Salzburger Festspiele: Kontinent Scelsi

Dem unorthodoxen, faszinierenden Werk des legendenumwobenen italienischen Komponisten Giacinto Scelsi (1905-1988) und auch dessen Auswirkungen auf die musikalische Nachwelt widmet Markus Hinterhäuser bei den Salzburger Festspielen den diesjährigen Neue Musik-Schwerpunkt, genannt “Kontinent Scelsi”: Acht hochkarätige Konzerte und eine Marthalerei auf der Halleiner Perner Insel.

Musik von hypnotischer KraftIn den Konzerten der von renommierten Solisten und Ensembles – darunter Basel Sinfonietta, Ensemble Modern, Les Percussions de Strasbourg, trio recherche und Klangforum Wien – bestrittenen Konzerte in der Universitätsaula und der Kollegienkirche bevölkern auch von Scelsi  beeinflusste Komponisten wie die Amerikaner James Tenney, La Monte Young, György Ligeti, Georg Friedrich Haas, die französischen “Spektralisten” Tristan Murail und Gérard Grisey, sowie als “special guest”  live der Gitarrist und Avantgardejazzer Marc Ribot die Programme auf diesem Kontinent. Ausgangspunkt der musikalisch-theatralen Annäherung Christoph Marthalers an das Werk Scelsis auf der Perner Insel bildet eine “Urheberei”: Viero Tosatti, einer der von Scelsi beschäftigten “Transkriptoren” behauptete in einer Zeitung gleich nach Scelsis Beerdigung nämlich: “Scelsi, das bin ich!”

 

Das konnte er deshalb (fälschlich) für sich in Anspruch nehmen, da Scelsis spätere Kompositionen aus Improvisationen erwuchsen, die er zumeist mit anderen Auserwählten (die sich als seine Medien betrachteten) auf seinem Flügel vollführte, der nebst Glöckchen und ähnlichem Schlagwerk auch mit einer synthesizerartigen Apparatur ausgestattet war, die den Klang in Schwebungen bringen konnte. Das Ganze wurde immer auf  Band aufgenommen und anschließend von versierten Lohnschreibern – darunter dem Komponisten Tosatti – in herkömmliche Notenschrift transkribiert. Die Partituren kontrollierte Scelsi zumeist; er selbst, oder Interpreten, denen er vertraute, versahen sie auch mit detaillierten Spielanweisungen.

 

Markus Hinterhäuser erklärt, wer Scelsi war und worin seine Bedeutung liegt: Der Spross einer wohlhabenden italienischen Adelsfamilie durchlief mehrere Identitätswechsel, zunächst “wurde” er Franzose, schrieb in Paris Gedichte und philosophische Abhandlungen, später macht er sich (in Genf) mit Skrjabin und (in Wien) bei einem Schönberg-Schüler mit der Dodekaphonie vertraut, unternahm zwischendurch immer wieder lange Reisen nach Afrika und Asien. Die “Scelsi-Werdung” erwuchs aus einer schweren persönlichen und psychischen Krise. Während eines längeren Klinikaufenthalts gegen Ende der vierziger Jahre habe er sich, wie Scelsi selbst es darstellte, von allem, was ihm widerfahren sei, befreit, indem er stundenlang einen einzigen Ton oder Akkord auf dem Klavier anschlug und ausklingen ließ.

 

In dieser Konzentration auf einen Ton, kompositorisch paradigmatisch niedergelegt in den “Quattro pezzi su una nota sola” (1959), entdeckte er einen eigenen  musikalischen Kosmos, den er in seinen Kompositionen sukzessive auf einzigartig unakademische Weise immer mehr verfeinerte. Er stilisierte sich äußerlich, mit tibetanischer Kopfbedeckung, als Guru, trat – ob seine Werke aufgeführt würden, brauchte ihn nicht zu kümmern – nur ein einziges Mal kurz vor seinem Tod bei einem Konzert in Köln in einer größeren Öffentlichkeit in Erscheinung. Trotz dieses Nimbus gehörte er nicht zu den naiven Esoterikern, sondern verankerte seine fernöstlich geprägten Erfahrungen, die sozusagen aber auch die “Nachtseite der Vernunft” einschlossen, in einem eigentlich streng konstruktivistischen Komponieren.

 

Inspirationskraft, Originalität und die geradezu hypnotische Wirkung der Kompositionen und Improvisationen Scelsis basieren auf einem “Etwas-mit-sich-geschehen-lassen”. Für die gesamte Neue Musik wurde das, meint Hinterhäuser, von zentraler Bedeutung: Für La Monte Young, die Musik der New Yorker “Factory” sowieso, vielleicht auch für den “Lontano”-Tonfall eines György Ligeti oder des späten Luigi Nono. Keine Frage übrigens, dass die Urheberschaft der Hervorbringungen allein auf Scelsis Konto geht. Die (eigentlich damals bereits anachronistischen) Übertragungen der Scelsi-Kompositionen von Tonbändern in herkömmliche Notenschriftpartituren wurden durchwegs von Komponisten besorgt, die selbst bestenfalls zum Mittelfeld der italienischen Nachkriegsszene gehört hatten. Hinterhäuser: “Die haben etwas zusammengebaut, was sie selber weder wollten, noch konnten” (hr).

 

KONTINENT SCELSI
Konzerte in der Kollegienkirche Salzburg und in der Großen Universitätsaula am 6., 7., 8., 10., 11. August (Kollegienkirche), am 9., 10., 13. 8. (Große Universitätsaula).

 

Sauser aus Italien. Eine Urheberei
Giacinto Scelsi / Christoph Marthaler / Klagforum Wien
19., 21., 23., 24., 25. 8. (Perner Insel Hallein)

 

Programmdetails siehe Link und mica-Konzertankündigungen

 

Fotos:
Klangforum Wien © Salzburger Festspiele/ Thomas Reinagl
Ensemble Modern © Salzburger Festspiele/Wonge Bergmann
Les Percussions de Strasbourg © Salzburger Festspiele/Guy Vivien