„Es geht darum, musikalische Dialekte zu pflegen“ – STEFAN FRAUNBERGER im mica-Interview

STEFAN FRAUNBERGER verflüssigt in seinen Kompositionen sonische und geographische Grenzen. Die Erweiterung traditioneller musikalischer Sprachen und die Relationalität kultureller Lesarten stehen im Fokus des selbst deklarierten Klang-Hermeneutikers. Es ist vor allem der Nahe Osten, der das Interesse des Musikers fesselt. Nach längeren Aufenthalten in Städten wie Teheran, Aleppo, Istanbul und Sibiu schreibt Fraunberger den postkolonialen Diskurs in einer sehr persönlichen Gegen-Politik weiter. Dafür fügt er musikalische Architekturen neu zueinander und lässt regionale und kulturelle Codes ineinandergleiten.

Sein Post-Orientalismus ist wachsam, hört auf Zwischentöne und Intervalle und ist stets daran interessiert Fluchtlinien und Schnittmengen zwischen diversen musikalischen Praxen auszumachen. Er beschwört dialektische Bilder, die Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfallen lassen. Zentral bleiben dabei das Ausstellen von Verhältnissen und lebendigen Verbindungen und eine neugierige, aufmerksame Praxis, die darauf bedacht ist, hegemoniale Weltbilder zu irritieren und im besten Fall eine Transformation im Denken und Hören zu provozieren. Egal ob es minimalistische Drones sind, die der Musiker auf seiner Santur schwingen lässt; alte, verwitterte Orgeln, die klagend dissonant aufkeuchen; oder die schräg-ätherischen Töne der Bandformation Shrack!, immer geht es dem Musiker und Komponisten um die Neubefragung festgefahrener Hörgewohnheiten. Das Interview führte Shilla Strelka.

“Wie lässt sich eine musikalische Praxis der Ambiguität pflegen?”

Was auf ihrer Homepage sofort auffällt, ist die Liebe zu Worten, Neologismen, neu gewendeten Phrasen und die Vernetzung unterschiedlicher Felder und Sprachen: kultureller, geographischer und ästhetischer. Warum scheint es Ihnen notwendig, den Kontext Ihrer Praxis zu definieren bzw. das Feld, in dem Sie arbeiten abzustecken und gleichzeitig für Assoziationen offen zu halten?

Stefan Frauenberger: Da muss ich weit ausholen. Nachdem ich mit der Schule fertig war, bin ich nach Rumänien gezogen, um dort meinen Zivildienst zu machen. Das war für mich ein gewisses Austreten aus einem hegemonialen Weltbild, in dem ich mich vorher unhinterfragt befunden habe, auch musikalisch. Für mich war das Verlassen dieser vordergründigen Mechanismen augenöffnend. Die Art und Weise wie ich Musik zu betrachten begonnen habe, hat damit zu tun, dass ich mich in einem ganz anderen Kontext eingefunden habe, in anderen kulturellen Lesarten. Man hat auf der einen Seite Kunst, die sich als modern darstellt, so wir sie kennen und im Gegensatz dazu gibt es alles andere, bzw. das was ‘unzivilisiert’ ist, das was sich anders gebärdet, das was unverstanden ist und sich nicht darzustellen weiß.

Was meint es in diesem Kontext, wenn Sie sich selbst als Klanghermeneutiker und sonischer Linguist bezeichnen?

Stefan Frauenberger: Die gesamte europäische Kultur ist eine Kultur der Interpretation, der Exegese und auch sämtliche hochkulturelle und philologische Praxis ist immer eine Form der Hermeneutik, der Interpretation von Realitäten. Genauso verhält es sich in der Musik. Da handelt es sich um eine körperliche, emotionale Praxis des Interpretierens. Deshalb ist Musik auch immer sehr subtil und nicht vordergründig politisch. Es geht mir darum, die mehrdeutige Praxis der Wahrnehmung offen zu lassen. Klanghermeneutik bedeutet eine Lesart von Klang. Ich frage mich: Wie lässt sich eine musikalische Praxis der Ambiguität pflegen?

