SCHWEIGEN & MUh – Eine Oper der Stille und der Finsternis mit Kühnen und Konzertflügel

Reflexionen über die sensible und vielfältige Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur gibt es seit der Urgeschichte in Form von Kunst. Das Projekt OFFENEFELDER fokussiert auf lokaler Ebene wesentliche Aspekte, nämlich jene der Landwirtschaft in unmittelbarer Begegnung mit Kunst. Diesem Zusammentreffen zweier scheinbarer Gegensätze soll auf Augenhöhe und in kritischer Auseinandersetzung Raum und Zeit in respektvollem Umfeld gegeben werden. Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark lud Anfang des Jahres 2022 Landwirtinnen und Landwirte sämtlicher Bereiche, vom Bergbauern bis zum Weinbauern, dazu ein, ihr Interesse an einem Kunstprojekt auf ihren Höfen zu bekunden. Zu Frühlingsbeginn folgt der offene internationale Wettbewerb für Künstlerinnen und Künstler. Die 12 ausgewählten Projekte umfassen Filme und Videos, Installationen, Performances und Aktionen sowie musikalische Kompositionen, Skulpturen und ein Land-Art-Projekt. Der international tätige Komponist, Regisseur und Installationskünstler Georg Nussbaumer wird am 14. Oktober sein Ergebnis der Auseinandersetzung von Kunst und Landwirtschaft am Wolfbauerhof von Barbara Hofer und Andreas Wolf in Johnsbach im Gesäuse präsentieren.

„Schweigen“ heißt der Ort der mysteriösen Handlung in Hans Leberts Roman „Die Wolfshaut“. Von Elfriede Jelinek als „eines der größten Leseerlebnisse ihres Lebens“ bezeichnet, ist dieses Buch derzeit nur antiquarisch erhältlich. Für das Projekt SCHWEIGEN & MUh wird aus Leberts Roman nur der “sprechende“ Name des Dorfes, der ländliche Schauplatz und die zwischen Komik und Horror schwankende Stimmung übernommen. Die Geschichte wird nicht nacherzählt, das Projekt stellt aber einen ähnlich rätselhaften Zustand her, ein Verharren und Erstarren in dunkler Nacht. Man ist als Besucher:in kaum Sichtbarem und plötzlich Hörbarem, Gerüchen, der Temperatur und dem Wetter ausgesetzt. Eine von seltsamen Vorgängen durchlöcherte Neumondnacht.

SCHWEIGEN & MUh ist ein Musiktheater, in dem ein nächtlicher Bauernhof gleichzeitig Bühne, Kulisse, Theatermaschine und Zuschauerraum wird. Im ersten Teil (Muh) spielt der Pianist Marino Formenti („a Glenn Gould for the 21st Century“, Los Angeles Times) auf einem Konzertflügel inmitten von Kühen im Stall Nussbaumers „Die Vollendete, 2ter Satz“ ein Wiederkäuen von Schuberts Winterreise. Die Reaktion der Kühe beeinflusst dabei den Verlauf der Musik. Nachdem der Wolfbauer ein Bio Mutterkuhbetrieb ist, lag es nahe, die Gegenüberstellung von Kuh und Klavier in das Projekt aufzunehmen. „Kuh und Klavier ähneln sich in Gestalt und Gewicht, sind beide Paarhufer und Wiederkäuer. Die Kuh hat 32 Zähne, das Klavier 88. Das ‚kennen wir aus der Sprache der Kuh. Das kleine ‚h‘ in MUh hebt das japanische ‚mu‘ (nicht(s) oder ohne) hervor, einen der Schlüsselbegriffe des Zen, die Leere.“ so Nussbaumer augenzwinkernd.

Im zweiten Teil (SCHWEIGEN) wandelt das Publikum in der Finsternis zwischen den Gebäuden über den Hof. Die Darsteller:innen tauchen in der Finsternis immer wieder in Fenstern und Toren und im Gelände auf, immer nur kurz für Sekunden ‘belichtet’. Als ‘Erscheinungen’ in einem langsamen Stroboskop verwandeln sie den Hof und seine Umgebung in eine surreale Szenerie. Mikro-Szenen, welche sich auf die Umgebung, alte Sagen und neue Geschichten aus der Gegend beziehen, blitzen im Finsteren auf, kaum hörbares Summen und Stimmen, Klänge aus der nächtlichen Ferne.

