Streaming – Fluch oder Segen?

Tragen Spotify und andere Streamingdienste zur Verarmung der MusikerInnen bei? Oder sind sie vielleicht doch die Rettung einer dauerkränkelnden Branche?

Keine Frage: Streaming ist das neue Geschäftsmodell, von dem sich die Musikindustrie viel verspricht. Gleichzeitig wird die Liste der Musiker, die im Gefolge von Thom Yorke oder Taylor Swift ihre Songs vom Dienst abziehen, immer länger. Sie wollen sich nicht mehr ausbeuten lassen, so der Tenor. Dass mit einem Entgelt von monatlich 10 Euro für den Zugriff auf den gesamten Musikkatalog für sie nicht viel zu verdienen ist, liegt auf der Hand. Wie viel aber ist es tatsächlich? Und wer hat Recht? Taylor Swift oder Spotify?

Ein Streit ging durch alle Medien: Die derzeit erfolgreichste Musikerin der Welt, Taylor Swift, versagte dem derzeit erfolgreichste Musik-Streamingdienst Spotify ihre Unterstützung. Nach dem Erscheinen ihres von Publikum wie Kritik gleichermaßen gefeierten Albums „1989“ ließ sie sämtliche Lieder sperren.  Sie wolle ihre Werke nicht einem Experiment überlassen, bei dem Künstler nicht fair bezahlt würden, ließ sie ausrichten. Die Reaktionen darauf reichten von bewunderndem Zuspruch bis entgeistertem Kopfschütteln. Jedenfalls aber war man überrascht, dass gerade jemand wie Swift, der in der Vergangenheit wie kaum jemand anders von der Musikindustrie und ihrem System profitiert hat, sich plötzlich nicht mehr mit ihren Gesetzmäßigkeiten abfinden will. In Zeiten des allgegenwärtigen Mainstreams und seiner stromlinienförmigen ProtagonistInnen ist es ungewöhnlich geworden, sich gegen die Musikindustrie aufzulehnen. Während es früher noch in regelmäßigen Abständen zu medialen Auseinandersetzungen zwischen wirklichen Stars des Popgeschäfts  – man denke nur an Prince, George Michael und David Bowie – und ihren Managements bzw. Plattenfirmen kam, ist das Aufbegehren heute die Ausnahme.

Eine derart medienwirksame Schelte wie die einer Taylor Swift kann man dann natürlich auch nicht unkommentiert lassen. Und so konterte Spotify-Chef Daniel Ek, indem er ihr Argument, Musik solle nicht gratis sein, mit dem Gegenargument zu entkräften suchte, seine Firma habe seit ihrer Gründung immerhin zwei Milliarden Dollar an die Musikindustrie überwiesen. „Künstler ihres Formats“, so der smarte Schwede, „würden auch im kommenden Jahr fünf Millionen Dollar von seinem Dienst erhalten. Zwei Milliarden bislang, fünf Millionen jährlich, klingt nach einer ganzen Menge Geld. Aber kommt das Geld, so wie von Ek – zumindest im Ansatz – behauptet, auch tatsächlich bei den Künstlern an?

Schenkt man vielen Künstlern Glauben, die in den letzten Monaten ihren Unmut über die von Streaming-Diensten abgerechneten Summen öffentlich machten, wohl kaum. Denn Swift mag vielleicht die bislang erfolgreichste Musikerin sein, die Spotify nicht traut, die erste ist sie nicht, und die einzige schon gar nicht. Im Vorjahr zog Thom Yorke (Radiohead) die von ihm als Solo-Artist veröffentlichten Songs sowie die Songs des Radiohead-Albums „Atoms for Peace“ vom Streaming-Dienst zurück. Auch die Black Keys kann man nicht mehr auf Spotify hören. Und Adeles neues Album „25“, das, schenkt man den Prognosen der Fachleute Glauben, zu den erfolgreichsten der Jahre 2015/2016 zählen wird, wird nicht auf Spotify erhältlich sein. Aus Adeles Umfeld allerdings gab es keine Stellungnahme dazu, andererseits auch keine Hinweise, dass sie ihr Album auf einem anderen Streaming-Dienst anbieten würde.

