Salzburg Biennale 2011

Auch heuer sieht sich die vom 03. bis 27. März stattfindende Salzburg Biennale als “Katalysator” für die breite Öffentlichkeit. Als ein Festival für Neue Musik das mit dem Blick nach Vorne auf ein “Jahrhundert der Grenzüberschreitung, aber auch der Rückbesinnung” zurückblickt. Nach dem äußerst erfolgreichen Start 2009 findet die Salzburg Biennale nun unter der neuen künstlerischen Leitung von Heike Hoffmann statt.

Neben aktuellen Entwicklungen in der Neuen Musik im Spiegel musikhistorischer Kontexte, bilden 2011 vor allem Projekte in den Grenzbereichen zwischen Musik, Bildender Kunst, Film und Performance-Art einen programmatischen Focus. Musiktheater, Film, multimediale Produktionen und performative Arbeiten ziehen sich wie kleine rote Fäden durch die mehr als 30, in vier zeitlichen Blöcken (jeweils von Donnerstag bis Sonntag) aufgeteilten, Veranstaltungen mit österreichischen und internationalen Komponisten. Auch die Kooperationen mit Salzburger Kulturinstitutionen wie Universität Mozarteum, Landestheater Salzburg, Stiftung Mozarteum Salzburg, IG Komponisten/IGNM Salzburg, Das Kino, Universität Salzburg, ARGEkultur Salzburg, Salzburg Museum, Musikum Salzburg erweitern dabei das Spektrum und wenden sich dabei dezitiert auch an neue Publikumsschichten und Öffentlichkeiten. Dazu kommen die vier thematischen Programmschwerpunkte “Zoom”, “Focus”, “Lichtspielmusik” und “Szenenwechsel” sowie ein Rahmenprogramm aus Workshops, Diskussionen und einigen Überraschungen.

ZOOM

Unter dem Titel “Zoom” stehen die vier Komponisten Michael Giebel, Dieter Schnebel, Friedrich Cerha und Thomas Kessler im Mittelpunkt und werden dabei auch im diskursiven Kontext mit anderen Komponisten (u.a. Alban Berg, Arnold Schönberg, Franz Schubert, Anton Webern, Gustav Mahler, Helmut Lachenmann, Klaus Lang, Bet Furrer, Aaron Copland, Charles Ives, W.A. Mozart) präsentiert.

Von Michael Gielen gibt es dabei die “Variationen für Streichquartett” (mit dem Pellegrini-Quartett), das nach Texten von Hans Arp 1970 uraufgeführte Stück “die glocken sind auf falscher spur” sowie dessen quasi Neubearbeitung (u.a. mittels Tonband und japanischen Tempelglocken) “Klavierstück in sieben Sätzen – recycling der glocken” (mit dem oenm). Zusätzlich wird Karl Thumms filmisches Portrait “Pflicht und Neigung. Michael Gielen – Dirigent und Komponist” gezeigt (alle Veranstaltungen finden am Sonntag, 06.03. im Solitär des Mozarteums statt).

Ganz im Zeichen von Friedrich Cerha stehen dann die Veranstaltungen am 12. und 13. März. Cehra, der Doyen der Neuen Musik in Österreich gehört zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein gemeinsam mit Kurt Schwertsik gegründetes Ensemble „die reihe“ war maßgeblich an der Verbreitung der Neuen Musik nach 1945 beteiligt. Als Komponist und Kompositionslehrer, der sich neuartiger Kompositionsweisen bediente (etwa des legendären “Spiegel”-Zyklus oder als “Fertigsteller” von Schönbergs “Lulu”) wie als Dirigent und Leiter zahlreicher Ensembles (IGNM) ist er aus der Geschichtsschreibung der Klassischen Moderne und der Neuen Musik nicht mehr wegzudenken. Nicht nur als Komponist, sondern auch als quasi Botschafter (z.b. in Form der gemeinsam mit Hannes Landesmann ins leben gerufenen Reihe “Wege in unsere Zeit”), der es mitunter auch immer wieder mit Konfrontationen, Skandalen und einer nicht geringen Gegenwehr zu tun hatte (etwa als er einmal in Wien ein Klavierkonzert von John Cage aufführte).

