Porträt: Ensemble Reconsil Wien

Denkt man zurück an das Jahr 1991, so waren damals die Ensembles die reihe, Kontrapunkte und 20. Jahrhundert die wesentlichen und alteingesessenen in Wien residierenden Klangkörper für zeitgenössische Musik. Mehr als zwei Jahrzehnte später teilen die drei Genannten diesen Status mit mehreren anderen, darunter etwa dem Ensemble Reconsil Wien.

Spurensuche im fernen Moskau

Warum diese Rückschau ausgerechnet auf 1991? – Es geschah in jenem Jahr, dass im fernen Moskau ein gerade einmal 18-jähriger Wiener sein Ensemble Reconsil gründete und mit diesem in der russischen Hauptstadt sowie auf Tourneen durch die Gerade-noch- bzw. Nicht-mehr-Sowjetunion zahlreiche Uraufführungen und bestehende Werke österreichischer Komponisten und Zunftkollegen aus den Ländern der ehemaligen UdSSR präsentierte. Der Name des damaligen Dirigier- und Kompositionsstudenten, der sich beharrlich auch durch alle immer noch vorhandenen Beschwernisse des gerade niedergegangenen eisernen Vorhangs kämpfte: Roland Freisitzer.

Neugründung und Neubenennung

Das nächste Schicksalsjahr für den Klangkörper war 2002. Unter dem nunmehrigen Namen Ensemble Reconsil Wien wurde er von dem zwischenzeitlich dauerhaft in seine Geburtsstadt zurückgekehrten Freisitzer sowie seinen Freunden und Kollegen Thomas Heinisch und Alexander Wagendristel neu gegründet. Dank seiner exquisiten – wie fast immer in solchen Fällen aus einer ursprünglichen „Telefonpartie“ geformten – Musikerschar hat er sich innerhalb des seither vergangenen Jahrzehnts als eines der wichtigsten Ensembles für Neue Musik in Österreich bestätigt.

Zunächst waren Konzertzyklen in der Stadtinitiative Wien eines der wesentlichen Standbeine der Arbeit. Auffällig das für Freisitzer typische Anliegen: Nicht dem Mainstream soll Rechnung getragen werden, nicht das gespielt werden, was sich schon dutzendfach bei parallel arbeitenden Formationen bewährt hat, sondern vor allem das hierzulande selten oder noch nie öffentlich Gehörte: Reihen aus dieser Zeit waren vor allem „Reconsil Goes East“ mit neuer Musik aus Mazedonien, Russland, Aserbaidschan und Bulgarien sowie „Reconsil Goes Europe“ mit Schwerpunkten auf Italien, Frankreich, Großbritannien und Spanien.

Bei Schönberg zu Hause

Entscheidend für die Etablierung von Reconsil wurde die Einladung zu einem eigenen Abonnementzyklus im Arnold Schönberg Center Wien, das damit seit 2006 zur permanenten Heimstätte wurde. Hand in Hand damit geht die starke Präsenz der 2. Wiener Schule im Repertoire. Neben allen besetzungsmäßig geeigneten Werken Schönbergs bestritt man u. a. die Premieren der Ensemblefassungen von dessen Orchestervariationen und Violinkonzert, dem Violinkonzert Alban Bergs sowie der Passacaglia von Anton Webern. Als Arrangeure firmierten hierbei in der Regel die komponierenden Ensemblemitglieder. Neben weiteren Klassikern der Moderne stehen bei den Konzerten durchwegs lebende Komponisten auf dem Programm. Die Zahl der bisherigen Uraufführungen ist kaum überschaubar und umfasst Namen wie Karlheinz Essl, Gerald Resch, Gerd Kühr, Georg Friedrich Haas, Detlev Müller-Siemens, Sidney Corbett, Michael Finnissy, Michael Blake, Fredrik Österling, Cristina Landuzzi, Pèter Köszeghy, Olga Rayeva, Faradsch Karaew, Andrew Toovey und viele andere.