599 Millionen Euro Umsatz: Wer profitiert?

Viel Geld sei also im Umlauf, heißt es. Aber wo, wenn nicht bei den KünstlerInnen, landet es? 2008 in Schweden als Start-Up gegründet, zählt das Unternehmen Spotify laut eigenen Angaben heute 12,5 Millionen zahlende NutzerInnen. Im wachsenden Streaming-Markt ist die schwedische Firma der dominierende Anbieter. Der jährliche Umsatz hat sich 2012 auf 590 Millionen Euro verdoppelt. Die Nutzerbasis ist auf mehr als 24 Millionen Kunden angewachsen. Der Dienst hat heute mehr als 20 Millionen Songs in seinem Katalog, auf den Nutzer aus 32 Ländern zugreifen können.

Liest man die Zahlen, die der britische Telegraph unlängst veröffentlichte, wird noch besser erkennbar, welche wirtschaftliche Kraft sich hier entfaltet: Die aus dem Streaming von Songtiteln bezogenen Tantiemen haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal die 1-Milliarden-Dollar-Grenze gesprengt. Das heißt also: Aus dem Streaming von Musiktiteln wird weltweit mittlerweile über 1 Milliarde Dollar eingenommen, wobei 487 Millionen, also der leicht geringere Anteil, auf legale Subskriptions-Services wie Spotify und Rhapsody entfällt, und der leicht größere Anteil von 550 Millionen auf freie Services wie Pandora. Auch bei Spotify hat man ja bekanntlich die Wahl: Wer die derzeit 10 Euro pro Monat für den Dienst nicht zahlen will, nimmt Werbeeinschaltungen in Kauf, die die Wiedergabe unterbrechen.
Gleichzeitig, so die Zahlen des Telegraph, fielen die aus Downloads lukrierten Summen um 4 Prozent auf 1,3 Milliarden Dollar. Das zeigt also auch, dass Streaming schon fast mit dem Download gleichgezogen hat. An dritter Stelle liegt der physische Tonträgerhandel mit nur noch 748 Millionen Dollar Umsatz.

Gehen wir nach Europa: In Spanien vermeldete der Wirtschaftsverband Promusicae für das erste Halbjahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Umsätze um 11 Prozent auf 70,6 Millionen Euro. Damit überstieg der Digitalanteil zum ersten Mal in der Geschichte den der physischen Verkäufe. Die Schlüsse, die die spanische Musikindustrie aus diesen Zahlen zieht, sind eindeutig: Sie bezeichnete in einer Presseaussendung Streaming, wobei damit sowohl werbefinanziertes Gratis-Streaming als auch kostenpflichtige Abo-Angebote gemeint sind, als „Segen“. Der Aufwärtstrend des vergangenen Jahres (2014 hatte die spanische Musikwirtschaft zum ersten Mal in dreizehn Jahren schwarze Zahlen geschrieben) habe sich fortgesetzt. Ein weiterer Schritt weg vom illegalen Musikhören und hin zum legalen Musikgenuss sei gesetzt worden, so Promusicae.
Sieht man sich die Zahlen etwas genauer an, ist man allerdings versucht, auf die Euphoriebremse zu treten, denn die jetzigen Zahlen liegen noch immer deutlich hinter den Gewinnen zurück, die vor der Krise eingefahren wurden, aber auch weltweit liegt der Wert des mit Musik verdienten Geldes bei etwa 7 Milliarden und damit immer noch bei nicht einmal der Hälfte jener 14,6 Miliarden, die im bislang stärksten Jahr (1999) und damit vor den Internet-bedingten Einbrüchen eingefahren wurden.

Streaming hat also zu einer gewissen Erholung der Branche, zu einer Stabilisierung der Zahlen beigetragen – das lässt sich nicht leugnen. Und der Anstieg an Streams hat der Musikindustrie dabei geholfen, die Abnahme an verkauften Download-Zahlen seit 2013 zu kompensieren. Wenn Millionen von Nutzern bereit sind, 10 Euro pro Monat zu bezahlen, die sich die Musik vorher aus kostenfreien Quellen besorgt haben, bleibe am Ende unter dem Strich ein Gewinn, so die Logik. Ähnlich argumentiert auch Spotify-Eigner Daniel Ek: Spotify vergüte die Künstler, wenn auch spärlich, während durch Piraterie kein Cent hereinkomme. Gäbe es keine Streaming-Dienste, so würden die Nutzer einfach illegal Musik runterladen. Außerdem bestehe ja die Chance, dass die Musik insgesamt mehr Verbreitung findet, was sich positiv auf den Verkauf von Konzertkarten, Mechandise-Artikeln etc. niederschlage.