Hängt es von der Rezeption ab, wie Musik sich darstellt?

Stefan Frauenberger: Es wäre schön, wenn das so wäre, aber in der Praxis ist es nicht so. Da verhält es sich in der Musik wie in der Sprache: dass eine Hochsprache in sich abgrenzt und klare Mechanismen zur Limitierung schafft, die in sich ein Bewusstsein schaffen, das sich von einem anderen sprachlichen Bewusstsein abgrenzt. Die Tatsache dass etwas exotisch klingt, anderswo aber normal ist, sagt ja schon alles. Das gleiche ist der Fall, wenn eine Sprache, die ich nicht kenne, fremd klingt, obwohl sie ja nicht fremd klingen müsste. Denn wenn ich sie rein klanglich betrachte, dann hat sie nur einen klanglichen Inhalt. Aber Emotionen und Zustände sind etwas, das leicht einer Indoktrinierung anheimfällt. In einer Musik, die man kennt, fühlt man sich wohl. Natürlich versucht auch eine moderne Musikpraxis damit zu brechen, aber die Rezeption dessen dreht sich in einem hegemonialen Gefälle.

“Am Ende ist es eine musikalische Praxis, die zu etwas führt, das ich vertreten kann, und die aufgrund meiner persönlichen Geschichte einfach andere Vorzeichen hat.”

Ornamentrauschen - Heiliger verliert durch Zeit und Mensch Gesicht
© Stefan Fraunberger

In Ornamentrauschen stellt sich der Bezug zur arabischen Welt durch die Instrumentierung und die orientalische Skalen ein, die Sie anwenden. Wie komponieren Sie? Integrieren Sie bewusst spezifische Strukturen, Intonationen und Harmonien? Manifestiert sich hier auch ein Bezug zu den Orten, an denen Sie gelebt haben?

Stefan Frauenberger: Dieser Bezug stellt sich eigentlich gar nicht her. Das einzige was einen kulturellen Bezug hat, sind die Stimmungssysteme. Wenn ich den arabischen Maqam, ein spezielles Intonationssystem, bzw. persischen Dastgah auf der Santur anwende, dann ist das ein relationales System; ein Konzept, mit dem ich Zustände erzeugen kann. Das verwende ich aber wiederum überhaupt nicht so wie es eine arabische oder persische Tradition mir vorschreiben würde, sondern so wie es mir gerade einfällt. Am Ende ist es eine musikalische Praxis, die zu etwas führt, das ich vertreten kann und das aufgrund meiner persönlichen Geschichte einfach andere Vorzeichen hat.

Aber über die Musik selbst lässt sich oft wenig sagen, v.a. wenn man sie selbst macht. Man kann natürlich sagen, es gibt ein konzeptionelles Raster. Ich nehme zum Beispiel die Theorie von Safi ud-din ‘Urmawi aus dem Bagdad des 12. Jahrhundert. Safi ud-din ‘Urmawi hat eine Theorie über Intonationssysteme geschrieben, also über verschiedene Architekturen relationaler Systeme, die man in Zeit ausfassen kann. Er hat in Kreisen notiert. Diese Kreise sind relationale Systeme und als Abstraktum zeitlos. Diese Theorien sind im Übrigen auch Grundlage einer europäischen Musikpraxis.  Das Tonsystem hat im arabischen Nationaldenken eine lineare Begradigung erfahren, als man es logarithmisch in Vierteltöne geteilt hat. Genauso ist es in Europa passiert. Es steht also alles in einem geschichtlichen Kontext. Musikalische Architektur wird offensichtlich dort begradigt und normiert wo „politische Aufklärung“ im Bewusstsein auskristallisiert. Dieses Phänomen lässt sich jenseits des kulturellen Codes global feststellen.

“Wie denke ich in relationalen Systemen?”

Hat das auch mit den Instrumenten zu tun, die man spielt?

