Porträt: Bernhard Gander

Die Verstrahlung mit einer Gamma-Bombe wird Dr. Bruce Banner zum Verhängnis: Bei dem geringsten Anlass verwandelt sich der Nuklearphysiker fortan in das mit übermenschlichen Kräften begabte, von Zeit zu Zeit explodierende Muskelpaket Hulk. Die cholerische Comicfigur beschäftigt Bernhard Gander schon seit geraumer Zeit: Ein Anagramm ihres Names bildet den Titel seines Streichquartetts „Khul“, das der Komponist 2011 im Rahmen von ImPulsTanz für das Tanzstück „Seven Cuts“ der Choreographin Christine Gaigg neu bearbeitete. Auch das Ensemblestück „Hukl“, das am 21. Oktober bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wird, nimmt auf den verstrahlen Kraftprotz Bezug. Ganders Faszination für den zerstörerischen Superhelden ist kennzeichnend für die Arbeitsweise eines Komponisten, dem Comic-Figuren ebenso häufig als Inspirationsquelle dienen wie Kung-Fu-Filme oder der Rapper Eminem. Ein weiteres Beispiel ist die Komposition „Peter Parker“ (2004), bei der Spidermans Alter Ego zum Namensgeber und die wendigen Bewegungen des Spinnenmenschen zum Vorbild für nervöse Klavierfigurationen wird.

Der gebürtige Osttiroler (Jahrgang 1969) steht dabei für eine KomponistInnengeneration, die mit Pop und Klassik gleichermaßen sozialisiert wurde und diese Ausdrucksformen keiner hierarchischen Wertung mehr unterzieht. Die von John Cage proklamierte Gleichberechtigung der Klänge übersetzt sich bei Gander in ein egalitäres Musikverständnis, wo Konzertsaal und Disco in einer Art postmodernem Utopia friedlich koexistieren. An Belegen für Einflüsse aus der Popkultur ließen sich viele anführen: Da wäre einmal das Ensemblewerk „bunny games“, das Gander 2006 für den Erste Bank Kompositionspreis schrieb und dessen assoziativer Überbau von Bugs Bunny bis zu den Hasenkostümen des Männermagazins Playboy reicht. Oder das Akkordeon-Stück „fluc ’n’ flex“ (2007), mit dem der Komponist zwei beliebten Wiener Szene-Lokalen ein Denkmal setzt. Oder auch „Ö“ (2005), eine Verbeugung vor der britischen Metal-Band Motörhead.

Nach direkten Anklängen an die Popmusik – oder gar einer Anbiederung an diese – sucht man hingegen meist vergebens. Desiderata der „ernsten“ Musik wie Komplexität oder Innovation erfüllt Gander in demselben Ausmaß, wie er andere ihrer Grundsätze unterläuft. Wiederholt verstößt der Komponist gegen modernistische Reinheitsgebote, wenn er etwa in „Melting Pot“ das Radio-Symphonieorchester Wien gemeinsam mit RapperInnen, DJs und Beatboxern ein Einkaufszentrum bespielen lässt. Auch die in der E-Musik vorherrschende Tendenz zur Verfeinerung trifft bei Gander immer wieder auf einen eher handfest – um nicht zu sagen brachial – anmutenden Umgang mit dem musikalischen Material. Ausgerechnet der Orpheus-Mythos wird in „Die Orpheus Akte“ (2005) zum Auslöser einer rabiaten Tour de Force, in der ein Zuspielband die konzertierenden Solo-Instrumente Bratsche und Klavier nicht nur mit einem Scarlatti-Motiv, sondern auch mit Klängen von Nena und AC/DC kontrastiert. Dass sich auch Ganders Kompositionslehrer Beat Furrer in Werken wie „Orpheus’ Bücher“ und „Begehren“ an dem antiken Sänger abgearbeitet hat, ist dabei purer Zufall – „Beat Furrer ist ja nicht allein auf den Orpheus abonniert“, wie Gander dazu in einem mica-Interview bemerkt.

Es sind nicht nur Residuen der Popularmusik, die in Ganders Komponieren Eingang finden – überhaupt ist dieses in einer für die Neue Musik eher unüblichen Weise alltagsnah, ja geradezu autobiographisch. Immer wieder stört scheinbar Banales und allzu Konkretes die Reinheit des formalästhetischen Musikideals. So schildert etwa „Beine und Strümpfe“ (2007) mit musikalischen Mitteln den Vorgang der Strumpffabrikation, während das im selben Jahr entstandene Klavierquartett „Schöne Worte“ die Flüche des Komponisten angesichts einer Baustelle vor seiner Haustüre in Rap-artige rhythmische Muster transformiert.

Neben dieser unverhohlen narrativen Komponente und der Kontamination mit Trivialem ist es aber auch der Umgang mit dem Material selbst, der Ganders Kompositionsweise auszeichnet. So wie seine Musik generell die Nähe zum Handwerk nicht verbirgt, offenbart etwa am Anfang von „fête gare“ ein schweres, unhandliches Instrument wie der Kontrabass seine Verwandtschaft mit profanen Arbeitsgeräten. Diese Anschaulichkeit der Klänge, die ihren Ursprung nicht verleugnen, sondern deutliche Spuren ihres Gemacht-Seins tragen, rückt das Werk Bernhard Ganders in die Nähe von Lachenmanns Musique concrète instrumentale. Musik – das ist hier nicht nur abstrakter Klang, sondern auch die Dinge, die ihn hervorbringen, und die Geschichten, die in ihm vergegenständlicht sind. (Lena Dražić)

Foto: Hans Laber