Pop ist ein Missverständnis

Die Geschichte des Pop ist auch die Geschichte grandioser Fehldeutungen und neu gestrickter Zusammenhänge. In „I Don’t Like Mondays – Die 66 größten Songmissverständnisse“ durchleuchtet der deutsche Musikjournalist Michael Behrendt Pop-Songs, deren landläufige Rezeption fernab der Intention ihrer Schöpfer stattfindet. Schließlich versteht jeder nur das, was er verstehen möchte.

Jene österreichischen Dialektbarden die Bob Marleys „No Woman, No Cry“ regelmäßig mit den Worten „Koa Oide, Koa Gschrei“ ins Lokale übersetzen, liegen grandios daneben – denn die unkomplizierten emotionalen Verhältnisse eines Singledaseins lassen sich mit dem Song nur denkbar schlecht feiern: Das „No“ ist dem Wort „Nuh“ entlehnt – es stammt aus der auf Jamaika gesprochenen Kreolsprache Patois und bedeutet „nicht“. Marley singt in Wahrheit: „Nicht Frau, weine nicht“, was angesichts des Inhalts der Songstrophen großen Sinn macht. Marley besingt einen wehmütigen Blick in die Vergangenheit, um dann voller Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Alles wird gut. Es gibt keinen Grund für Tränen. „Nicht Frau, weine nicht.“

Eines von 66 Song-Beispielen, die der deutsche Musikjournalist Michael Behrendt in seinem Buch „I Don’t Like Mondays – Die 66 größten Songmissverständnisse“ präsentiert. Behrendt macht die selektive Wahrnehmung im Pop zum Thema und kommt dabei musikalisch weit herum. Behrendt nimmt sich Songs von Rihanna genauso an, wie er über Peter Fox, Robin Thicke, Fettes Brot, Madonna, Udo Jürgens, The Turtles, Falco, Judas Priest, E.A.V. und R.E.M. schreibt. Der titelgebende Song „I Don’t Like Mondays“ der Boomtown Rats, der längst zur Montagmorgenhymne der Formatradios geworden ist und so gar nichts mit übler Laune angesichts des Wochenstarts zu tun hat, ist eines der berühmtesten Beispiele für einen Popsong, der in einem völlig anderen Zusammenhang verstanden wird, als ihn der Text ursprünglich eigentlich gemeint hat. In „I Don’t Like Mondays“ thematisiert Sänger Bob Geldof einen Amoklauf, der an einem Montag stattgefunden hat. Von der Unlust zur Arbeit zu gehen, ist keine Rede.

Behrendt verleiht seinem popkulturellen Schmöker Struktur in dem er die Songmissverständnisse in thematische Blöcke gliedert. Fehlinterpretationen interessieren ihn ebenso wie Missverständnisse aufgrund fehlenden Kontexts. Textlichen Mythen, ideologischen Umfunktionierungen und Songs, die am Pranger standen, etwa weil versteckte Botschaften vermutet wurden, was der britischen Heavy-Metal-Band Judas Priest einst einen Gerichtsprozess in den USA eingebrockt hatte, sind ebenso eigene Blöcke gewidmet.

Dass Behrendt von einem ausgeprägten Fanzugang getrieben ist, wird bei der Lektüre des Buches überdeutlich. Behrendt neigt zu Anekdoten, die oft wenig zum eigentlichen Thema beitragen und oft das Gefühl hinterlassen, dass hier jemand sein aufgestautes Fan-Wissen mit aller Gewalt anbringen möchte. Und Behrendts Sprache erinnert an den Musikjournalismus jener Tage, als das Geschäft mit physischen Tonträgern noch florierte und Musikjournalisten eine gewisse Definitionskraft hatten. „I Don’t Like Mondays“ liest sich auch ein wenig aus der Zeit gefallen und ist mitunter etwas gar kleinlich in der Beurteilung so manches Missverständnisses. Es verdrängt, dass Pop Momentaufnahme und nicht unbedingte Werktreue bedeutet. Was nichts daran ändert, dass das Thema großartige Geschichten zu Tage fördert.

Etwa jene einer US-amerikanischen Werbetexterin, die anno 2004 Johnny Cashs „Ring of Fire“ bewusst provokant für einen Werbespot einsetzen wollte.  Sie hatte den Refrain des Songs im Visier: „And it burns, burns, burns – the ring of fire, the ring fire“. Es ging der Werberin nicht um die Metapher für Liebe und Leidenschaft, wie sie Johnny Cash besingt. Der Spot hätte eine Hämorrhoiden-Salbe bewerben sollen. Nicht nur die Liebe kann für stetes Brennen sorgen – auch der Hintern.

Dabei sorgt Behrendt, der so tut als ob der Vergleich weit hergeholt ist, selbst für ein Missverständnis. Denn Der Co-Autor von „Ring of Fire“, Merle Kilgore, hat den schmerzhaften Zusammenhang selbst hergestellt: Er habe oft Witze über Hämorrhoiden gemacht, wenn er den Song auf der Bühne vorgestellt hat, wird Kilgore vom Spiegel zitiert. Erwähnt wird dieser Umstand im Buch nicht – wie ganz generell der Eindruck entsteht, dass es um die Recherchetiefe des Buches nicht immer gut bestellt ist.

Johannes Luxner

 

Michael Behrendt – „I Don’t Like Mondays
Die 66 größten Songmissverständnisse“
Theiss, 224 Seiten