Gibt man den Begriff “Bulbul” in der Suchleiste des Internet-Lexikons Wikipedia ein, so wird man nach besserwisserischer Addition zweier Umlaut-Zeichen darüber aufgeklärt, dass es sich dabei um eine Singvogel-Gattung handelt. Läuft einem nun mitten in Wien jemand über den Weg, der erklärt, er wäre gerade auf dem Weg zu Bulbul, so bedeutet das jedoch nicht zwingend, dass an eben diesem Abend ein Ornithologen-Kongress über die Bühne geht, sondern wohl viel eher, dass die Band Bulbul im Begriff ist, eine eben solche in Grund und Boden zu spielen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass auf den Philippinen “Bulbul” eine gängige Bezeichnung für “Schamhaar” ist. Derlei Haarspaltereien sollen hier aber nicht weiter verfolgt werden – zurück zur Musik.
Die ersten Skizzen hierzu entstanden bereits in der Zeit um 1994-1995, mit denen Sänger / Gitarrist Manfred Engelmayr den Grundstein zur späteren Rock-Institution gelegt hat. Bevor es allerdings soweit war, ließen künstlerische Differenzen sowie zeitliche Unvereinbarkeiten gleich mal die ersten drei Besetzungen zerbröseln, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist. Die erste dieser Besetzungen dürfte noch nicht einmal den Weg auf eine Bühne gefunden haben, zumindest ist darüber nichts Näheres bekannt. Mit der zweiten fand schließlich im Jahr 1996 das erste Konzert unter dem Namen Bulbul und gleichzeitig auch schon wieder das letzte in dieser Besetzung statt – ein Cellospieler, ein Bassist, ein Drum-Computer und Engelmayr selbst, der heute in Szene-Kreisen nur noch der “Bulbul-Fredl” ist. Das Mitglied, das es aus der dritten Besetzung am längsten geschafft hat, an Fredls Seite zu bleiben, war dann ein Vierspur-Aufnahmegerät, mit dem hier erste Erfahrungen gemacht wurden – Bassist und Metal-Drummer wurden deutlich schneller entsorgt.
Bereits nach kurzer Zeit waren sodann mittels Vierspurgerät unzählige Kassetten mit wildesten Klangexperimenten vollgestopft. Diese Homerecordings, die eigentlich dafür gedacht waren, den Bandmitgliedern zu demonstrieren, wie die Stücke klingen sollten, wurden schließlich, mangels solcher Bandmitglieder, in Eigenregie und unter dem inneren Drang, dass “nun endlich einmal Vinyl her musste”, auf Tonträger gepresst und an einige wenige ausgesuchte Leute weitergegeben.
Ein weiteres, komplett in Eigenregie zusammen gebasteltes, Werk erblickte dann 1997 das Licht der Welt. Bemerkenswert an dieser CD war, dass die musikalischen Qualitäten neben den verpackungstechnischen Besonderheiten in Sachen Aufmerksamkeitsgenerierung bloß die zweite Geige gespielt haben. Anstatt, wie für gewöhnlich üblich, den Tonträger in eine Plastik-Hülle zu stecken, die gleich beim ersten Runterfallen zerbricht, wurde ein Material gewählt, das beim Runterfallen alles andere zerbricht – Eisen. Die CD wurde tatsächlich komplett unorthodox zwischen schweren Eisenteilen verpackt und fortan als “Eisen-CD” bekannt, oder bei englischsprachigen Musikfreunden zweideutiger Weise als “Metal-CD”.
Ein Jahr später hat schließlich Stammbesetzungs-Bassist Ratti aka derHunt den Weg zu Bulbul gefunden und den Anfang vom Ende der Band als One-Man-Show eingeläutet. Gemeinsam mit Andreas “Zan” Gatterbauer am Schlagzeug wurde im Jahr 1999 das “Blaue Album” eingespielt, ein außergewöhnliches Werk, da zur klassischen Rockformation noch die Bläser Martin Zrost, Richard Klammer und Heimo Wallner gestoßen sind, die für zusätzliche Vertracktheit gesorgt haben. Der Bruch mit Gatterbauer sollte allerdings gleich nach der Tour zum Album folgen und der Platz hinterm Schlagzeug somit wieder vakant sein. Die beiden verbliebenen Mitglieder zogen daraufhin zunächst in Erwägung, ganz im Stile von Noiserock-Godfather Steve Albini’s Band Big Black, den perkussiven Part einem Drumcomputer zu überantworten, bevor die Wahl schließlich auf DD Kern gefallen ist. Dieser war damals schon für die nicht gerade zärtliche Behandlung der Felle des Fuckhead’schen Schlagzeuges bekannt und macht nun seit 2001 auch für Bulbul gehörig rhythmischen Druck sowie in jedem noch so verrückten Bühnenoutfit eine gute Figur.
Nachdem nun die endgültige und für alle Ewigkeit beizubehaltende Besetzung gefunden war, erfolgte auch eine Neuordnung der songwriterischen Kompetenzen. Die Stücke wurden fortan nicht mehr von Fredl in Eigenregie alleine zu Hause im Kämmerchen konzipiert und den anderen zur Umsetzung fertig vor die Füße geschmissen, sondern es wurde dazu übergegangen, so viel wie möglich, im Kollektiv zu proben, jammen und aufzunehmen – und das wieder und wieder und wieder, in Endlosschleife.