Die gleiche Branche also, die vor fünfzehn Jahren monierte, jeder illegale Download komme der Branche als Einnahme abhanden, meint nun, fünfzehn Jahre später, jeder Stream ersetze einen illegalen. Wie simpel die Welt mitunter doch gestrickt ist. Aber ist dem tatsächlich so? Was bleibt den Labels? Was bleibt der Industrie? Was bleibt den MusikerInnen?

10 Dollar für 10.000 Streams

Wie viel ein Künstler mit seiner Musik auf Spotify verdient, hängt zunächst einmal davon ab, wie oft  er angehört wird. Der Umsatz, den Spotify monatlich macht, wird nach Abzug von ca. 30 %, die sich Spotify einbehält, anteilsmäßig auf die Vertragspartner aufgeteilt.

Spotify selbst gibt nun an, dass sich die ausgeschütteten Summen in etwa zwischen 0,6 und 0,84 Cent pro Stream eingependelt haben. Dem gegenüber geht die Website The Trichordist, die sich für eine faire Bezahlung von MusikerInnen einsetzt, von nur 0,5 Cent aus. Die Angaben von Spotify decken sich mit den Zahlen, die die Wirtschaftsprüfer von Ernest & Young im Auftrag der französischen Musikindustrie Syndicat National de l’édition Phonographique ermittelt haben. Der Großteil der Abo-Einnahmen, nämlich 73 Prozent (und damit sogar mehr, als Spotify selbst angibt), werde an die Labels ausgeschüttet, heißt es im Schlussbericht. Aber, und das ist die Crux: Gerade einmal 68 Cent pro 10 Euro-Monatsabo bekommen die MusikerInnen.

Im Detail sieht die Aufteilung so aus: Von zehn einbezahlen Euros bekommen die Plattenfirmen 4,56, der Streaming-Dienst 2,08. 1,67 Euro fallen an Steuern an. Bleiben 1 Euro für Songwriter und KomponistInnen und 0,68 Euro für die MusikerInnen. Da die Umsatzsteuer in Frankreich nur 16,9 Prozent beträgt, ist davon auszugehen, dass die in Deutschland (19 %) oder Österreich (20 %) den Urhebern und MusikerInnen verbleibenden Beträge noch einmal ein wenig darunter liegen.

Wie dem auch sei: Um 100 Euro zu lukrieren, muss ein Song sage und schreibe 24.000 Mal abgerufen werden. Wenn man dazu noch bedenkt, dass gegebenenfalls Verlag und Label auch einen Teil des Geldes erhalten, wird man sogar von einer erheblich höheren Abspielanzahl ausgehen müssen, die notwendig ist, um 100 Euro einzuspielen.

Wie viel höher wird deutlich, wenn man sich die Zahlen bekannter MusikerInnen und ihrer Spotify-Gewinne vergegenwärtigt, die in den letzten Monaten durch die Medien gingen: Bryan Adams etwa lancierte, dass er für einige Millionen Abrufe in den Jahren 2010 bis 2014 nur rund 2.500 Dollar erhalten habe. Ähnlich Geoff Barrow von Portishead: Für 34 Millionen (!) Streams hätten er bzw. seine Band nur 2.300 Euro an Tantiemen verdient.
Auch Pharrell Williams stieß ins gleiche Horn, als er sich darüber beschwerte, dass sein Welthit „Happy“ im letzten Jahr 43 Millionen Mal gestreamt worden war, er aber nur 2.700 Dollar dafür erhalten habe.
Und die Brooklyner Band Grizzly Bear beklagte sich via Twitter, für 10.000 Streams ihrer Songs via Spotify seien nur 10 Dollar abgerechnet worden.

Die Zahlen passen nicht ganz zusammen. Selbst wenn Adams, Barrow und Williams nur 40% der Tantiemen erhalten würden, d. h. 60 % an Verlag und Label gingen, müsste unterm Strich deutlich mehr raus schauen als die kolportierten 2.300 Euro. Und laut den seitens Spotify veröffentlichten Statistiken wären bei Grizzly Bear für 10.000 Streams zwischen 60 und 84 Dollar fällig gewesen.

