„Niemand setzt mir eine Deadline” – ROBERT GERSTENDORFER (FLIRTMACHINE) im mica-Interview

FM4 nannte „Lovers” zu Recht einen der besten Songs des letzten Jahres. Doch die Salzburger Band FLIRTMACHINE legt nach: Die aktuelle Single „Whisper” ist eine wunderbare Dreampop-Nummer, und im Laufe des Jahres sollen gleich zwei Longplayer erscheinen. Im Interview hält Mastermind ROBERT GERSTENDORFER ein Plädoyer auf die die Scheiß drauf-Mentalität seiner Band und das Album als Kunstform. 

Ich bin auf Flirtmachine über den Xtra Ordinary-Sampler des Salzburger Rockhouse gestoßen, auf dem es manches gibt, das professioneller, aber nur weniges, das origineller ist.

Robert Gerstendorfer: Danke. Das freut mich sehr. 

Betrachtet man die Salzburger Musikszene der letzten Jahre, steht die Stadt musikalisch eher für gut produzierten Synth- und Soul-Pop, wenn man das verallgemeinern kann. Flirtmachine dagegen ist trashig und eindeutig im Lo-Fi-Kosmos verortet. Bewusste Anti-Haltung oder bloß Zufall?

Robert Gerstendorfer: Beides. Beim Musikmachen selber, wenn ich etwas einspiele, denke ich natürlich nicht an einen vielleicht typischen Sound und wie man sich davon abheben will. Daran denkt man vielleicht beim Fortgehen, wenn man sich mit Freundinnen und Freunden trifft und darüber redet. Aber wenn etwas fertig produziert ist, dann vergleicht man das zwangsläufig schon mit dem, was andere aus dem näheren Umfeld herausbringen. Aber so ganz verallgemeinern, wonach in Salzburg nur super cleaner Sound gemacht wird, kann man es nicht, finde ich.

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Wollte ich auch nicht. Man kann das ja auch positiv sehen, wonach in der Stadt einfach sehr gut Produziertes die Studios verlässt.

Robert Gerstendorfer: Es weht ein wenig der Red Bull-Hauch durch die Stadt, dass alles super fertig und kommerziell verwertbar sein soll, ja. Man hat das Gefühl, dass alles eine Spur zu ernst ist. Als würde es um so viel gehen, und natürlich geht es einem, wenn man Musik macht, um viel, aber wie man die Musik präsentiert, ist auch wichtig. Und da fehlt bei vielen die “Scheiß-Drauf-Attitude”. Ob das jetzt Zufall ist oder nicht, soll sich jeder selbst ausmalen.

Wie hat das Projekt Flirtmachine angefangen? Mit dir allein am Laptop?

Robert Gerstendorfer: So in die Richtung, ja. Es war kein Tag, an dem ich bewusst entschieden hätte, dass es jetzt losgeht. Der Übergang war fließend. Ich bin eher spät zum Musikmachen gekommen. Ende 2017 habe ich die Gitarre in die Hand genommen und drauf los gelernt. Als ich jung war, hatte ich auch einmal Klavierunterricht, dümpelte aber immer auf dem gleichen Level dahin, sodass es irgendwann einfach keinen Spaß mehr machte. Dann habe ich mich lang vom Musikmachen entfernt. Erst als ich siebzehn war, kam die Wende. Ich kam mit Indie-Sound in Kontakt, entdeckte Mac DeMarco, Artists, die einfach nur eine Gitarre in den Computer einstöpseln und drauflos spielen. Das hat mich motiviert, weil ich sah, dass man das heute bis zu einem bestimmten Punkt echt selber machen kann. Der Drang, das auch zu tun, wurde groß. Ich wollte schauen, wie weit ich kommen würde. Ende 2018 hab´ ich dann den ersten Song unter dem Namen Flirtmachine rausgebracht. Mitte 2019 hab´ ich ein eigenes Album rausgebracht. Das waren die ersten Songs, die ich releast habe.

Es ging Schlag auf Schlag, würde ich sagen.  

Robert Gerstendorfer: Ja, aber der Gedanke war immer, dass das Ganze eine Live-Konstellation braucht. Wenn ich einen Song komponiere oder aufnehmen will, habe ich sofort das Bild von der Bühne im Kopf, damit es dort auch funktioniert, so schräg der Song auch sein mag. Bis eine wirkliche Band zusammenkam, hat es lange gebraucht. Zuerst hatte ich mit Schulfreunden begonnen, aber das erwies sich als schwer. Die Freude bei allen ist gleich, aber jeder hat völlig andere Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll. Zu vermitteln, dass ich die Songs schreibe und wir das dann als Band gemeinsam spielen, war unmöglich.

Das stieß wohl auf wenig Gegenliebe, weil sich die anderen auch verwirklichen wollten.

