Sich selbst etwas entgegenstellen – RADIAN im mica-Interview

Nach längerer Pause und einer Umbesetzung veröffentlicht die zwischen Avantgarde und Pop balancierende Wiener Band RADIAN gemeinsam mit dem US-Countrykauz Howe Gelb ein exzellentes neues Album. Präsentiert wird „Radian Verses Howe Gelb“ am 10. Dezember im Wiener Ungar Grill. Sebastian Fasthuber hat Schlagzeuger Martin Brandlmayr und Gitarrist Martin Siewert befragt.

Alleine schon durch die Stimme von Howe Gelb wirkt das neue Album anders als seine Vorgänger. Empfinden Sie es als Fortsetzung Ihrer Arbeit oder als leichten Bruch mit der eigenen Vorgeschichte?

Martin Brandlmayr: In erster Linie ist das Album ein echtes Spezialprojekt, weil wir mit jemandem, der außerhalb des Radian-Kosmos steht, Musik machen. Aber es ist kein One-Off-Projekt, sondern war für uns die zentrale Arbeit der letzten zwei Jahre. Ich finde, es reiht sich logisch in unsere Entwicklung ein.

Inwiefern?

Brandlmayr: Wir versuchen immer, für uns neue Wege zu beschreiten, aber auch gleichzeitig dieses Neue in den Kontext der Radian-Sprache zu integrieren. Es gibt ein paar Dinge, die Howe und uns inhaltlich verbinden, aber viel offensichtlicher Vieles, das uns unterscheidet. Das fand ich sehr spannend. Howe hat zum Beispiel einen sehr improvisatorischen Zugang zu seinem Songrepertoire. Er spielt kaum mal einen Song gleich, sondern lässt sich immer vom Moment und der Situation leiten. Teilweise kommen dabei Versionen raus, die mit dem ursprünglichen Stück kaum mehr etwas zu tun haben. Hier sind wir das absolute Gegenteil. Wenn wir Stücke live spielen, bleiben wir sehr bei unserem formalen Konzept, obwohl es sich auch bei uns in den letzten Jahren in Richtung mehr Freiraum und spontaner Spielenergie entwickelt hat. Im Entstehungsprozess von Stücken wiederum spielt Improvisation und das im Moment Entstehende eine große Rolle. Die aufgenommenen Ergebnisse dieser freieren spontanen Spielhaltung werden dann aber in einem Konstruktionsprozess wieder in eine präzise und genau ausformulierte Form gegossen.

Marginalien in den Vordergrund rücken


Wo sehen Sie das Verbindende zwischen Radian und Howe Gelb?

Brandlmayr: Sowohl Howe als auch wir sind daran interessiert, Dinge, die ansonsten vielleicht vermieden werden oder als Fehler aus einer Produktion verbannt werden, zu zentralen musikalischen Strukturen werden zu lassen – ob es das Brummen eines Kabels ist oder das Knarren eines Sessels. Dinge, die an den Rändern der Musik entstehen oder Nebenprodukte des Musikmachens sind, rücken in den Vordergrund. Das war auch das Interessante an dem Projekt: die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zusammenzubringen.

Bei Radian hat sich personell zwischen dem letzten Album „Chimeric“ und „Radian Verses Howe Geld“ etwas getan. Statt Stefan Németh spielt nun Martin Siewert Gitarre. Wie hat das die Band verändert?

Brandlmayr: Martin ist nicht nur ein super Gitarrist, sondern ein exzellenter Soundbearbeiter. Er hat in seinem Studio teilweise wunderbar obskure Maschinen und es war eine große Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er Klänge verbiegt. Insofern entstanden wiederum neue Klangwelten. Ich fand es superspannend, diese in unsere Musik einzubauen.

„Auf eine Phase des Spielens, Probierens und Materialgenerierens folgte immer eine Phase der Konstruktion und Destillation.“

Für Ihre Verhältnisse klingt das neue Album richtiggehend verrockt und mehr nach Bauch, nicht mehr so extrem nach Kopf wie frühere Arbeiten.

Martin Siewert: Wir beziehen uns aber nicht nur auf Rock’n’Roll. Es gibt da auch Passagen, die man als augenzwinkernde Referenzen an Folk („I’m Going In“), Blues („The Constant Pitch and Sway“) und sogar 80er Electro-Funk („Pitch and Sway Again“) verstehen kann – aber nicht muss.

Brandlmayr: Ich finde, es gibt eine generelle Entwicklung, die in den letzten Jahren begann. „Chimeric“ war schon ein Schritt in diese Richtung. Ja, es wird rockiger, aber für mich fällt es nicht unbedingt in die Kategorie Rock. Es geht um eine generelle Öffnung in Richtung spontaner Spielenergie innerhalb strenger Formen. Ich liebe nach wie vor die Präzision, die radikalen Abbrüche in Richtung Stille und die Pausen, habe aber auf der anderen Seite auch die Lust, ins Volle zu gehen. Somit ist es für mich eine Erweiterung dessen, was schon immer da war. Das Framework, die Architektur und formale Strenge sind ähnlicher geblieben, der Inhalt, die Klänge und die Spielintensität haben sich in den letzten Jahren stärker verändert. Auf dem  nächsten regulären Radian-Album, das schon für 2015 auf Thrill Jockey geplant ist, gehen wir noch einen Schritt weiter in diese Richtung.

