Tausend unterschiedliche Varianten – [DUNKELBUNT] im mica-Interview

ULF LINDEMANN, Soundtüftler und einer der Urväter der Electro-Swing- und Balkan-Beats-Bewegung, urlaubte in Spanien, als er von Petra Ortner zum Telefon-Interview über Musik, sein neues Album und seine Affinität zu Gewürzen und Gerüchen gebeten wurde.

Wie sind Sie auf den Künstlernamen [dunkelbunt] gekommen?

Ulf Lindemann: Muss ich das beantworten? Das ist so unspektakulär. Den Künstlernamen bekam ich durch einen Freund. Er benannte damals ein Mixtape so. Und so kam ich zu [dunkelbunt].

Wie und wann haben Sie begonnen, Musik zu machen?

Ulf Lindemann: Ich habe schon immer Musik gemacht. Früher mit der Familie, mit den Eltern und Geschwistern. Wir haben Klavier gespielt, immer sehr gern Musik gehört und auch viel gesungen. Später bin ich dann über Sachen, die ich gehört habe, in die elektronische Musikszene reingerutscht und wollte schließlich auch so etwas produzieren. Das war so mit 15, 16 Jahren. In Wien hatte ich dann eine sehr starke Richtungsänderung, also eine Horizonterweiterung. In der Zeit, in der das Breitbandinternet entstand und die Geschichte mit den illegalen Downloads ihren Höhepunkt erreichte. Ich hatte Zugriff auf viel Musik, von der ich vorher gar nichts wusste. Auch Wien als Standort war für mich ganz entscheidend. Hier stieß ich unter anderem auf die Balkan-Musik, die in Wien sehr stark vertreten war. Jedenfalls im Vergleich zu Hamburg, wo ich ursprünglich herkomme und von dieser Musik gar nichts mitbekommen habe. Wien hat meinen Horizont in dem Bereich geöffnet.

„Was in einer ganzen Vorlesung erzählt worden ist, kann ich in zehn Minuten lesen, wenn ich das richtige Buch in der Hand habe.“

Sie haben einige Zeit Jazz studiert. War das wichtig für Ihre Laufbahn?

Ulf Lindemann: Nein, gar nicht [lacht]. Ich habe das Studium eigentlich nur deshalb begonnen, weil ich Klavierunterricht haben wollte, ohne dafür bezahlen zu müssen. Die Aufnahmeprüfung an der Uni habe ich wider Erwarten geschafft. Ich war um die 25 oder 26 und begann ein 26- oder 28-Wochenstunden-Studium. Ich war so froh und stolz, dass es geklappt hat, dass ich dachte: „Ich muss jetzt auf jeden Fall studieren.“ Aber im Endeffekt habe ich es dann doch nicht durchgezogen. Eigentlich habe ich immer nur den Klavierunterricht besucht. Am Beginn des ersten Semesters war ich ein- oder zweial in einer Vorlesung. Ich hab mir vieles immer schneller „anlesen“ können und fand die Vorlesungen unheimlich langweilig, weil nichts weitergegangen ist. Was in einer ganzen Vorlesung erzählt worden ist, kann ich in zehn Minuten lesen, wenn ich das richtige Buch in der Hand habe. Viele Sachen, die dort geboten wurden, haben mich etwas enttäuscht. Es war alles in die Länge gezogen.

Wie arbeiten Sie an einem neuen Song? Wie beginnen Sie?

Ulf Lindemann: Da gibt es ungefähr tausend unterschiedliche Varianten, einen Song zu beginnen. Diese Frage bekomme ich ganz oft gestellt und kann sie immer am besten beantworten, wenn ich sie sicher nicht gestellt bekomme. Also dann, wenn gerade wieder etwas Neues entsteht. Da muss ich dann immer schmunzeln und an diese Frage denken [lacht]. Ich kann das jetzt wirklich nicht beantworten. Manchmal geistern Sachen schon jahrelang durch meinen Kopf. Da gibt es einen bestimmten Rhythmus, einen bestimmten Beat, der mich reizt. Oder eine Tonart. Es kann so beginnen, dass ich mit bestimmten Klangfarben etwas machen möchte. Oder eine Sprache, ein Synthesizer. Beim letzten Album war es zum Beispiel so, dass ich mit dem Banjo arbeiten wollte. Ich wollte dieses Instrument schon seit vielen Jahren featuren. Es gibt viele Rezepte, an Songs zu arbeiten.

Auf Ihren Alben hört man immer wieder unterschiedlichste Sprachen. Wie wichtig ist die Sprache für Sie, um Geschichten zu transportieren? Oder ist die Sprache sogar ein eigenes Instrument?

Ulf Lindemann: Da entwickle ich mich gerade erst. Ich habe sehr viel Musik gehört, von der ich nie ein Wort verstanden habe. Ich denke, ich verstehe die Sprachen in vielen der Songs, die ich anhöre, nicht, und finde sie trotzdem total spannend. Ich glaube, ich könnte mir auch vieles nicht ernsthaft anhören, wenn ich die Sprache verstehen würde. Manches wäre viel zu kitschig oder zu flach. Wenn ich jetzt selbst einen Text schreibe, was nicht so oft vorkommt, habe ich natürlich meinen eigenen Anspruch. Ich lese sehr viel und Literatur, Sprache mag ich schon sehr. Wenn ich mit Vokalistinnen und Vokalisten zusammenarbeite, gibt es so Phasen. Eine Zeit lang habe ich gar nicht darauf geachtet, was die da eigentlich sagen. Ob das cool ist oder nicht. Es sollte natürlich schon politisch korrekt sein, aber nicht so wie im Songwriter-Bereich, wo es hauptsächlich um die Texte geht. Jetzt achte ich schon ein wenig mehr als bei den ersten Alben darauf, aber es steht nicht an erster Stelle.

