Der Pianist SIMON RAAB, der in der Vergangenheit vor allem als Bandleader der Jazzformation PURPLE IS THE COLOR höchst erfolgreich in Erscheinung getreten ist, betritt mit seinem neuen Album „those things falling“ (Ö1 Edition) nun erstmals solo die musikalische Bühne. Und solo bedeutet in diesem Fall wirklich solo, denn der gebürtige Oberösterreicher lässt auf dem Album tatsächlich nur sein Klavier sprechen. Und das auf eine wunderbar vielfältige Art und Weise. Im Interview mit Michael Ternai erzählt SIMON RAAB über die günstigen Gegebenheiten, die fast zeitgleich zusammenkamen und die Entstehung des Albums ermöglichten, die intensiven Suche nach der eigenen künstlerischen Essenz und den Versuch, sich vom Perfektionismus zu lösen und den Dinge laufen zu lassen.
Man kennt dich vor allem als Bandleader von Purple ist the Color. Was hat dich auf die Idee gebracht, ein Soloalbum zu machen?
Simon Raab: Die Idee, ein Soloalbum zu machen, existiert schon seit geraumer Zeit in mir. Die Inspiration geht wahrscheinlich auf Keith Jarrett zurück, dessen musikalisches Schaffen ich enorm schätze. Er hat das Genre Solo-Klavier zu einer neuen Ära verholfen und viele Musiker:innen damit beeinflusst. Der Start des Albums war im letzten Sommer, als einige günstige Umstände zusammenkamen. Ich war schon seit langer Zeit auf der Suche nach einem Flügel. Bis dahin spielte ich immer an einem Upright, fühlte mich mit diesem jedoch nie wirklich wohl, da ich eigentlich vom klassischen Klavier komme. Daher habe ich in den vergangenen Jahren den Markt nach Alternativen durchsucht. Einen brandneuen Flügel konnte ich mir finanziell nicht leisten, aber es war mir wichtig, dass ich selber einen kaufen konnte. Im Juli des letzten Jahres wurde im Klavierhaus Schimpelsberger ein gebrauchter Yamaha C3 für einen sehr guten Preis angeboten. Mein erster Gedanke war natürlich “Wow”, aber ich wollte keine überstürzten Entscheidungen treffen. Das Instrument musste wirklich zu mir passen.
Also bin ich mit meinem ehemaligen Lehrer aus Linz, Andreas Thaller, den ich sehr schätze, zum Klavierhaus gefahren, um ihn zu testen. Ich hatte mir ein paar Flügel in einer ähnlichen Preisklasse vorher vorbereiten lassen. Als wir ankamen, standen dort dann fünf Flügel, darunter auch der Yamaha. Ich habe mir dann die Augen verbinden lassen und mich von meinem Klavierlehrer von Flügel zu Flügel führen lassen. Ich habe dann ca. eine Stunde an den Flügeln mit verbundenen Augen verbracht und gelegentlich setzte sich Andreas an einen anderen Flügel und wir spielten gemeinsam für eine Weile. Irgendwann blieb ich dann an einem der Flügel länger sitzen und dachte mir: der klingt speziell, irgendwie reagiert der Flügel genauso wie ich mir das wünsche, der Ton lässt sich fein modulieren und überdies greife ich unglaublich gerne in diese Tasten (die Haptik spielt dann plötzlich eine starke Rolle, wenn man die Augen verbunden hat). Insgeheim hoffte ich, dass es der besagte C3 sein würde und als ich die Binde runter nahm, war es dann tatsächlich der Yamaha C3. Ich habe wirklich gespürt, dass dieser mein Instrument ist. Ich kaufte ihn also.
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Zeitgleich ergab sich auch die Gelegenheit, den frisch erworbenen Flügen in das Studio des Produzenten David Furrer zu stellen. Somit hatte ich auch plötzlich einen Arbeitsplatz in der Zeit, in der im Studio keine Produktionen stattfanden. Diese Möglichkeit habe ich natürlich voll ausgenützt. Es war für mich wirklich ein Traum, auch weil die Arbeitsatmosphäre eine wunderschöne war. Zugleich ist auch zwischen David Furrer und mir mit der Zeit eine wunderbare Freundschaft entstanden. Mir wurde auch schnell klar, dass ich mit ihm das Album aufnehmen möchte. Und relativ bald darauf auch, dass ich es in seinem Studio machen will. Ich hatte zwar schon ein anderes Studio reserviert, dachte mir aber, dass ich für mein Debüt eine ganz intime Atmosphäre haben will.
Kurz darauf ist auch noch das Angebot von Andreas Felber gekommen, das Album auf Ö1 Edition zu veröffentlichen. Es sind also binnen kurzer Zeit sehr viele schön Gegebenheiten zusammengekommen, die mir das Gefühl gegeben haben, das ist richtig. Es ist zwar alles mit viel Arbeit verbunden, aber es gehen, wenn man die Dinge konsequent durchzieht, auch die richtigen Türen auf. Bei Purple ist the Color war es ähnlich. Man muss durch die Türen, die sich öffnen, auch durchgehen und auch viel investieren. Aber am Ende lohnt es sich.
