Schnitzelbeats und Halbstarken-Rock’n’Roll

Wie war das denn nun, als der Rock’n’Roll ins Nachkriegsösterreich kam? Während die gängige Geschichtsschreibung hier meist Qualtinger/Bronner erwähnt (“Der Halbwinde”, „Der g’schupfte Ferdl“, “Bundesbahnblues”) und somit österreichische Pop- und Rock-Adaptionen gleichsam aus dem Geist von Kabarett (später Comedy) zu erklären versucht, zeigt die von Al Bird Sputnik zusammengestellte erste Ausgabe der mehrteilig konzipierten CD- und LP-Serie “Schnitzelbeat – I Love You Baby! Twisted Rock-N-Roll, Exotica- & Proto-Beat Unknowns From Austria 1957-1965 / 1966”, dass es daneben durchaus mehr gab. Vor allem gab es weit mehr “ernsthafte” Versuche Sounds, Rhythmen und Idiome aus dem angloamerikanischen Raum zu importieren mit denen sich eine Nachkriegsjugend, die weder auf den reaktionären Heimatfilm-Kitsch noch auf die ironisierenden Kabarett-Schmähs stand, weit eher identifizieren konnte. Das es sich hierbei jedoch nicht um eine Art Master-Plan gehandelt hat, sollte jedoch auch klar sein. Eher spielten Zufälle, kommerzielle Überlegungen (bei gleichzeitig fast nicht existierenden Infrastrukturen), geringe Stückzahlen und jugendlicher Übermut wesentliche Rollen beim Entstehend all dieser Obskuritäten, die meist aus lokalen Szenen kamen und noch wenig bis gar nichts von Sachen wie “Vernetzung” kannten. Umso erstaunlicher aber auch der internationale Appeal all dieser Acts, die, selbst wenn sie tiefsten Dialekt von sich geben, noch nichts vom Provinzialismus-Problem späterer Austro-Pop-Ausformungen ahnen lassen. Für mica unterhielt sich Didi Neidhart mit dem “Schnitzelbeat”-Herausgeber und “Trash Rock Archives”-Gründer Al Bird Sputnik.

Wie ist es zu den “Trash Rock Archives” gekommen und was soll damit bewirkt werden?

Die ersten Texte unter der Sammelbezeichnung “Trash Rock Archives” sind 2008 publiziert worden und haben sich mit den jeweils 20 interessantesten österreichischen Veröffentlichungen der Genres Beat (1964-1972) und Punk (1979-1986) auseinandergesetzt. Gleichzeitig wurde auch ein eigener youtube-Channel ins Leben gerufen (s.u.), bei dem man sich alle besprochenen Stücke simultan anhören konnte. Wenn man so möchte, waren diese Online-Zusammenstellungen die ersten Sound Lectures der “Trash Rock Archives” und auch schon Vorboten zur “Schnitzelbeat”-Serie. Das Feedback damals war sehr gut und so habe ich in diese Richtung eben weitergearbeitet: Artikelserien, DJ-Sets, Sound Lectures und Radiosendungen. Als dann erstmals ein Verlag bei mir angeklopft hat und Interesse bekundet hat, ein”Trash Rock Archives”-Sachbuch zu verlegen, hab ich mich dann intensiv auf die Arbeit mit heimischer Pop- und Subkulturgeschichte konzentriert und damit begonnen, Zeitzeugen aufzuspüren. Die physische Sammlung ist zeitgleich auch stetig gewachsen. Zur Zeit umfasst das Archiv rund 6.000 Vinyl-Tonträger sowie etwa 1.000 Autogrammkarten und Zeitungsberichte zu österreichischer Popgeschichte ab den 1950er Jahren. Irgendwann ist aus der DIY-Kulturinitative dann auch ein Verein geworden. Seit 2013 gibt es zudem eine monatliche Veranstaltungsreihe unter dem Namen “Accordia – 1. Österreichischer Schallplatten-Club“, der im Wiener Rhiz stattfindet.