Die ca. fünfzigminütige Choreographie wird von Georg Nussbaumer gemeinsam mit „unhörbaren Opernsänger:innen, Primadonnen und Heldentenören des Schweigens, Königinnen der Nacht und Fürsten der Finsternis“ (Nussbaumer 2023) aus der Region Gesäuse erarbeitet.

Mit: Marino Formenti, Darsteller:innen aus dem Gesäuse, Chor des Stiftsgymnasiums Admont (Ltg.: Bernhard Ehrenfellner), Männergesangsverein Admont (Ltg.: Bernhard Ehrenfellner), Jana Rothleitner &  Michael Gröschl, Posaune I Stefan Stangl, Tuba und den Wolfbauerkühen.

Kurzbiografien

Georg Nussbaumer (1964) gilt als virtuoser Gesamtkunstwerker, dessen Arbeiten sich zwischen Komposition, Installationskunst, Performance und Theater bewegen. Großformatige szenische Arbeiten, die vielschichtige Bildklangräume konstituieren und thematische sowie motivische Stilmittel zu einem großen Ganzen zusammenbinden, stehen reduzierten Klanginstallationen oder auch nicht klingenden Vorgängen gegenüber. Sie setzen sich oft mit Musik, ihrer Geschichte, Wirkung und ihrer Hervorbringung auseinander. Er arbeitet mit spezialisierten Performer:innenund Musiker:innengenauso selbstverständlich wie mit sich betrinkendem oder Kaugummikauendem Publikum, mit Bogenschützen, Apnoetaucher:innen, Synchronschwimmerinnen, einem Motorradclub oder Hundertschaften von Sänger:innen ländlicher Laienchöre. Gängige Ansichten über Mensch, Welt und Kunst werden dabei in Frage gestellt, hinterleuchtet, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Website: www.georgnussbaumer.com

Marino Formenti (1965 in Italien) ist als Pianist wie Dirigent ein außergewöhnlicher Interpret moderner und zeitgenössischer Musik. Immer wieder stellt er seine Virtuosität in den Dienst riskanter Experimente, in denen Gegensätze aufeinandertreffen und Musik an Orten erklingt, an denen sie sonst fremd ist. Seine Vorliebe für radikal neue Wege im Verhältnis von Musik, Publikum und Interpret schlägt sich in sehr unterschiedlichen Projekten nieder. So spielt er z. B. Konzerte für eine einzige Person, lässt das Publikum selbst singen und sogar an den Flügel oder schläft und isst mehrere Wochen ohne Unterbrechung in einem öffentlich zugänglichen Raum, wie bei seinem Projekt Nowhere, um so „nach und nach in die Musik zu verschwinden”. Formenti arbeitet mit renommierten Komponist:innen zusammen und spielt bei wichtigen Festivals, an großen internationalen Häusern sowie mit führenden Orchestern und Dirigent:innen. Website: www.marinoformenti.net

Programm:

Samstag, 14. Oktober 2023

  • 18 Uhr: Begrüßung durch Bürgermeister Christian Haider, Gespräch von Elisabeth Fiedler (Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark) mit Georg Nussbaumer, Barbara Hofer und Andreas Wolf
  • 18:30 Uhr: MUh (1. Teil), Marino Formenti am Klavier: Die Vollendete, 2ter Satz
  • 19 Uhr: SCHWEIGEN (2. Teil) mit Mitwirkenden aus der Region, Jana Rothleitner & Michael Gröschl (Posaune), Stefan Stangl (Tuba), dem Oberstufenchor des Stiftsgymnasiums Admont und dem Männergesangsverein Admont (Ltg.: Bernhard Ehrenfellner)
  • Ab ca. 20 Uhr: Ausklang bei wärmendem Feuer, Getränken und regionalen Köstlichkeiten

Statements:

„Was für ein überraschendes Setting! Ist die Paarung auch außergewöhnlich, so gibt es doch ein gemeinsames Klischee über Bauersleute und Künstler:innen: sie lassen sich nicht gern was sagen! Vielleicht haben beide aber nicht immer ein Ohr für andere Meinungen, da sie ihre Sinne intensiv auf ihre Umwelt konzentrieren müssen um zu einer ‚Ernte‘ zu gelangen. Dass das Dorf in Hans Leberts Roman ‚Die Wolfshaut‘ (sprechend) Schweigen heißt, war die Zündung für die Idee, für einen Weiler eine ‚Oper der Stille und der Finsternis‘ zu entwerfen. Gestalten, die in der Nacht kurz erscheinen, verschwinden und wieder auftauchen, schweigend zwischen und in Gebäuden, Geräuschen, Gerüchen, Tönen, Nacht. Und nun heißt der mir zugeteilte Hof im Gesäuse ‚Wolfbauer‘ und und es gibt auch eine Sage zum Wasserfall gleich dahinter: Wildfrauen, die freundlich sind und helfen. Lärm jedoch hassen sie Vorbeiwandernde sollten sich ruhig verhalten. Wolf und Schweigen sind also schon mal dort, wo ich dann hinkommen darf! Und dann kam die Kuh dazu.“ Georg Nussbaumer, Künstler

“Mit SCHWEIGEN & MUh erwartet uns ein einzigartiges Schauspiel im Rahmen der OFFENEN FELDER. Im Gleichklang von Musik und performativen Akten werden wir Teil eines immersiven Ereignisses, unsere Orientierung wird überraschend ausgelotet. Auf dem außergewöhnlich ausgesetzten Haufenhof, dem ‚Wolfbauerhof‘ von Barbara Hofer und Andreas Wolf, inmitten des Gesäuses mit Wasserfall, finden wir uns in einem unvergesslichen Erlebnis wieder, das Georg Nussbaumer aus seiner Auseinandersetzung mit dem Hof und dessen Bewirtschafter:innen geschaffen hat. In dieser Neumondnacht nehmen wir Sterne und die Milchstraße, hier mit herausragender Lichtqualität, in bester Leuchtkraft besonders intensiv wahr. Bei Reflexionen zwischen Dunkelheit und leuchtenden Sekundendarbietungen, Stille und Lauten, dem Spiel des Pianisten Marino Formenti am Konzertflügel im Stall und Instrumenten der Natur, punktuell aufleuchtenden Kurzinszenierungen von den Wolfbauern und weiteren ins Projekt eingebundenen Teilnehmer:innen aus der Region, menschlichen und tierischen Tönen und Sequenzen sind wir eingeladen, leise unsere Sinneswahrnehmungen Hören, Sehen, Riechen, Fühlen, Spüren durch unerwartete Geräusche, Stimmen, Szenen, Gerüche, unterschiedliche Temperaturen zu schärfen, uns selbst zu sensibilisieren und überraschen zu lassen. Ein abschließendes Lagerfeuer und lokale Spezialitäten erwarten uns danach.“ Elisabeth Fiedler, Leiterin des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum

„Wir haben in der Zeitung die Information für das Projekt OFFENE FELDER gesehen und waren von der Idee, Kunst und Landwirtschaft wieder in Kontakt zu bringen, begeistert. Da wir beide glauben, kunstaffin zu sein, dachten wir uns:Ein bisschen künstlerischer Pepp könnte auch unserem Ort nicht schaden, daraufhin haben wir die Bewerbung in Angriff genommen. Mit Georg Nussbaumer zusammenzuarbeiten empfinden wir als Glücksfall: herzlich, respektvoll, hochprofessionell und künstlerisch eine bunter Haudegen. Es freut uns ungemein, dass wir zum erlauchten Kreis der für das Projekt auserwählten Betriebe gehören. Unsere Kühe sind schon ganz nervös, weil sie nicht wissen, was sie anziehen sollen. Schließlich ist es ihre erste Oper.” – Barbara Hofer & Andreas Wolf, Landwirte

++++

Links:
Georg Nussbaumer (mica-Datenbank)
Marino Formenti