Porträt Fuckhead

Das mit der Namensfindung für eine Band ist ja immer so eine ganz eigene Sache. Prägnant sollte er sein, der Name, einfach zu merken und im besten Falle schon mal suggerieren, auf welcher Baustelle die jeweilige Formation denn so ungefähr am Werken ist. So simpel diese Zielvorgaben aber auch anmuten mögen, so grandios scheitern letztendlich die meisten Bands daran und berauben sich selbst damit sozusagen der Möglichkeiten einen bleibenden ersten Eindruck zu hinterlassen. Fuckhead hingegen haben, wie der klingende Bandname unter Beweis stellt, diese Hürde schon mal mit Bravour gemeistert.  

Der Wille zum Krach

Von Anfang an wird hier gleich mal klar gestellt, dass man mit Sicherheit keine Musik macht, zu deren Begleitung Großmutter im Supermarkt, melodisch pfeifend, den Einkaufswagen um die nächste Regalkonstruktion herum und dann Richtung Gemüseabteilung manövriert. Vielmehr kommen einem hier gleich Musikdarbietungen der brachialeren Sorte in den Sinn – und das völlig zurecht. Allerdings ist dies nur der Anfang und die bis hin zum Exzess zelebrierte Wirklichkeit wird am Ende jegliche Vorstellung meilenweit hinter sich lassen. Aber alles der Reihe nach.

Gegründet wurde die Band bezeichnender Weise in der “Stahlstadt” Linz im Jahr 1988 von den Gebrüdern Bruckmayr, die sich bereits zuvor gemeinsam in der Post Punk-Band “Dead Souls” der nicht gerade kuschelweichen Seite des klanglichen Spektrums zugewandt haben und in den, im musikalischen Historienboden festgestampften, Spuren von Killing Joke gewandelt sind. Nachdem die Dead Souls dann endgültig und ohne Wiederkehr über den Jordan gegangen waren, zementierte Didi Bruckmayr, kurzfristig im Alleingang, das Fundament von dem, was später einmal Fuckhead werden sollte. “So richtiger Industrial Krach vom Band”, maßgeblich beeinflusst von Bands wie Test Department oder den musikalisch komplexeren Einstürzenden Neubauten. (Für den “Aha”-Effekt zwischendurch: “Fuckhead nennt sich auch der Track-Titel einer Test Department-Nummer.) Als dann kurz darauf Bruder Christian Bruckmayr hinzu gestoßen ist, war auch schon das erste Fuckhead-Lineup komplett und die Bandgeschichte nahm ihren Lauf: am Schlagzeug Christian Bruckmayr und, seine eigenen Stimmbänder sowie diverse Noise Generatoren malträtierend, Didi Bruckmayr. Ein dynamisches Duo, wie es dynamischer wohl nicht hätte sein können.

Nichtsdestotrotz, wenn man auszieht, um Krach zu machen, kommt einem zwangsläufig irgendwann einmal die Idee, die an sich schlüssige Formel, “mehr Leute = mehr Krach”, einem Feldversuch zu unterziehen. Dementsprechend wurde das Fuckhead-Lineup im Jahr 1990 großzügig auf Quintett-Größe erweitert und zu Stimme und Schlagzeug drängten sich nunmehr zwei Bässe (Walter Nadler am Noise Bass, Thomas Pichler am Stand-Bass) sowie eine Gitarre, bedient von Rainer Waldhoer, im Proberaum. Mit sich gebracht hat dieser Lineup-Wechsel dann aber nicht bloß ein paar weitere Staubfänger in den Übungsräumlichkeiten, sondern auch einen “bühnentauglicheren” Gesamtsound, der sich mehr in Richtung Noiserock orientiert und entwickelt hat. Bespielt wurden dementsprechend vor allem Hardcore Clubs und ähnliche Schuppen – und das bereits auf internationalem Parkett, auch in Deutschland, Polen und Italien.