Gibt es ein Team um dich herum, oder machst du das alles großteils alleine?

Ja, da arbeiten mittlerweile eine ganze Menge Leute mit. Um die “Schnitzelbeat”-LP/CD-Serie ist ein tolles Team entstanden, wie auch beim Buch. Bei den Tonträgern möchte ich vor allem Matthias Kastner (Restaurierung und Mastering der Aufnahmen) und Wolfgang Reitter (Digitalisierung der analogen Tonträger) nennen. Sie haben das Projekt von Anfang an begleitet und haben beide sehr viel Zeit in den guten Sound der Serie investiert. Gemeinsam mit einigen anderen Enthusiasten betreiben sie in Wien das Label Konkord, das auch die CD-Version des Samplers herausgegeben hat. Die LP-Edition erschien in Kooperation mit dem Kulturverein Digatone in Innsbruck. Vor etwa einem Jahr haben sie sich auf Reissues und Anthologien österreichischer Musikgeschichte spezialisiert und bringen seitdem aufwendig gemachte Vinyl-Tonträger in Liebhaber-Editionen heraus. Die Betreiber sind Albrecht Dornauer, Justin Barwick und Robert Engelmann. Allesamt euphorische Plattensammler und auch hervorragende DJs. Beim “Schnitzelbeat”-Buch arbeite ich eng mit dem Südtiroler Grafikdesigner Bernhard Fuchs (alias burnbjoern) zusammen, dessen Gemeinschaftsatelier (“Soybot”) ich auch für meine Arbeit nutze. Er ist für das Layout und das visuelle Erscheinungsbild der “Trash Rock Archives” zuständig. Die Linzer Soziologin Kristina Pia Hofer (aka Ana Threat) betreut die Redaktion des Buches und steuert dem Projekt ebenso wichtige Gender Studies-Aspekte aus ihrer eigenen Forschung bei. Der Wiener Graphiker und HTML-Fachmann Patrick Anthofer gestaltet die Homepage. Was die Recherchen betrifft, ist mittlerweile auch ein umfassendes Netzwerk von Sammlern und Experten entstanden, auf deren Wissen ich jederzeit zurückgreifen kann. Und dann wären da noch Kooperationen mit dem Filmarchiv Austria, dem Rockarchiv Steiermark und WienPop zu nennen – und natürlich der rde-Verlag, bei dem das “Schnitzelbeat”-Buch letztlich erscheinen wird.

Wie findest du all diese Vinyl-Schätze? Da gibt es ja sicher nicht mal die Möglichkeit sich im Internet darüber zu informieren?

Als ich angefangen habe, Platten zu sammeln, bin ich in Läden gegangen oder hab’ über Mailorder das bestellt, was eben gerade erhältlich war. Mit dem Fokus auf vergangene Dekaden hat sich das dann aber stark verändert. Seit etwa 10 Jahren gehe ich vermehrt auf Flohmärkte und kaufe Second Hand. Dazu kommen noch Tausch-Deals mit anderen Sammlern und Einkäufe bei privaten Sellern. Aber der größte Kick sind nach wie vor die Flohmärkte in aller Hergottsfrühe: Eben nicht zu wissen, was man finden wird und sich dennoch regelmäßig auf die Suche zu begeben, hat ein hohes Suchtpotential.

Gibt es Sampler-Reihen, die bei deiner Arbeit gleichsam Pate gestanden haben? Wenn ja, welche und wieso?

