Festival- und Konzert-Line-Ups weisen seit langem einen Mangel an Gender-Diversität auf, und trotz der Tatsache, dass es ein allgemeines Bewusstsein für Diversität gibt, wird dieses Thema oft vernachlässigt. KARIN TONSERN, Gründerin des FLINTA*-Netzwerks Sisters of Music, hält heuer mit der ersten Ausgabe des SISTERS-FESTIVAL dagegen. Itta Francesca Ivellio-Vellin hat sich mit den Argumenten für und wider auseinander gesetzt.
Das Argument, das am öftesten gegen diversere Line-Ups verwendet wird, ist, dass es zu wenige (gute) FLINTA*-Musiker:innen gäbe, die auch bekannt genug sind, um Festivals und Konzerthallen zu füllen. Das ist allerdings nur bis zu einem gewissen Grad wahr. Fakt ist: Es gibt genügend hervorragende FLINTA*-Musiker:innen, um Festivals aller Genres zu besetzen, wie das Sisters–Festival, veranstaltet von Sisters of Music, zeigt. Das Ein-Tages-Festival in der Open Air Arena Wien findet am 7. Juli 2023 statt und beinhaltet ausschließlich FLINTA*- oder zumindest FLINTA*-fronted Bands.
COCOROSIE, zwei US-amerikanische Schwestern, bringen feministische und teils naiv anmutende Musik auf die Bühne, während die irische Musikerin AMY MONTGOMERY Grunge-Rock liefert und die heimischen Künstler*innen von DIVES ihren Surf-Garage-Pop spielen werden. Vor der Aftershow-Party mit MASHA DABELKA tritt auch das Ausnahmetalent AYGYUL auf, die ursprünglich aus Russland kommt, aber in Wien ihre Heimat gefunden hat.
Sisters of Music ist ein Netzwerk, das in erster Linie aus FLINTA*s besteht, die hinter der Bühne arbeiten: Techniker: innen, Veranstalter: innen, Stage Manager:innen und viele mehr. Deshalb besteht beim Sisters–Festival nicht nur das Line-Up aus FLINTA*-Musiker: innen, sondern die gesamte Crew rund ums Event kommt komplett ohne cis-Männer aus. Dies ist eine seltene Gelegenheit, zu zeigen, dass jegliche Argumente bezüglich eines angeblichen Mangels an FLINTA*s in der Musikszene keine Substanz haben.
Das altbekannte Problem der Finanzierung
Karin Tonsern, Gründerin von Sisters of Music und zum ersten Mal Veranstalterin, war bei der Organisation des Sisters-Festival mit einigen Herausforderungen konfrontiert: „Es war meine erste Booking-Erfahrung, und somit ein komplett neuer Lernprozess. Das größte Problem war allerdings die Finanzierung: Förderungsanfragen wurden meist abgelehnt, und der Ticketverkauf für ein neues Festival ist immer schwieriger, als bei einem bereits etablierten“. Es gibt auch viele Menschen, denen das Netzwerk noch gar nicht bekannt ist, sodass es mehr Erklärung und Werbung braucht – was wiederum finanziell nicht einfach zu bewältigen ist. Außerdem kaufen Besucher:innen Konzertkarten wesentlich kurzfristiger als früher. Schließlich spielt auch Covid noch immer eine Rolle: Viele Konzerte, die aufgrund der Pandemie verschoben werden mussten, werden zurzeit nachgeholt, wodurch der Markt ein wenig übersättigt ist.
Von allen Seiten kamen jedoch positives Feedback und viel Support für das SISTERS–Festival. Sehr wenige (cis)-Männer haben sich bedroht oder gar vom Festival diskriminiert gefühlt. Dabei ist genau das der springende Punkt: hier soll niemand diskriminiert oder benachteiligt werden. „FLINTA*-Rechte sind nun mal Menschenrecht“, meint Karin Tonsern, „und die gehen uns alle etwas an“. So lautet auch der Slogan von Sisters of Music: „Von Frauen* mit Frauen* für ALLE“.
