Wirft man einen Blick auf die vielen Projekte (KAIKO, SWINGWAGON, MARAVICA, AMADEUS VÚLKAN), deren Teil die Sängerin und Komponistin INES KOLLERITSCH in den letzten Jahren war, erkennt man die große musikalische Breite, die diese Künstlerin abdeckt. Sie fühlt sich im Pop ebenso zu Hause wie auch im Jazz, in der lateinamerikanischen Musik, im Soul und im R ’n’ B. Anfang des Jahres veröffentlichte die Steirerin mit ihrem neuen Projekt LUCID KID die Debüt-EP „BLUE“. INES KOLLERITSCH im Interview mit Julia Philomena.
Du bist als Sängerin und Musikerin Teil von diversen Bandformationen, dein Soloprojekt LUCID KID gibt es seit drei Jahren. Welche Nummern, welche Inhalte begleiten dich seit Stunde eins?
Ines Kolleritsch: Über die Jahre hinweg habe ich eigentlich immer neue Musik komponiert und mich von vielen alten Songs getrennt. Eine Nummer gibt es aber noch im Repertoire. Sogar meine älteste, nämlich „2PROUD“. Ich werde die Geschichte nicht ganz los, obwohl sie nicht mehr aktuell ist. Es geht um eine Person, mit der ich lange gearbeitet und über die Jahre hinweg immer Probleme gehabt habe, weil der Stolz, dieser große Stolz im Weg gestanden ist. In diesem Lied geht es darum, dass ich oft die Erfahrung gemacht habe, dass Personen bei einer musikalischen Zusammenarbeit nicht über diesen Stolz springen konnten, nicht loslassen konnten, andere Meinungen und Zugänge nicht verstehen wollten.
„Ich habe mich selbst lange gesucht, meine Stimme, meine Position, mein Auftreten als Frau in der Musikwelt; da haben mir selbstbewusste, unabhängige Vorbilder sehr geholfen.“
Mit deinem Soloprojekt schreibst und komponierst du eigene Songs, coverst aber auch viele Musikerinnen. Mit welcher Intention?
Ines Kolleritsch: Die letzten Jahre habe ich mich viel mit Musik von Frauen* auseinandergesetzt, aber nicht weil mich die Musik von Männern nicht anspricht, sondern weil mich als Musikerin Musik von Frauen besonders inspiriert und berührt. Starke Sängerinnen zu hören hat mich gepackt, mir vielleicht selbst Mut gemacht. Ich habe mich selbst lange gesucht, meine Stimme, meine Position, mein Auftreten als Frau in der Musikwelt; da haben mir selbstbewusste, unabhängige Vorbilder sehr geholfen. Die Sängerin Somi hat mich zum Beispiel lange begleitet und fasziniert, weil sie eine Poetin ist und ihr Handwerk so beherrscht wie sonst niemand! Aber auch Little Simz und vor allem Norah Jones waren sehr wichtig. Norah Joneshat mich mit siebzehn Jahren eigentlich überhaupt zum Jazzgesang geführt.
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„Kampfgeist und Leidenschaft, das ist mir bald das Wichtigste geworden.“
Du hast mit achtzehn Jahren begonnen, an der Kunstuniversität Graz Jazzgesang zu studieren, dann aber nach vier Jahren kurz vor deinem Abschluss abgebrochen. Inwiefern hat dich die Erfahrung an der Uni geprägt?
Ines Kollertisch: Unmittelbar nach der Matura Jazzgesang zu studieren war nicht die schlauste Idee. Pädagogisch fand ich die Uni, besonders als sehr junges Mädchen, sehr schwierig, eigentlich unmöglich. Aber ich bereue die Entscheidung nicht, ich habe gleich im ersten Semester für mich beschlossen, auf jeden Fall Sängerin werden zu wollen und als Musikerin meinen Weg zu gehen. Aber das lag auch an meiner Lehrerin in der Schulzeit. Privat hatte ich schon vor der Uni Gesangsunterricht bei Anush Apoyan, einer Kämpfernatur durch und durch, die mich unglaublich gefördert und motiviert hat, eigentlich dazu überredet hat, die Aufnahmeprüfung für Jazzgesang zu probieren. Ich habe mir das lange nicht vorstellen können, Performerin zu werden. Da war die Erfahrung an der Uni schon ein Auslöser dafür, diese Entscheidung zu treffen. Kampfgeist und Leidenschaft, das ist mir bald das Wichtigste geworden.