Nein, nicht direkt. Aber es gab Sampler-Reihen, die früh in mein Leben getreten sind und in mir den Wunsch geweckt haben, eines Tages selber eine Compilation-Serie herauszugeben. Als ich ein Teenager war, bin ich völlig auf die “Back From The Grave”-Serie (Crypt Records) reingekippt. Ich war 13 oder 14, ein grosser Dead Kennedys-Fan und hatte auf einmal diese LP in der Hand auf der “Rockin’ 1966 Punkers” draufstand. Ich war sofort angefixt: Amerikanischer Punk Rock vor 1977! Eine andere wichtige Compilation in meiner Jugend war “‘Es Chaos ist die Botschaft” (Luziprak Records). Das war der erste Austro-Punk-Sampler mit Nummern von Dirt Shit, den Böslingen, Chuzpe oder den Dead Nittels, also den wichtigsten heimischen Punk-Bands aus den Jahren 1978 bis ’84. Kompiliert wurde die Platte 1997 von Alexander Magrutsch. Doch kaum jemand in Wien oder im Rest des Landes hatte sie im Repertoire. Zeitgleich wurde die LP aber bei Bomp in den USA hymnisch abgefeiert und ist nun schon seit Jahren vergriffen. Ein typisch österreichisches Dilemma: Niemand hat damals daran geglaubt, dass sich eine derartige Zusammenstellung tatsächlich gut verkaufen würde.

Wie bist du auf den Namen “Schnitzelbeat” gekommen?

Das ist nur der logische Gegenentwurf zu Krautrock bzw. Prae-Kraut. Der Terminus Austro-Pop ist ja höchst problematisch. Geschichtlich wie auch inhaltlich. Und ich habe wirklich keine gesteigerte Leidenschaft für Patriotismen. Da will meine Arbeit nicht hin. Der Terminus “Schnitzelbeat” kam da ideal zur Stelle. Das hat einerseits eine fundierte Hintergrundgeschichte, ist aber gleichzeitig noch unverbraucht und signalisiert die Bereitschaft, Neuland zu erobern und antiquierte “Austropop”-Geschichtsschreibungen nun endlich über Bord zu werfen.

Du unternimmst hier ja eine enorme Recherchearbeit und wandelst dabei oft auch auf bisher völlig unkartografierten Gebieten herum. Welchen Anspruch hast du dabei?

Die “Trash Rock Archives” arbeiten an einem Gegenentwurf zu gängigen “Austropop”-Diskursen. Das Erkunden von obskurem Terrain ist dabei tatsächlich einer der wesentlichen Aspekte der Forschungstätigkeit. Als es irgendwann gelungen ist, (mehr oder weniger) alle relevanten Bands und Recording Artists zu erfassen, hat sich der Fokus logischerweise in die Richtung der Labels verschoben, die uns “Musik für Teenager”, unkommerzielle oder auf anderem Wege visionäre Releases hinterlassen haben. Dabei ist es die vollständige Erfassung relevanter Tonträger, die mich interessiert: Ab der Ankunft des Rock’n’Roll in Österreich bis hin zu Punk, also der Zeitrahmen 1956 bis 1986. Nur auf diese Weise lassen sich präzise Analysen zu der Entwicklung heimischer Genres erstellen. Und die Fragestellung lautet dann nicht mehr, “Gab es das damals auch in Österreich?”, sondern viel mehr, “Okay, das gab es also auch in Österreich. Sogar in rauen Mengen. Wieso konnten sich diese Labels, Bands oder Recording Artists damals nicht bei uns durchsetzen?” Dennoch, ich glaube nicht daran, dass jemals der Tag kommt, an dem man alles gehört haben wird: Jedes Jahr tauchen unentdeckte, österreichische Rock’n’Roll-, Beat-, Punk- oder Disco-Perlen auf irgendeinem Flohmarkt irgendwo im Land auf und geben wieder Anlass zum staunen.

Wie wichtig ist es mit den damals involvierten Musikern direkt ins Gespräch zu kommen. Geht es dabei ums Rechteklären, um “Oral History”, den Zugang zu raren Scheiben, oder schlicht weg um die Dokumentation einer “hidden history” österreichischer Pop-Musik?

