Im Zuge der siebenten Auflage des WIENER POPFESTS, heuer kuratiert von der Sängerin und Synthie-Spielerin ANKATHIE KOI (FJUKA) und vom Musikjournalisten GERHARD STÖGER (FALTER), fand wiederum ein zweitägiges Diskussionsforum mit fünf Panels statt, das in Kooperation mit MICA – MUSIC AUSTRIA am 30. und 31. Juli 2016 im Atrium des WIEN MUSEUMS am Karlsplatz abgehalten wurde.
Im Zentrum der Gespräche standen dabei für zeitgenössische Musikschaffende wichtige Fragestellungen, als da waren: Ist Vinyl der neue Charles-Eames-Sessel im Loft-Wohnzimmer geworden? Wie notwendig ist eine politische Positionierung als MusikerIn im öffentlichen Raum? Wie schwierig ist die Balance zwischen Kreativität und Beruf? Wie funktioniert die Musikverwertung im Film oder in Werbespots? Wer ist eigentlich dieser Falco, dessen Glorie scheinbar niemand in diesem Lande anzutasten wagt?
Zu diesen fünf Themenbereichen waren VertreterInnen der österreichischen und internationalen Musikindustrie, Musikjournalistinnen und Musikjournalisten, MusikkritikerInnen, VeranstalterInnen und Musikschaffende zur gemeinsamen konstruktiven und kritischen Reflexion geladen.
„Als Ladeninhaber ist man in einer luxuriösen Position, es gibt mehr Angebot denn je zuvor.” (A. Voller)
Als erste Moderatorin eröffnete die Musikerin Kristina Pia Hofer (Ana Threat) das Programm mit dem in den letzten Jahren schon etwas strapazierten Thema Vinyl-Boom. Dabei sollte erörtert werden, was dieser fast etwas klischeebehaftete Begriff im Kontext der jeweiligen Szenen tatsächlich bedeutet und ob es sich wirklich um einen Boom handelt.
Albrecht Dornauer, Projektleiter von „Plattenbau“, einem auf recycelten Covers, Platten, Kassetten und CDs basierenden „Haus der Musik“, stellte vorweg die Frage, um welchen Vinyl-Boom es sich hier eigentlich handle und inwiefern Indie- und Secondhandplatten in dieser allgemeinen Statistik berücksichtigt werden würden. Außerdem sah er das Revival der Schallplatte in enger Verbindung zu einem neuen Lifestyle: die Platte als Produkt, das auch außerhalb der musikaffinen Kreise zu beeindrucken vermag, die Platte als Möbelstück.
Andreas Voller, Geschäftsführer des auf Secondhandware gänzlich verzichtenden Plattenladens Recordbag, sprach von einem steigenden Interesse junger Menschen an Vinyl. Hier kamen beispielsweise die auffallend hohen Verkaufszahlen der letzten Dorian-Concept-Platte zur Sprache, die auf das Entstehen einer neuen Community verwiesen, die sich in erster Linie für elektronische Popmusik interessiere und LPs nicht nur gerne sammele, sondern auch im Club zum Besten geben wolle.
Al Bird Sputnik, Sammler und ebenfalls in einem Plattenladen (Schallter) tätig, entgegnete, dass in einer vernetzten Musikszene das Medium Vinyl aufgrund des beständigen Kaufverlangens der potenziellen Rezipientinnen und Rezipienten nie untergegangen ist. Der Boom sei für ihn nichts Neues.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde über Vinyl-Presswerke gesprochen. Gerade in Zeiten, in denen das Rezeptionsverhalten überwiegend digital ablaufe, müssten sich Labels Strategien überlegen, um ihren Bestand exklusiver zu gestalten. Wichtig sei hier der Faktor des richtigen Zeitmanagements, der vor allem bei jungen, unerfahrenen Künstlerinnen und Künstlern immer bedeutender werde, da heutzutage ein Release-Datum das nächste jage.
Es kristallisierte sich vor allem der Begriff des „Limitierten” heraus, eine Marketingstrategie, die sich über den Musikkontext hinaus bereits bewährt hat, Stichwort: besonders smarte Smartphones, besonders schokoladige Schokolade, besonders sommerliche Sommerdrinks. Aber Achtung: Nur für kurze Zeit und in besonders reduzierter Menge!
Vor allem kleinere Presswerke sollten sich nicht dem Druck des always available state of mind beugen, denn gerade sie seien nicht für die Befindlichkeit des Mediums Vinyl verantwortlich.
„Discogs ist nicht unser Feind!” (A. B. Sputnik)
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ergab sich in Bezug auf etablierte Internetplattformen wie etwa Discogs, denn an solchen Orten gehe es solidarisch zu. Jede und jeder sei in der vernetzten Welt einfach in der Lage, als Sammlerin bzw. Sammler oder auch „Vinyl-Digger” ins Verkaufsbusiness einzusteigen. Auch in den physischen Record Stores etablierte sich Discogs immer mehr als Format, das zum realen Verkauf beitrage. Dabei nutzten neben Einheimischen auch Touristinnen und Touristen die Plattform immer häufiger als Richtwert auf ihren Smartphones, aber auch als Inspirationsfundus in Form von Best-of-Listen usw.
