Popfest Sessions: Rebellion vs. Turnschuhe

Besitzt Pop noch revolutionäre Sprengkraft oder sorgen Marketing und Werbung für eine Vereinnahmung, die am Grundwesen von Pop rüttelt? Wurde aus Pop ein musikalisches Mittel zum kapitalistischen Zweck? Das Panel zu „All Souled Out – Wozu noch Pop?” reflektierte den Status Quo dieser Wechselwirkungen.

Die wesentliche Frage lautet: Ist der Ausverkauf von Pop durch das Naheverhältnis zu Marketing und Werbung ein Phänomen neueren Ursprungs, das sich lediglich in einer neuen Qualität präsentiert, oder bestehen seit jeher Wechselwirkungen zwischen Musik und Kapital, die deshalb in Form von Pop ohnehin ein symbiotisches Verhältnis bilden? Eine Nuance anders gefragt, und so vom Panel zu hören: Wenn der Popmusik attestiert wird, die Seele verloren bzw. verkauft zu haben, muss man sich ebenso die Frage stellen, ob sie jemals eine besessen hat? Dass sich im vergangenen Jahrzehnt parallel zur Entwicklung digitaler Musikstrukturen ein verstärktes Naheverhältnis von Pop zu Werbung und Marketing entstand, ist bei Beobachtung der Musiklandschaft nicht zu leugnen. Die Werbung nutzt Pop für ihre Zwecke immer stärker – sei es lediglich die Verwendung von Musik oder die Funktion von Künstlern als Testimonials für Produkte oder Dienstleistungen. Und haftete der Musik einst ein rebellischer Hintergrund an, der es dem Rezipienten ermöglichte Pop als Mittel der Abgrenzung, als Protest gegen herrschende Eliten und deren Kulturvorstellungen zu benutzen, und Pop ebenso als große Projektionsfläche taugt, so scheint hier mittlerweile vieles verloren gegangen zu sein. „Verkauft wird keine Rebellion sondern höchstens ein Turnschuh“, so die Meinung am Panel.

Und dennoch wurde in die Vergangenheit geblickt um zu Tage zu fördern, dass Johnny Cash in den Sixties ebenso Werbung für Pepsi machte wie Canned Heat oder dass selbst Led Zeppelin für einschlägiges Musikequipment geworben haben. Nur wurden diese Gepflogenheiten des amerikanischen und britischen Marktes hierzulande kaum wahrgenommen. „Doch auch in Österreich betrieb Coca Cola in den Sechzigern Nischenmarketing via Musik”, so die Relativierung am Panel. Die Symbiose scheint seit jeher zu bestehen. Pop war demnach „nie unschuldig, antikapitalistisch und marktfern”. Doch warum mutet diese Symbiose heute viel ausgeprägter und rücksichtsloser an. Die neue ökonomische Situation in der gesamten Musikwirtschaft, bedingt durch den Digitalisierungsprozess von Medien, schwingt hier ebenso mit, wie die damit Hand in Hand gehende Flut an Veröffentlichungen. „Es gibt so viel gute Musik wie noch nie und dennoch bedeutet sie so wenig“, war man sich am Panel einig. Doch womöglich rührt die wahrgenommene Zahnlosigkeit zeitgenössischen Pops auch von der Transformation des Pop, weg vom erwähnten einstigen Gegenmodell, hin zu einer etablierten Mainstream-Angelegenheit für Menschen jeglicher Ideologie. Statt um Dissidenz geht es heute um das dabei sein, um eine generelle Zugehörigkeit – Mainstream eben.

Dass Pop klaren Produktionslogiken folgt, ist ein weiterer Beweis, dass er nie antikapitalistisch war, doch die einst herrschenden Monopolstellungen in den Musikstrukturen sind längst aufgebrochen und durch neue ersetzt. Und längst müssen Bands weit über das Musikmachen hinaus tätig werden. Das durchaus als Mäzenatentum zu beschreibende, einstige Gebaren der Major-Companies, das Musikern erlaubte sich in erster Linie um das Kreative zu kümmern, ist längst verschwunden. „Die Band als Gemischtwarenhändler”, lautete die Wortwahl am Panel. Und im generellen ist der Musiklandschaft augenblicklich mit einer großen Irritation konfrontiert, da es nicht prognostizierbar ist, wer die zukünftigen großen Player der Musikindustrie sein werden: Software- oder Hardwarehersteller? Oder Online-Dienstleister? Man weiß es nicht. Oder auf gut Wienerisch: Schau ma  mal.
Johannes Luxner