Gespräche mit damals involvierten Musikern sind das Um und Auf meiner Research-Arbeit für’s “Schnitzelbeat”-Buch. Die Erfahrung lehrt, dass es neben historischen Zeitungsberichten vor allem autorisierte O-Töne von Zeitzeugen sind, die einem neue Aspekte einer größeren Geschichte aufzeigen können. Erst danach lässt sich auch eine inhaltlich fundierte Band-Biographie überhaupt schreiben; ausserdem können auf diesem Wege größere Zusammenhänge präzise erfasst werden.
Die Sache mit der “hidden history” ist stets sehr subjektiv geprägt: Bei einem derart unübersichtlich großen Puzzlespiel mit beliebig vielen Teilen kann man einerseits leicht die Orientierung verlieren, andererseits pickt man sich oftmals die aufsehenerregendsten Geschichten heraus und forscht dort intensiv weiter. Da wird der eigene Geschmack des Researchers wohl immer miteinfliessen.
Plattencover, Autogrammkarten und faksimilierte Zeitungsberichte aus den Privatarchiven einzelner Musiker fallen größtenteils unter public domain. Ums Rechteklären geht es also erst, wenn ich mit den Audio-Aufnahmen der betreffenden Personen oder mit bestimmten Pressefotos arbeiten möchte. Das kann ganz einfach funktionieren aber auch ziemlich verzwickt sein. Aber das ist wiederum ein ganz eigenes Kapitel.

Wie ist das eigentlich, wenn man jemanden, der in den 1950er und/oder 1960ern mal einen Beitrag zur heimischen “Halbstarken-Subkultur” gemacht hat, heute damit konfrontiert?

Manche Musiker, Komponisten und Verleger freuen sich über das Interesse. Andere gehen eher auf Distanz zu ihren vermeintlichen Teenager-Eskapaden. Jede Begegnung ist da völlig individuell. Aber grundsätzlich liessen sich Schlüsse auf den Diskurs herleiten, in dem sich die einzelnen Musiker heute jeweils selber sehen. Da gibt es durchaus Muster, die sich wiederholen. Wenn es dann zu einem Treffen kommt, führe ich ein Interview, bei dem ich über den Lebenslauf meines jeweiligen Gegenübers bestens Bescheid weiss. Ich mache meistens auch keinen Hehl daraus, dass ich ein großer Fan ihrer Arbeit bin. Das bricht in den meisten Fällen schnell das Eis.

Wie muss man sich die damaligen Produktionsbedingungen und die Infrastruktur vorstellen? Auf “Schnitzelbeat” gibt es ja mit Werner Gavac’s “I love you baby” sogar einen 1958 in “einer öffentlichen Tonaufzeichnungskabine” eingesungene Trash-Perle.

Da verweise ich auf das “Schnitzelbeat Vol. 1”-Booklet, das der LP/CD beiliegt. Dort habe ich den Versuch unternommen, die Geschichte des Rock’n’Roll in Österreich zu rekonstruieren: Teenager hatten keine Chance, mit amateuristischem Sound oder nicht-radiotauglichem Song-Material ihren Fuss in die Tür eines Aufnahmestudios zu bekommen. Stattdessen wurden opulente Orchesterinszenierungen mit dem deutschsprachigen Schlager-Nachwuchs forciert. Experimentiert wurde aber auch dort schon mit Rock’n’Roll. Viel biederer als vergleichsweise in den USA, aber der Charme mancher Aufnahmen lässt sich nicht von der Hand weisen. Mein Bestreben mit “Schnitzelbeat Vol. 1” war es folglich, einem interessierten Publikum – zum besseren Verständnis des Phänomens “Rock’n’Roll in Österreich” – das Beste aus all diesen Welten näher zu bringen: Wilde und zugleich obskure Perlen des Undergrounds wie eben auch die gelungensten Ausbrüche einer kommerziell orientierten Schallplattenindustrie. Meine persönliche Empfehlung ist es immer, die Liner Notes parallel zu den Klängen der Compilation zu lesen.

Eines der wenigen Labels, die damals Rock’n’Roll und Artverwandtes veröffentlicht haben war Accordia. Wie kam es dazu und gab es sonst noch nennenswerte Labels?

