„Nicht Frustration schüren, sondern lustig sein und über schöne Themen reden, über die sonst viel zu wenig geredet wird.“- SCHAPKA (Шапка) im mica-Interview

SCHAPKA (Шапка) sind DORA DE GOEDEREN, MARIE LUISE LEHNER, LILIAN MIRA KAUFMANN und  LAURA MARIA GSTÄTTNER. Seit 2012 steht SCHAPKA auf russisch für Haube und in der Realität für Geschrei, Gestöhne und eine Mischung aus Ironie, Glitzer und ehrlicher Alltagsrealität, ohne Scheu und ohne Tabus. Gegründet am Tag an dem PUSSY RIOT den Prozess verloren haben, ist der Vierer seitdem in ähnlicher Mission unterwegs. Zum 5-Jährigen Band-Jubiläum erschien das Debüt-Album „Wir sind Propaganda“ („МЫ Пpопаганда“) auf dem feministischen Label UNRECORDS, gemeinsam mit einem aufwendig gestalteten Zine, ganz in der Riot-Grrrl-Tradition. Im Gespräch mit Ada Karlbauer sprachen die drei SCHAPKA-Mitglieder DORA DE GOEDEREN, MARIE LUISE LEHNER und  LAURA MARIA GSTÄTTNER (LILIAN MIRA KAUFMANN war leider verhindert) über Punk als Attitüde, das Debütalbum als Bestandsaufnahme und darüber, warum sie keine Education für die große Masse machen.

Wie hat es mit Schapka begonnen? 

Marie Luise Lehner: Gegründet hat sich die Band 2012, an dem Tag an dem Pussy Riot ihren Prozess verloren hat. Das war auch der Grund, warum wir uns Schapka genannt haben, denn auf Russisch heißt das Haube. Zu Beginn sind wir deshalb auch immer mit Sturmhauben aufgetreten. Wir fanden es auch lustig, wie man Schapka in kyrillischen Buchstaben schreibt. Man kann das Wort dann nämlich auch als Шапка lesen.

Laura Maria Gstättner: Die Band hat sich damals aber in einer anderen Konstellation gegründet.

Dora De Goederen: Ich zum Beispiel kam zum Jahreswechsel 2014/15 zur Band dazu.

Wer macht bei Ihnen was? 

Marie Luise Lehner: Ich schreibe, spiele Synthesizer und Gitarre.

Laura Maria Gstättner: Ich schreie sehr viel, manchmal spiele ich Klavier und seit neuestem auch die Triangel.

Dora De Goederen: Ich spiele die meiste Zeit Bass, aber manchmal auch andere Instrumente wie Keyboard und ein bisschen Schlagzeug. Wir versuchen uns immer wieder auch gern an etwas Neuem.

„Bei dem Album geht es um Sex und Körper, Liebe und Queerness.“ 

Kürzlich wurde Ihr Debüt-Album „Wir sind Propaganda“ released.

Dora De Goederen: Unser Debüt-Album erschien letzten Oktober auf dem feministischen Label UNRECORDS. Zu diesem Anlass haben wir auch ein großes Zine gestaltet, ein sehr großes Zine sogar.

Marie Luise Lehner: Es ist wirklich groß, Es hat die Maße einer Platte und 28 Seiten. Darin findet man sowohl inhaltliche Beiträge zu feministischen Themen, wie auch unsere Songtexte. Wir stellen uns darin gewissermaßen selbst vor.

Dora De Goederen: Das Zine gibt es eigentlich anstelle einer Vinyl-Platte. Wir spielten einige Zeit mit dem Gedanken, eine Platte zu releasen, entschieden uns aber aus finanziellen Gründen und aufgrund der Tatsache, dass gerade in unseren Kreisen das Publikum gar nicht so sehr an Vinyl interessiert ist, dagegen. Man kauft einfach das Zine und erhält einen Download-Code dazu. Wir finden, dass dies für uns eine gute Möglichkeit darstellt, unsere Messages weiterzuteilen und uns künstlerisch auf eine andere Art und Weise auszudrücken.

Marie Luise Lehner: Das Publikum hört eh überwiegend digital und es gibt auch eine CD.

Welche Themen werden auf dem Album inhaltlich verhandelt?

Marie Luise Lehner: Auf unserem Album geht es um Sex und Körper, Liebe und Queerness. Ich finde, der Titel des Albums fasst ganz gut zusammen, für was die Band steht. Schapka ist queer-feministische Propaganda.

Laura Maria Gstättner: Aber Propaganda in einem positiven Sinne.

Marie Luise Lehner: In gewisser Weise ist der Titel des Albums auch an das russische Propaganda-Gesetz angelehnt, denn das, was wir machen, wäre in Russland nicht legal. (lacht)

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„Wir verstehen uns auch ein bisschen als Plattform.“ 

Können Sie sich mit dem klassischen Bandbegriff identifizieren? 

Laura Maria Gstättner: Wir sehen uns schon als Band. 

