Komponist, Musikwissenschaftler, Organisator, Ö1-Redakteur? Als was sich Hannes Heher eigentlich in der Hauptsache fühlt, muss man ihn wohl selber fragen, wenn man ein Portrait über ihn verfassen möchte. Logischer Treffpunkt: Das ORF-Kulturcafe in der Argentinierstraße. Nach freundlicher Begrüßung und der Versicherung des Interviewers, dass das wohl alles miteinander zusammenhängt, kommt prompt die erste klare Antwort: „Mit Leib und Seele nicht nur Komponist. Weiterer Schwerpunkt: Musikwissenschaft. Thema der ‚verfemten Musik’. Und Funktionär sein – etwas für die Sache tun: Leitungsfunktionen im ÖKB (Österreichischer Komponistenbund).
Drittens: Das war nach dem Studium. Wir warten jetzt nicht, bis wir entdeckt werden und aufgeführt werden, sondern tun selber etwas. Stellen etwas auf die Beine. Das hatte den etwas sperrigen Titel Verein zur Präsentation neuer österreichischer Musik. ‚Music On-Line’ war dann der nächste Name.“ Die Mitarbeit im Rundfunk – ein durchaus geliebter „Brotberuf“ – ergab sich 1999.
Aber der Reihe nach: Hannes Heher, geboren 1964 in Wien, wuchs in Neunkirchen in Niederösterreich auf. Während seiner Schulzeit unterrichtete ihn der Pianist und Komponist Wolfram Unger (1946–1983) in Klavier und Musiktheorie. Ab 1982 studierte Heher elektroakustische und elektronische Musik, Tonsatz, Musikerziehung und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Geschichte an der Universität Wien sowie Chemie an der Technischen Universität.
Nach seinem Abschluß (M.A. 1992) widmete er sich verstärkt der Komposition und engagierte sich als Organisator von Konzerten mit überwiegend neuer Musik. Daneben war er als Musik- und Geschichtslehrer sowie als Klavier- und Gesangspädagoge tätig. Schon 1988 gründete er mit Wolfram Wagner und Michael Meixner den „Verein zur Präsentation neuer österreichischer Musik“, der später in „Music on Line“ umbenannt wurde. Dieser überwiegend aus komponierenden Mitgliedern bestehende Verein verfolgte zunächst das Ziel, Werke junger österreichischer Komponisten (u.a. Michael Amann, Johannes Kretz, Lukas Ligeti, Christian Minkowitsch, Simeon Pironkoff jun., Thomas Herwig Schuler, Wolfgang Seierl, Alexander Wagendristel) aufzuführen, aber auch Musik vernachlässigter Komponisten (z.B. Hans Erich Apostel, Francis Burt, Karl Heinz Füssl u.a.). 2006 begann Hannes Heher ein Doktoratsstudium an der Musikuniversität Wien und an der Universität Wien.
Der Komponist
Als Komponist maßgebliche Einflüsse durch die Arbeit mit den Professoren Karl Heinz Füssl und Heinz Kratochwil, wesentliche Erkenntnisse ergaben sich auch durch die Beschäftigung mit den politischen und musikalischen Ideen Hanns Eislers. Das Werkverzeichnis ist eigentlich nicht so üppig wie bei manchen Kollegen. Nachhörbare Aufnahmen mit verschiedenen Kompositionen Hehers, erschienen 1999 auf „Extraplatte“, gibt es mit sehr guten Interpretinnen und Interpreten (Lieder mit Anna Maria Pammer, Adrian Eröd, Rupert Bergmann, Psalmenfragmente mit den Wiener Vokalisten, ein revidiertes Streichquartett von Egon Wellesz u.a). Natürlich hat Hannes Heher 2009 auch eine „Miniatur“ für das RSO Wien mit dem für die damalige Situation des Orchesters bezeichnenden Titel „RSOS“ komponiert. Die letzte CD mit einem Werk von ihm erschien dieses Jahr auf dem Label „Capriccio“, dirigiert von Peter Burwik mit dem ensemble xx.jahrhundert. Neben Stücken von Thomas Heinisch, Wolfgang Liebhart, Karlheinz Essl, Jorge Sanchez-Chiong sind darauf Hehers „Metamorphosen“ aus dem Jahr 1999 in einer revidierten Fassung zu hören, zu der er für die Fassung 2012 einen Zusatz komponierte „In der Musik für das Burwik-Ensemble habe ich noch ein ‚Sätzchen’ dazugeschrieben: Dass ich doch nicht sicher bin, dass es einmal eine Zeit geben wird, in der der Mensch dem Menschen kein Wolf mehr ist, wie es bei Brecht hieß. Natürlich hoffe ich mit vielen anderen, dass wir einer positiveren Zukunft entgegengehen, dass es nicht mehr nur Kapitalismus und Ausbeutung gibt, wo sich die Leute gegenseitig nur umbringen (natürlich verkürze ich das jetzt).“
Zum Verhältnis Musik und Politik kommen wir noch. Auffallend beim Komponieren ist generell eine Liebe zu kleinen Formen. Wie würde sich Hannes Heher als Komponist definieren? „Es ist so, dass ich wirklich sehr langsam komponiere, wodurch es relativ wenige Stücke von mir gibt. Und dass ich jedes Mal einmal gleich kalte Füße kriege, wenn ich einen Auftrag bekomme. Debussy soll einmal geäußert haben, nachdem er einen Auftrag bekam und wissen wollte, wie viel Zeit er dafür habe und ihm beschieden wurde – drei Monate: ‚Um Gottes willen, drei Monate brauche ich, um mich zwischen zwei Akkorden zu entscheiden’. So ähnlich geht es mir. Ich bin, was Aufträge anbelangt, auch sehr selektiv. Ich kann es nicht steuern. Es gibt eben Wochen, wo man sitzt und etwas produzieren will, und es geht nicht. Und irgendwas auf Teufel komm raus hinzuschreiben war noch nie meins.
Das allerletzte Stück, das von mir uraufgeführt wurde, war vor neun Tagen. Das gab es dieses Festival der Neuen Musik in Niederösterreich, darüber hat das mica berichtet. Es ging um die Neugründung des Max Brand-Ensembles. Da gab es von Christoph Czech eine Kettenkomposition, und da wurden verschiedene Komponisten gefragt, ob sie Lust haben, so ein ‚Kettenglied’ zu machen und ich habe zunächst lange überlegt. Das war wieder die typische berühmte Situation mit den drei Wochen, aber dann habe ich gedacht, ok, und es ist fertig geworden. Wieder ‚nur’ so eine Miniatur, anscheinend ein Zug meines kreativen Schaffens, dass mich das Kleine, das Kurze sehr fasziniert und ich verhehle nicht, dass für mich Webern neben Eisler auch eine ganz prägende Persönlichkeit war. Etwas wirklich knapp und dicht gedrängt zusammenfassen, finde ich wirklich etwas sehr Spannendes, sehr viel auf sehr wenig Platz zusammenfassen.“
Musik und Politik
Hannes Hehers erster wichtiger Lehrer war der Komponist Karl Heinz Füssl, der sich in der Nachkriegszeit durchaus im Umfeld der KPÖ, Ernst Fischers und auch Hanns Eislers bewegte, der ja etliche Jahre in Wien tätig war und dem man als Kommunisten und dazu auch noch Schönberg-Schüler eine ihm zustehende Lehrstelle an der Musikhochschule verweigerte, der aber unverdrossen für das Scala-Theater Bühnenmusiken komponierte und sehr oft auch das Rundfunk-Sinfonieorchester leitete, auch noch, als er bereits zwischen Wien und der Hauptstadt der DDR pendelte.
