Porträt: Hannes Löschel

Im Zeichen des österreichischen Musikers und Komponisten Hannes Löschel stand ein Abend im Großen Sendesaal des Wiener Radiokulturhauses am 14. April, veranstaltet von der Jeunesse in Zusammenarbeit mit dem ORF. Im Vorbericht dieses Porträtkonzertes hieß es, es sei schwer, Hannes Löschel einzuordnen .Mit diesem mica-Porträt versuchen wir dem Abhilfe zu leisten. Die Ausführenden des ihm gewidmeten, von ihm auch am Klavier mitbestrittenen Abends waren die wunderbaren Musiker des Ensembles Phace-contempoary music unter der Leitung von Simeon Pironkoff. Mit von der Partie auch Josef Novotny und dieb13.

Als „Musik an der Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Konfrontation“ bezeichnete Komponist Hannes Löschel einmal seine Arbeiten und bespielt denn auch einen weiten Aktionsradius: Neue Musik, Jazz, Improvisation, das eigene Label »loewenhertz« sowie Unterrichts- und Veranstaltertätigkeit oder eine Vielzahl konzertanter und szenischer Produktionen mit Film, Theater und Tanz …

Zwei Kompositionen von den Bregenzer Festspielen in den letzten Jahren bildeten die Grundlage seines Porträtabends. „Spin“ (2006), eine ‚Suite’ für Streicherensemble, Klavier, Turntables und Elektronik kam im ersten Teil zur Aufführung. Der 2.Teil brachte mit „Flug“ (2009) eine Re-Komposition von Materialien aus der Produktion „Paradise Lost – Exit Eden“ für Musik und Tanz zur Uraufführung. Es war ein Auftragswerk von ORF und Jeunesse. Ergänzt wurde das Programm mit einem weiteren Ensemblestück („Geflecht“, 2008) aus der „Paradise lost“-Produktion und einer eher knappen und dezent gehaltenen (der Abend war lang) Realtime- Composition bzw. -Improvisation für Klavier, Turntables und Elektronik („Schicht“, 2010 UA).

2007 gab es bereits ein mica-Interview mit Löschel, der im Juni 2007 im Österreichischen Kulturforum New York sein Programm “Ballade d’Europe” mit einigen Veteranen des improvisierten Jazz in den USA präsentierte: Mit „Die Erotik der Widersprüchlichkeit“ betitelte Autor Johann Kneihs (Redakteur bei Ö1) damals sein Gespräch: Hannes Löschels Ton- und Klangmaterial umfasst Johannes Brahms (rückwärtsgespielt) ebenso wie brasilianische Telenovelas oder Wiener Dialektlieder auf der CD “Herz.Bruch.Stück” (2007). Das Setting kann eine Klein- und Kleinstbesetzung in intimem Rahmen sein, oder aber ein 3000-Mann-Zelt bei einem Jazzfestival.

Hannes Löschel, geboren 1963 in Wien, absolvierte eine musikalische Ausbildung an der Hochschule für Musik und trat bald auch als Interpret zeitgenössischer Musik auf. Schon an der Hochschule  kam der Kontakt mit zeitgenössischer Musik. Weitere Stationen: improvisierte Musik im Duo mit der Schlagwerkerin Elisabeth Flunger (ab 1990), das Trio Löschel Skrepek Zrost (ab 1995) für dessen CD While You Wait, Hans-Koller-Preis 1997,  Kompositionen unter anderem für das Koehne Quartett, das Janus Ensemble, Ambitus oder Ensemble Plus, Auftragswerke für den echoraum Wien (ab 1995 (!) , das Wiener Volksliedwerk, das Diagonale-Film-Festival, Jeunesse, Open Music, Jazzfestival Saalfelden (“Mullatschak”, 2004) und die Bregenzer Festspiele (KAZ) (2006).

Zusammenarbeit mit der Choreographin Rose Breuss, dem Figurentheater Christoph Bochdansky und dem Filmemacher Gustav Deutsch. Bochdansky wird übrigens bei OdeonMusik im Herbst 2010 für die „Geisterbahnmontage“ bei Wien.Schnitt.Bild (in Kooperation mit FilmArchivAustria) verantwortlich zeichnen, die „Cinematographics“ stammen von Johannes Novohradsky, auch er ein langjähriger Partner und Mitstreiter Löschels. Musik wird es von und mit Theresa Eipeldauer, Michael Bruckner, Bernd Satzinger, Burkhard Stangl, den Strottern und … Hannes Löschel geben, der im Odeon heuer als künstlerischer Leiter und Artist in Residence fungiert.