Accordia ist zu einer Zeit entstanden, als einige Musik-Verleger, Radio-Programmierer und Orchesterleiter auf der Suche nach zusätzlichen Einnahmequellen waren und das Airplay für sich entdeckt haben. Für die Komponisten, Verleger und beteiligten Musiker war das ein schönes Zusatzeinkommen: Wurde die Nummer auch auf einem Tonträger veröffentlicht, kam sie öfters im Radio zum Einsatz und das brachte dann auch mehr Tantiemen. Anfang der 1960er Jahre fanden sich vor allem Schlager und deutschsprachige Doo Wop- und Rock’n’Roll-Titeln im Accordia-Repertoire. Ab den Mid-1960ern prägte die Plattenfirma schliesslich den Slogan “Tanzmusik für Leute von heute” und veröffentlichte dann tatsächlich auch Beat-Aufnahmen. Ein Label, das also bereit war, mit der Zeit zu gehen. In dieser Initiationsphase österreichischer Independent Music gab es allerdings viele derartiger Experimente. Kleine Plattenfirmen mit klingende Namen sind oft genau so schnell wieder von der Bildfläche verschwunden, wie sie aufgetaucht sind.

Gleich drei Nummern sind Elvis-Cover, wobei zwei davon in deutscher Sprache sind (“Hotel zur Einsamkeit” und das “Baby I Don’t Care”-Cover “Sag wieso”). Wie wichtig war Elvis, der ja im Gegensatz zu Bill Haley, nie Live in Wien gespielt hat?

Gute Frage. Elvis ist der King of Rock-n-Roll, oder etwa nicht? Sein Bekanntheitsgrad lässt sich eben nur schwer toppen. Aber du wirst auch tolle Cover-Versionen von Bill Haley, Gene Vincent, Little Richard, ja sogar von Ronnie Self in der frühen heimischen Pop-Geschichte finden. Elvis war übrigens nicht nur nie in Österreich, er hat auch offiziell niemals einen Gig auf europäischem Boden gespielt, wenn man von den privaten Auftritten vor seinen deutschen Armee-Kollegen in Bad Nauheim mal absieht.

Liegt es an deiner Zusammenstellung oder wurde damals (zumindest n Sachen “Incredibly Strange Music”) auch in Österreich eine eigentlich sehr internationale musikalische Sprache gesprochen. Immerhin gab es damals ja auch in den USA unglaublich seltsame Musiken in exotischem Gewand und mit fremdklingenden Akzenten und Dialekten (bis hin zu deutschen Ausdrücken).

Das hält sich wohl die Waage. Ich habe etwa um die 5.000 relevante österreichische Aufnahmen gesichtet bzw. durchgehört, um zu vorliegender Auswahl zu gelangen. Das war eine Recherche-Arbeit von mehreren Jahre. So gesehen ist dies sicherlich auch eine sehr individuell geprägte Playlist, die möglicherweise meine eigene Leidenschaft für schräge, unkommerzielle Musik widerspiegelt. Aber grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass die Spitzen heimischer Musikproduktion der 1950er und 60er Jahre jedem internationalem Vergleich standhalten können.

“Incredibly Strange Music” meint ja immer auch ein Scheitern vor dem Original bzw. eine Musik, wo jene, die sie gemacht und veröffentlicht haben oft gar nicht wussten, was sie taten und die deshalb auch erst später mit neuen Ohren ganz anders gehört werden kann. Was macht für dich den Reiz dieser Musik aus bzw. welche Musik hat dich dazu gebracht mal nachzuschauen, ob es so was nicht auch in Österreich gegeben hat?