Das sind in der Tat einige schöne Dinge zusammengekommen. Wie bis du es musikalisch angegangen?
Simon Raab: Ich habe auf Empfehlung von Eva Klampfer [Lylit; Anm.] im Oktober letzten Jahres, einen Kurs vom dem Berliner Schauspieler und Schauspielcoach Kristian Nekrasov besucht. Im Kurs ging es grob darum, aus uns Künster:innen die Essenz herauszuholen bzw. um die Frage, was denn wirklich die Aussage von jemandem ist. Und ich muss sagen, dass dieser Kurs mitunter sehr hart und herausfordernd war.
Wir waren eine Gruppe von acht Personen, unter der ich der einzige Instrumentalist war. Ich hatte mein E-Piano mit dabei und spielte etwas vor. Kristian Nekrasov ist anschließend sehr hart auf mich eingegangen, was aber sehr wichtig war, weil ich so einige Erkenntnisse ableiten konnte. Wenn man lange ein Instrument spielt, kommt man irgendwann auf ein hohes Level. Auf diesem Level befinden sich viele. Was dann aber die Streu vom Weizen trennt, ist nicht so sehr das Level oder die technische Raffinesse, sondern, ob man das, was man im Herzen trägt, auch rausbringen und anderen vermitteln kann. Nur wenn du authentisch und ehrlich bist, kannst du auch berühren.
„Mir war vor diesem Album eigentlich nie so wirklich bewusst, dass es um Entscheidungen geht.“
Du bist mit deinem Soloalbum auf jeden Fall aus deiner Comfortzone weit herausgetreten. Wie sehr war es aber trotz allen Herausforderungen und intensiven Lernphasen dennoch befreiend, einmal wirklich gänzlich anders arbeiten zu können?
Simon Raab: Gute Frage. Ich hatte quasi den Luxus, im Studio üben zu können. Und ich hatte für die Aufnahme des Albums zehn Tage Zeit. Das ist ein Luxus, den man mit einem Projekt mit mehreren Personen nicht hat.
Ich weiß von mir, dass ich dahingehend gesegnet bin, dass ich viele kompositorische Ideen habe. Nur eröffnet sich bei mir mit jeder Idee ein ganzes Universum. In welche Richtung soll ich eine Idee entwickeln, wenn es so viele Möglichkeiten gibt? Mir war vor diesem Album eigentlich nie so wirklich bewusst, dass es um Entscheidungen geht. Ich habe mir sehr viel Zeit genommen, aber es ist die Zeit dann doch irgendwie knapp geworden, weil ich mir vieles immer so lange offengelassen habe. Ich habe während der Arbeit an diesem Album lernen dürfen bzw. ich bin immer noch in dem Prozess, es zu akzeptieren, dass eine Entscheidung zu treffen, auch etwas Schönes ist.
Ich hatte sehr viele für mich wichtige Menschen um mich herum, mit denen sich viel geredet habe. Zum Beispiel mit Christoph Cech, meinen ehemaligen Lehrer an der Anton Bruckner Privatuniversität, mit dem sich eine sehr schöne Freundschaft wiederentwickelt hat. Mit ihm habe ich sehr viel über Musik im Allgemeinen und Komponieren geredet. Das hat mir sehr viel geholfen.
Ich habe gemerkt, dass in mir sehr viel vorhanden ist, was ich aber noch nicht fassen kann. Ich habe im Zuge der Albumproduktion zufällig ein Interview mit dem Popkünstler Chet Faker gehört, der meinte, „it`s about sharing your journey“. Du wirst nie zu diesem Punkt kommen, an dem alles fertig ist. Und trotzdem hielt ich immer an der Idee fest, dass alles perfekt sein muss. Das ist aber Blödsinn. Und auch nicht authentisch. Es geht mehr darum, den Leuten zu zeigen und vor allem sich selber, wer man in dem Moment ist. Das bin musikalisch jetzt ich in 2023. Im nächsten Jahr bin ich vielleicht woanders.
Das stelle ich mir schwer vor, mit dem eigenen Perfektionismus zu brechen.
Simon Raab: Das ist natürlich eine große Herausforderung. Speziell für jemanden wie mich, der wirklich eine ausgeprägte perfektionistische Ader hat. Aber es hilft nichts. Es ist zwar schwer, diese ein wenig zurückzudrängen, aber umso dringlicher. Diese Dringlichkeit wird bei mir immer präsenter. Das war mitunter auch ein Thema bei dem Kurs von Kristian Nekrasov, dass man die Dinge einfach rauslässt. Und das sehe ich als meine Hauptaufgabe für meine nächsten Projekte.
Wie bist du an die Stücke rangegangen? Wie hast du sie mit Leben erfüllt? Wie konkret waren die Ideen zu den Stücken?