Bei der Biennale startet der Cerha-Schwerpunkt am 12.03. im Solitär des Mozarteums, wo es ab 11 Uhr eine Feier zum 85. Geburtstag des Komponisten geben wird. Auf dem Programm steht (aufgeführt vom Klangforum Wien) Cerhas “Eine Art Chansons für Klavier, Schlagzeug, Kontrabass und einen Chansonnier” (1985-87). Umrahmt wird die Feierstunde von einer Lesung mit Texten von Friedrich Cerha, Gerhard Amanshauser, Günther Anders. Am 13.03. geht dann der Zoom-Schwerpunkt zu Cehra um 11 Uhr (ebenfalls im Solitär) mit Stücken von Claus-Steffen Mahnkopf, Alban Berg und Cerha (“”Streichquartett Nr.4”) weiter, um ab 19.30 im Großen Saal des Mozarteums seinem Höhepunkt, der Verleihung des “Musikpreis Salzburg” an Friedrich Cerha entgegen zu steuern. Neben Cerhas “Jahr lang ins Ungewisse hinab” wird es auch Elena Mendozas (Förderpreisträgerin des “Musikpreis Salzburg 2011”) “Gramática de lo indecible” zu hören geben. Es spielen das Klangforum Wien und das oenm.

Am Freitag, 18.03. liest dann der Komponist Dieter Schnebel zuerst John Cage’s berühmte “Lecture on nothing” in der kongenialen und ebenso berühmten Übersetzung von Ernst Jandl (Kleines Studio/Mozarteum) und präsentiert später im solitär als Österreichische Uraufführung (und unterstützt durch das oenm) sein Werk “Mild und leise (Bachmann-Gedichte II)” für Altstimme und Kammerensemble. Tags darauf, am Samstag, 19.03. stehen in der Christuskirche zwei sakrale Werke des Komponisten im Mittelpunkt. “amn aus: ‘Für Stimmen…Missa est'”, sowie die Uraufführung des Auftragswerks der Salzburg Biennale “Behütet. Psalm 121 für Chor” (2010). Abgeschlossen wir der Zoom auf Dieter Schnebel dann am Sonntag, 20.03. im Solitär mit seinem “1. Streichquartett”.

Schließlich präsentiert der Schweizer Komponist und Elektronikpionier Thomas Kessler  am Freitag, 25.03. im Solitär die Uraufführung des im Auftrag der Biennale eigens für das oenm geschriebenen “Quintett 2011”, das an diesem Abend gleichermaßen auch als “Antwort” auf Mozarts (an diesem Abend ebenfalls zur Aufführung kommenden) Es-Dur-Quintett fungiert. Dazu gibt es Kesslers “Piano control für Klavier und Elektronik” sowie eine erneute Zusammenarbeit mit dem us-amerikanischen HipHop-Künstler und Slam-Poetry-Star Saul Williams in Form des zusammen mit dem Arditti String Quartet dargebotenen Stücks “NGH WHT für Sprecher und Streichquartett”. Mit dem Sinfonieorchester der Universität Mozarteum und Saul Williams als Sprecher wird dann am Sonntag, 27.03. in der großen Universitätsaula das auf einer Ballade von Williams basierende Stück “…said the shotgun to the head” sein Uraufführung erleben.

FOCUS

Beim Schwerpunkt “Focus” geht es um das Streichquartett, “die Königsdisziplin der Kammermusik”. Dazu kommen sieben international renommierte Ensembles nach Salzburg, um Werke von der Zweiten Wiener Schule bis zur Gegenwart zu präsentieren. Mit dabei sind diesmal das 1997 in Madrid 1997 gründete Cuarteto Casals-Quartett am 04.03. (Solitär) mit Stücken von György Kurtág (“6 Moments musicaux op.44”), Béla Bartók (“4. Streichquartett”), György Ligeti (“1. Streichquartett”).  Weiters das seit 1989 aktive Pellegrini-Quartett. Die Vier Spezialisten fürs Schwierige präsentieren im Rahmen des Zoom-Schwerpunktes zu Michael Gielen im Solitär am 06.03. Werke von Alexander Zemlinsky (“Streichquartett Nr.3 Es-Dur op.19”), Michael Gielen (“Variationen für Streichquartett”) sowie Alban Berg (“Streichquartett op.3”). Ebenso nach Salzburg kommt das bei Neuer oder Alter Musik gleichermaßen experimentierfreudige Kuss Quartett und wird ebendort im Solitär am 11.03. Arnold Schönberg (“Streichquartett Nr. 2 fis-Moll op.10”) und Helmut Lachenmann (“Streichquartett Nr.3 Grido”) aufführen. Weiters tritt das 1992 am Mozarteum in Salzburg gegründete stadler quartett am 13.03. im Rahmen des Friedrich Cerha-Schwerpunktes im Solitär auf und präsentiert die Uraufführung von Claus-Steffen Mahnkopfs “Petit hommage à Thomas Tallis” sowie das “Streichquartett Nr.4” von Friedrich Cerha und Alban Bergs “Lyrische Suite”.

