Üblicherweise steht das Covern am Beginn eines Songwriterdaseins. Die kreative Selbstaktivierung entzündet sich ja zumeist an jenem Zauber, dem man beim Hören des Lieblingssongs selbst unterliegt. Sich diesen anzueignen, ihn mit größtmöglicher Sorgfalt zu kopieren und ihn (den Zauber!) im eigenen Handwerk neuerlich zu entfachen, war wohl immer eine der großen Intentionen, die am Anfang musikalischer Karrieren stand. Das mimetische Abdecken („to cover sg.“) eines Songs lehrt demnach offenbar vieles über schreiberische Fertigkeiten und technisches Zusammenspiel, welche für ein erfülltes Bandleben notwendig sind.
Umso erstaunlicher daher, dass der bereits langjährig erprobte Wiener Liedermacher Pieter Gabriel („City of Last Things“) nun derartige Etüden an den Beginn seines jüngsten Projekts sleep sleep stellt. Ein kurzer Höreindruck allerdings kalmiert schon nach der ersten Schrecksekunde. Der begrifflichen Reichweite nämlich ist es zu verdanken, dass unter dem „Cover“ auch noch etwas Anderes verstanden werden kann: das Freilegen einer verdeckten Hörweise nämlich, das auf die Preisgabe jener ungeahnten Facetten und Texturen des Originals abzielt, die mit genügend kreativer Phantasie ableitbar sind. In dieser Herangehensweise verschiebt sich der Akzent von der ursprünglichen Fassung des Songs auf dessen nackten melodischen Gehalt, welcher nunmehr flexibel und von der Vorstellung des Urhebers unabhängig wird.
Allein die Auswahl auf „CVRS“ ist bereits bemerkenswert: Convertible, Smog, Michael Jackson, Mile Me Deaf und David Hasselhoff (!). Gabriel fühlt sich offenkundig keinem überholten Indie-Ethos verpflichtet, sondern rüttelt zuweilen recht unbekümmert am Watschenbaum subkultureller Redlichkeit. Anstatt den Nischen-Nimbus gefällig zur Schau zu tragen, testet er geschmackssicher auch die Qualitäten mutmaßlich verdorbener Konfektionsware. Jeder Track birgt dabei ein spezifisches Profil und wird entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse behandelt.
Das Motto „different strokes for different songs“ hält sich konsequent in Aneignung und Verwandlung des Liedguts durch: Opulent orchestrierte Originale etwa finden sich ihrer heimeligen Arrangements und auditiven Geschmacksverstärker entblößt; die zutage tretenden Essentialien werden unter quasi-experimentellen Bedingungen im Vakuum des Ambient gehalten, ohne jedoch letztlich den Tatbestand einer nüchternen Versuchsanordnung zu erfüllen. Schließlich geht es bloß um den besonderen Blickwinkel, den die Produktion des Originals verstellt und dem in der aushebelnden Interpretation eine entlarvende oder maskierende Belichtung zuteil wird.
Damit verbunden sind auch Infragestellungen des Songgefüges: Ursprüngliche Bestandteile der Komposition, welche die Wirkung vermeintlich schmälern oder dramaturgisches Potential hemmen, werden verkürzt, verworfen, verdreht. So faucht die skelettierte „Dirty Diana“ noch maliziöser aus den Boxen, das als „Teenage Spaceship“ titelgebende Vehikel beginnt im neuen Arrangement tatsächlich abzuheben und in „Looking for Freedom“ wird der an Traditionals geschulten Lyrik in einem kargen, neoamerikanischen Traum nachgespürt.
Aller Diversität der Stücke zum Trotz durchzieht das Minialbum eine vereinheitlichende Maserung aus dröhnendem Ambient und opaken Cinemascope-Collagen. Diese Settings, die den Songs als wummernde Hintergrundstrahlung eine luftige Kulisse einrichten, gehören ins charakteristische Repertoire von sleep sleep. Neben dem soundarchitektonischen Potential der amorphen Klangfläche geht es Gabriel auch um deren integratives Moment: das nebulös wabernde Kontinuum erlaubt die Verknüpfung von kompositorisch souveränen Stücken, die sich dadurch in einer einzigen, breitbildhaften Szenerie auffächern – eine Praxis, welche auch seine mit Tonspurparts aus Filmen angereicherten DJ-Mixes kennzeichnet.
Für kommenden Herbst ist daher Großes zu erwarten, wenn das Debütalbum mit vollständig eigenem Material auf Noiseappeal Records veröffentlicht werden wird. Die Unbekümmertheit, mit der auf „CVRS“ Popikonen und Nachwuchstalente auf Augenhöhe gebracht werden, die Selbstverständlichkeit, mit der vergessene Indie-Helden und trashige Schlagerstadl-Rocker in einer nobilitierenden Geste nebeneinander zu stehen kommen – all das verrät sleep sleep schon jetzt als allürenloses, berührungsfreudiges Aural Pop Cinema, aus dessen Surround System hoffentlich noch vieles flimmern wird.
David Weidinger
„CVRS“ ist seit 8. Juli hier als gratis Download erhältlich:
http://noiseappealrecords.bandcamp.com/album/sleep-sleep-cvrs