid, die das Festival She Makes Noise organisieren, die Kolleg*innen in Kanada und in Chicago, in Chile und, und, und. Das „Wir“ ist Behauptung, ist Selbstermächtigung, das „Wir“ ist immer gegen den konservativen Backlash, vor allem 2019. female:pressure hat in 20 Jahren als Datenbank, als Netzwerk, als niederschwellige Mailingliste Projekte gestemmt, weil es was zu tun gab und weil ein paar Kolleg*innen ausgeritten sind, Perspektiven der Realisierung zu schaffen. Wir sind alle mit allen Widersprüchen, an denen und mit denen wir arbeiten, und wir sind nicht allein, denn ähnliche Initiativen gibt es mittlerweile für Filmemacher*innen, Autor*innen, Drehbuchschreiber*innen, Architekt*innen u. v. m. und – wie eingangs erwähnt – die nächste Generation an Queer-Feminist*innen rund um Marlene Bürgerkurator Engel, Terese Terror, die Burschenschaft Hysteria und das Girls Rock Camp. RRRIOT!

Ohne die Unterstützung durch DJ Luka Skywalker von den Top Ten DJs aus Hamburg, ohne female:pressure und ohne Mo Loschelder aus Berlin hätte ich nie die Möglichkeit gehabt, so viele tolle und solidarische Kolleg*innen kennenzulernen. Danke!

Weiters einen großen Dank an die verstorbenen Kolleg*innen Tine Plesch und Meike Jansen. Wir vermissen euch!

Christina Nemec

 

Links:
female:pressure (Website)
female:pressure (Podcast)
female:pressure (Open Sounds)
female:pressure (Mixcloud)
female:pressure (Soundcloud)
Facts Survey 2017
Rrriot Festival

Literatur:
Roger Behrens, Martin Büsser, Johannes Ullmaier: testcard #8: Gender – Geschlechterverhältnisse im Pop. ventil verlag 1999.
Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp 1991.
Felix Denk, Sven von Thülen: Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende. Suhrkamp 2012.
Meike Jansen, Club Transmediale: Gendertronics – Der Körper in der elektronischen Musik, Suhrkamp 2005.
Ulf Poschardt: DJ Culture. Discjockeys und Popkultur. Rororo 1997.