Ist dann manchmal also die Klangfarbe wichtiger als der Inhalt?

Ulf Lindemann: Ja, wenn man es so sieht, ist die Klangfarbe manchmal schon wichtiger. Deutschsprachige Musik kann ich mir recht wenig anhören. Da müssen die Texte wirklich cool sein. Es gibt Sachen, die würde ich mir gerne anhören, aber ich packe es nicht, weil die Texte einfach nicht gut sind. Beim Englischen gibt es das natürlich auch, aber es ist schon etwas anderes, weil es nicht die Muttersprache ist. Da bin ich dann nicht ganz so kritisch. Darum finde ich es auch cool, auf Englisch zu schreiben.

Gibt es ein bestimmtes Instrument, das Sie immer wieder gerne auf Ihren Alben verwenden?

Ulf Lindemann: Gute Frage. Nein, eigentlich nicht. Ich habe „Instrumente-Phasen“, würde ich sagen. Es ist ein wenig, als ob mich meine Tochter nach meiner Lieblingsfarbe fragen würde. Ich könnte ihr da immer nur antworten: „Ich habe keine einzelne, es sind immer Farbkombinationen.“ Das ist bei den Instrumenten, denke ich, auch so. Was ich sehr gerne und viel benutze, ist die Stimme. Da sie – wie auch Instrumente – sehr unterschiedlich ist. Es gibt hier eine große Bandbreite.

Auf Ihrem aktuellen Album „Mountain Jumper“ beschäftigen Sie sich mit US-amerikanischer Musik. Welche Richtung spricht Sie persönlich am meisten an? Country, Hillbilly, Bluegrass?

Ulf Lindemann: Mich sprechen einzelne Elemente an. Ich kann mir zum Beispiel Country, Hillbilly oder Bluegrass nur ganz kurz anhören. Mich nervt es meistens schon nach einem Song. Manchmal schon nach einem halben Song [lacht]. Das klingt jetzt krass und man erwartet vielleicht nicht, dass ich das jetzt sage, aber ich habe für mich nur die Teile extrahiert, die mich ansprechen. Diese ganz kleinen Elemente habe ich dann mit sehr vielen anderen Sachen angereichert. Ich kann Ihnen schon ein paar Gruppen nennen, die ich sehr cool finde und von denen ich mir auch ganze Alben anhöre, aber prinzipiell bin ich da sehr anstrengend. Früher fand ich auch diese ganze Balkanmusik total anstrengend. Oder arabische, türkische oder indische Musik. Klassik oder Jazz, da muss ich mich überall erst hineinhören, um mit der Zeit dann eine gewisse Liebe, eine Affinität zu entwickeln. Ich habe schon seit vielen Jahren immer wieder versucht, mich in den Country-Sound hineinzuhören. Da spielte im Hinterkopf immer wieder dieses Lied „Cotton Eye Joe“ eine Rolle. Dieser Kommerz-Hit, den es vor zwanzig Jahren gab. Dieses Lied hat mich auch lange Zeit davon abgehalten, im Studio mit einem Banjo zu arbeiten. Der Song war ja Nummer eins oder so, aber ich fand ihn damals schon sehr grenzwertig.

Der Song „NDW“ ist bereits vor 16 Jahren entstanden. Welcher Song auf dem Album ist der jüngste, der neueste?

Ulf Lindemann: Fast alle anderen Songs sind neu. Alle anderen Songs sind so zwischen Juni und November 2014 entstanden. Es ist eine Ausnahme, dass ich so eine alte Nummer wie „NDW“ mit auf das Album genommen habe. Sie haben mich ja am Beginn gefragt, wie die Songs entstünden. Ich kann ihnen jetzt eher die Frage, wie ein Album entsteht, beantworten. Bei mir ist es so, dass ich mir schon ein Gesamtkonzept überlege oder ich mir „zusammenhöre“, was zusammenpasst, und da können dann zum Beispiel Klangfarben von früher noch reinpassen.

„Mit der Zeit probierte ich immer mehr mit den Gewürzen und merkte, dass das eigentlich ganz ähnlich ist wie das Musizieren.“

Zur neuen CD haben Sie eine Coffee-Spice-Mischung kreiert. Wie sind Sie darauf gekommen? Kochen Sie gerne?

Ulf Lindemann: Ja, und wir kochen jeden Tag. Mindestens ein Mal. Im Urlaub gibt es auch jeden Tag frische Orangen. Von denen ziehe ich die Schale ab und trockne die in der Sonne. Der Geruch hat eine anregende Wirkung. Ja, und wie bin ich auf die Gewürze gekommen? Durch Wien, durch den Naschmarkt. Da habe ich viele der Gewürze, die es so gibt, entdeckt. Ich kaufte mir alle. Als ich noch in Hamburg lebte, habe ich nicht so viel gekocht und es gab bei mir nur die Standardgewürze. Der Naschmarkt hat mich fasziniert, denn ich hatte immer schon ein Faible für Farben und Gerüche. Die sind wie eine Schatzkiste, finde ich. Ja, und mit den gekauften Gewürzen habe ich dann einfach begonnen zu kochen. Mit der Zeit probierte ich immer mehr mit den Gewürzen und merkte, dass das eigentlich ganz ähnlich ist wie das Musizieren. Wie in einem Studio, wo man viele verschiedene Sachen anstellen kann. Am Anfang hatte ich noch Angst, die Gewürze zu benutzen, das legte sich mit der Übung aber.

Danke für das Gespräch.

Petra Ortner
Foto [dunkelbunt]: Julia Wesely

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