Nachdem die gemeinsam kreierten Klänge auf zwei Tonträgern für die Nachwelt konserviert wurden, haben im Jahr 1992 die Gitarre und der Noise Bass mitsamt ihren Besitzern dem Fuckhead’schen Proberaum und Kollektiv adieu gesagt und sich neuen Tätigkeitsfeldern gewidmet. Ersetzt wurden sie durch zwei junge Free Jazz Musiker, die den Interessen der Bruckmayr Brüder, nämlich Elektronische Musik, Death Metal, Industrial sowie Performance Kunst, mehr abgewinnen konnten, als noch ihre Vorgänger. Den Bass übernahm fortan Josef Linschinger, ein ausgebildeter Pianist und der ehemalige Bassist Michael Strohmann tauschte Vier- gegen Sechs-Saiter und besetzt bis heute als unerschöpfliche Kreativquelle die Stelle des Gitarristen.

In dieser Besetzung wurden erstmals auch die heute berühmt berüchtigten ironisch-grotesken Bühnen-Choreographien und -Performances auf das Publikum losgelassen, wenngleich die Idee hierfür schon viel länger zumindest in Didi Bruckmayrs Kopf herumgespukt ist. “Bereits als Solist hatte ich ein klares performatives Bild im Hinterkopf, allerdings nicht den Schneid, das irgendwie zu realisieren. Ich habe mir gedacht, es würde einfach reichen, Krach zu machen und herum zu schreien – das war es dann aber natürlich eher nicht. Die Bilder, die ich im Kopf hatte, waren alle abgeschaut: Bilder der Wiener Aktionisten einerseits, aber auch solche von Performance-Artists, wie beispielsweise Diamanda Galas. Mit denen mitzuhalten ist aber natürlich nicht besonders einfach.” Wenn auch die Mitglieder von Fuckhead alle einen unterschiedlichen musikalischen Background hatten, so war es letztendlich doch die gemeinsame Liebe zum theatralischen Ausdruck, die Ausschlag gebend war, mit Fuckhead das Performance-Element zu forcieren und damit im Laufe der Bandgeschichte kontinuierlich die Grenzen zu verschieben bzw., wie später dann auch geschehen, gelegentlich in aufsehenerregender Weise zu durchbrechen.

Neben dem Streben nach den für die Live-Auftritte besten performativen Ausdrucksmöglichkeiten war man in dieser Konstellation aber auch im Studio nicht ganz untätig. So entstand etwa zu dieser Zeit das Album “Ignorant” für das Label Gash, das allerdings auch das letzte der Besetzung mit Drummer Christian Bruckmayr sein sollte. Die nächste CD, “Video Arena”, für eben dieses Label wurde dann bereits mit Didi Kern, damals bekannt als Techno DJ und brachialer Free Jazz-Schlagzeuger, hinter der Krachmaschine, im Quartett eingespielt. Und auch stilistisch ist wieder mal kein Stein auf dem anderen geblieben. Erstmals kamen großräumig über das ganze Album Samples zum Einsatz, ebenso wie eine Drumbox, die nunmehr das Schlagzeug, sowohl klanglich als auch rhythmisch, ergänzen sollte. Bedingt war diese Erweiterung des Fuckhead’schen Klangkosmos einmal mehr durch das unerschöpfliche Streben, die Grenzen neu auszuloten. Und diese waren durch das verfügbare herkömmliche Instrumentarium für eine solche Band eben viel zu eng gesteckt. “Der Krach, den wir auf der Bühne gemacht haben, hat sich vorher ausschließlich auf die Instrumente beschränkt. Der Wille zum Krach hat dazu geführt, alle möglichen Geräusche und inspirierenden Klänge zu absorbieren und in ein neues Konglomerat zu bringen.”