Dora De Goederen: Als politische Band oder auch aktivistische Band. Wir versuchen auf unsere Facebook-Page Schapka auch, nicht nur als rein musikalisches Projekt rüberzukommen. Es steckt bei uns einfach noch ein bisschen mehr dahinter, deshalb teilen wir auch viele Artikel, um Diskussionen zu erzeugen. Wir verstehen uns auch ein bisschen als Plattform.

Marie Luise Lehner: Vielleicht auch ein wenig als Teil eines Netzwerks. Bei unserer Release-Party war es beispielsweise so, dass wir einfach coole Frauen wie etwa Fist Fatal Kiss und Marlo eingeladen haben, danach hat Denice Burbon aufgelegt, also all-female. Wenn wir die Möglichkeit haben andere Bands zu fragen, ist der Anspruch an uns selbst immer, dass diese dann auch all-female sind.

Wie hat sich das gesellschaftliche Klima für die künstlerische Auseinandersetzung, dem Versuch von medialen Sichtbarmachungen von Gender-Problematiken und alles, was damit zusammenhängt, Ihrer Meinung nach gewandelt, seitdem Sie begonnen haben? 

Marie Luise Lehner: Eine große Rolle innerhalb dieser Debatten spielt in Österreich definitiv das Girls Rock Camp, ein feministisches Musikcamp für Frauen und Mädchen, aus dem sehr viele junge Bands hervorsprießen. Im Grunde halten dort auch alle weiblichen österreichischen Musikerinnen Workshops und vernetzen sich untereinander.

Dora De Goederen: Ich denke, der Gedanke der Vernetzung stellt einen wesentlichen Unterschied zu den letzten Jahren dar. Vor allem seit dem es das „Girls Rock Camp“ gibt, hat sich diesbezüglich sehr viel verändert.

Marie Luise Lehner: Es ist auch so, dass sich fast alle Bands, die dort entstehen, auch mit den Leuten, die die Workshops halten, vernetzen. Wir haben uns 2012 auch am Girls Rock Camp gegründet und durch diese Vernetzung passiert extrem viel. Wir mussten beispielsweise noch nie irgendwo wegen eines Konzerts anfragen, sondern wurden immer gefragt. Das liegt nur an diesem superguten Netzwerk.

Dora De Goederen: Ich glaube, ein Grund weshalb Schapka sehr oft eher angefragt wird, ist auch, weil es sich um ein Nischenprojekt handelt. Es ist zwar in einem Netzwerk eingebettet, aber die Anzahl an ähnlichen Bands ist überschaubar. Deshalb spricht es sich auch schnell herum. Ich denke, wenn sich Leute für queer-feministische Punkmusik interessieren, dann wird ihnen Schapka schnell mal ein Begriff sein. In diesem Bereich gibt es in Österreich einfach recht wenig anderes.

Spielt „Punk“ als politischer aber auch historisch konnotierter Gestus eine wichtige Rolle für das Projekt? 

Marie Luise Lehner: Auf jeden Fall! Wir sehen uns da schon in einer gewissen Tradition rund um Riot Grrrl-Bands wie etwa Bikini Kill oder Le Tigre.

Bild Schapka Band
Schapka (c) Fabian Kasper

Dora De Goederen: Aber auch frühere Punk-Bands wie The Slits finde ich total super. Punk, würde ich sagen, ist in vielen Underground-Musikszenen oder -Bewegungen immer noch total allgegenwärtig. Viele Leute verbinden mit diesem Begriff aber in erster Linie solche Hardcore-Punkbands – meistens männlich, hart und rough. Bei uns meint Punk eher eine Attitüde oder Einstellung, die im Punk-Movement immer vorhanden war, das Schwimmen gegen den Mainstream, die Selbstpositionierung und DIY.

Marie Luise Lehner: Auf jeden Fall verwenden wir Punk als politischen Begriff und nicht als die Zuordnung in ein Musik-Genre. Wenn wir danach gefragt werden, was wir machen, sagen wir manchmal Experimental-Freejazz-Punk. Es gibt aber auch eine Nummer, die vom The Gap beispielsweise auch schon als Indie-Ballade beschrieben wurde, vom Falter dagegen lustigerweise als Krawallpop.

Haben Sie denn ein Problem mit dem Pop-Begriff?

Dora De Goederen: Nein überhaupt nicht, wir hätten nur selbst nie daran gedacht.

Laura Maria Gstättner: Unsere Musik ist halt sehr schwer einzuordnen und das ist auch wichtig und gut, weil wir dementsprechend auch zeigen können, dass man eben nicht nur in eine bestimmte, einschlägige Richtung gehen muss, um Punk zu sein. Uns geht es vor allem um die politische Einstellung und nicht um die Musik.

Marie Luise Lehner: Und auch um ganz viel Spaß! Unsere Musik entsteht so, wie sie im jeweiligen Moment gerade aus uns herauskommt. Die Nichteinordenbarkeit rührt auch daher, dass wir uns an keine Konventionen halten, sondern einfach machen. Sogar Hip-Hop war schon dabei (lacht).

Diese fehlende Greifbarkeit oder Genrezuordnung als Reiz?

Laura Maria Gstättner: Ich glaube schon, dass viele Leute auch wegen unserer Vielseitigkeit zu unseren Konzerten kommen. Aber natürlich auch, weil wir einfach lustig sind.