Robert Gerstendorfer: Genau. Man kann gut gemeinsam musizieren, aber manche wollten dann in die Jazzrichtung. Dahin wollte ich aber nicht. Ja, und dann hab´ ich nach einer Weile aufgegeben, weil ich nicht mehr daran dachte, dass es was werden könnte. Ende 2019 bekam ich schließlich eine Anfrage vom Rockhouse Salzburg, ob wir nicht bei den Local Heroes spielen wollten. Ich wollte nicht zusagen, solange es keine fixe Band gibt. Andererseits wollte ich die Chance auch nützen. Es ergab sich dann recht natürlich, dass mein älterer Bruder Artur dazu kam, und über ihn Bassist und Drummer. Da braucht man nicht viel zu erklären, weil wir einander musikalisch und mental sehr nahe sind.

Wenn man sich das auf Bandcamp veröffentlichte Album anhört und jetzt die aktuelle Single, bemerkt man einen ziemlichen Sprung. Ihr habt euch stark weiterentwickelt, oder?

Robert Gerstendorfer: Ja und nein. Flirtmachine war von Anfang an als eine Indie-Gitarren-Geschichte angedacht, wo man viele Gitarrenspuren auf einen Track mischt. Dann war es aber so, dass die Gitarrengeschichten nicht so klappten beim Aufnehmen. Das lange Arbeiten an einem Track war mir manchmal zu stupide, und so startete ich ein anderes Projekt mit Synth-Drum-Sounds. Irgendwann war eine richtige Sammlung an coolen Beats da und ich wollte das finalisieren. So entstand „Prime Time”, das ich online ohne große Promotion veröffentlicht habe. Das was ich mache, kann man also durchaus in zwei unterschiedliche Stilrichtungen einteilen: Da die luftigen Indie-Gitarren-Tracks, die melancholisch sind, und dort die anderen Tracks, wo ich mir nicht den Kopf zerbreche und irgendwelche Loops zusammenmische.

Bild Flirtmachine
Flirtmachine (c) Niki Holzmayer

Und diese Ambivalenz geht weiter?

Robert Gerstendorfer: Ja. Im März kam eine Single („Whisper”, Anm.), die an den Sound von „Lovers” anschließt. Mit Video, das wir zum ersten Mal von jemandem machen ließen. Und im Kopf habe ich zwei Alben: Das erste, das nach „Lovers“ klingt und auf dem die Single auch drauf sein wird. Das aber zweite wird ein Party-Album, das den Sound von „Prime Time“ fortsetzt.

Streng getrennt?

Robert Gerstendorfer: Das ist die Frage. Eher, ja. Man sagt, das Album ist tot und bringts doch nur Singles raus, aber die Romantik eines Albums ist ungebrochen, finde ich. Der kommerzielle Druck ist größer geworden. Wenn etwa der Spotify-CEO empfiehlt, dass Artists alle zwei bis drei Monate Content liefern sollten, um genügend Plays zu kriegen. Da wird man nicht alle zwei Monate ein Album oder eine EP machen können, sondern alles schön in Singles aufsplitten, um dem gerecht zu werden, und dann vielleicht auch noch Instagram und Tik Tok entsprechend bedienen. Das hilft zwar alles, wenn man es gut macht, hat aber mit dem, worum es eigentlich geht, hat es wenig zu tun.

Und worum geht es?

Robert Gerstendorfer: Sich Zeit für ein Album zu nehmen.

Wobei sich natürlich fragen kann, ob das ausgegebene Veröffentlichungs-Credo selbst die bei Spotify angesagtesten Stars wie etwa eine Taylor Swift oder eine Arianna Grande so machen oder ob es die ganz Großen dann wieder doch nicht notwendig haben, nach irgendwelchen abstrusen Regeln zu spielen.

Robert Gerstendorfer: Das mag sein. Aber es macht einfach Spaß, Songs für ein Album zusammenzustellen und sich Gedanken über den größeren Kontext zu machen.

Du hast vorher schon von den Local Heroes gesprochen. War oder ist das Rockhouse eine Base, die euch gehgolfen hat?

Robert Gerstendorfer: Durchaus. Da gibt es Proberäume, wo wir jetzt auch proben. Aber auch schon davor schaute man manchmal bei anderen Bands vorbei, die dort spielten. In Salzburg kennt man sich schnell. Vor Corona war es auch cool, bei den Jam-Sessions vorbei zu schauen oder bei der Eleven Empire-Reihe von Sebastian König, die ziemlich außergewöhnlich für Salzburg ist. Da traf man sich oft Donnerstag abends mit zwanzig anderen Nerds, die sich eine Band aus Chile anhörten. Local Heroes ist ein guter Startpunkt. Aber das Rockhouse ist nur ein Teil. Der andere war der Mildenburg Club, bei dem mein Bruder Artur und ich herumhingen. Unser Drummer war auch bei den Bond Pirates. Das Geflecht ist ziemlich eng. Das waren alles coole Projekte.

Wie ernst ist es euch? Ihr seid alle parallel auch in anderen Projekten beschäftigt. Wenn der Erfolg der Flirtmachine kommt, wie würdet ihr damit umgehen?

Robert Gerstendorfer: Ich würde sagen: Wir nehmen es gelassen, ich mache gerade Zivildienst, danach gibt es eine einwöchige Party. Mein Bruder Artur studiert in Wen, Camillo ist Fulltime-Drummer, und unser Bassist Simon ist ein Lebemann.

