Neue Ausdrucksmöglichkeiten auf unbekanntem Terrain – Ernst Kovacic im mica-Interview

Neben dem Kompositionsworkshop bilden die Instrumentalklassen bei der Internationalen Ensembleakademie impuls  an der Kunstuniversität Graz ein Herzstück: Zwischen 15. und 24. Februar können von den Teilnehmern unter der Anleitung von renommiertesten Dozenten sowohl Solowerke als auch die Stimmen ausgewählter Ensemblestücke erarbeitet werden. Heinz Rögl sprach schon  im Vorfeld des Workshops mit dem Geiger Ernst Kovacic, der gemeinsam mit Beat Furrer den Verein impuls gründete.

Erfahrungsaustausch zwischen Komponisten und Interpreten

2007 werden die Ferienkurse und der Kompositionsworkshop enger zusammengeführt, wodurch die Möglichkeiten zur Begegnung zwischen Instrumental- und Kompositionsstudenten, mit den Musikern des Klangforum Wien und den Preisträgern ausgeweitet werden. Der Kreis der Dozenten und damit die Anzahl der angebotenen Kurse wurde vergrößert. Die meisten der Lehrenden kamen und kommen aus berühmten Ensembles, deren Mitglieder sie zum großen Teil sind, z. B. Ensemble Modern, Klangforum Wien, Ensemble Intercontemporain, Ensemble Recherche, Arditti String Quartet.

Neben Ernst Kovacic finden sich Namen wie Eva Furrer, Uli Fussenegger, Ernesto Molinari, Garth Knox, Rohan de Saram u. a.  Gerhard Eckel wird erstmals einen eigenen Elektronikkurs abhalten, ergänzend werden Kurse für Improvisation und zum morgendlichen Ausgleich sogar für Yoga (Eva Furrer) geboten. Jürg Wyttenbach ist der Ensembleleiter, Matthias Pintscher wird dann am 28..7. das Abschlusskonzert der Preisträger-Werke mit dem Klangforum Wien leiten, das auch in Wien – am 14.3. – zu hören sein wird. Die Dozenten für Komposition sind Beat Furrer, Bernhard Lang und Enno Poppe.

Vor allem die gemeinsam zu besuchenden Veranstaltungen – “Ensemble meets Composers” – sind wichtig, da sich diese Begegnungen als besonders fruchtbar und zielführend erwiesen haben. In internen und  auch öffentlich zugänglichen  Konzerten können die jungen Interpreten und Komponisten sich selbst und ihre Werke (aus)probieren und erhalten wichtige Feedbacks.

Schon früher als ursprünglich geplant wird das Klangforum Wien in Graz eintreffen und am 23. und 24. Februar auch bei den Ensembleklassen mitwirken. Somit besteht für alle Teilnehmer die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Klangforum im Ensemble zu spielen, Stücke einzustudieren und diese im Rahmen des ersten Abschlusskonzerts  am 24. Februar in der Helmut-List-Halle gemeinsam aufzuführen – eine einmalige Gelegenheit, mit den Mitgliedern eines der besten Ensembles der Welt Erfahrungen auszutauschen.

Du hast mit Beat Furrer gemeinsam die Instrumentalworkshops bei der impuls-Ensembleakademie ins Leben gerufen. Warum machst du das als Hochschullehrer?

Ernst Kovacic: Das ist einfach zu beantworten. An der Universität werden Instrumentalisten für Solokarrieren, für Kammermusik und für Orchester ausgebildet, aber – so sehr ich das bedaure – die Ausbildung für zeitgenössische Musik kommt zu kurz. Da gibt es in Wien zwar ein Praktikum für zeitgenössische Musik, das macht Peter Burwik, der Erfahrungen als Ensembleleiter hat, aber der kann in diesem Rahmen etwa bei Geigern nicht auf spieltechnische Probleme eingehen.  Und darum geht es: Dass man die spieltechnischen Probleme und Fragestellungen, die eine unglaubliche Erweiterung der Klangwelt bedeuten, konkret am Instrument, aber auch von der geistigen Haltung der jeweiligen Komponisten her behandelt. Man kann beim Repertoireaufbau an der Universität natürlich sinnvoll auch über Entwicklungen informieren und auch Neue Musik erarbeiten – das geht alles noch bis Steve Reich. Aber wenn es dann um wirklich neue Kompositionen und Komponisten geht, hat man an der Universität nicht wirklich mehr die Zeit dafür. Wie kann man eine ganz konkrete Komposition zum Klingen bringen? Da muss man ja oft selber erst draufkommen. Was bedeutet die Notation, wie kann man sie einordnen auf der mittlerweile wirklich breiten Straße von Möglichkeiten? Ich finde übrigens auch, dass das Bereiche sind, die nicht unbedingt universitär gebunden werden müssen, es ist schon gut so, dass es diese Möglichkeiten für Instrumentalisten  – eben etwa beim impuls-Workshop – auch außeruniversitär gibt.

Warum außeruniversitär?