Marie Luise Lehner: Es ist auf jeden Fall performativ spannend, wenn wir auftreten. Wir haben lange Zeit auch nicht wirklich daran gedacht, einen Tonträger aufzunehmen. Es ging uns eigentlich vorwiegend darum, live zu spielen, auch weil wir auch gesehen haben, dass wir als Band vor allem auf der Bühne gut funktionieren.

Dora De Goederen: Den Plan, irgendwann ein Album aufzunehmen, hatten wir zu Beginn nicht. Aber ich denke, es ist ein recht natürlicher Prozess, die eigene Entwicklung irgendwann einmal auch dokumentieren zu wollen.

Laura Maria Gstättner: Wir haben in der Vergangenheit unsere Lieder oft gar nicht aufgeschrieben, was sich im Nachhinein nicht selten auch als Problem herausgestellt hat. Dementsprechend klingen die Lieder bei uns auch immer etwas anders. Wir sind gerade auch wieder dabei alte Songs wieder aufzugreifen und neu zu interpretieren.

Marie Luise Lehner: Unser Album ist in gewisser Weise auch eine Bestandsaufnahme. Ich hätte schon Lust, in ein paar Jahren wieder ein Album zu machen. Weil es bis dahin mit Sicherheit wieder sehr viele neue Lieder gibt. Die Lieder unseres Debüts haben sich mittlerweile ja auch schon wieder ein wenig verändert. Auf der Release-Party klangen sie schon nicht mehr so wie zum Zeitpunkt der Aufnahme.

Wie persönlich sind die Tracks auch auf Textebene?

Laura Maria Gstättner: Sehr persönlich!

Marie Luise Lehner: Sie basieren auf wahren Begebenheiten. Beispielsweise „Maries Lila Ladyfinger hat einen Wackelkontakt” ist ein reales Ereignis gewesen, genauso “Squirten” und so weiter.

Laura Maria Gstättner: Das Album basiert auf Geschichten aus unseren Leben. Vor jeder Bandprobe sitzen wir mindestens eine halbe Stunde zusammen und reden: entweder über Liebesprobleme oder politische Themen. Dementsprechend haben wir auch den Anspruch, diese Geschichten zu vertonen. Wir wollen ausdrücken, was uns gerade bewegt.

„Wir wollen die Dinge klar ansprechen, ohne Metaphern und verzerrten Gitarren […]“

Handelt es sich um eine künstlerische Aggressionsbewältigung? 

Dora De Goederen: Eher um Forderungen oder Wünsche verarbeiten.

Marie Luise Lehner: Mit dem Lied “Utopie, Safe Space, Queerness-Quoten” sind wir auch beim FM4-Protestsongcontest aufgetreten. Es handelt sich bei diesem Lied um keinen Protestsong im eigentlichen Sinne, der sich gegen etwas richtet, sondern um eine Nummer, die viele Gegenpositionen aufzeigt und für etwas ist.

Dora De Goederen: Wir versuchen generell, eher auf eine positive Art heranzutreten. Das passt auch insgesamt besser zu unserer Performance. Nicht Frustration schüren, sondern lustig sein und über schöne Themen reden, über die sonst viel zu wenig geredet wird.

Laura Maria Gstättner: Wir wollen die Dinge klar ansprechen. Ohne Metaphern und nicht von verzerrten Gitarren übertönt. Man soll unsere Texte schon auch verstehen.

“Wir sind nicht die Band, die Education für die große Masse macht […]“ 

Wohin soll es mit Schapka noch gehen? 

Dora De Goederen: Einerseits gibt es noch so viele Themen, die ich ansprechen möchte. Und ich denke, Schapka bietet mir die perfekte Plattform dafür. Ein Song über Menstruationsbeschwerden oder über das Menstruieren generell fehlt beispielsweise noch sehr. Was ich aber in Schapka nicht sehe, ist ein kommerzielles Ziel.

Marie Luise Lehner: Wenn wir uns schon Ziele definieren, dann sind es solche, die in den Nischen ihre Vollendung finden.  Wir haben eigentlich keine große Lust, vor einem zu großen Publikum zu spielen. Das ist für uns zu Mainstream. Wir wollen auf keinen Fall als Freakshow wahrgenommen werden. Fakt ist, dass wir sehr spezifische Themen ansprechen, die das Potenzial haben, außerhalb der Szene nicht verstanden zu werden. Wir sind nicht die Band die Education für die große Masse macht, sondern man kommt ganz bewusst zu uns, weil man genau das hören will. Ich glaube schon, dass Leute durch unsere Musik in gewisser Weise politisiert werden, aber das sind keinesfalls Massen.

Dora De Goederen: Unsere Musik soll schon eine sein, die Spaß macht. Gleichzeitig erfordert sie aber auch eine gewisse Aufnahmebereitschaft. Für Leute, die interessiert sind und auf ihrer Suche nach etwas Neuem, auf uns stoßen und unsere Musik cool finden, sind wir immer da. Aber das Bestreben, irgendwann auf einer großen Bühne zu stehen, haben wir nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ada Karlbauer

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