„So gab es nur den Moment. Das war es.” – KRUDER & DORFMEISTER im mica-Interview

Die Neunziger in Wien waren ein Goldenes Zeitalter. Und KRUDER & DORFMEISTER waren seine Helden. So ähnlich klingt es zumindest, wenn manche Menschen, die damals dabei waren, über diese Zeit reden. Wien war ein Eldorado für elektronische Musik. Für PETER KRUDER und RICHARD DORFMEISTER ging alles besonders schnell. Nach vier fulminanten „G-Stoned“-Tracks hatten sie 1995 ihr erstes Album aufgenommen. Aber die digitalen Bänder gingen zwischen Paketen, Rauchwaren und Kilometern von Fax-Nachrichten irgendwie unter. Ein Vierteljahrhundert später tauchten sie wieder auf.

Es gab eine Wolke, in der alle alten Tapes verschwunden sind. Was heißt das?

Richard Dorfmeister: Wir waren den Rauchwaren nicht abgeneigt. Das war Teil der Kultur, des Alters. Es war auch Inspiration.

Peter Kruder: Wir haben in einem kleinen Wohnzimmer in Wien angefangen. Diese Operation ist jeden Tag größer geworden. Und irgendwann waren wir 350 Tage im Jahr unterwegs. Wir haben durchs Spielen kaum noch arbeiten können. Wir waren auch nicht so mobil. Einen Atari Sampler hast du nicht transportieren können. Die Idee für dieses Album ist in dieser Wolke und diesem Trubel untergegangen.

Wer hatte wirklich Dubplates vom Album?

Richard Dorfmeister: Es waren Testpressungen. Die haben wir für uns zum Auflegen gemacht. Ein paar haben wir vergeben.

Peter Kruder: DJ DSL hat zwei bekommen, Werner Geier zwei. DSL hat seine Platten in Wien gelagert, sein Bruder ist ausgezogen, da weiß man nicht, wo sie sind. Und nachdem Werner uns verlassen hat, ist das irgendwo hin. Vielleicht werden sie irgendwann auf Discogs um viel Geld auftauchen. [beide lachen]

Richard Dorfmeister: Wir haben noch zwei. Die anderen sind vollkommen fraglich. Es ging nicht darum, wo sie sind. Es fühlt sich richtig an, das rauszubringen. Diese Tracks funktionieren immer noch in sich.

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Habt ihr alles wiedergefunden?

Peter Kruder: Wir haben alles analog gemacht. Die Samples sind vom Computer ins Mischpult gegangen. Das haben wir aufgenommen. Aber die Aufnahmen auf DATs haben altersbedingt Dropouts. Von manchen Tracks gibt es eine einzige Version, von anderen konnte man Teile austauschen, wieder andere gibt es in verschiedenen Mixes. Mal ist der Anfang gut, das Ende nicht. Man muss sich das vorstellen, wir haben Sachen gesampelt, aber direkt im Sampler bearbeitet, getunt, geschnitten. Die Samples haben wir auf den DATs nur so, wie wir sie aufgenommen haben. Das zu rekonstruieren macht keinen Sinn.

Richard Dorfmeister: Unser Equipment war relativ einfach. In jedem Profistudio hätten wir die einzelnen Spuren aufnehmen können. Haben wir aber nicht gemacht. So gab es nur den Moment. Das war es. Wir wollten die Tracks nicht ganz erneuern. Das Flair würde verloren gehen. Also haben wir uns entschlossen, die finalen Tracks zu überarbeiten.

Waren genau diese 14 Titel auf den Dubplates drauf?

Peter Kruder: Sechs sind drauf und ein paar andere Sachen. Die anderen Tracks haben wir auf den DATs gefunden.

Warum haben eure Tracks diesen psychedelischen Sog entwickelt?

Peter Kruder: Das das ist schwer zu erklären. Das ist ein Gefühl. Wenn du gut bist, kannst du es einfangen. Wenn du diese Zeit erlebt hast, in den 90ern unterwegs warst und dich für Musik interessiert hast … Musik hat damals genauso geklungen.

Richard Dorfmeister: Vocals waren ein Teil der Instrumente. Viel Vocals war eh nie unser Ding. Damals wollten wir mehr den Vibe einfangen.

Peter Kruder: Wir waren beeinflusst von Dub. In der klassischen Dubschule ist alles Sound. Ein Vocal trägt nichts zum Song bei, außer dass es in ein Delay gefetzt wird und dir um den Kopf herumfliegt. Das muss keiner singen. Die Sounds tragen dich weiter. In der Einfachheit liegt auch die größte Schwierigkeit. Du bist auf wenige Spuren reduziert, um das ganze Sound- und Frequenzspektrum auszufüllen. Tracks vollräumen, das geht schnell.

Bild Kruder & Dorfmeister
Kruder & Dorfmeister (c) Max Parovsky

Richard Dorfmeister: Überproduzieren oder ausdubben wäre nicht gut gewesen.

Peter Kruder: Deshalb bin ich ein Riesenfan von Kraftwerk. Da spielen ganz strikt nie mehr als drei Instrumente. Punkt. Du kannst dir das ganze Werk durchhören und wirst nie mehr als drei Instrumente und vielleicht eine Stimme hören. Die haben das extrem auf den Punkt gebracht.