Stefan Frauenberger: Zum größten Teil nicht, weil sie ohne Bünde sind. Auf der Santur kann man verschiedene Intonationssysteme stimmen. Wenn eine eingestellt ist, sitzt man darauf fest, aber das tut ja die ganze tonale Struktur bei uns. Daher mache ich mir eigene Stimmungssysteme, Abstraktionen der Vorhandenen. Das kann man sich in etwa so vorstellen, wie wenn man sich ein eigenes Haus baut, in dem man wohnen kann. Der Unterschied: das Stimmungssystem läuft nicht Gefahr einzustürzen und wenn es das täte, käme keiner zu Schaden. Das ist jetzt alles sehr rationell gesprochen, im Endeffekt geht es mir aber um eine körperliche Praxis und nicht um eine vergeistige Praxis, die am Galgen des Rationalismus hängt, wie es die moderne Kunstmusik in Europa mitunter tut. Sie ist ein Opfer des Rationalismus und das tut weh und ist mitunter eine Folter.

Das heißt Sie improvisieren größtenteils oder komponieren Sie auch? Wie gehen Sie vor?

Gstättn drinnen
© Stefan Fraunberger

Stefan Frauenberger: Naja, ich würde sagen Improvisation ist eine Grundvoraussetzung, um komponieren zu können. Und darin erfährt man gewisse körperliche Zuständigkeiten, die man dann in eine Komposition weitertragen kann.

Es geht mir eher darum musikalische Dialekte zu schaffen und mich nicht so sehr an Hochsprachen zu orientieren. Nicht zu sagen, ich mache jetzt Neue Musik oder Volksmusik, Blues oder Pop oder ‘irgendwas Orientalisches’. Das ist ganz egal. Es geht darum Dialekte zu pflegen. Die kann man auch für sich entstehen lassen. Inwiefern so ein Dialekt dann nachvollziehbar ist, hängt auch vom Interpreten ab. Nicht jede/r kann jedes Stück spielen.

“Im Endeffekt geht es mir aber um eine körperliche Praxis und nicht um eine vergeistige Praxis, die am Galgen des Rationalismus hängt.”

Wie schätzen Sie Ihren unter Umständen exotisierenden Blick ein? Was ist der erste Schritt, wenn man Musik eines anderen Kulturkreises hört und diese integrieren bzw. seinem Vokabular hinzufügen möchte, jedoch ohne es als “das Andere” zu präsentieren? Wie funktioniert das?

Stefan Frauenberger: Indem es eine Normalität ist, würde ich sagen. Ich könnte z.B. auf eine afrikanische Musikform zurückgreifen, die ich in der Theorie studiere, mir anhöre und sie dann im Spiel verwenden. Das wäre quasi der konzeptualisierende Zugang, denn ich war nie dort. Ich habe zu einer afrikanischen Kultur keinen weiteren Zugang, als dass mir vielleicht gewisse Musikformen gefallen. Wenn ich sie so verwenden würde, dann wäre es ein Exotismus. Bei mir ist es aber so, dass eines zum anderen führt. Ich sag mal ganz salopp, dort wo man sich zu Hause fühlt, kann man auch frei arbeiten. Da kann man auch in die Tradition hineingehen und diese in eine Moderne hinein brechen. Es ist nicht so, dass etwas das vordergründig exotisch scheint, tatsächlich exotisch ist. Es hängt immer davon ab, wie eine Kultur das interpretiert, welche Hermeneutik dahinter steht.

Was sind Ihre Methoden den Vorwurf der hegemonialen Vereinnahmung gar nicht erst aufkommen zu lassen? Wie sieht das in der Praxis aus? Sie haben einige Zeit an Orten wie Teheran, Bukarest, Istanbul, gelebt und spielen die Santur, eine spezifische Form des Hackbretts. Vielleicht können Sie erzählen, welchen Einfluss das auf Ihre Arbeit hatte.