Wir haben Siegfried Samer von der AKM befragt, warum der tatsächlich an die KünstlerInnen ausbezahlte Betrag (wie im Falle Portisheads oder Grizzly Bears) weit unter den von Spotify genannten Zahlen liegen kann.

Samer erklärt zunächst einmal, dass MusikerInnen, die „ihre“ Songs auch selbst geschrieben haben, zwei Tantiemeneinnahmequellen haben. Die eine sind ihre Tantiemen als Musiker bzw. als Musikerin aus Leistungsschutzrechten, bei denen es um die Aufnahme geht. Diese Tantiemen laufen bei „signed acts“ direkt über die Labels und hängen damit auch maßgeblich vom jeweiligen Vertrag des Musikers bzw. der Musiekrin mit seinem Label ab. Die andere Einnahmenquelle sind ihre Tantiemen als Urheber bzw. Urheberin (KomponistIn/TexterIn/Songwriter). Die Urhebertantiemen werden über die AKM und austro mechana abgerechnet. Samer erläutert zu den Urhebertantiemen im Gespräch mit mica – music austria: Es kann im Vorhinein keine Aussage darüber gemacht werden, welche Anzahl von Streams einen bestimmten Betrag an Lizenzentgelt ausmacht oder ab wie vielen Streams Tantiemen nicht nur abgerechnet, sondern auch gleich ausgeschüttet werden (Abrechnungsbeträge im geringfügigen Cent-Bereich verbleiben auf dem AKM– bzw. austro-mechana-Konto des Urhebers bzw. der Urheberin, bis die Ausschüttungsschwelle erreicht ist). Dass solche Aussagen im Vorhinein nicht möglich sind, liegt daran, dass die Einnahmen bei diesen Geschäftsmodellen stark fluktuieren – insbesondere aufgrund der AbonnentInnen-Anzahl bei Subscription-Modellen, die von Monat zu Monat unterschiedlich ausfallen kann, oder auch durch monatlich schwankende Werbeeinnahmen bei werbefinanzierten Diensten. Dadurch, aber auch, weil die UserInnen in einem Monat mehr Titel abrufen als im nächsten Monat, wodurch das eingenommene Abo-Entgelt bzw. die Werbeeinnahmen auf mehr oder weniger genutzte Musikwerke aufgeteilt werden muss, ist die fixe Zuordnung eines Betrags pro Stream nicht möglich.

Das aber heißt, die Höhe des Tantiemenaufkommens für einen bestimmten Titel, wird nicht nur durch die Häufigkeit des Abrufes dieses Titels bestimmt, sondern ergibt sich auch daraus, wie oft im selben Abrechnungszeitraum Titel anderer UrheberInnen gestreamt wurden. Ein besonders erfolgreicher Titel etwa, der in einem Abrechnungszeitraum sehr oft gestreamt wird, kann bewirken, dass für weniger populäre Titel in diesem Zeitraum weniger Tantiemen anfallen.

Der auf einen Titel entfallende Abrechnungsbetrag wird auf die an dem Werk Berechtigten aufgeteilt. Der bei der AKM statutarisch festgelegte Aufteilunsschlüssel bei originalverlegten Werken lautet: 1/3 Komponistenanteil, 1/3 Autorenanteil, bzw. bei Werken ohne Text 2/3 Komponistenanteil sowie 1/3 Verlegeranteil. Bei unverlegten Werken gibt es natürlich keinen Verlegeranteil.

Wir fassen zusammen: Wie viel der Urheber bzw. die Urheberin erhält, hängt also davon ab, wie oft gestreamt wurde, ob der Stream entgeltlich, d. h. per Abo bezahlt wurde oder gratis war, wie viele andere Titel im Abrechnungszeitraum liefen, wie erfolgreich diese Titel waren und ob das Werk verlegt ist und daher auch der Verlag seinen Tantiemenanteil erhält. Für die Tantiemeneinnahmen der MusikerInnen aus ihren Leistungsschutzrechten wird analoges gelten, wobei anstelle des Verlages gegebenenfalls das Label und die individuelle Ausgestaltung des Vertrages zwischen dem Musiker bzw. der Musikerin und dem Label tritt. Verdammt viele Wenn und Abers sind das, die es für den KünstlerInnen schwer möglich machen, ihre Abrechnungen nach klaren, nachvollziehbaren Parametern auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren.