„Wie simulieren wir no budget ein echtes Studio. Das war die Revolution.“ – Richard Dorfmeister

Richard Dorfmeister: Es ist unglaublich, was das für einen unfassbaren Einfluss auf die elektronische Musik, aber eigentlich auf alle Musik gehabt hat. Da war Deutschland vorn, die ganze kosmische Musik, Tangerine Dream, die Kombi aus elektronischen Instrumenten und anderen Einflüssen. Sie habe das vorweggenommen. Kraftwerk hatten sehr teures Equipment. Florian Schneider kam aus gutem Hause. Unser Equipment war nachträglich gesehen wirklich billig. Die Kunst war zu sagen, hey, wie simulieren wir no budget ein echtes Studio. Das war die Revolution.

Waren eure Sampler billig?

Peter Kruder: Die waren nicht billig. Mein erstes Studio-Equipment war ein Fostex-16-Spur-Mischpult, ein Akai-Sampler, ein DAT-Recorder, das wars. Ich habe mir das mit 20 Jahren gekauft und dafür einen Kredit über 130.000 Schilling aufgenommen. Das war unglaublich viel Geld damals.

Richard Dorfmeister: Damals war es viel … Hallelujah! Vom Investment war es aber auch relativ günstig. Für 130.000 Schilling wärst du 13 Tage in ein Studio gegangen.

Peter Kruder: Die finanzielle Hürde hat die Spreu vom Weizen getrennt. Man hat Musik wirklich machen wollen müssen, dass man sich so verschuldet. Das war schon ein Auto. Der Akai-S1100-Sampler hatte Studioqualität, den hat es in jedem Weltstudio gegeben. Und plötzlich hattest du den in deinem Wohnzimmer.

„So kam es zum Loopen mit kleinsten Teilen.“ – Richard Dorfmeister

Bild Kruder & Dorfmeister
Kruder & Dorfmeister (c) Max Parovsky

Richard Dorfmeister: In Studios gab es Musiker, einen Engineer, einen Drummer, man macht die Grundlage, dann kommen die anderen Teile auf Multitrack dazu. Wir hatten dagegen einen Sampler. Auch aus ökonomischen Gründen hatten wir wenig Sample-Zeit. Das waren zehn Sekunden. Wie bekommt man dann trotzdem ein ganzes Musikstück raus. So kam es zum Loopen mit kleinsten Teilen. Das war die Schule, aus der wir kommen. Es gab Tricks, du nimmst es schneller auf …

Peter Kruder: … tunst es runter und bekommst dann diesen crunchy Sound.

Richard Dorfmeister: Oder du nimmst einen Sound auf, der eine Sekunde dauert, legst Hall drauf und kannst damit wie auf einem Keyboard spielen.

Sind die „DJ Kicks” und die „K&D Sessions” auch so entstanden?

Peter Kruder: Wir haben Mixes auf DAT aufgenommen. Damit sind wir ins Studio, haben gedubbt und mit der ersten Version von Pro Tools geschnitten. Richard hatte eine Urversion.

Richard Dorfmeister: Pro Tools mit genug Speicher war für uns unerschwinglich. Ich hatte eine kleine Version auf Apple, die hieß Sessions 4. Es gab zwei Stereo-Spuren. Damit konnte man längere Parts übereinanderlegen. Das war damals Wow. Heute ist das nichts.

Peter Kruder: Das war superhilfreich. Wir haben gefiltert, für die Sessions Teile dazu gespielt und das in 4-Spuren übereinandergelegt. Wir hatten einen guten Flow.

Haben andere auch so gearbeitet?

Richard Dorfmeister: Die Artists mit Verträgen sind in ordentliche Studios, Portishead, Massive Attack, da wurde getrackt, es gab einen Engineer. Wir haben alles immer selber gemacht.

Peter Kruder: Wir haben alles selber erforscht. Für mich ist das Internet wie eine Universität. Es gibt unglaubliche Informationen übers Musikmachen.

Richard Dorfmeister: Das Mixing lernt man normalerweise wie ein Lehrling in einem Studio. Da schaust du dir das ab. Wir haben uns das Mixing selber gelernt.

Peter Kruder: Wir haben Platten gehört und festgestellt, ahja, das hat viel mehr Höhen, das hat mehr Bässe.

Gibt es Material, das ihr noch vermisst?

Peter Kruder: Das Arge ist, es gibt von den meisten Remixes noch drei, vier komplett andere Versionen. Man könnte die Sessions noch einmal machen.

Richard Dorfmeister: Wie wichtig das Gesamtpaket ist, merkt man an unserem Louis Taylor Remix, ein super Mix, der war nicht auf der Sessions und ist einfach verschwunden. Die Sessions sind im Rampenlicht. Es geht nicht nur ums Musikmachen. Das muss man eh können. Dann gehören ganz ganz viele Komponenten dazu.

Peter Kruder: Aber diese Platte stimmt jetzt. Es war in diesem Moment perfekt, um das zusammen zu packen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Stefan Niederwieser

 

„1995“ von Kruder & Dorfmeister ist soeben via Phat Penguin erschienen.

 

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