Siewert: Ich sehe auch ein vermehrtes Augenmerk auf organische, analogere Abstraktionsstrategien und weniger rein digital generiertes Material. Viele der Radian-typischen Irritationsmomente und Interventionen basieren auf prozessierten und/oder in der ein oder anderen Weise überzeichneten instrumentalen Ausgangssounds. Das resultiert einerseits in einer Kontinuität hinsichtlich des kreativen Spielens mit dem Spannungsverhältnis zwischen klassischem Instrumentarium und einer elektronisch-hinterfragenden Meta-Ebene und andererseits in einer gewissen Neudefinition, da viele eben dieser Meta-Events nicht synthetisiert sind, sondern in größerem Maß auf ursprünglich gespieltes Ausgangsmaterial zurückgreifen. Wir verwenden uns sozusagen selber, um uns etwas entgegenzustellen.

Kommen wir zur konkreten Entstehung des neuen Albums. Wie wurde es aufgenommen?

Brandlmayr: Howe kam ein paar Mal nach Wien zu uns ins Studio und hat Material aufgenommen, improvisierte Overdubs über Material, das wir vorbereitet hatten, zum Teil aber einfach Songs aus seinem momentanen Repertoire. Wir haben dann das Material zum Teil komplett zerlegt und neu zusammengesetzt. Den Arbeitsprozess kann man sich so vorstellen: Nachdem ich Basismaterial aus den ersten Sessions mit Howe editiert habe, das uns als Grundlage diente, haben wir uns zu dritt immer wieder im Studio getroffen, um Instrumentalmaterial aufzunehmen. Oder Martin hat Klänge durch seine wunderbaren Effektinstrumente geschickt. Dann habe ich das Material wiederum gesichtet, Klänge ausgewählt und montiert, dann haben wir uns wieder getroffen, Zusätzliches aufgenommen oder Martin hat wiederum von mir Editiertes klanglich verbogen. Danach gab es wieder eine Phase des Sortierens und Arrangierens –und so weiter. Auf eine Phase des Spielens, Probierens und Materialgenerierens folgte immer eine Phase der Konstruktion und Destillation.

Von der ersten Session mit Howe Gelb blieb also nicht viel übrig?

Brandlmayr: Das kann man so nicht sagen. Manches vom Originalmaterial haben wir komplett in alle Bestandteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Andere Stücke haben wir formal gelassen, wie sie waren, und nur instrumental erweitert und Klänge prozessiert, wie zum Beispiel bei „Picacho Peak“. Der Extremfall ist „Moon River“: Das ist abgesehen vom Radian Choir auf dem Album genau so, wie es Howe gespielt hat.

„Bei uns kann das Feilen am Verzerrungsgrad eines zart gespielten Beckenschlags ein durchaus lustvoller Prozess sein.“

Für Sie muss es ungewöhnlich gewesen sein, mit einer Stimme zu arbeiten. Aber vermutlich auch reizvoll?

Brandlmayr: Es war spannend, mit Stimme und Lyrics zu arbeiten. Ich liebe die Fragilität und Flüchtigkeit von Howes Songs und die Brüchigkeit und Rauheit seiner Stimme. Das passt auch gut zu unserer Arbeitsmethode. Man hat zwei Pole: das Flüchtige, den Moment und die langwierige präzise Konstruktion und Montage dieser Momente.

Siewert: Ich fand es auch extrem reizvoll: zuallererst mal seine Lyrics, aber auch seine Stimme und, nicht zu unterschätzen, das Klavier, das doch in einigen Stücken eine sehr zentrale Rolle einnimmt und auch wunderbar mit der Radian-Soundwelt zusammengegangen ist bzw. diese auf sehr interessante Art erweitert.

Haben sich mit diesem Album für Sie neue Horizonte eröffnet? Hat eine neue Lockerheit bei Radian Einzug gehalten?

Brandlmayr: Selbstauferlegte Beschränkung der musikalischen Möglichkeiten und sorgfältiges Auswählen und Integrieren neuer Elemente war von Anfang an Teil von Radian. Die Entscheidungen und Zutaten änderten sich über die Jahre ständig. Aber generell ist es immer in Richtung Erweiterung gegangen. Wir nehmen Neues mit rein und überlegen, wie es im im Radian-Kontext funktioniert. Und da war die Zusammenarbeit mit Howe und die Auseinandersetzung mit seiner Musik sicher ein spannender Schritt, vor allem aber auch einer, der richtig Spaß gemacht hat. Auch wenn es immer wieder Stillstände und Kampf mit dem Material gab, war es im Großen und Ganzen ein großes Vergnügen.

Siewert: Ich finde nicht, dass sich ein Fokus auf Stringenz sowie auf sonst oft weniger beachtete klangliche und formale mikroskopische Details und Lockerheit ausschließen. Ganz im Gegenteil: Bei uns jedenfalls kann das Feilen am Verzerrungsgrad eines eigentlich ganz zart gespielten Beckenschlags ein durchaus lustvoller Prozess sein.

Sebastain Fasthuber

http://www.radian.at/
http://howegelb.com/