 
So durchschlagend und überzeugend “Video Arena” aber auch war, setzte sich bereits vor der nachfolgenden Platte das Besetzungskarussell erneut in Bewegung. Für die Aufnahmen zum 1998er Werk “The Male Comedy” wurden die Audio- und Video-Hacker Ost und Hiaz Fm vom Electro-Projekt “Farmers Manual” mit ins Boot geholt. Das Ergebnis war die bis dahin heftigste Veröffentlichung, ein extremer Mix aus elektronischen Störgeräuschen, Noise, Free Jazz, Ambient Musik und Metal, aus deren Windschatten heraus Performances aufgeführt wurden, für die man in der Tanzschule Elmayer wohl für die eine oder andere Runde kurzerhand des Parketts, auf die Strafbank, verwiesen würde. Von Hyperventilation über Sich-Übergeben bis hin zum Aufhängen der eigenen Körper an Fleischerhaken war so ziemlich alles mit dabei, was man sich normalerweise gerade noch vorstellen kann, aber, wenn möglich, doch nicht möchte. Auch der Protagonist des ganzen Spektakels, Didi Bruckmayr, konnte hier die Ablehnung derartiger Extremitäten seitens des Publikums nachvollziehen. “Das war für mich schon auch ein Punkt, wo ich gedacht habe, dass es vielleicht zu eigensinnig wird. Denn eigentlich, und das ist ja auch mein zentrales Anliegen, soll es um Kommunikation gehen.”

Mit Kommunikation ging es dann auch bei den Live-Shows weiter und zwar hat die Band damit begonnen, Teile des Konzertes unter dem Publikum zu bestreiten und dieses in die Performances mit einzubinden. “Es ist immer wie eine Art Kernreaktor – man wirft etwas hinein und im besten Fall entsteht ein gewisser Schneeball-Effekt, also dass sich unter den Anwesenden etwas regt. Dadurch entsteht dann mehr Energie, als vorher da war, oder man selbst hinein gesteckt hat. Es ist eine Art Energie, die sich an nichts manifestiert, die aber trotzdem spürbar ist.” Als Kommunikationsmittel wurden zu diesem Zweck beispielsweise Federn oder diverse Flüssigkeiten zweckentfremdet.

Wenn auch nicht mehr in exzessivster Weise die Grenzen auslotend, so blieben die Konzerte trotzdem ein grandioses Durcheinander und Spektakel und weiterhin ausschlaggebend für den Ruf der Band. Dieser war allerdings bereits seit längerer Zeit weit über die üblichen Fan-Kreise hinaus berühmt-berüchtigt. So erhielt die Band beispielsweise für ihr Video “Inside Fiction Outside War” schon beim Ars Electronica Festival 1996 zwar einen Ehrenpreis, der Hauptpreis jedoch blieb ihr aufgrund von Interventionen auf politischer Ebene verwehrt.

Im Jahr 2002 war es dann wieder einmal soweit, der nächste Lineup-Wechsel sollte über die Bühne gehen. Langzeitmitglied Linschinger hängte den Bass an den Nagel und seitdem wird der Vier-Saiter, sofern benötigt, von Michael Strohmann mitbedient. Hinzugekommen ist Opernsänger und Komponist Siegmar Aigner, der fortan die Klang- und Krachkulisse um ein weiteres Element bereichern sollte. Gemeinsam tourte man erfolgreich und unter großem Publikumsinteresse durch Australien und Japan und begann nach der Rückkehr, sich der Arbeit an neuen Stücken, Visuals und Choreographien zu widmen. Wobei die Herangehensweise an neue Performances, wie Schlagzeuger DD Kern erklärt, durchaus etwas chaotisch ablaufen können. “Die Ideen können auch schon mal während einer elf Stunden langen Fahrt nach Holland entstehen, während der man über die obskursten Sachen herum blödelt. Und das Blödeste oder das Wahnwitzigste, oder das, was einem am ehesten als nicht realisierbar erscheint, wird dann schließlich doch versucht, mit relativ billigen Mitteln umzusetzen.”

Etwas mehr Struktur und Mitteleinsatz verlangen da schon die Programme zur Erstellung von Echtzeit-3D-Visuals sowie Multikanal-Audio-Setups, denen sich Didi Bruckmayr und Michael Strohmann seit einiger Zeit intensiv widmen und mit deren Unterstützung die Bühnen-Performances von Fuckhead eine neue Dimension hinzu gewonnen haben. Soviel Aufwand in bloß eine einzige Richtung zu kanalisieren, wäre dann allerdings auch wieder verschwenderisch gewesen und so entsprangen diesen neuen Interessen auch gleich einige neue Projekte, wie etwa “mongobloc”, mit dem auch international für Aufsehen gesorgt wurde, oder diverse Multimedia-Arbeiten für Theater und Oper. Zum quasi Drüberstreuen haben sie dann auch noch im Jahr 2004 beim österreichischen Independent Filmfestival den Hauptpreis abgeräumt und seitdem gleich noch bei anderen internationalen Festivals geglänzt.