Stefan Frauenberger: Was ich erfahre, wenn ich anderswo bin, hat nur wenig mit dem zu tun, wie sich die Musik gestaltet. Auch Musik als räumlich-zeitliche Architektur betrachtet, hat nur sehr begrenzt mit einem Erfahrungshorizont zu tun. Natürlich hat es gleichzeitig aber schon damit zu tun, denn das, was ich imaginiere oder musikalisch als körperliche Praxis setze oder konzeptionell denke, hat natürlich immer auch mit dem, was ich weiß zu tun. Für den einen wirkt, was er nicht kennt, exotisch und für den anderen nicht. Da geht es um ein Neuvermischen der Vorzeichen. Es ist z.B. schon alleine die Verwendung einer arabischen Sprache hierzulande exotisch. Sieht man arabische Schriftzeichen oder hört man einen speziellen Klang, hat man aufgrund eines medialen Diskurses sofort gewisse Assoziationen, selbst wenn der Inhalt nichts mit alldem zu tun hat. Das sollte nicht so sein. Deswegen ist es ja auch exotisch die englische Sprache zu verwenden, wenn man deutsch spricht. Arabisch oder Persisch finde ich nicht mehr oder weniger exotisch.

Die Titel Ihrer Stücke sind immer auf Englisch, Arabisch und Persisch angeführt.

Stefan Frauenberger: Es geht darum, das in einen globalen Kontext zu setzen. Zudem kann man über gewisse Wortkonstruktionen im Arabischen ganz andere Assoziationsfelder aufmachen, als man es in einer eher rationell gedachten, westeuropäischen Sprache kennt. Es geht um Ambiguität. Der Inhalt ist sehr wichtig und steht nicht einfach da, weil es gerade einen medialen Diskurs darüber gibt. Das hätte ich vor acht Jahren genauso getan. Deswegen sage ich, es ist global gedacht und nicht in einer Zeitlichkeit, einer Befindlichkeit von Zeit und medialer Oberflächlichkeit. Es geht um meine persönliche Geschichte und dass ich mich von hier nach da bewegt habe.

“Es geht darum Dialekte zu pflegen. Die kann man auch für sich entstehen lassen.”

Das Donaufestival Krems hat Sie dieses Jahr für ein Auftragswerk engagiert. Können Sie ein paar Worte dazu sagen? Die Arbeit nennt sich Jenseits/Zwischenbereich. Was genau hat es damit auf sich?

Stefan Frauenberger: Ja, das Wort “barzakh” برزخ hat mich sehr viel beschäftigt. Es bezeichnet traditionell das Jenseits, aber auch den Zwischenbereich. Das Jenseits kann in dem Sinn auch einfach das Andere sein. Das würde ich jetzt nicht so traditionell-religiös interpretieren, sondern eher postmodern. Da geht es um den Zwischenbereich zum Anderen und eben nicht um die Blockade, die den Zwischenbereich verhindert. Das hat gleichzeitig sehr viel mit Vorstellung zu tun, mit Wahrnehmung und mit Körper. Diese Praxis der Wahrnehmung, die eine Form von Intervall ist, das beschäftigt mich sehr stark und in diesem Rahmen steht auch die Arbeit. Dann gibt es gleichzeitig Fieldrecordings, die teilweise an urbanen Plätzen entstanden sind, die es nicht mehr gibt. Wenn ich vor zehn Jahren in Aleppo etwas aufgenommen habe, dann ist anzunehmen, dass es diesen Platz in der Art und Weise nicht mehr gibt, deshalb auch eine Form des Jenseits darstellt, weil es im wahrsten Sinne des Wortes jenseitig ist. Was natürlich alles ist, was man aufnimmt, weil alles schon wieder vergangen ist, wenn man es wiedergibt.

Sie arbeiten auch in anderen Projekten mit Fieldrecordings, z.B.  in Ihrer Serie »realities / states / liminality موجودات | احوال | حدود «. Mir persönlich erscheint es schwierig, die Wirklichkeit auf diese Art nachzubauen. Wie sehen Sie das? Zum Teil verfremden Sie das Ergebnis, genauso finden sich aber auch Aufnahmen, die für sich selbst stehen wollen.