Der Prozess des Scheiterns ist für mich – ganz grundsätzlich gesprochen – sicher einer der interessantesten Aspekte an Popkultur. Häufig schon habe ich ehemalige Bandmitglieder voller Begeisterung auf den mitreissend rohen Sound ihrer Teenager-Beat-Veröffentlichungen angesprochen und dann stark relativierende Statements zu hören bekommen, á la “Unser Equipment war damals halt nicht das Beste” oder “Wir hatten leider nur eine Stunde Zeit für die Aufnahmen, sonst hätten die Songs am Ende viel besser geklungen” und so weiter. Würde man also einen Punk-Diskurs in die Überlegungen miteinbeziehen, dann käme man zu anderen Analysen als mit strikt-chronistischen Messwerkzeugen. Ich würde mich also nicht festlegen, ob das Scheitern in diesem Sinne tatsächlich ein integraler Bestandteil des “Incredibly Strange Music”-Genres ist und ob in manchen Fällen nicht doch eher ein lustvoller Akt der Verweigerung gemeint ist. Mittlerweile kennen wir ja unzählige Geschichten von Bands und Producern aus aller Welt, die sich der “Offness” und der mangelnden kommerziellen Verwertbarkeit ihrer Produktionen durchaus bewusst waren und eben in der Eroberung kleiner Marktnischen ihr Publikum gesucht haben. Für präzisere Analysen wäre es wohl lohnend, einen Blick auf die Spezifika der betreffenden “Exploitation”-Kultur zu werfen, in der die jeweiligen Protagonisten partizipiert haben. Hinzu kommt, dass “Incredibly Strange Music” ein im Nachhinein rund um schräge, nicht-massentaugliche Musik konstruierter Terminus ist, der freilich nicht subjektiver sein könnte. Das tolle an dem Genre ist allerdings, dass hier stets Empathie mitschwingt. Die Bereitschaft, sich seltene, seltsame und ungewöhnliche Musik anzuhören und sich damit auseinanderzusetzen. Ich bin kein Fan von Ironie. Wenn ich mir eine Platte gerne anhöre, dann nehme ich sie auch ernst.

Ist das Exotica-Genre nicht per se ein musikalisches Mulitversum bei dem nationale Zuschreibungen sowieso keine Rolle mehr spielen, weil es dabei ja – wie auch schon teilweise bei der Operette – um künstliche Paradiese und um Phantasmagorien geht? Ob die Bambis ihren Rip-Off des im Original doch eher sehr polynesisch angehauchten;”Taboo” nun als “Inka City” geografisch woanders hin verfrachten macht ja im Grunde keinen Unterschied, weil beides von Phantasie-Welten handelt.

Ja, das seh’ ich ganz ähnlich. Alle geografischen Verortungen machen erst wieder Sinn, wenn man sich auf das Produktionsland und das fragliche Release-Date berufen möchte. Man hat etwa 1955 in Österreich und Deutschland kein Geld, um auf Urlaub zu fahren und hat sowieso ganz andere Sorgen. Folglich sehnt man sich nach besseren Zeiten, was die zeitgenössische Unterhaltungsmusik gerne allegorisch als exotische, nicht greifbare Ferne widerspiegelt. Wenn man sich beispielsweise die großen Erfolgstitel aus dem Katalog von Harmona 3D, dem profiliertesten österreichischen Pop-Label der Nachkriegszeit im Detail ansieht, wird diese Tendenz überdeutlich: “El Bayon”, “Jasmin aus Santa Monica”, “Wenn die Sonne scheint in Texas”, “Sambesi”, “In der Arena von Guayaquil”, “Montevideo”, “Fern am Strand von Samoa”, …. Währenddessen hat die erste Exotica-Welle in den USA ein gänzlich anderes Erscheinungsbild und bedient auch einen eigenständigen Markt. Man denke nur an Orchesterleiter wie Martin Denny, Arthur Lyman oder Les Baxter mit ihren Inszenierungen opulenter Instrumentalkulissen. Das angesprochene “Inka City” der 4 Bambis speist sich aus all diesen Welten: Lokal und international. Eine wirklich großartige Produktion.