 

Natürlich wurde aber auch die “Hauptband” nicht außer Acht gelassen und so erblickte Anfang des Jahres 2007, nach einer ganzen Reihe an Clubgigs in den vorangegangenen Monaten, eine DVD das Licht der Welt, vollgestopft mit jeder Menge neuem Audio- und Video-Material, Live-Aufnahmen, Interviews und so ziemlich allem, was Fuckhead in ihrer bis dahin knapp zwanzigjährigen Laufbahn jemals auf Tonträger gebannt hatten. Die Gretchenfrage zu beantworten, was man denn überhaupt so von Fuckhead haben muss, bzw. welchen Release man sich zuerst besorgen sollte, um auf den Geschmack zu kommen, wäre damit wohl auch hinfällig geworden und die, den Neuling überfordernde, Antwort, “Alles!”, elegant umgangen, ohne jedoch signifikant von der Grundaussage abzuweichen.

Und an Neuinteressenten wird es wohl in Zukunft nicht mangeln, geht man zumindest von Didi Bruckmayrs Beobachtungen aus, die darauf hindeuten, dass künftig auch abseits kleinerer Club-Umgebungen die Berührungsängste mit der Band Fuckhead schwinden. “Gerade in letzter Zeit kommt man auch im Theater von dem Dogma ab, es dürfe alles nicht zu laut und dreckig werden und die Show müsse genau um Acht Uhr beginnen und eine Stunde später wieder pünktlich beendet werden. Tatsächlich gibt es auch in diesem Bereich vermehrt Leute, denen es nichts ausmacht, wenn es mal ein bisschen wilder zugeht, oder sie auch mal dreckig werden.”

Das Publikum dürfte der Band also wohl so bald nicht ausgehen, ebenso wie die Kreativität hinsichtlich der Konzeption neuer Shows. Nicht einmal anlässlich der Jubiläumsshow zum Zwanziger war man auch nur eine Sekunde lang versucht, die rosarote Nostalgie-Brille aufzusetzen und in der Vergangenheit zu schwelgen, wo ja bekanntlich alles, sogar die Zukunft, immer viel besser war, sondern hat sich einmal mehr etwas Neues einfallen lassen. “Beim Jubiläum ging es nicht um eine Rückschau, das ist uns auch gar nicht wichtig. Wir machen ganz normal weiter, mit einem neuen Programm. So wird es auch weiterhin sein, das ist das, was wir machen möchten und auch das, was unser Publikum will.”

Die nächsten zwanzig Jahre Bandgeschichte sollten also gesichert sein. Gerade auch, weil es Fuckhead geschafft haben, das sogenannte Bandleben völlig aufzulösen, trotzdem aber als solche, als Band, zu funktionieren. “Heute muss man nicht mehr in den Proberaum gehen, um gemeinsam zu arbeiten. Man muss nur irgendwie lernen, seine gemeinsamen Vorstellungen zu realisieren.” Das scheint den Mitgliedern trotz, oder vielleicht gerade wegen, zahlreicher Nebenprojekte geglückt zu sein. Die Institution Fuckhead wird jedenfalls weiter geführt, wenn auch “etwas bewusster und relaxter als früher”. Dies gilt allerdings nur für das bandinterne Verhältnis. Bei den Konzerten wird, nach wie vor, der Wille zum Krach in äußerster Konsequenz weiter verfolgt.
Michael Masen

Releases:

1989 First EP
1990 7″ The Best
1992 Ignorant
1993 Live At Posthof
1995 Video Arena
1998 The Male Comedy
2007 DVD Lebensfrische

 

 

http://www.fuckhead.at/