Stefan Frauenberger: Es geht um eine liminale Erfahrung von Wahrnehmung, deswegen heißt die angesprochene Serie auch ‘liminality’, weil man als Rezipient von Fieldrecordings immer an die Grenzen dessen kommt, was es sein sollte. Man setzt seine Begrenzung ganz woanders, wenn man es hört. Es geht eben nicht um einen Fotorealismus. Selbst wenn da ganz konkrete Sachen vorkommen, ist das abstrakt gedacht. So wie man jetzt meine Stimme hören kann, aber wenn man deutsch nicht verstehen würde, dann wäre es eine Aneinanderreihung von Konsonanten und man könnte sagen, das ist eine konzeptionelle Musik. Genauso ist es in den Fieldrecordings auch gedacht. Ich sehe es als eine musikalische Praxis, meine Ohren, wenn ich unterwegs bin, offen zu halten. Gerade bei den Fieldrecordings arbeite ich stark mit Kompressoren. Da bin ich ganz und gar nicht realistisch oder ethnographisch korrekt. Es sind akustische Ereignisse, selbst wenn etwas Konkretes drauf ist.

Eine Frage, die sich stellt ist, inwiefern man sich nicht ständig selbst mit dem Vorwurf belasten oder zumindest mitreflektieren muss, welche Konditionen bestimmte Klänge interessant machen. Wie kann man das neugierige Ohr von der Faszination am ‘Fremden’ befreien und muss man das überhaupt?

Stefan Frauenberger: Der postkoloniale Diskurs ist immer schwierig, sofern er nur theoretisch ist. Er muss mit Erfahrung zu tun haben, sonst funktioniert da irgendwas nicht. Natürlich kann man mir vorwerfen, dass ich Orientalismen bedienen würde, schon alleine deswegen, weil ich vordergründig Orientalistik studiert habe. Da muss ich zu meiner Verteidigung aber sagen, dass ich einen Reflexionsgrad demgegenüber mitbringe. Was ich betreibe, ist eher post-orientalistisch und Orientalismus ist das, was im medialen Gegenwartsdiskurs passiert. Da dreht sich ein europäischer Diskurs über den Mittleren Osten im Kreis, der an Blödheit seinesgleichen sucht. Da klage ich wirklich an. Das ist schwerster Orientalismus und das ist gefährlich.

Man spürt, dass Sie eine politische Agenda vertreten, aber was vermag die Musik in dieser Vermittlungspolitik zu leisten? Musik kann Gefühle und Bilder provozieren, aber kann sie wirklich politisch sein, ohne dass sie Worte verwendet oder den Referenzrahmen gesteckt bekommt?

Stefan Frauenberger: Muss sie eben nicht. Trotzdem steht sie sofort in einem kulturellen Rahmen. Das tut sie immer gleich. und da braucht man auch keine Angst davor haben und den Rahmen setzt jeder so wie er will.

Fühlen Sie sich als Vermittler?

Stefan Frauenberger: Verantwortung ist auf jeden Fall im Spiel. Ich weiß aber nicht, ob ich die übernehme oder übernehmen kann und die meisten Leute, die glauben diese Verantwortung übernehmen zu müssen, führen sich meiner Meinung nach auch ziemlich widerwärtig auf. Ich mag diesen Zugang nicht. Natürlich steckt eine Verantwortung dahinter, die ich aber nicht vordergründig ausspielen will. Weil ich persönlich auch gar nicht glaube, dass es hier einen Konflikt gibt. Der Konflikt ist ja eher so eine paranoide, Hollywood-Playstation-Fantasie, dieser vorgegaukelte Konflikt zwischen Orient und Okzident. Es gibt überall gescheite und dumme Leute. Es geht um die Möglichkeit ein Gegenüber wahrzunehmen und nicht nur schwarz/weiß zu denken, auch in der Musik.

Sie haben Ihre Stücke auch schon im persischen Raum aufgeführt. Gibt es da Unterschiede in der Rezeption?

Stefan Frauenberger: Das ist eben das Spannende. Wenn ich im persischen Raum ein Konzert gebe, dann erwartet man in einem aufgeschlossenen Kunstumfeld, dass ich eine moderne europäische Spielart wiedergebe, aber das möchte nicht so unbedingt tun, weil das ja auch ein bisschen bedeutet, den Kolonialherren zu spielen. Genau deswegen setze ich mich mit regionalen Spielarten auseinander und stelle diese nicht als minderwertig dar, sondern ganz im Gegenteil geht es mir darum, Dingen die Größe zu geben, die sie für mich auch haben.

