Porträt: Johannes Maria Staud

Johannes Maria Staud ist darauf bedacht, in jeder Komposition etwas zu versuchen, das in früheren Werken noch nicht zu finden war. Diese Offenheit spiegelt sich nicht nur in seinem inzwischen umfangreichen, an Werken vom Solostück bis zur groß angelegten Orchesterkomposition reichenden Katalog, sondern mindestens ebenso in den heterogenen Elementen, die er in diesen verarbeitet.

So ist das Verbindende seiner Werke in der Vielgestaltigkeit eher als in einer konstant herauszuhörenden Komponente zu suchen. Zudem lässt sich Staud von unterschiedlichsten Einflüssen aus Philosophie, bildender Kunst, Literatur und zahlreichen weiteren Bereichen inspirieren. Vor allem auch das Weiterentwickeln von Elementen aus Werken des klassischen Kanons ist immer wieder zu finden, etwa auch in “Segue”, in dem Staud ein Mozart-Fragment weiterführt. Wie er das macht, ist bei der Mozartwoche zu hören, die den gebürtigen Tiroler zum Composer in Residence kührte und so auch zwischen 24.1. und 3.2. zahlreiche weitere Werke von ihm auf das Programm gesetzt hat.

“A map ist not the territory”

Von der Auseinandersetzung mit anderen Kunstformen zeugen Werke wie Black Moon (1998) mit Bezug auf den gleichnamigen Film von Louis Malle, die Oper Berenice (2003-2004/2006) nach der gleichnamigen Erzählung von Edgar Allan Poe, oder auch Bewegungen (1996) auf ein Zitat von Jean-Paul Sartre über sich im Wind bewegende Äste. Diese Verweise haben zum einen den Sinn, dass Staud über diese sprechen könne und sich dabei nicht über seine Musik äußern müsse, wie er Lothar Knessl offenbart. Doch ist er an der reinen Übertragung einer Vorlage auf seine Musik auch nicht interessiert; vielmehr sind es die Überlegungen dazu, die ihn zu rein musikalischen Gedanken führen. So waren es die Postulate von Alfred Habdank Korzybski, die Staud zu dem nach der Prämisse benannten Ensemblewerk „A map is not the territory“ (2001) anregten. Der polnisch-amerikanische Linguist machte darauf aufmerksam, dass die Landkarte nicht mit dem von ihr beschriebenen Gebiet ident ist, jedoch hilfreich sein kann, um sich darin zurecht zu finden – Aspekte, die nicht nur für die Orientierung im Gelände, sondern im übertragenen Sinne auch im sozialen Rahmen von Bedeutung sind. Dies veranlasste Staud zu Überlegungen bezüglich der musikalischen Realisierung, in der das Erklingende nicht mit der Partitur übereinstimmt und das von den Rezipierenden Wahrgenommene des zu Hörenden wiederum von der Interpretation letzterer geprägt ist. Dennoch stehen diese Ebenen in einer spezifischen Beziehung zueinander, und speziell das Pendeln zwischen diesen war es, das Staud interessierte und auch weiterhin beschäftigt.

Die Stringenz des musikalischen Gedankens ist es auch, die die Hörenden – ähnliche einer solchen Landkarte – durch die Werke führt und ihnen Anhaltspunkte zur Orientierung bietet. Nicht nur Anhaltspunkte, sondern unzählige Vorschriften sind es, die die Musizierenden durch minutiöse Spielanweisungen in den genauestens ausgearbeiteten Partituren erhalten. Nur ein Aspekt, anhand dessen dem 1974 in Innsbruck geborenen Komponisten und Schüler von Michael Jarrell, Iván Eröd, Hanspeter Kyburz und Brian Ferneyhough oftmals ungewöhnliche Beherrschung des Orchesterapparates für sein noch bescheidenes Alter zugeschrieben wird. Neben den groß besetzten Werken zeigt sich auch in den solistischen Arbeiten sein handwerkliches Geschick: In Black Moon etwa lotet er die klanglichen Möglichkeiten und Spielweisen der Bassklarinette von Flatterzunge bis Glissando aus. Kleine Zellen befinden sich in steter Entwicklung und führen so von ruhigen Passagen zu eruptiven Ausbrüchen.

Weiße Flecken endlich kartographisch erfasst

Durch die Veränderung steht das Gehörte in Beziehung zu bereits Erklungenem, bringt dies in unterschiedlichsten Gestalten wieder, wie der in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wiederkehrende Wechsel zweier tiefer Töne – mal als Triller, mal in langsamerer Folge und in die Höhe aufbrechend. Bezüge finden sich so innerhalb einzelner Werke. Incipit III (2005) für Posaune solo, Streichorchester, zwei Hörner und Schlagzeuger stellt zudem deutliche Verbindungen zu den beiden früheren Incipit-Stücken, deren ausgewählte Elemente erneut aufgegriffen und anders verarbeitet werden, andere hingegen weggelassen werden. Und auch hier zeigen sich wieder Bezüge zu Außermusikalischem – sowohl zur Metapher der Landkarte, nach der „,weiße Flecken’ nun endlich kartographisch erfasst wurden“, aber auch zu Italo Calvino und damit erneut zur Literatur.

Verschwiegen wurde bisher die oftmals den Kompositionen zugrunde liegende Konstruktion. So hat Staud ein Faible für Zahlenverhältnisse und andere abstrakte Prinzipien, ist jedoch stets darum bemüht, dass diese nur als Mittel zum Zweck dienen. So bewegt sich Staud ständig zwischen den Polen rationaler Konstruktion und künstlerischem Gestaltungswillen.

Doris Weberberger

Foto: Klangspuren Schwaz/Mateo Taibon