Bei YouTube ist die genaue Berechnung sogar noch schwieriger. Eine Unternehmenssprecherin gab unlängst gegenüber den Medien Folgendes zu Protokoll: Aufgrund der Komplexität des Algorithmus, der entscheidet, welche Werbung bei welchem Video läuft, sei es schlicht und ergreifend unmöglich, einem YouTube-Abruf direkt einen bestimmten Geldbetrag zuzuweisen. D. h. für die genaue Höhe der auszuzahlenden Tantiemen sind Parameter ausschlaggebend, die letztlich auf Zufall beruhen. Transparenz lässt sich so freilich nicht erzielen. Auch hier sind Abrechnungen (innerhalb einer halbwegs plausiblen Schwankungsbreite freilich) schlichtweg unkontrollierbar.

Und noch eines wird deutlich: Noch schlechter als bei Spotfy zu verdienen, geht tatsächlich. Jüngsten Statistiken zufolge zahlt YouTube 0,0018 Dollar an die Plattenfirma, davon gehen nur 0,0003 Dollar an die Künstler. (Zur Erinnerung: Bei Spotify sind es gemäß Ernest & Young um die 0,007 Dollar als Mittelwert). Google Play zahlt etwa 0,0179 Dollar pro abgespieltem Song an die Plattenfirma aus. Davon aber landen nur 0,0073 Dollar beim Künstler. Wie die New York Times unlängst berichtete, will Apple immerhin 0,02 Dollar pro Stream zahlen. Schon besser, aber freilich immer noch zu wenig, um daraus einen eigenständigen Erwerbszweig zu machen.

Die Ausführungen legen nahe, was zu vermuten war: Das System Streaming begünstigt jene, die ohnehin schon weich gebettet sind, d. h. mit einem Hitalbum lässt sich via Spotfy noch einmal abkassieren, während es unbekanntere Acts im Schatten der Stars schwer haben, also verhältnismäßig wenig verdienen.

Besondere Brisanz erhalten die genannten Zahlen dann, wenn man die Einnahmen auf den US-amerikanischen Mindestlohn von derzeit 1.260 Dollar hochrechnet. Um auf diese Summe zu kommen, muss ein Song bei Google Play Music sage und schreibe 173.000 mal pro Monat abgespielt werden, bei YouTube sogar 4,2 Millionen Mal pro Monat. Wer die Zahlen von YouTube im Kopf hat weiß, dass das nur wirklich große Hits schaffen.

Streaming als Promotion-Tool?

Anhand der Statistik sieht man schön, warum es sich für Bands oder Musikprojekte, die nicht auf den Mainstreammarkt abzielen, kaum lohnt, auf diesen Streaming-Plattformen vorhanden zu sein. Die Beträge sind minimal. Es lässt sich natürlich einwenden, dass MusikerInnen 2015 längst mehr durch die Live-Darbietung ihrer Musik und den Verkauf von Merchandising-Artikeln verdienen. Und ähnlich sieht es auch Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck. Die Protestaktivitäten einer Taylor Swift  sieht er als reine Marketingaktion. Man müsse Streaming wie Radio betrachten, als reines Promotion-Werkzeug, so Tschmuck in einem Interview mit der Plattform irights.info. „Es hat sich in der Vergangenheit kein Künstler groß darum gekümmert, wie oft er im Radio gespielt wird.“ Gewiss sei es toll gewesen, wenn man einen Hit im Radio hatte und dann von den Verwertungsgesellschaften Tantiemen ausbezahlt bekam. Das aber sei nie im Fokus gestanden. Radio sei nun einmal immer Promotion für den Tonträgerverkauf gewesen.

Mag sein, aber wofür ist denn nun Streaming die Promo? Wohl kaum für den Tonträgerverkauf. Denn der ist so gut wie tot, und der Download befindet sich im gleichen Sinkflug, in dem sich der Tonträgerabsatz Anfang der 2000er-Jahre befand. Für das Live-Geschäft als einzig verbleibendem lukrativen Erwerbszweig? Vielleicht.

