Schönberg Center: Spannende neue Werke mit dem Ensemble Wiener Collage

Kundig(er) gemacht durch die vorherige Konzerteinführung von Gerald Resch hörte man in oft auch ungewohnten Zusammenstellungen von Instrumenten diesen Montag überwiegend noch nie gehörte neuere Stücke (darunter auch Uraufführungen), interpretiert durch die hervorragenden Mitwirkenden des von den drei Komponisten Erik Freitag, Eugene Hartzell und René Staar – letzterer hat auch die künstlerische Leitung übernommen – , 1987 begründeten Ensembles Wiener Collage. Die Komponisten des Abends: Arnold Schönberg, Reinhard Fuchs, Wolfgang Suppan, Gerald Resch, Dietmar Hellmich, Shih, Martin Kapeller, Zdzislaw Wysocki.

Ermöglicht wurde dieses Konzert auch durch die Unterstützung von BMUKK, Stadt Wien, GFÖM, SKE-Austro Mechana, und war so gut besucht, dass kaum ein Sessel des Saals im Arnold Schönberg Center noch freiblieb. René Staar begann als Geiger selbst, mit einer sehr “wienerischen” Komposition von 1949, der Phantasy for Violin und Piano, Schönbergs letztem Kammermusikwerk.

Allein schon wegen dieses Violinstücks konnte man der Verlockung nicht widerstehen, im “Raucherfoyer” im Erdgeschoß der Zaunergasse wieder einmal die im Fries ausgestellten großformatigen Schönberg-Fotos zu betrachten. Da sieht man das “Dritte Kaffeehaus” im Prater, wo der achtjährige, Violine lernende Junge möglicherweise von einem Platzkonzert einer Militärkapelle ausruhte. Man sieht ihn als Cellisten auf dem Foto des “Fidelen Quartett” (u. a. mit Fritz Kreisler), im Kreise seiner Wiener Schüler (darunter Eduard Steuermann, Webern, Josef  Polnauer). Man sieht wehmütig das Ehepaar Schönberg in der Bristol Bar mit Kokoschka und Loos oder betrachtet Ansichten von Konzerthaus und Musikverein, wo Franz Schreker im Februar 1913 einst die “Gurre-Lieder” mit dem Wiener Tonkünstler-Orchester und riesigem Chor zur Uraufführung brachte .

Alfred Melichar spielte dann Feodora für Akkordeon solo (2007) von Reinhard Fuchs, der mit anderen 1997 die Gruppe Gegenklang gründete. Die Komposition ist inspiriert von Italo Calvinos Buch “Le città invisibile”, wo im Gespräch Marco Polos mit  Kublai Khan das Modell der Stadt Feodora -im Glaskugel-Modell – vorgestellt wird. “Diese Glaskugeln repräsentieren zahlreiche Versionen ein- und derselben Stadt und Wünsche, Sehnsüchte der Bewohner, die in den Palast kommen” (Fuchs). Musikalisch verwendet Reinhard Fuchs dafür Permutationen, die schließlich in statische Melodie-Anläufe münden, am Ende in eine Erstarrung.

Wolfgang Suppan schrieb das Duett 2 für Harfe, Klavier und Synthesizer, in deren Zentrum die Harfe (gespielt von Gabriela Mossyrsch, der Soloharfenistin im Orchester  der Volksoper Wien) steht. Das Klavier (Johannes Marian,  als zweiter Pianist war an diesem Abend dann auch mit der von der Partie bzw. spielte die Celesta) “umkreist wie ein Sputnik mit rudimentären Einsätzen” die reizvoll zu hörenden Linien der Harfe. “Erst in den letzten 10 Takten formieren sich die beiden Instrumente zu einem Duett” (Suppan). Die Version mit Synthesizerklängen wurde seit der Uraufführung während eines Kompositionsseminars im Kloster Royaumont in der Nähe von Paris nie mehr gespielt, sie erklang im Schönberg Center zum ersten Mal wieder in der ursprünglichen Version.