Am 18.03. kommt dann das 1994 an der us-amerikanischen Westküste ins Leben gerufene Pacifica Quartet mit Werken von Mario Lavista (“Reflejos de la noche”), Elliott Carter (“Streichquartett Nr.5”), Georges Crumb (“Black Angels”) zur Biennale (Solitär). Das Diotima Quartett, das seinem Namen einem der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts, Luigi Nonos einzigem Streichquartett “Fragmente, Stille. An Diotima” (1979) entlehnt hat, tritt wenig später am 20.03. beim Zoom zu Dieter Schwebel im Solitär auf und wird Franz Schubert (“Streichquartett Nr.2 C-Dur”), Anton Webern (“Streichquartett op.28”) sowie Schnebels “1. Streichquartett”) aufführen. Und schließlich kommt zum Abschluss der Biennale das einzigartige, 1974 gegründete und mittlerweile auf über 170 CDs zu hörende Arditti Quartetts, das vielleicht wichtigste Ensemble für die Entwicklung der Streichquartettliteratur der Gegenwart. Auf ihren Programm am 27.03. (Solitär) stehen Iannis Xenakis (“Tetras”), Brian Ferneyhough (“Streichquartett Nr.6”) sowie Harrison Birtwistle (“The tree of strings”).

LICHTSPIELMUSIK

Den mannigfaltigen Verbindungen zwischen dem Kino (im speziellen Fall dem frühen Stummfilm) und der Neuen Musik geht hingegen der Schwerpunkt “Lichtspielmusik” an neun Abenden nach. Die Bandbreite reicht dabei von Charlie Chaplin, Stummfilmklassikern wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Nosferatu“ – eine Symphonie des Grauens und “Metropolis”, über experimentelle und surrealistische Stummfilme der 20er Jahre von Walter Ruttmann, Hans Richter, Oskar Fischinger, László Moholy-Nagy, Luis Buñuel/Salvador Dali und René Clair, einem Scherenschnittfilm von Lotte Reininger („Die Abenteuer des Prinzen Achmed“) bis hin zu aktuellen Arbeiten von Sina Moser (“Simon S. goes Hollywood oder das Genie Simon Stampfer”) und Bernhard Braunstein (“Polaroids”, mit der Musik von Manuel de Roo) sowie einem der Filmmusik von Hans Eisler gewidmeten Abend. Als Komponisten und Interpreten sind u.a. Benedict Mason, Martin Matalon, Wolfgang Zeller, Thierry Zaboitzeff, José Maria Sanchez-Verdú vertreten, unterstützt u.a. von Ensemble Modern, oenm, Kammerensemble Neue Musik Berlin, ensemble ascolta. Genauere Informationen dazu erscheinen demnächst in einem gesonderten Artikel auf der mica-Homepage.

SZENENWECHSEL

Multimediale Projekte, sowie Produktionen, die weit über die traditionelle Konzertsituation hinausgehen stehen beim Schwerpunkt “Szenenwechsel” im Mittelpunkt. Präsentiert werden dabei unorthodoxe Zugänge zu musikalischen wie darstellenden Werken. Abende, an den die Augen Ohren machen werden und Ohren Augen.

Die Reihe startet am 03.03.2001 im Salzburger Landestheater mit Heiner Goebbels’ Musiktheater der Grenzgänge zwischen E-Musik, Jazz und Rock nach Texten von Edgar Allen Poe und Maurice Blanchot “Schwarz auf Weiß” (zusammen mit dem Ensemble Modern). Am 11.03. folgt im republic die Theater- und Konzertinstallation “1.2.2.4.4. – eine Metapraxis” des jungen, jedoch schon hohen Kultstatus besitzenden Berliner Solistenensemble Kaleidoskop mit Werken von John Cage, Wilhelm Friedemann Bach, Lisa Bielawa, James Dillon, Francisco Guerrero, Henry Purcell, Jani Christou, La Monte Young und Carl Philipp Emanuel Bach. Tags darauf (12.03.) führt Jay Schwartz in er Rainberghalle seine Kammeroper “Narcissus und Echo” nach Texten von Ovid für Countertenor, Viola, Schlagzeug und Orgel auf. Mit György Kurtág’s “Kafka-Fragmente” steht dann am 17.03. im Landestheater eine Zusammenarbeit mit dem Réseau Varèse und dem Landestheater Salzburg auf dem Programm. Geboten wird eine Stunde Musik, bestehend aus 40 kleinen Stücken für Stimme und Geige. Aabgeschlossen wir die Reihe mit dem “Klavier-Kosmos” vom GrauSchumacher pianoduo (19.03., Stiftung Mozarteum, Großer Saal) eine interstellare Reise durch die Universen von George Crumb, György Kurtág, Olivier Messiaen, Béla Bartók, Peter Eötvös und Karlheinz Stockhausen.