Was diese Sicht der Dinge aber jedenfalls übersieht, ist: Mit Radio lässt sich auch heute noch im Gegensatz zum Streaming richtig Geld verdienen. Nur ein Beispiel: Der Hit „Hallelujah“ von Alexandra Burke (X-Factor England Siegertitel 2008, Original von Leonhard Cohen) brachte für 4.400 Radioplays 550.000 Pfund aus Abspielvergütungen. Bei 4.400 Streamings wären es nur ein paar Pfund gewesen.

Gehört dem Streaming die Zukunft?

Wie sieht die Zukunft aus? 2013 wurden in den USA bereits 27 % der Digital-Umsätze mit Streaming gemacht. 2008 waren es noch 9 Prozent. In Deutschland sehen die Zahlen noch etwas anders aus. Gerade einmal zwölf Prozent der Befragten nutzen dort Streaming-Dienste. Im Vergleich dazu gaben rund 73 % der Befragten an regelmäßig Radio zu hören.
In der Schweiz wiederum hat Streaming 2014 laut der dortigen Phonoindustrie erst zu 14 % zum Gesamtumsatz der Branche beigetragen. Doch die aktuellen Wachstumsraten seien enorm, ließ die IFPI Schweiz vermelden. Für das Jahr 2015 rechne man mit einem Wachstum von 30%. Christian Wicky, CEO des Indie-Labels Irascible, verweist darauf, dass einige Bands durch Spotify mehr Hörer im Ausland als in der Schweiz hätten.
Der Promo-Effekt sei also beträchtlich.
Und: In Norwegen gaben 2009 noch rund 80 % der unter 30-Jährigen an, Musik illegal herunterzuladen – heute sind es nur noch vier Prozent. Gerade in hochindustrialisierten Ländern scheint Streaming also auf dem Vormarsch zu sein, den Download allmählich abzulösen und dazu beizutragen, den krisenbedingten Ausfall der Musikwirtschaft zu kompensieren. Vorerst aber hauptsächlich zu Gunsten der großen Musiklabels und Verlage, wie bereits gezeigt wurde.

Oder mit anderen Worten: Das Volumen stimmt. Nicht immer aber oder nicht in ausreichendem Ausmaß findet das Geld seinen Weg zu den MusikerInnen, sondern bleibt bei den Labels hängen. Vor allem für die Kunst aus der Nische scheinen die Verdienstmöglichkeiten bescheiden bis nicht vorhanden. Auch die Verteilungsgerechtigkeit kann man getrost als nicht gegeben bezeichnen.

Und obwohl Daniel Ek von Spotify in den Start-Up-fixierten USA als erfolgreicher Entrepreneur gefeiert wird, ist die Wahrheit auch, was die Gewinne von Spotify anbelangt, eine ganz andere als allgemein angenommen: Seit seinen ersten Tagen erwirtschaftet das Unternehmen Verluste (Kelli Richards, Spotify could go away overnight and no one could care). Im letzten Jahr betrug er fast 80 Millionen Dollar. Wenn Spotify eines Tages an die Börse will, könnten sich genau diese Verluste nachteilig auf die Bewertung auswirken, mutmaßen Experten. Viel wahrscheinlicher ist daher, dass Daniel Eks Lebenswerk irgendwann von einem der Großen geschluckt wird.

Die Angriffe von Apple seien bislang, schreibt Richards, zwar erfolgreich abgewehrt worden, doch selbst wenn Apple Spotify bislang keinen ernten Schaden zufügen konnte, habe die Konkurrenz von Apple aber auch amazon eines klar gemacht: Da befinden sich jetzt Unternehmen im Mitbewerb, die Verluste verkraften können, weil ihre wahre Wertschöpfung woanders passiert. Ein Unternehmen wie Apple, das unlängst in den Streaming-Markt einstieg, kann solche Verluste leichter wegstecken. Da geht es eher um einen Promo-Effekt, um eigene Hardware gewinnbringend an den Mann oder an die Frau zu bringen. MedienexpertInnen sagen daher Spotify keine große Zukunft voraus. Im Vergleich zu Google-Tochter YouTube mit einer Milliarde Nutzern und dem Apple Dienst iTunes mit 600 Millionen Nutzern ist Spotify auch relativ klein.