Simon Raab: Die Ideen zu den Stücken waren relativ schnell da. Die Frage war eher immer, wohin geht die Reise. Hier war David Furrer für mich sehr wichtig. Er ist bei den Aufnahmesessions zum Teil wirklich neben mir gesessen und hat mitgearbeitet mit mir. Das erinnerte mich sehr stark an die Zeit mit meinem Klavierlehrer Andreas Thaller, der mit mir den Flügel ausgetestet hat. Er war ein Lehrer, der mir wirklich etwa beibringen wollte und sich wirklich mit mir auseinandergesetzt hat. Er hat regelmäßig bei den Klavierstunden mitdirigiert, dann wieder mitgesungen. Er hat mich ständig gepusht und war dabei auch mitunter sehr streng. Er hat viel aus mir herausgeholt und mich Musik erfahren lassen. Das habe ich seitdem eigentlich in dieser Form nicht mehr erlebt. Auch nicht auf der Uni.
Lustigerweise hat David dann genauso wieder mit mir gearbeitet. Er hat mich oft gefragt, warum ich denn genau das spiele und was ich eigentlich aussagen will. Und er hat mir oft gesagt, dass es da leiser sein sollte und dort lauter, damit das Ganze aufgeht. Das war totale Produzentenarbeit, die man normalerweise aus dem Popbereich kennt. Seine Art, mit mir zu arbeiten, hat mich total berührt und motiviert. Die Aufnahmesessions waren ein Wahnsinn. Sie sind oft von der Früh bis spät nach Mitternacht gegangen. Ich war nach den Aufnahmetagen echt fertig. Und ich denke David auch. Der Prozess war auf jeden Fall sehr intensiv. Aber ich mag es, wenn es intensiv ist, das erfüllt mich.
„Das Soloklavier ist für mich etwas total Faszinierendes, weil man wirklich direkt sprechen kann.“
Was waren eigentlich die Inspirationen bei diesem Album?
Simon Raab: Vom musikalischen her hat mich das Soloklavier immer schon fasziniert. So ist, wie ich schon erwähnt habe, Keith Jarrett ein riesen Vorbild von mir, ein so großes, dass es mir fast schon unheimlich ist. Als Recherche habe ich mir eine Playlist mit ganz viel verschiedener Solomusik angelegt. Und diese reichte von den Oldies Thelonious Monk und Art Tatum bis hin zu modernen Vertretern wie Aaron Parks, Brad Mehldau und Tigran Hamasyan.
Das Soloklavier ist für mich etwas total Faszinierendes, weil man wirklich direkt sprechen kann. Ein essentieller Grund für mich, den Yamaha C3 zu kaufen, war auch, dass ich wieder begann, ganz stark in Richtung Klang zu üben. Ich glaube, da hat sich bei mir einiges entwickelt. Ich bin draufgekommen, wie wichtig mir dieses puristische Instrument ist, auf dem man mit dem Ton im Nachhinein so wenig machen kann. Das ist für mich der Reiz am Klavier. Es hat zwar 88 Tasten, und das sind mehr als bei allen anderen Instrumenten, aber die Tonentwicklung ist so beinhart. Wenn man sich verspielt, kann man nicht schummeln, du kannst den Ton im Nachhinein nicht modulieren. Du musst die Vorstellung davor haben. Improvisierte Musik ist es ja eine Realtime-Geschichte. Du musst schon Bruchteile von Sekunden davor wissen, wie du es voicen möchtest. Wenn man jetzt ein Voicing von vier, fünf Stimmen hat, sollte man im besten Fall auch wissen, welche Mittelstimmen man rausholen will.
Es hat für mich einen enormen Reiz, so zu arbeiten. Es ist eine filigrane Arbeit, die sehr viel mit Vorstellung zu tun hat. Und da schließt sich wieder der Kreis. Was will ich aussagen, wie will ich, dass etwas klingt. Man kann ein und dieselbe Idee auf so viel verschiedene Art und Weise darstellen.
Du hast gerade Improvisation erwähnt. Wie hoch ist der Anteil dieser auf deinem Album?
Simon Raab: Die ganzen Interludes sind zu hundert Prozent improvisiert. Beim Rest hält es sich die Waage. Die Stücke „Blues“ und „David“ zum Beispiel sind schon sehr stark auskomponiert.
Was nimmst du aus diesem Soloprojekt für andere Projekte mit?
Simon Raab: Ich nehme auf mehreren Ebenen etwas mit, darunter vor allem mehr Vertrauen in den Prozess. Ehrlich gesagt, gab es Momente von Panik, in denen ich stark mit den Dingen zu hadern begann. Letztendlich sind die Dinge jedoch eh in die richtige Richtung gegangen. Sicherlich hat es da geholfen, Entscheidungen zu treffen. Das muss man einfach in einem Prozess tun. Dabei muss man auch in Kauf nehmen, dass manche Ideen verworfen werden. Aber eine Entscheidung ist besser als keine. Und dann versuche ich in Zukunft, weniger an meinen Ideen zu zweifeln. Ich weiß, dass ich genügend gute Ideen habe. Ich muss diesen einfach nur nachgehen. Dann wird aus diesen auch etwas.
Vielen Dank für das Interview!
Michael Ternai
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Simon Raab live
6.12. Kick Jazz, Porgy & Bess, Wien
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