Wie sein Freund Reinhard Fuchs liest auch Gerald Resch gerne Italo Calvino, er nannte sein Trio für Violine, Violoncello und Klavier, das 2006 entstand,  “Fünf Versuche nach Italo Calvino” und bezieht sich auf das letzte Buch des Italienischen Schriftstellers, die Harvard-Vorlesungen zur Poetik. Literatur werde interessant durch “Genauigkeit, Leichtigkeit, Anschaulichkeit, Vielschichtigkeit und Schnelligkeit”, die fünf Texte des Buches versuchen diese Begriffe jeweils zu reflektieren. Resch sagt, er habe sich “von den Beobachtungen Calvinos leiten lassen und versucht, die Begriffe musikalisch anzuwenden. Folgerichtig tragen sie genau diese Titel. Ans Werk der Umsetzung gingen an der Violine Ivana Pristasova und Roland Schueler am Violoncello (beide bilden mit Petra Ackermann an der Viola das hervorragende Trio EIS, das etwa in Graz beim Musikprotokoll 2008 sehr überzeugte) und Jaime Wolfson am Klavier.

 

 

Über Dietmar Hellmich erfährt man, dass er an der Technik Mathematik studierte und bei Dieter Kaufmann elektroakustische Komposition. Zu hören war die Kammermusik Nr. 7 für Celesta, Klavier, Akkordeon und Posaune (2004). Es bevorzugt in dem hier angewandten Kompositionskonzept “die Eliminierung wechselnder Lautstärken und -Klanggestaltung zugunsten eines permanenten Brachial-Kraftakts der beteiligten Musiker” (Hellmich).

Shih aus Taipeh, seit 1974 in Wien lebend und längst österreichischer Staatsbürger, bekannt geworden durch seine Kammeroper “Vatermord” (1994), lieferte als Uraufführung ein neue Folge Ein Takt und zwar diesmal für Saxophon und Akkordeon. Den Solisten wird durch eine etwa graphische Notation viel Raum zur Interpretation, ja Improvisation gegeben.

Martin Kapeller, geboren 1959 in Graz, war ab 1984 lange in Berlin und studierte “Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie (ohne Abschluss), wurde dann Klavier- und Feldenkraislehrer in einer Waldorfschule. Erst 1998 unternahm e ernsthafte Kompositionsversuche, nahm Privatunterricht bei Gösta Neuwirth und studierte Komposition bei Beat Furrer, Michael Jarrel und Chaya Czernowin. Wie Neuwirth beschäftigte er sich viel mit Franz Schreke, schreibt zur Zeit an einer Dissertation über den “Schmied von Gent” von Schreker. Er steuerte mit seiner “Hommage à Schreker” für Harfe (nun Dora Scapolatempore), Celseta, Harmonium (Akkordeon), Klavier und Violine (im “Hintergrund” agierend als eine Art Schrekersches “Fernorchester”)  ein wirklich hochinteressantes Stück bei. Kapeller schreibt in seiner Programmnotiz über seine Hommage: “Franz Schrekers Musik scheint in ihrer verführerischen und sinnlichen Unmittelbarkeit weit entfernt von dem, was man in de zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Moderne verstand; in ihrem Inneren jedoch stellt sie wie keine andere Gewissheiten unseres Musik- und Kulturverständnisses in Frage” In dem Stück bezieht Kapeller sich in seiner Besetzung auf Schrekers “Kammersymphonie”, die – wie auch die Oper “Christophorus” – zitiert wird. Faszinierend die Selbständigkeit der Stimmen -wie etwa der “Fernorchester-Geige”, bei der man die Ohren spitzt – und die oftmalige Auflösung von “Einheit” des imaginären Empfindens oder Geschehens durch die Einzelinstrumente.