Neue Verträge braucht das Land

Streaming ist ein Massengeschäft, das bislang nur der Musikindustrie und den Mega-Stars nutzt. Je größer man als Act ist, desto mehr kann man auch damit verdienen, und desto eher kann man es sich auch leisten, darauf zu verzichten. Denn auf die Promo zu verzichten, fällt natürlich Arrivierten wie Taylor Swift, Thom Yorke, den Ärzten oder Herbert Grönemeyer leichter. Sie sind auf diesen Effekt, von dem Christian Wicky (siehe oben) spricht, wonach Streaming-Dienste gerade für Künstler aus kleinen Märkten ein wertvolles Tool sein können, um gerade auf anderen Märkten Aufmerksamkeit zu erzielen, nicht angewiesen. Sie sind bereits bekannt, und ein paar tausend Euro weniger oder mehr fällt bei ihren Gagen auch nicht weiter ins Gewicht. Für weniger bekannte Acts fragt sich sehr wohl, ob es sinnvoll ist. Die Absage stößt auf kein mediales Interesse und sie schneidet ein Promotion-Tool ab.

Damit das zusätzlich von der Musikindustrie eingenommene Geld auch bei den MusikerInnen ankommt, muss sich vor allem eines ändern: Die Verträge.
Durch die neuen Vertriebswege fällt ja viel an Arbeit, das die Plattenfirmen im klassischen Tonträgergeschäft zu erledigen hatten, weg. Die Erleichterungen, die die neuen Technologien und der damit verbundene Paradigmenwechsel mit sich brachten, wirken sich aber, wenn man auf den bestehenden Vertragsstrukturen beharrt, nicht auf die MusikerInnen aus.

Dass MusikerInnen heute noch Verträge haben, die aus Zeiten stammen, in denen vorwiegend analoge Platten produziert wurden, ist ein Anachronismus, über den man nicht nur laut nachdenken sollte, sondern den man beseitigen muss.

Das Geschäft, das mit alten Verträgen und neuen Diensten gemacht wird, sei unverhältnismäßig, schreibt dann auch der Musiker und nebenberuflich immer wieder als politischer Aktivist tätige Billy Bragg auf seiner Facebook-Seite. Darum sollten MusikerInnen ihre alten Verträge neu verhandeln. Recht hat er. Beteiligungen, die einst für den Arbeitsaufwand galten, die man für physische Tonträger oder danach die Zurverfügungstellung von Downloads leisten musste, treffen auf Streaming einfach nicht mehr zu. Mit anderen Verträgen, könnten MusikerInnen ein wenig mehr am Boom der Streaming-Dienste profitieren. Das große Geld werden aber auch bei geänderten Vertragsverhätnissen weiterhin nur die ganz Großen machen. So tickt das System einfach.

Dennoch: Die nationalen Interessenvertretungen sind gefordert, aber auch die KünstlerInnen selbst sind gefordert, ihre bestehenden Verträge anzupassen bzw. beim Neuverhandeln darauf zu achten, dass ihre Vergütung im Falle des Streamings eine andere ist als bei physischem Tonträgerverkauf und/oder Download.

Fair Digital Deals Declaration

Erster Lichtblick auf dem Weg zu einer fairen und zugleich leicht nachvollziehbaren Lizenzabrechnung ist die Fair Digital Deals Declaration: Am 2. Oktober 2015 wurde in Frankreich der WIN-Verhaltenscodex verabschiedet. In Anwesenheit der Kulturministerin unterzeichneten Vertreter der französischen Musikindustrie den vom Worldwide Independent Network (WIN) erstellten Verhaltenscodex. In ihren Plattenverträgen und Lizenzabrechnungen muss den Künstlern künftig demnach in klarer Form erklärt werden, wie sich ihr Anteil aus Download- und Streaming-Umsätzen zusammensetzt. Gleichzeitig will man die Informationsstandards heben und MusikerInnen darin unterstützen, gegen unerlaubte Verwendung in Streaming-Diensten vorzugehen.

Man wird sehen, ob derartige Initiativen, der Musikindustrie und ihren Begehrlichkeiten etwas entgegenzusetzen haben. Ob MusikerInnen vom System Streaming profitieren, wird jedenfalls ganz wesentlich davon abhängen. Denn ob wir es wollen oder nicht, wir werden uns damit abfinden müssen, dass Streaming im Vormarsch ist – mit allen positiven und negativen Auswirkungen für Musikindustrie bzw. Kreative.

Markus Deisenberger
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