„Ich habe von vorne bis hinten alles allein organisiert, weil ich nie darauf gewartet habe, dass jemand auf mich zukommt, dass mir jemand hilft.“
Äußert sich das vielleicht auch darin, dass du bislang für die Organisation jeder Konzerttour, jedes Bookings, eigentlich für das gesamte Management von dir und deinen Bandprojekten selbst verantwortlich bist?
Ines Kollertisch: Ja, auf jeden Fall! Unterstützung hatte ich in diesen Punkten nie und ich habe sie mir auch nie erwartet. Ich habe von vorne bis hinten alles allein organisiert, weil ich nie darauf gewartet habe, dass jemand auf mich zukommt, dass mir jemand hilft. Ich habe mittlerweile sehr viele Konzerte gespielt, in Österreich, in Deutschland, in Spanien etc. Aber neben der Uni als Vollzeitstudentin auch noch Vollzeitmusikerin zu sein ist der Wahnsinn, das geht sich einfach nicht aus.
Wie hat sich dein Zugang zur Musik im Laufe der Jahre verändert und entwickelt?
Ines Kolleritsch: Den akademischen, mathematischen Zugang zur Musik habe ich verloren. Beziehungsweise interessiert er mich nicht mehr. Ich gehe heute mehr nach Gefühl, nach einer Lust und Liebe heraus an die Musik heran. Früher war ich sehr konzeptuell, perfektionistisch. Ich wusste zwar nicht genau, was ich gemacht habe, aber das, was ich gemacht habe, musste perfekt sein. Ich habe mich sehr verausgabt, überarbeitet und meinen Körper und meine Gesundheit sehr verausgabt. In der Hinsicht hat sich mein Zugang komplett verändert, weil ich gelernt habe, auf mich aufzupassen, meinen Körper zu pflegen und meine Freiheit als Musikerin zu genießen.
Du hast ein Erasmus-Semester in Barcelona belegt. Was hast du rückblickend in Spanien gelernt?
Ines Kolleritsch: Barcelona war komplett chaotisch, ein Klischee, das bei mir gestimmt hat. Und ich war sehr dankbar, weil ich den lockeren, leichtfüßigen Zugang zur Musik aus Graz nicht kannte. Meine spanischen Professorinnen und Professoren hatten andere Spielregeln. Fehler waren kein Tabu, gezählt haben vor allem Leidenschaft und Intuition. In Graz wurde ich für meine Individualität verurteilt, in Barcelona wurde meine Individualität gefördert. Aber viel gelernt habe ich trotzdem in beiden Ländern. Kommunikation auf Augenhöhe zum Beispiel, das ist mir das größte Anliegen geworden. Mittlerweile weiß ich, dass ich nur mit Menschen arbeiten kann und möchte, denen Respekt genauso wichtig ist wie mir. Gutes Kommunizieren hat nichts mit Alter oder Geschlecht zu tun.
Du beschreibst dich selbst als genreübergreifende Künstlerin und singst in unterschiedlichen Sprachen. Seit deinem Erasmus-Semester hast du ein spanisch/kolumbianisches Trio. Gab’s die Liebe für andere Kulturen schon vor Barcelona?