Das wird also weiterhin eine Challenge sein, das Ding zusammenzuhalten?

Robert Gerstendorfer: Nein, das glaube ich nicht. Die Konstellation ist einfach die beste, die wir uns wünschen konnten, das wissen alle Beteiligten, und ich hoffe, es bleibt so. Darüber nachdenken, dass es da Änderungen geben könnte, tu ich nicht. Ein Rhythmus aus Tour und Aufnahme wäre toll, aber was will man sich in Pandemiezeiten groß auf eine einzelne Band konzentrieren…

Bild Flirtmachine
Flirtmachine (c) Teo Crawford

Es gibt ja diesen Spruch, dass nach der Pandemie alle Punkbands plötzlich Jazz spielen werden, weil sie so viel Zeit zum Üben hatten.

Robert Gerstendorfer: (lacht) Die Gefahr besteht bei uns nicht. Neulich erst habe ich eine Live-Version der neuen Single hochgeladen. Da merkt man, dass wir ungezwungen Spaß haben. Das Projekt ist einerseits noch immer im Musikzimmer, aber ich habe mir neues Equipment zugelegt und schaue drauf, dass die Aufnahmen amtlicher werden. Wenn eine Rotation von dir auf FM4 läuft, geht es nicht mehr, als nächstes einen Track zu droppen, der dem Niveau nicht standhält.

Das heißt, das Projekt wird zwangsläufig professioneller?

Robert Gerstendorfer: Es gibt Überlegungen, auch mal einen Studiotag zu nehmen, aber wichtig ist die Balance zwischen ernst nehmen und nach dem Besten trachten aber zugleich nicht verkrampfen, damit es nicht klingt, als würde ich im Labor nach dem großen Wunder forschen.

Wann und wie werden die beiden Alben erscheinen? Wirst du sie einfach auf Bandcamp veröffentlichen oder ist ein professioneller Label-release geplant?

Robert Gerstendorfer: Ich hoffe, dass wir im Mai den Großteil fertig haben. In der ersten Hälfte des Jahres soll das erste kommen, in der zweiten Hälfte das zweite, aber alles DIY, d.h. niemand setzt mir eine Deadline. Natürlich wäre ein Label cool, um einen Sprung zu machen. Aber auf dem Level, auf dem wir uns befinden, ist das nicht notwendig, glaube ich.

Wie entstehen die Songs? Tüftelst Du allein und dann geht es gemeinsam mit den anderen in den Proberaum?

Robert Gerstendorfer: So richtig Band-mäßig ist es nur live. Die Ideen stammen zu fast 100% von mir, und das Mixing mache ich auch zum Großteil selbst. Ich schaue mir stundenlang Mixing-Tutorials an auf Youtube an. Derzeit sind es um die zwanzig Songideen, die ich fertig machen muss. Wenn jemand Zeit hat, kommt er vorbei und spielt eine Bass-Line oder Drums ein. Die anderen drei verstehen das, weil sie in einem ähnlichen Umfeld aufgewachsen sind. In Zukunft aber soll mehr gemeinsam entstehen.

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Was hast du nach dem Zivildienst vor?

Robert Gerstendorfer: Ich habe ein wenig länger für die Schule gebraucht und jetzt Zivildienst gemacht. Danach will ich will endlich ein Jahr haben, in dem ich mich voll auf das Musikmachen konzentrieren kann. Releases, Gigs und das ganze Drumherum. Viel Aufnehmen. Ich will endlich eine schöne Routine reinbekommen, daneben ein wenig jobben. Bis jetzt war es immer locker, einmal mehr, einmal weniger. Ein Jahr möchte ich ganz der Musik widmen, um nachher sagen zu können: „Ich habe es probiert.“

Plan B gibt es keinen?

Robert Gerstendorfer: Gescheit planen kann man derzeit sowieso nicht. Ich hoffe, dass es sich nach dem Sommer mit Gigs natürlich ergibt, und dass es, weil es so gut läuft, weitergeht.

Gehen wir zu den musikalischen Vorbildern, du hast Mac DeMarco genannt. Connan Mockasinn wirst du wahrscheinlich auch kennen, oder?

Robert Gerstendorfer: Ja, klar. Genial.

Und sonst?

Robert Gerstendorfer: Ich höre derzeit viel „Harvest Moon“ von Neil Young. Während des Abwaschens beim Zivildienst darf ich Musik hören. Das Album durchzuhören, ist die reinste Freude: Ein zehnminütiges Solo und dann singt er wieder rein in den Song. Das ist schon sehr cool. Aufgewachsen bin ich viel mit Red Hot Chili Peppers und viel Funk. Darauf hat mich mein Bruder gebracht. Später traten dann The Merry Poppins in mein Leben. Etwas zu finden, von dem viele andere keine Ahnung hatten, war toll. Dieses Umfeld war schon wichtig: Als Kind zu kapieren, dass es bei Musik nicht darum geht, dass ein Gitarrengott ins beste Hightech-Studio eincheckt und dort loslegt, sondern dass deine Nachbarn auch unheimlich gute Musik machen können. Das hat mich geprägt.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Markus Deisenberger

 

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