Es ist wichtig, dass alle in der Musikbranche sich für mehr Gerechtigkeit und Diversität einsetzen, besonders cis-Männer, die oft die Machtpositionen innehaben. Das Ziel sollte sein, eine inklusive und diverse Musikszene zu schaffen, in der niemand diskriminiert oder benachteiligt wird.
Support von allen Seiten
Auf die Frage, ob sie denn viele cis-Männer als Besucher beim erwarte, erklärt Karin Tonsern nüchtern: „Natürlich rechnen wir mit einem sehr hohen FLINTA*-Besucher:innen Anteil. Aber am Ende des Tages ist es ein Musik-Festival mit einem tollen Line-Up, das verschiedenste Menschen anspricht, auch wenn tatsächlich einige Männer an mich herangetreten sind, um ihren Support auszusprechen und gleichzeitig ihr Bedauern kundzutun, dass sie nicht zum Festival dürfen – was ganz klar Quatsch ist. Alle sind willkommen!“
Es ist also interessant, dass, sobald es einen dezidierten Fokus auf Genderdiversität gibt, einige cis-Männer sich nicht bloß nicht angesprochen fühlen, sondern auch gar nicht willkommen. Die Frage, die sich hier aufdrängt, und so schwer zu beantworten ist, ist: Wie ist es möglich, tatkräftige Unterstützung und Support von cis-Männern zu bekommen?
Veränderung ist ein Prozess
FLINTA*-Festivals sind hier sicher nicht die Lösung, aber diesen Anspruch haben Sisters of Music mit ihrem Projekt auch gar nicht. Wichtig ist, ein Zeichen zu setzen, mehr Awareness zu schaffen, und den angeblichen Mangel an FLINTA*s in der Veranstaltungsszene und auf der Bühne als Lüge zu strafen. Zudem bieten Veranstaltungen wie das Sisters–Festival auch noch den Bonus, ein Safer Space für FLINTA*s zu sein – denn während es unzählige Events gibt, bei denen cis-Männer im Fokus stehen, gibt es kaum welche, die die Kreativität und Diversität von FLINTA*s präsentieren.
Das Festival bietet auch eine Möglichkeit, mehr über feministische Themen wie zum Beispiel Arbeitsrecht zu erfahren. Noch dazu gibt es eine Fotoausstellung über österreichische Pionierinnen und Kooperationen mit anderen feministischen Organisationen. Denn Kooperation und Vernetzung sind essenziell, um eine Veränderung herbeizurufen.
Zusätzlich gibt es ein Solidaritäts-Ticket, das Sisters-Ticket, das im Ticketladen erhältlich ist. Der Kauf eines solidarischen Sisters-Ticket ermöglicht einkommensschwachen FLINTA*s den Besuch des Festivals und unterstützt die Klient:innen der Wiener Beratungsstelle „FRAUEN beraten FRAUEN“. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Förderung der Gleichstellung und zur Unterstützung von FLINTA*s in schwierigen Lebenssituationen.
FLINTA*-Events wie das Sisters-Festival sind ein wichtiger Beitrag zur Sichtbarkeit und Stärkung von FLINTA*s in der Musikindustrie. Es ist jedoch auch ein Spiegelbild der Schwierigkeiten, mit denen FLINTA*-Netzwerke konfrontiert sind, insbesondere wenn sie versuchen, ein neues Festival zu organisieren. Die Förderung der Gleichstellung ist ein kontinuierlicher Prozess ist, der viel Engagement und Unterstützung erfordert.
Itta Francesca Ivellio-Vellin
Win tickets: mica – music austria verlost 1×2 Freikarten für das “Sisters Festival” am 07.07.2023 in der Arena Wien (Baumgasse 80, 1030 Wien). Bei Interesse bitte bis zum 30.06.2023 um eine E-Mail an office@musicaustria.at – Betreff: „Sisters Festival”.
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