Ines Kolleritsch: Fremdsprachen habe ich immer geliebt! Spanisch speziell hat mir gut gefallen, weil ich die Sängerin Concha Buika immer sehr mochte und generell die Tanz- und Musikkultur. In Barcelona habe ich mich außerdem in die Welt von argentinischer und kolumbianischer Volksmusik fallen lassen und in die Richtung dann vor Ort auch viel gemacht. Die Entstehung des Trios ist daher doppelt schön, weil in dem Kontext zum ersten Mal jemand auf mich zugekommen ist und nicht umgekehrt. Unser Gitarrist, Santiago Sandoval Correa, fand mich gut, wollte mit mir zusammen Musik machen und so hat das begonnen. Wir haben in Kolumbien eine Tour gespielt, jetzt seit Langem wieder zusammen in Wien, aber generell ist es natürlich leider ein bisschen schwierig, sich zu sehen, zusammen zu spielen, quer über die Länder verteilt.
„[…] in der Gruppe bin ich als Musikerin am glücklichsten.“
Neben dem Trio arbeitest du generell mit vielen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Beispielsweise mit dem Schlagzeuger Julian Berann und deiner Band LUCID KID, die im März 2019 ihre Debüt-EP herausgebracht hat. Welchen Stellenwert hat dabei dein Soloprojekt?
Ines Kolleritsch: Am allerliebsten arbeite ich mit anderen Menschen zusammen! Mir ist das Soloprojekt zwar nicht unwichtig, allein kann man manche Dinge gut verarbeiten und sich selbst anders herausfordern, aber in der Gruppe bin ich als Musikerin am glücklichsten. Und inhaltlich überschneiden sich die Themen bei meisten Projekten. Ungerechtigkeit und Überheblichkeit, damit werde ich mich immer beschäftigen. Momentan gibt es einen ganz neuen Song, „Mama“, den ich bald mit Julian Berann veröffentlichen werde. Da geht es um die Oberflächlichkeit und Objektivierung unserer Gesellschaft, sei es im Business oder privat, es ist schrecklich. Der Song liegt mir jetzt schon sehr am Herzen, weil das Thema nicht nur für mich, sondern leider generell immer aktuell ist.
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Mit welcher Haltung, mit welcher Einstellung gehst du in die unterschiedlichen Bandprojekte?
Ines Kolleritsch: Prinzipiell bin ich wirklich sehr offen für sehr vieles! Sei es experimentelles Theater, elektronische Musik oder Pop. Es gibt natürlich Musik, für die ich mich gar nicht begeistern kann, aber ich höre mir trotzdem gerne jede Idee an! Ich trete jedem Menschen ebenbürtig gegenüber, erwarte mir das umgekehrt auch, das ist wahrscheinlich die wichtigste Haltung, das wichtigste Thema für mich. Und Fairness. Da ich von der Musik lebe, kein anderes Einkommen habe, muss das Budget oder die Gage stimmen. In einem sozialen Kontext ist das was anders. Ich unterrichte zum Beispiel als Gesangslehrerin beim sozialen Musikinstitut DoReMi, das leistbaren Musikunterricht für geflüchtete Personen und sozial benachteiligte Menschen anbietet. Es wird hauptsächlich durch Spendengelder des Vereins „open piano for refugees“ finanziert, dadurch können die Lehrerinnen und Lehrer des Institutes bezahlt werden. Abgesehen davon erwarte ich mir in anderen Zusammenhängen, sofern prinzipiell Geld da ist, fair bezahlt zu werden. Unterbezahlte Jobs schaden im Endeffekt nämlich nicht nur mir, sondern der österreichischen Musikindustrie.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Ines Kolleritsch: Auch wenn das eigenständige Organisieren Spaß macht, wäre es schon schön, wenn früher oder später ein Management an meiner Musik Interesse fände. Ich weiß, dass Black Music, R ’n’ B und Neo-Soul in Österreich noch nicht wirklich zu Hause sind und deswegen nicht so leicht Anklang finden, aber ich strecke meine Fühler in alle Richtungen aus. Ich bin offen, neugierig und voller Vorfreude, spannende, neue und hoffentlich liebevolle Menschen zu treffen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Julia Philomena
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