Fünf Etüden von Zdzislaw Wysocki – die zuletzt gespielte wiederum eine Uraufführung:   die Etüde “Etudé chaotique” für Posaune, Celesta, Akkordeon und Klavier op. 69/6 (2008/09). “Wysockis kompositorisches Werk ist zweifellos eines der bestgehüteten Geheimnisse österreichischer Gegenwartsmusik. Diesem ungeheuer begnadeten Komponisten sind praktisch unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit Meisterwerke großer Intensität und Ausdruckskraft gelungen. Wie immer man seine Musik aufnehmen mag (Stücke von ihm wurden als musikalische “Miniaturdramolette”, auch als “bizarre Nachtgestalten” bezeichnet), gleichgültig kann wohl niemand – gleich wo – gegenüber seiner Musik bleiben; das haben die immer zahlreicher werdenden internationalen Erstaufführungen gezeigt. Egal ob in Paris, Kalifornien, Tokio, Lissabon oder Köln, sein Werk frappiert und fasziniert nicht nur Publikum und Musiker, sondern auch die Fachpresse.

1944 in Poznan (Posen) geboren, in den späten Sechzigerjahren nach Österreich gekommen, um bei Erich Urbanner Komposition zu studieren, bleibt Wysocki, gründet eine Familie, wird 1976 österreichischer Staatsbürger, komponiert und fristet sein Leben unter schwierigen, teilweise diskriminierenden Umständen (…) Das Double Concerto op. 62 (2001/02) für zwei Violinen und großes Orchester wurde dann allerdings durch die Uraufführung im Mai 2002 durch Kent Nagano und das Berkeley Symphony Orchester in Berkeley zum internationalen Durchbruch für den Komponisten. Im August 2003 wurde ein weiteres Doppelkonzert op. 67 für Posaune, Harfe, und Kammerensemble (2002) bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.

Die Etüden tauchen den Hörer in den vielfältigen Kosmos der Vorstellungskraft Wysockis ein und spiegeln das Wesen jener Konvulsionen, die den Komponisten stets auf seinem Lebensweg begleitet haben. Die Stücke sind von skurilen Einfällen übersät.

Die Musik Wysockis vermag, ähnlich wie dies in der Literatur Slawomir Mrozek oder Stanislaw Lem getan haben, surreale und utopisch anmutende Situationen in Alltagsklischees einzuführen. Dies geschieht jedoch auch mit einer Portion Selbstironie, die nicht nur die eigene Person, sondern auch seine Herkunft (mag dies nun geographisch oder auch geistig ausgelegt werden) betrifft. (Zitat aus ÖMZ 06/2003: Collage statt Einheitsbrei).

Toll auch die Instrumentenkombinationen der an diesem Abend zu hörenden Etüden: Harfe und Akkordeon (“in memoriam Eugene Hartzell”), Englischhorn (Vasile Marian) und Violine, Posaune (Peter Rohrsforfer) und Harfe, Oboe und Akkordeon, zum Abschluss dan die “Etudé chaotique”.
(hr)

Programm:
Arnold Schönberg Phantasy for Violin with Piano Accompaniment op. 47
Dietmar Hellmich Kammermusik für Celesta, Posaune, Klavier, Akkordeon Nr. 7
Wolfgang Suppan »Duett II « für Harfe und Klavier
Zdzislaw Wysocki aus den Etüden für Kammerensemble op. 69/4, op. 69/5 und 6 (UA), op. 65/11 (ÖEA), op. 65/6 (UA)
Martin Kapeller Hommage á Schreker für Violine, Harfe, Klavier, Akkordeon, Celesta
Reinhard Fuchs »Feodora« für Akkordeon
Shih Ein Takt für Saxophon und Akkordeon
Gerald Resch Fünf Versuche nach Italo Calvino
Mit Unterstützung von BMUKK, Stadt Wien, GFÖM, SKE-Austro Mechana

 

Link:
Ensemble Wiener Collage