ATELIER GESPRÄCHE

Intime Einblicke in das Schaffen von Komponisten verspricht diese Veranstaltungsreihe. Konzipiert wurden die seit dem Wintersemester 2009/10 regelmässig stattfindenden “Atelier Gespräche” als Teil des Salzburger Universitäts-Schwerpunktes “Wissenschaft und Kunst” im Rahmen des “Arts & Aesthetics”. Bei der Salzburg Biennale widmet sich diese Reihe an vier Abenden den “großen 4 der Salzburg Biennale”. Am 04.03. spricht Dr. Julia Spinola mit Michael Gielen, am 11.03. Hannes Eichmann mit Friedrich Cerha, am 18.03. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Rathert mit Dieter Schnebel und am 25.03. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Renger mit Thomas Kessler (jeweils 11.00 Uhr bis 12.30 Uhr im Atelier, Bergstraße 12, Eintritt frei).

INTERNATIONALES SYMPOSIUM

Das von der Universität Mozarteum Salzburg sowie dem Universitätsschwerpunkt “Wissenschaft & Kunst” (Arts and Humanities) gemeinsam veranstaltete Symposium “Arbeit am musikalischen Werk. Zur Dynamik künstlerischen Handelns” behandelt vom 24.03. bis zum 26.03. Fragen der verschiedenen kompositorischen und interpretatorischen Arbeitsprozesse als Grundlagen der Entwicklung zeitgenössische Musik. Im Focus stehen dabei Komponisten wie Pierre Boulez, Luigi Nono, Wolfgang Rihm, Dieter Schnebel, Otto M. Zykan und die mitunter sehr verschiedenartigen Versionen ihrer Werke (Universität Mozarteum, Eintritt frei).

LIVE DABEI

“Live dabei”, so nennt sich das “Jugendprogramm der Salzburg Biennale 2011” bei dem Schülerinnen und Schüler ihre Arbeiten zur “Wort – Klang – Musik” präsentieren werden. Bei “The Weekend of Movies” (05.03., Hörsaal der Universität Mozarteum Salzburg) präsentieren Schülerinnen und Schüler aus Salzburger Gymnasien Vertonungen von Ausschnitten aus Chaplin-Filmen. Am 13.03. geht es dann im Steinway-Saal des Musikum Salzburg mit Schülerinnen und Schüler des Musikum Salzburg auf eine von Simone Fontanelli konzipierte Reise der Geigen- und Celloklänge in südliche Gefilde. Mit Deiter Schnebel, dem “Meister der Grenzüberschreitung”, setzen sich am 17.03. Schülerinnen und Schüler des BORG-Nonntal, des Privatgymnasiums der Ursulinen Salzburg, des BORG-Akademiestraße sowie des Karl Heinz Böhm Gymnasiums auseinander, wenn sie sich im Solitär dessen Werk und Klangszenen aus Texten von Franz Kafka und Ernst Jandl widmen werden. “Sprachspiele & Co” heißt es dann am 24.03. im Theater in der Druckerei (Bergstraße), wo Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen und Altersstufen ihrer Fantasie und Kreativität bei diversen Sprachspielen freien Lauf lassen werden..

MUSIKÜBERFALL

Dass es nicht unbedingt Konzertbesuche benötigt, um während der Biennale 2011 in Salzburg mit Neuer Musik in Kontakt zu kommen, beweist dieses, nicht umsonst etwas geheim gehaltene Projekt der IG Komponisten-IGNM Salzburg (Konzeption: Stefan David Hummel, Klemens Vereno). Im Mittelpunkt stehen dabei Klangaktionen (u.a. mit den vom Komponisten Herbert Grassl und dem bildenden Künstler Otto Beck erdachten und für die Biennale 2011 auf den neuesten technischen Stand gebrachten, fast schon legendären Klangmobilen) in der Altstadt (jeweils Freitags und Samstag ab 12:30 Uhr), die ebenso überraschen wie auch irritieren sollen. Oder wie es im Programmtext formuliert ist: “Auf Plätzen und Türmen, in Kirchen, aus Fenstern und Kanälen der Altstadt wird es klingen – von der Orgel bis zum Alphorn, von der Soloperformance bis zur Turmmusik, von der Klangskulptur bis zur Elektronischen Musik und selbst das altehrwürdige Salzburger Glockenspiel am Domplatz spielt dabei mit.”