Würde das dort als experimentelle Musik verstanden oder als Neuinterpretation von traditioneller Musik?

Stefan Frauenberger: Naja es ist ein bisschen anders gewichtet. Dieser Gegensatz zwischen experimenteller Musik und Tradition besteht zwar schon, aber die Grenzen sind nicht so gesetzt wie bei uns. Abstrakte Musikformen finden an und für sich einen guten Anklang, weil es diese kulturell auch immer gab und man Tradition nicht so national-romantisch, sondern an und für sich abstrakt denkt, deshalb gibt es auch viel Offenheit.

© Stefan Fraunberger
© Stefan Fraunberger

Ich habe das Gefühl, dass es bei einem Großteil Ihrer Arbeiten um Passagen und Zwischenbereiche geht, um eine Bewegung und ein in-der-Schwebe-halten, sowohl was die Organisation der Klänge, aber auch was die klanglichen Eigenschaften der Instrumente selbst betrifft. Mikrotonalität, Spektraltöne, Obertöne, aber auch verstimmte Instrumente skizzieren hier einen Zwischenraum. Für die Reihe Quellgeister z.B. spüren Sie Kirchenorgeln an entlegenen Orten auf. Diese Orgeln waren der Witterung und dem Verfall ausgesetzt und bringen durch ihre Verstimmung/Verstimmtheit ein gewisses Charisma mit sich. Sie treffen nicht genau den Ton oder bringen gleich mehrere zum Schwingen und eröffnen ein Zeit-Raum-Kontinuum, das sich im Spiel selbst erst aktualisiert und nicht notiert werden kann. Was genau hat Sie daran interessiert?

Stefan Frauenberger: Das ist ganz natürlich gekommen, weil ich vor geraumer Zeit in Rumänien gelebt habe und die ersten Monate im Pfarrhaus einer alten sächsischen Kirchenburg gewohnt habe – mit etwas verstörenden, deutschen Traditionalisten. Da gab es einen Schlüssel zur Kirche. Ich habe also begonnen, mich mit dem Phänomen Kirchenorgel auseinanderzusetzen. Da gab es Orgeln in der Gegend, die noch nie renoviert worden sind, die noch die Mechanik haben, die vor dreihundert Jahren gebaut wurde, spätes Barock. Es geht auch darum, dass das Instrument mit der Zeit gewisse Mängel annimmt, gewisse Probleme entwickelt, gewisse Sachen tut, die es nicht tun soll und genau das interessiert mich, an diesem Punkt kann man ansetzen. Hier kann man sozusagen im alten, kaputten eine Zukunft zu finden. Und das passiert auch spielerischen: zu schauen, wo klingt hier etwas; mit welchen Registern zusammen scheppern die Pfeifen so, dass im Gebälk irgendetwas rumort. Das finde ich interessant, auf das konzentriere ich mich dann, um mit ihm zu arbeiten. Diese formalen Grenzen muss man finden. Ich arbeite mit diesen organischen Mängeln und mit dem was die Zeit im Instrument bewirkt hat und das an einem Platz, den ich suspekt finde. Denn deutsche Kirchen in Rumänien sind für mich an und für sich sehr suspekt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind viele Volksdeutsche nach Deutschland in die „Moderne“ – nach „Modern Talking“ gezogen und diese Dörfer sind als solche übrig geblieben und werden jetzt zu einem Großteil von Roma, Sinti und auch von Rumänen bewohnt. Da ist eine ganz andere Dynamik und ganz offene Atmosphäre in den Dörfern. Ein verlassener Ort wird neu bewohnt, neu besiedelt, rekontextualisiert und das Gleiche mache ich auch. Ich beweine nicht, das Verlieren einer alten Tradition, sondern freue mich darüber, dass eine Transformation stattfindet. Genau das gleiche versuche ich auch damit zu machen.

Shilla Strelka

Donaufestival Krems, Samstag, 30. April, Klangraum Krems Minoritenkirche

 

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