Die vielleicht komplexeste Komposition Löschels der letzten Jahre war auch „Spin” – das man am 14.4. als Suite hörte – ursprünglich ein Projekt mit der Choreographin Rose Breuss: „Nicht im Traum” (Produktion im Tanzquartier Wien) war eine groß angelegte Arbeit mit Tanz und Musik über Heinrich von Kleists Theaterstück „Käthchen von Heilbronn”, mit erweitertem Streicherensemble, aber auch Klavier, Turntables und Live-Elektronik. Hannes Löschel: „Spin” ist ein Begriff aus der Physik und Quantenmechanik (engl. Drehung, Drall), der den Eigen-Drehimpuls kleinster Elementarteilchen beschreibt, und den ich deswegen da genommen hab’, weil es bei dem Stück darum geht, dass das Ensemble nach einem notierten Material spielt, und dieses Material führt das Ensemble immer wieder zu Spins, zu Momenten, wo sich das Material in freiem Spiel immer mehr verdichtet und in sich selbst zu drehen beginnt, und das Ensemble dann, bevor’s im wahrsten Sinn des Wortes verrückt wird, wieder in der Notation weitergeht zu einem nächsten Spin.“

Das könnte man dann – teilweise improvisiert – auch instrumentale wie elektronische „Loops“ nennen, bestätigte Löschel im Gespräch der Moderatorin Ursula Strubinsky. Auf dem Spielfeld eines mit Flügel Turntables (dieb13) und Elektronik (zu Beginn des Abends bereits ein Bass-Dröhnen aus den Lautsprechern, das Novotny aber dann perfekt eliminierte, als das Streicherensemble leise spielte) „schälen sich einzelne Elemente aus dem Notentext,  scheinen für einige Momente unvorhersehbare Eigendynamik zu entwickeln“, bevor sie wieder in die „Organisation“ integriert werden. Fünf Sätze, die auch den verwendeten Spieltechniken zugeordnet werden können: Ready Made, Spins, Rad, Flügel, Kaskade.

Löschel unterrichtet seit längerem an der Bruckner Musikuniversität in Linz, hält dort auch Vorlesungen über improvisierte Musik in verschiedenen Szenen ab und hat sich im Vorjahr im Fach „Komposition in interdisziplinären Kontexten“ habilitiert. Genau so legt er aber auch Wert auf seine Tätigkeit als Pianist, mehr noch als „Klavierpädagoge“. Unterrichten ist für ihn keineswegs ein lästiger Brotberuf: „Also ich halte das mittlerweile für einen der höchstqualifizierten Brotberufe als Musiker“.
Über Josef Novotny und über Tasteninstrumente schrieb Hannes Löschel: „Tasteninstrumente an der Schnittstelle zwischen alter und aktueller Musik, improvisatorische Praxis als Bindeglied zwischen gegenwärtigen Gebräuchen und vergangenen. Die Brücke von Tasteninstrumenten als „Klangmaschinen“ zur Elektronik, zum Synthesizer und zum Computer. Dies sind die Grenzgebiete, in denen der oberösterreichische Musiker Josef Novotny komponiert, improvisiert, experimentiert und empirisch forscht.“

„Geflecht“ für Ensemble, „Schicht“ für Trio und der uraufgeführte „Flug“ für Ensemble und Sampler im zweiten Teil entstammen dem „Paradise lost – Exit Eden“-Kontext. Das war die szenische Zuordnung (im Auftrag von Bregenz 2008) einer „Beschreibung des Flugs Satans aus der Unterwelt auf dem Weg ins Paradies“. Geflecht ist ein Diskurs über den Aggregatzustand des Kurzen, Schicht eine Improvisation, „basierend auf einem Material über Schichtung und Überlagerung“.

Im  „Flug“ geht es um die Idee des „Durchquerens durch Schichten wie Welten als Beschreibung geringer Veränderung, es spielt mit „Schnelligkeit im Stehenbleiben und Langsamkeit im schnellen Fortkommen … Die Musik nimmt sowohl die Position der Bewegung als auch ihrer Umgebung ein.“ (hr)

Die Besetzung des Porträtabends:
Phace – contemporary music

Walter Seebacher Bassklarinette
Balduin Wetter Horn
Peter Travnik Trompete
Bernhard Rainer Posaune
Annelie Gahl Violine
Ivana Pristasova Violine
Shang-Wu Wu Viola
Roland Schueler Violoncello
Nikolay Gimaletdino Violoncello
Tibor Kövesdi Kontrabass
Michael Seifried Kontrabass

Simeon Pironkoff jun.
Dirigent

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