„Als mündiger Mensch hat mir Pop nix zu sagen.“ (B. Slivovsky)
Unter dem Motto oder vielmehr dem Aufruf zum Bekenntnis „Which side are you on?“ sollte in einem weiteren Programmpunkt die politische Grundhaltung von öffentlichen Personen oder Künstlerinnen und Künstlern hinterfragt werden. Dabei waren sich die Slam-Poetin Yasmo und der Sänger der Band 5/8erl in Ehr’n, Bobby Slivovsky, schon zu Beginn einig, dass man sich im Laufe jeder künstlerischen Laufbahn irgendwann ganz bewusst für oder gegen eine politische Positionierung entscheiden soll, wenn nicht sogar muss.
Als exemplarisches Beispiel diente hierbei der Wanda-Sänger, der in der Wiener Stadthalle symbolisch so lange „Amore für jeden” in die Menge verteilt, bis sich schließlich sogar der Anführer der Identitären angesprochen fühlt und sich die Band dankbar vorm Publikum verneigt. Laut Yasmo zeugt dieses Verhalten allerdings weniger von einer vorbildlichen Nächstenliebe als vielmehr von einer Widerstandslosigkeit und zu starken Akzeptanz. Die wesentliche Veränderung der letzten Jahrzehnte sei nämlich, dass Pop gar nicht mehr als Provokation beziehungsweise Informations- und Bildungsquelle dienen müsse, um bei den Massen anzukommen.
Ein weiteres Problem eröffnet sich laut Bobby Slivovsky mit dem Begriff des sogenannten Staatskünstlers, der von den Rechten oftmals als harmloser, Cocktail trinkender, sorgenfreier Mensch belächelt wird. Gerade im Zuge eines geplanten Konzerts von 5/8erl in Ehr’n für Alexander Van der Bellen im Rahmen der nie enden wollenden Präsidentschaftswahl werde für die Band klar, dass es hierbei weitaus weniger um ein Suhlen in der kulturellen Komfortzone gehe als vielmehr um einen Kompromiss, auf welche Art man sich medial und politisch positionieren könne und solle.
Ob Pop die Autorität hat, Menschen eine Lektion zu erteilen, lässt sich wohl auch noch in den kommenden Jahrzehnten gut und mit Sicherheit kontrovers diskutieren.
30 Jahre „Rock Me Amadeus“
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von Falcos Millionen-Seller „Rock Me Amadeus“ befreite sich Kurator und Moderator Gerhard Stöger von den Relikten vergangener Partynächte, um in seinem besten Anzug die Popfest Sessions dem Thema adäquat zu beenden.
Dass die Pop-Legende Falco nach wie vor in ganz Österreich und besonders in Wien eine dauerhafte Omnipräsenz genießt, kann man als den Ausgangspunkt des letzten Panels verstehen. Edek Bartz, einst Tourmanager des Stars, Falco-Entdecker Markus Spiegel, Journalist Walter Gröbchen und der ehemalige Drahdiwaberl- und Falco-Gitarrist Peter Vieweger blickten in dieser letzten Gesprächsrunde gemeinsam zurück in die Vergangenheit: Markus Spiegel sprach immer noch enthusiasmiert vom Selbstläufer „Einzelhaft“, Falcos erster Solo-Platte, für die es damals nur den richtigen Vertrieb zu finden galt. „Ein Album ist dann erfolgreich, wenn das Gesamtpuzzle stimmt, […] ein Mosaik ergibt, das in sich stimmig ist.“
Über diese besagte Stimmigkeit wurde in weiterer Folge diskutiert, anknüpfend an die Frage, ob Falcos scheinbarer Stolz, seine nach außen getragene Arroganz nur Teil seiner Kunstfigur war oder auch charakterlich manifestiert.
„Ein Faust-Schicksal […]“ (M. Spiegel)
Die Trennung zwischen Bühnenmensch und Privatperson schien nicht nur für Edek Bartz, sondern für die gesamte Gesprächsrunde immer schmäler geworden zu sein. Ähnlich wie bei Falcos größtem Hero, der Kunstfigur Klaus Nomi, die er vor allem ihrer Stringenz wegen verehrte, zerflossen auch in seinem Selbstdarstellungswahn nach und nach diverse Grenzen – bis hin zur endgültigen Destruktion. Nicht ganz neue Perspektiven, aber immer noch erzählenswert.
Um die Gegenwart nicht ganz unbeleuchtet zu lassen, orteten alle Diskutanten bei österreichischen Erfolgs-Explosionen wie Maurice Ernst (Bilderbuch) und Marco Wanda (Wanda) gewisse Falco-Parallelen. Wäre er selbst noch im Business, hätte er – so sagte Spiegel – lieber Bilderbuch unter Vertrag.
Ob es den einen oder anderen tatsächlich gelingen wird, die US-Charts zu stürmen und danach noch durch einen frühen Unfalltod auf dem Highway den perfekten Heldenmythos zu begründen, bleibt fraglich. Man darf die heimische Musikszene jedenfalls auch ohne solch dramatische Schlusspointen des Schicksals weiterhin mit großer Spannung verfolgen.
Ada Karlbauer und Julia Philomena
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Popfest Wien