Die Experimentierfreudigkeit geht bisweilen sogar so weit, dass kurzerhand die Instrumente untereinander getauscht werden und derart in freudiger Erwartung eines Ergebnisses einfach weiter drauflos musiziert wird. Viele der Proben werden auch aufgezeichnet und in manchen Fällen der Öffentlichkeit präsentiert, wie etwa geschehen mit der Rosl 2×5″-Platte. Für die Proberaum-Mitschnitte zeichnet Aufnahmeleiter und Archivar DD Kern zuständig. Wenn die Bulbuls allerdings zu professionellen Aufnahmen ins Studio einfallen, schwingt sich Soundengineer Ollmann hinter die Regler und sorgt dafür, dass man die Platten auch noch ein zweites Mal mit Freude auf der dafür vorgesehenen Abspielvorrichtung bettet. Bereits seit der Eisen-CD wird voll und ganz auf seine Qualitäten gebaut, wodurch er studioarbeitstechnisch sozusagen als viertes Mitglied gesehen werden kann.
Was Labels betrifft, so findet sich in der umfangreichen Band-Diskographie eine fast ebenso umfangreiche Liste an Labels, auf denen diverse Veröffentlichungen eine Heimat gefunden haben. Diese Vielfalt an Labels liegt jedoch nicht daran, dass die Ansprüche der drei Herren so schwer zufrieden zu stellen sind, sondern vielmehr an der Tatsache, dass die Produktivität der Band die Fähigkeiten eines einzelnen Labels wohl bei weitem übersteigen würde. So finden sich in der illustren Label-Liste neben renommierten Größen (freilich im Indie-Bereich) wie Trost Records (Eisen CD; Blaue; Untitled, 2003) oder zuletzt dem Berliner Label Exile On Mainstream (CD #6) auch kleinere Vertreter der Labelzunft, bei denen die Band vor allem ihr Faible für ausgefallene Formate und Verpackungen ausleben kann. Darunter etwa Rock Is Hell Records, Mego oder Imvated.
Die selbstbetitelte Platte von 2005, nicht zu verwechseln mit der selbstbetitelten Platte von 2003(!), war dann eine Koproduktion von derHunt Recordagen, Na Woat Na und Rasputin Records Hurenschädl. Auch für Nicht-Columbos dürfte die Frage nach der Eigentümerschaft erstgenannten Labels nicht schwer zu lösen sein und Na Woat Na ist DD Kerns Mikro-Label. Die offizielle Auflagenzahl der Na Woat Na-Releases reicht von 1-25. Labelchef Kern hat allerdings kein Problem damit, wenn sich diese in eigenständiger Weise vergrößert – dies war von Anfang an die Intention hinter der Wahl des Formats, der Kassette.
Nach mehr als einem Jahrzehnt des Bestehens, will heißen, mehr als zehn Jahre Eigenheiten und Seltsamkeiten, ausgefallene Bühnenshows, konterkarierende Maskeraden und allem voran, schwer zu packende Klangoffensiven, sind Bulbul, obwohl sie auf ihrer Nummer 6 straighter und mit weniger Gefrickel agieren, nach wie vor schwer zu fassen. Daran haben sie allerdings auch selbst kräftig mitgewirkt: keinem einzigen Tonträger der umfangreichen Diskographie liegen Informationen über die mitwirkenden Musiker, geschweige denn, darüber hinaus gehende Fakten und Angriffsflächen bei. Was zählt, soll einzig und allein die Musik sein, die sich dem Hörer in ihrer ganzen Tiefe und Vielfältigkeit allerdings auch erst nach und nach zu öffnen weiß. Für das nur mal so nebenbei Reinhören sind die Bulbul-Machwerke definitiv die falsche Wahl und auch Hintergrund-Klangtapeten-Konsumenten werden sich an dieser Band die Zähne ausbeißen, respektive die Trommelfelle wundscheuern. Das ist wohl letztendlich auch der Grund, warum Bulbul eigentlich schon immer ziemlich konsequent von den Medien ignoriert wurden.
Auch die Texte und Gesangslinien, die Fredl ins Mikrofon schnaubt, flüstert und knurrt, bieten ebenfalls kaum jene “Qualitäten”, die Tag für Tag als radiofreundliche Belanglosigkeiten auf unzählige Ohren losgelassen werden, sofern man nicht rechtzeitig den Stecker zu ziehen vermag. Viel mehr werden Wörter oft soweit entfremdet, bis eine eigene Sprache entsteht und man sich als Hörer Zeit nehmen und bereit sein muss, sich auf das, was da gerade passiert, einzulassen. Direkte (politische) Aussagen sucht man in den Texten vergeblich, man muss sich diese in mühsamer Kleinarbeit selbst zusammen reimen, bis der “Aha”-Effekt eintritt – nur, um anderntags vielleicht feststellen zu müssen, dass da jetzt doch überhaupt kein tieferer Sinn dahinter gesteckt hat. Schlagzeuger Kern bringt die notwendige Einstellung für eine erfolgreiche Annäherung an den Bulbul’schen Klangkosmos auf den Punkt: “Es ist ja langweilig, wenn man sich beim ersten Mal gleich auskennt – dann braucht man es sich ja nicht mehr weiter anhören”.