2007 war das Ensemble mit fünf Konzerten im Wiener Konzerthaus beim Fest zum 85-jährigen Bestehen der IGNM beteiligt, 2009 war es Ensemble in residence beim 14. Komponistenforum Mittersill. Im selben Jahr debütierte es bei Wien Modern, was ein umgehendes Engagement im Folgejahr nach sich zog. Ebenfalls 2010 erfolgte das Debüt beim Carinthischen Sommer mit einem Portrait von Wolfgang Liebhart. 2009/10 war Reconsil neben dem Klangforum Wien am EU-Projekt „RE:NEW MUSIC“ beteiligt, das einen gesamteuropäischen Repertoireaustausch zum Ziel hatte. Das letzte Konzert dieser Reihe mit Werken slowakischer, kroatischer und österreichscher Komponistinnen und Komponisten erschien bei Spektral Records.

Die Welt erforschen

Neben der aktuellen Saisonarbeit finden bereits seit längerem die Vorbereitungen zu einem Großprojekt statt: Vom 13. bis 23. März 2014 findet im Wiener Odeon das Projekt „Reconsil Exploring the World“ statt, bei dem 42 in Auftrag gegebene Werke österreichischer Komponisten 42 Werken von Komponisten aus anderen Nationen gegenübergestellt werden.

„Exploring the World“ wirbt schon jetzt mit wirkungsvollen Slogans als „Festival für Weltweite Neue Musik“ oder „Weltoffenheit in ihrer klingendsten Form“. Neben dem Ensemble Reconsil werden dabei als Partnerensembles die London Sinfonietta (Großbritannien), KammarensembleN (Schweden) und das Ensemble Stroma (Neuseeland) teilnehmen. Man kann davon ausgehen, dass „Exploring the World“ das bislang größte auf internationale Vernetzung ausgerichtete Projekt im Bereich Neue Musik in Österreich ist. Wesentlich ist dabei die Offenheit für andere Kulturen und verschiedenste ästhetische Strömungen.

Ausgewählt wurde ein breites und repräsentatives Spektrum der Musikszene aus Großbritannien, Spanien, Aserbaidschan, Australien, Neuseeland, USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Japan, Südkorea, Hongkong, Singapur und Südafrika – sowohl, was die stilistische Ausrichtung betrifft, als auch hinsichtlich der verschiedenen Generationen. Nur zwei Werke von bereits Verstorbenen (Morton Feldman, Claude Vivier) wurden als Klassiker eingeplant. Komponistinnen und Komponisten, „die man ohnehin auf jedem anderen Festival zu hören bekommt, wurden ausgespart, um Redundanz zu vermeiden, und um dem ‚Exploring‘-Aspekt des Festivals gerecht zu werden. Ansonsten war das einzige Auswahlkriterium die Qualität der Musik.“ (Reconsil)

Finden sich alle dieses außergewöhnliche Festival betreffenden Details auf der eigens eingerichteten Homepage, so sei hier als imposanter Voreindruck nur die Liste der mit Uraufführungen vertretenen heimischen bzw. in Österreich lebenden Komponisten wiedergegeben: Thomas Bartosch, Angélica Castelló, Christoph Cech, Diego Collatti, Bernd Richard Deutsch, Hannes Dufek, Karlheinz Essl, Roland Freisitzer, Tamara Friebel, Herbert Grassl, Thomas Heinisch, Mirela Ivičević, Peter Jakober, Fritz Keil, Manuela Kerer, Gerhard Krammer, Johannes Kretz, Veronika Mayer, Daniel Moser, Max Nagl, Wladimir Pantchev, Roman Pawollek, Dana Cristina Probst, Julia Purgina, Gerald Resch, Daniel Riegler, Jorge Sanchez-Chiong, Anselm Schaufler, Piotr Skweres, Tomasz Skweres, Alexander Stankovski, Norbert Sterk, Bruno Strobl, Erich Urbanner, Christian Utz, Šimon Voseček, Alexander Wagendristel, Thomas Wally, Ming Wang, Clemens Wenger, Gerhard E. Winkler und Jaime Wolfson.

Mit den Konzerten selbst noch nicht genug, werden diese anschließend von Quinton Records auf CD veröffentlicht werden. Zudem wird der Versuch unternommen, die insgesamt zwölf verschiedenen Konzertprogramme auch an anderen österreichischen Spielstätten sowie in den beteiligten Ländern zu präsentieren. Dass das Ensemble Reconsil Wien in den kommenden zwölf Monaten nicht unter Langeweile leiden wird, darf angenommen werden.

Christian Heindl

Links:
Ensemble Reconsil
Reconsil Exploring the World
Roland Freisitzer
Odeon Theater