Neben Exotica spielt Exploitation auf “Schnitzelbeat” eine nicht geringe Rolle, wobei sich beide Genres natürlich auch immer wieder überschneiden. Da geht es mal um Sex & Crime (“Maloja”), Horror & Thriller (“Geisterstunden Cha-Cha”, “Nachts in Chicago”) sowie Exotica amp; Erotica (“Chica Chica Bum”). Würdest du da auch einen Zusammenhang mit Ösi-Exploitation-Filmen aus der damaligen Zeit wie “Schamlos”, “Die Geisel des Fleisches”, “Kurzer Prozess”, “Der Mann im Schatten”, “Wienerinnen – Schrei nach Liebe” oder “Die Verwundbaren sehen? Da gibt es ja auch ein starkes Lokalkolorit jedoch mit internationalem Flair bis hin zu sehr starken Anklängen an den italienischen Neo-Realismus und die französische Nouvelle Vague.

Absolut. Alle von dir angesprochenen Songs und Filme sind Teil derselben österreichischen Exploitation-Kultur mit Schnittmengen unter allen beteiligten Protagonisten. Schlagersänger Frank Roberts war unter seinem tatsächlichen Namen Frits Fronz etwa auch Regisseur von Erotikfilmen, in denen er meist auch als Hauptdarsteller aufgetreten ist. Die Hubbubs, die wir auf “Schnitzelbeat Vol. 1” mit “Nachts in Chicago” hören können, haben eine Single mit zwei Aufnahmen aus dem Eddy-Saller-Film “Geisel des Fleisches” veröffentlicht. Zwei andere Wiener Beat-Bands The Sirs und The Charles Ryders Corporation haben sogar bei den Dreharbeiten von “Schamlos” (ebenfalls Eddy Saller) mitgewirkt bzw. sind im Soundtrack des Filmes verewigt. Und noch weitaus mehr heimische Bands waren in Spielfilmen zu sehen, die bisher noch nicht vom zeitgenössischen Kultur-Feuilleton wiederentdeckt worden sind. Mit österreichischen Produzenten und Filmkomponisten sieht es ganz ähnlich aus. Um nur einen zu nennen, der tagtäglich mit Kino zu tun hatte: Gerhard Heinz. Er war in seiner Jugend der Hammond-Organist bei Horst Winter und ein viel-gebuchter Jazz-Musiker. Ab den Sixties hat er dann in seinem Studio für unzählige österreichische und deutsche Unterhaltungsfilme – von harmlosen Teenagerkomödien bis hin zu Sex-Filmen – die Musik eingespielt und gleichzeitig auch junge Teenager-Bands produziert. Eine deutliche Trennlinie zwischen österreichischer Musikproduktion und Kino wird man also nicht finden. Was den Lokalkolorit betrifft, sollte man eingangs wohl überprüfen, wodurch sich der nun definiert. Reicht es schon, das Wiener Riesenrad, die Meidlinger Hauptstrasse oder den Stephansplatz im Bild zu haben, um sich an einem “typisch österreichischen Film“ zu erfreuen?

Wie wichtig ist dabei z.B. eine Nummer wie “Blue-Jean-Jack” von Dolf Kauer & The Charly Combo aus 1962? Das könnte ja einfach als “Antwort-Song” auf “Der Halbwinde” von Bronner/Qualtinger abgehandelt werden. Dennoch ist diese Schlurf-Hymne mit ihrem Western-Swing-Boogie-Akkordeon kein Kabarett-Song zum Thema Rock’n’Roll, sondern erzählt gleichsam (wenn auch mit ironischem Unterton) seine Story aus erster Hand.

Der “Blue-Jean-Jack” ist wohl als Antwort-Song zum “Halbwilden” konzipiert gewesen, allerdings unterwandert das Maß an Empathie, das dem titelgebenden Protagonisten hier entgegengebracht wird die übliche Nachkriegs-Erwachsenenhaltung. Ein zweiter, unschätzbar wichtiger Aspekt am “Blue-Jean-Jack” ist freilich die Musik selber. Das ist ein authentischer Rock’n’Roll-Sound made in Austria. Und letztendlich stellen die proletarischen Wienerischen Lyrics des Songs die ewige Annahme, die Worried Man Skiffle Group seinen die ersten in der österreichischen Pop-Geschichte gewesen, die Dialekt mit zeitgenössischer Unterhaltungsmusik kombiniert hätten, in ein gänzlich neues Licht.