Die Vielseitigkeit der Band wird aber nicht bloß anhand der stilistischen Breite ihrer Tonträger-Veröffentlichungen deutlich, sondern auch und vor allem in ihren stets aufs Neue die Besucher herausfordernden Konzerten, die nicht selten in aberwitzigen Kostümen bestritten werden – von wie verrückt die Saiteninstrumente bearbeitenden Hühnern bis in andere Sphären entführende Außerirdische ist so ziemlich alles schon mal dagewesen. Und auch für unbedarfte Erstbesucher, die den Begriff “Rockmusiker” mit stylish gekleideten, modisch frisierten Posern assoziieren, dürfte es einen wahren Kulturschock darstellen, wenn der Sänger in Adidas Shorts und Schlapfen auf die Bühne schlurft und alle Anwesenden mal mit einem saloppen “Griaß Eich” begrüßt. Aber genau genommen, ist das ja mehr Rock’N’Roll wie alles Andere.
Musterbeispiel für derartige Konzerte ist die erstmals im Jahr 2005 ins Leben gerufene Reihe “Vorsicht! Fitze Fatze” im Wiener Rhiz. Dabei wurde diese Lokalität acht Tage lang hintereinander mit wechselnden Gastmusikern bespielt. Darunter befanden sich Musikerkollegen und -Freunde, wie etwa der Moldawier Leonid Soybelman, FM Zombiemaus, Philipp Quehenberger, Neon Squid Autopsy und viele andere mehr. Ein grobes Konzept zum Auftritt wurde am Nachmittag desselben Tages schnell zusammen dilettiert und ein paar Stunden später folgte die Generalprobe, die zugleich auch schon die Premiere war. Das Ganze überzeugte sowohl Publikum, das an jedem einzelnen Termin das Rhiz aus allen Nähten platzen ließ, als auch die Band selbst so sehr, dass man es nicht bei diesen acht Terminen bleiben hat lassen. Fitze Fatze geht weiter, mit demselben Konzept, in derselben Lokalität, zwar in unregelmäßigen Abständen, aber mit dem Ziel, zumindest zehn Mal im Jahr zu spielen – die Band hat ja schließlich daneben noch andere Verpflichtungen.
Zu diesen gehört etwa eine Formation gemeinsam mit ihren Partnern in crime and destruction, dem Duo Tumido. Gemeinsam spielte man bereits im Radio, ging auf Tour nach Italien und Slowenien und im Jahr 2008 erblickte eine Split 10″-Platte auf Rock Is Hell Records das Licht der Welt. Ein Jahr später waren Bulbul ebenfalls auf einer 10″ vertreten, diesmal gleich auf einer doppelten, die man sich mit Künstlern wie Merzbow, Peach Pit und Wolfgang Fuchs geteilt hat – zusammen mit Heimo Wallner und im Vergleich zur Full Length #6 des Vorjahres ein ganzes Stück weniger zugänglich; sozusagen, etwas für den Bulbulologie-Fortgeschrittenen-Kurs.
Derzeit arbeiten Bulbul gerade wieder an Ideen für die nächsten Plattenaufnahmen und Konzerte. Bestätigt ist dies zwar nicht, da die Band allerdings so gut wie immer an neuen Ideen für die nächsten Plattenaufnahmen und Konzerte arbeitet, eine wohl immer gültige Information.
Michael Masen
Alben:
1996 Erste LP (Eigenproduktion)
1997 Eisen CD (Trost Records)
1999 Blaue LP/CD (Trost Records)
2003 Untitled CD/LP (Trost Records)
2005 Untitled LP (derHunt Recordagen /Rasputin Records Hurenschädl/Na Woat Na)
2008 #6 CD/LP+CD (Exile on Mainstream Records / Rock Is Hell /)
Singles/EPs/sonstige Formate:
1998 U5, 3″CD (Trost Records)
1999 Eisberg, 3″CD (Eigenproduktion)
2001 Velo, 3″CD (Trost Records)
2002 Fluten CDr (live., Rasputin Records Hurenschädl)
2004 Drabule, 12″ (Mego)
2004 Rosl, 2×5″ (Rock Is Hell)
2004 Untitled. Live in Italy CDr (Rock Is Hell)
2004 Jazz, 1, 2, 3 Tape (Na Woat Na)
2005 Bultleg Tape (Na Woat Na)
2005 Aktiv 1 Tape (Na Woat Na)
2005 Blllblll Tape (Imvated)
2007 Shenzou 7″ (Rock Is Hell)
2008 Split/w Tumido 10″ (Rock Is Hell)
2009 Supernova 2, 2×10″ (Interstellar Records)
Das mica-music austria eröffnet auf seiner Website eine Artikel-Reihe, in der wichtige heimische und in Österreich tätige MusikerInnen und Bands aller Genres porträtiert werden.