„Ich war immer der Meinung und bin’s heute noch, dass Kunst ohne den Blick auf die Politik einfach nicht möglich ist. Ich wurde durch meinen Lehrer Karl-Heinz Füssl auch politisch geprägt. Ich habe ihn nur zwei Jahre lang erleben dürfen, aber es war immer sehr spannend mit ihm. Es gab viele Dinge, nicht nur musikalische, zu besprechen. Da ist sehr viel an mir hängen geblieben. Ich habe mich dann ja selber über die Jahrzehnte mit Hanns Eisler beschäftigt, bin auch österreichischer Vertreter in der Internationalen Eisler-Gesellschaft und denke halt noch immer – und da bin ich gern Saurier – dass Kunst ohne Politik nicht möglich ist.“
Beim letzten Eisler-Kongress in Berlin hielt Heher einen Vortrag über Hanns Eisler und die RAVAG, wo er viel herausbekommen hat. „Es gab natürlich so was wie eine Siegerjustiz, das war nach dem Ende der DDR so, aber auch mit dem Ende der Besatzungszeit. Hanns Eisler hat das RAVAG-Orchester (damals noch das Große Wiener Rundfunkorchester) sehr oft und sehr intensiv dirigiert. Da gab es überall Bänder mit den Aufnahmen. Und das ist bis auf ein kleines Stück, das nicht einmal drei Minuten lang dauert, alles vernichtet worden! Alles eingestampft.“
Darauf müsse man aber auch hinweisen. „Gerade heute las ich wieder in der Zeitung, dass die Politikverdrossenheit immer schlimmer und schlimmer wird. Da muss man mitreden, und vielleicht kann ich in dem Zusammenhang objektiver herangehen. Was ich an der Ausbildung der Komponistinnen und Komponisten immer wieder kritisierte, dass Musik mehr ist, als Noten zusammenzusetzen, dass man über alles rundherum, etwa auch über Rechte Bescheid wissen muss Welche Art von Text darf vertont werden. Es gibt ja auch Texte die noch geschützt sind. Das ändert sich allerdings jetzt langsam. Aber das ist alles Politik. Ich glaube noch immer daran, dass Musik mehr sein muss als Klänge erfinden. Je weniger optimistisch ich auch bin, glaube ich doch, dass Kunst, nicht nur Musik, etwas bewegen kann, bei Menschen eine Veränderung herbeiführen kann.“
Arbeit im Rundfunk
„Fasziniert hat mich immer, etwas zu machen. Ein bisschen einzugreifen ins Musikleben und etwas hinzustellen, aufzugreifen, was vielleicht nicht immer so Platz hatte in den herkömmlichen Institutionen der Musik, auch Neuer Musik. Oder auch etwas zu spielen, was man in Wien nun schon lange nicht hören konnte. Also in diese Richtung. Mich interessiert vom Kuchen nicht der Kuchen sondern die Rosinen. Ich suchte mir immer so kleine Spezialthemen aus. Da bin ich kreativ als Komponist, als Musikwissenschaftler und als Organisator. Ich absolvierte auch eine pädagogische Ausbildung, habe aber sehr bald erkannt, dass ich keiner bin, der pädagogisch tätig sein will. Ich bin gerne immer offen für jede Art von Diskussion, aber ich würde ungern in einer Schule stehen, um zu unterrichten, Leuten etwas Neues beizubringen, von dem ich nicht weiß, ob sie das überhaupt wollen. Allerdings ist es ja für Komponisten ja nicht ganz so einfach, den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das ‚Standbein’ habe ich im ORF hier gefunden“.
Das ist ja nicht nur Moderation von Sendungen, sondern es geht auch viel um Editionen, CD-Produktionen. „Bei Zeitton-CDs im Team zu sein, ist sehr fein, weil man immer wieder auch Dinge machen kann, die nicht so viele machen. Ein Beispiel. Demnächst wird eine Gerhard Lampersberg-CD erscheinen, wofür ich mich sehr eingesetzt habe, weil ich finde, dass das eine ganz spannende Persönlichkeit war. Eine weitere Aufgabe, die mir, obwohl juristisch nicht in dem Sinn ausgebildet, zugefallen ist: Ich darf hier im Haus auch mein Wissen dafür verwenden, was überhaupt gesendet werden darf.“
Die Edition Zeitton und „Komponisten der Gegenwart“ ermöglicht in der Tat die Auseinandersetzung nicht nur mit neuester Musik, sondern eben auch mit vielen unterbelichteten Facetten österreichischer Musik des 20. Jahrhunderts. Und Hannes Heher freut sich, viel zu tun zu haben. Vielseitigkeit ist für Hannes Heher eine Kraftquelle, macht ihm Freude, auch wenn er oft „mit hängender Zunge“ arbeitet. „Noch einmal, der Satz ist mir sehr wichtig: Es geht mir um die Sache, und nur sekundär um mich.“ Derzeit ist er verstärkt gefordert, da Klaus Ager nach einer Herzerkrankung als ÖKB-Präsident für etliche Zeit nicht zur Verfügung stehen wird können. (Heinz Rögl)
Foto Hannes Heher © Simonis
http://www.komponistenbund.at/