Der Name der Band, The FeMale Jazz Art, transportiert zwei Dinge: Erstens, Frauen führen die Feder, zweitens, sie machen dabei Jazz. Das stimmt nur bedingt und wenn man sich ihr aktuelles Album „Auf nach Spitzbergen!“ genauer anschaut, muss man attestieren: Stimmt nicht. Das Duo Swantje Lampert (Saxophon) und Barbara Rektenwald (Klavier) erweitert sich nämlich regelmäßig und auch für diese CD zum Quartett. Die Komponenten sind männlich, heißen Peter Strutzenberger (Bass) und Andy Winkler (Schlagzeug). Doch sind sie nicht etwa nur commitment-lose Studiomusiker oder eingekaufte Live-Verstärkung, sondern tragen ihren Teil als echte Bandmitglieder auch in Form von Kompostionen bei. So auch bei „Auf nach Spitzbergen!“.
Eigentlich kein Jazz, keine Weltmusik, sondern Viennese International Sound
Der Albumtitel ist aber nicht einmal beim genauen Hinhören mehr als irreführend, verheißt er doch nordische Musik, klare Sparsamkeit, vertontes Walhalla oder etwas anderes Kühles. ‚Warm‘ wäre aber sicher die bessere Vokabel, wenn man sich auf ein einziges, unmissverständliches Attribut festlegen müsste. Da es aber schon ein wenig ausführlicher sein darf, hier weniger grob: Jazz im engen Sinne, bei dem man entweder an Standards in Swing oder Bebop denkt, wird hier nicht exerziert, ist nicht das richtige Etikett. Weltmusik wäre da schon besser, nur das ist ja auch wieder ein so indifferentes Label, das man auf alles pickt, was nicht so leicht in Schubladen zu ordnen ist. Vielmehr speist sich diese Platte aus Internationalität, hört sich auf keinen Fall „typisch österreichisch“ an, wenngleich Wien, wo das Quartett beheimatet ist, ja auch immer schon ein Schmelztiegel war und noch ist und auch das Herz eines ehemaligen Weltreiches.
Gleich die erste Nummer gibt eine wichtige Richtung vor: „Drei Araber in Bad Goisern“ verheißt Exotisches, genauer: Orientalisches, könnte aber genauso gut „Salonfieber“ heißen, klingt es doch wie die musikalische Erzählung einer ekstatische Nacht im Berlin der 20er-Jahre. Diesen Eindruck unterstützt Instrumentierung und Rhythmus, da Swantje Lampert auch gerne zur Melodika greift und Andy Winkler mit seinem Perkussionsarsenal dem Marsch ohne Snaredrum den Vorzug gibt. So klingt auch das Titelstück „Auf nach Spitzbergen!“ eher wie jüdische Unterhaltungsmusik in der frivolen Zwischenkriegszeit als wie der Soundtrack zu einer Nordlandfahrt.
Wie Musik zu einem Film, die einen die Bilder vergessen lässt
Soundtrack ist eigentlich ein wichtiges Stichwort: Das gesamte Album hat Filmmusikcharakter. Am meisten vielleicht das Stück „Leopoldi“, das wirkt wie die Klangkulisse zu einem Tim Burton-Remake von „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Ein bisschen Eisberge und Fjorde stürmen das Kopfkino vielleicht bei „Bean’s Waltz“, man spürt die Gemütlichkeit, die es eigentlich nur bei heißem Punsch an Deck eines Postschiffes geben kann, das gen Norden unterwegs ist. Jazziger im konventionellen Verständnis wird es beispielsweise bei der „Invention in Blue“, die wie eine entspeckte Jaques Loussier-Version einer Bachschen Fingerübung daherkommt. Genauso bei „It Takes Two to Tango“, wo man es überhaupt nicht erwarten würde. Wie ein R’n’B-instrumental von OutKast klingt dagegen „Old Ship“ und bekommt als einziges Stück auch eine – wenn auch nur gesprochene – Stimme. Gänzlich multikulturell präsentiert sich die Nummer „Am Brunnenmarkt“ als das, wofür sie steht. Hier vermischen sich arabische, afrikanisch und europäische Einflüsse, Abend- und Morgenland gehen Hand in Hand. Zwischen den eher lebhafteren Kompositionen finden sich auch eine Ballade der Art ‚Saxofon-PopJazz‘. Hier soll mit dem Schubladendenken natürlich humorig umgegangen werden, deshalb weniger stereotyp und dafür greifbarer: „Mon Poète“ lässt sich sowohl mit geschlossenen Augen im Club, aber auch auf einem Bärenfell vor dem offenen Kamin gut hören.
Welt- und Kulturenreise: Kol Simcha, Latin und die Klassiker
Als einzige Nicht-Eigenkomposition findet sich das „Gondellied“ von Felix Mendelssohn, ein Uptempo-Stück, das wie so manch anderes als eine Reverenz an die großartige Klezmer-Band Kol Simcha arrangiert ist. Und dass der Dreiviertel-Takt von The FeMale Jazz Art hochgeschätzt wird, ist auch kein Geheimnis. Besonders hervorzuheben ist hier „Fidelium“, das wie der Teil einer Beethovensonate beginnt und dann an Schostakowitsch berühmten Walzer aus seiner Jazzsuite erinnert. Rockiger geht es bei „Remember“ zu, bevor die Welt- und Kulturenreise zum Schluss sogar an so ziemlich das diametrale Gegenstück zum Nordkap führt. Das „Sonnenlied“ ist eine Latinnummer und klingt wie „Die unendliche Geschichte“, nur eben am Zuckerhut.
Prädikat: äußerst hörbar, egal ob konzentriert oder verträumt, im Konzertsaal oder beim Dinieren, in der Straßenbahn mit der schmerzenden Sehnsucht, irgendwo anders zu sein oder auf der Couch bzw. im Bett, mit dem Wunsch, auf immer liegen bleiben zu dürfen. Es fehlt eigentlich nur noch die Vinylversion. Für’s Knistern ohne Feuer.
Peter Mußler
http://www.thefemalejazzart.com