Auf “Schnitzelbeat” wie auch bei deinen öffentlichen Lectures zum Thema begegnen wir immer wieder “Fremdgehern”. Also Leuten, die eigentlich Jazzmusiker sind und die dann aber quasi “nebenbei” beim Entstehen einer “unabhängig produzierte Rock’n’Roll Subkultur aus Österreich” maßgeblich beteiligt waren. Mit Hans Lang finden wir ja sogar den Komponisten von “Mariandl” als Verfasser der tollen Exotica-Nummer “Gran Chaco”, die du im Bookelt treffend als ein Beispiel erwähnst wo “unter Jazz-Anleihen ein futuristischer Gegenentwurf” versucht wurde. Kannst du uns da einige weitere Namen nennen?

Die Liste der Musiker, die ursprünglich vom Jazz kommen und ihre Spuren auch in der Entwicklung heimischer Unterhaltungsmusik hinterlassen haben, ist tatsächlich verblüffend lang: Gerhard Heinz, Robert Opratko, Richard Österreicher, Johannes Fehring, Heinz Neubrand, Teddy Windholz, Dr. Roland Kovac, … Auch die Trennlinie zu anderen Genres ist eher schwammig. Viele ehemalige Beat-Musiker haben später etwa mit Wienerliedern oder Skihütten-Volksmusik große Erfolge gefeiert. Andere sind zum Jazz oder in die Moderne Klassik gewechselt. Es gibt da wirklich die unglaublichsten Geschichten.

Angekündigt ist ja auch ein Buch zum selben Thema. Welche Zeitspanne wird das umfassen und wann können wir der Veröffentlichung rechnen?

Das Nachschlagewerk ist zweisprachig (deutsch/englisch) und trägt den Arbeitstitel “SCHNITZELBEAT – Handbuch zu Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop und Schräger Musik in Österreich / A comprehensive guide to Austrian Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop and Incredibly Strange Music (1956 – 1976)”. Erscheinen wird es (voraussichtlich) noch 2014 beim rde-Verlag.

Neben all der Selbstausbeutung, die so ein Projekt mit sich bringt (wo ja auch Leidenschaft und Herzblut mit drinnen hängt), stellt sich auch die Frage wie sich so eine Sampler-Reihe und das dazu gehörende Buch überhaupt finanzieren lassen. Gibt das Stellen, die dich unterstützen?

Nein. Es wäre natürlich schön, ein Finanzierungsmodell für die Recherche-Arbeiten, die Archiv-Anschaffungen und letztendlich die Wiederzugänglichmachung heimischer Audiodokumente aufzutreiben. Aber bisher fühlt sich keiner zuständig. Getreu dem Motto: “Gut, wenn sich irgendwelche jungen Spinner diese Arbeit antun, aber kosten darf die Sache halt nix.” Beim Buch ist es etwas besser, zwar arbeiten wir nach wie vor unbezahlt, aber es gibt hier – Gott sei dank – einen privaten Sponsor, der den Verlag dabei unterstützt, die Druckkosten aufzubringen. Ohne ihn könnten wir das Buch nicht rausbringen, zumindest nicht in der Form, wie wir uns das wünschen.

Wird es bei weiteren Samplern auch diese thematische Schwerpunkte geben, oder hängt das auch vom Material ab?

Die thematischen Schwerpunkte werden beibehalten. Es gibt noch viel tolles und bis heute weitgehend unbekanntes Material, sodass mir und meinem Team beim Kuratieren kommender Volumes keine qualitativen Engpässe drohen.

Danke für das Interview.

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