Ernst Kovacic: Es kommt kaum vor, dass du als Geigenstudent an der Uni überhaupt Kontakt zu Kompositionsstudenten kriegst. Das wurde in Wien durch die Übersiedlung zwar nun besser, aber trotzdem, es ist alles geteilt: da die theoretischen Fächer, dort die Instrumentalausbildung. Du kriegst die Leute überhaupt nicht zu Gesicht, weil die Universität so groß ist. Beim impuls besteht die ideale Möglichkeit, wirklich mit den Komponisten zusammensitzen zu können. Du kannst als Instrumentalist mit ihnen reden, kannst ihnen sagen, bitte das ist zu schwierig, das geht so einfach nicht. Hier kann die notwendige Vernetzung stattfinden.

Für die Instrumentalklassen beim impuls-Workshop gibt es auch Stipendien. Wer kommt, wer interessiert sich dafür?

Ernst Kovacic: Einige durchaus, viele nicht. Das liegt auch an den Perspektiven und Lebensbedingungen. Viele Geigenstudenten verdienen neben dem Studium Geld mit Kammermusik- oder Walzerensemble-Engagements. Es bedarf schon eines gewissen Engagements, sich dazu durchzuringen, sich speziell schwierige Pizzikatoformen, Flageolettgriffe und klangliche Raffinessen anzueignen und dafür kein Geld zu bekommen oder sogar noch dafür zu bezahlen. Und man wird oft von den Lehrern oder von Kollegen nicht gerade dazu ermutigt. “Spiel doch nicht so einen Sch ..”, oder: “Du ruinierst dir nur deine Geige”. Es gibt eben tatsächlich noch immer eine negative Stimmung.

Es gibt diese falschen Haltungen ja auch gegenüber älterer Musik. Man weiß von dir, dass du deinen Studenten etwa auch bei einem Brahms-Konzert abverlangst, dass sie den Orchesterpart zum Beispiel für Streichquintett selbständig arrangieren lernen.

Ernst Kovacic: Natürlich, das haben wir beim “Crossing-Mozart”-Projekt auch wieder so gemacht. Die Leute spielen das dann auch ganz anders, weil sie dann erst merken, welche Rolle jeder einzelne in dem Geschehen hat.

Zurück zum impuls-Workshop. Siehst du einen Bedarf? Und eine Nachfrage?

Ernst Kovacic: Es gibt sicher einen Bedarf, es gibt ja allein in Österreich zwei Angebote. Das Ensemble Modern macht ja im Rahmen der Klangspuren in Schwaz jetzt auch diese Ensembleakademie. Was ich übrigens ein bisschen seltsam finde, dass sie das nicht irgendwo in Deutschland machen, sondern damit  den österreichischen Markt bedrängen. Unser Hauptproblem ist ja nicht die Teilnahme der Komponisten, sondern der Instrumentalisten. Es wird außerdem auch andernorts – was den Bedarf zeigt – auf das Bedürfnis eingegangen, Neue Musik zu machen. Johannes Meißl hat das jetzt auch bei seinem Kammermusikkurs am Semmering eingeführt.

Kommen die Musikerinnen und Musiker einzeln, oder melden sich auch Ensembles?

Ernst Kovacic: Es geht beides, aber es ist so, dass eine Liste von etwa zehn Werken ausgewählt wird, die hier auch erarbeitet werden sollen. Und da müssen Leute unter Umständen auch aus ihren Ensembles herausscheren können. Ich kann auch sagen, alle die das gemacht haben, unterscheiden sich vom individuellen musikalischen Horizont her durchaus von denen, die das nicht tun.

Den impuls Graz gab es zuerst jährlich, dann alle zwei Jahre. Der Workshop war 2005 im Rahmen der Kulturhauptstadt gut dotiert, für 2007 gab es Finanzierungsauflagen. Förderer sind private Sponsoren, Land Steiermark und Stadt Graz. Seitens des Bundes gab es für die letzte Ausgabe 2005 noch eine Förderung durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Bildung und Kunst, für 2007 wurde keine Förderung zugesprochen. Seitens des Staatssekretariats für Kunst und Medien gab es skandalöserweise keine Förderung. Eben wurde ein Antrag auf Förderung bei der neuen Kulturministerin gestellt, auf den der Verein impuls große Hoffnungen setzt, da nur dadurch eine schuldenfreie Abwicklung von impuls 2007 möglich ist.

 

Ernst Kovacic: Wir haben Auflagen, dass zu den Instrumentalklassen – es gibt ja 12 Dozenten – ausreichend Anmeldungen sind, das müssen wir erreichen. Es geht da nicht nur um Werbung durch die Medien oder durch das mica, die auch wichtig ist, sondern vor allem auch um Überzeugungsarbeit durch die Professoren. [Anmerkung: Es gibt –  durchaus eine Erfolgsmeldung – mit Stand Anfang Februar nunmehr an die 100 Anmeldungen junger Musiker aus 26 Ländern, davon 70  für die Instrumentalklassen und 26 Komponisten; die Workshops sind somit so gut wie ausgebucht.]

Was kann man hier lernen, ist das eine Spezialausausbildung, oder geht es darüber hinaus auch um die Erlangung  von  Flexibilität und Adaptionsfähigkeit? Gerade du weist doch immer wieder darauf hin, dass es heute auch jenseits der klassischen Konzertsäle so viele verschiedene Musikszenen gibt, mit sehr spezifischen, aber auch sehr vielfältigen Anforderungen an die Interpreten.

Ernst Kovacic: Das Besondere, wenn man so einen Kurs macht, ist wohl auch, dass es das “Sich-in-Sicherheit-Wiegen” unterläuft, an die man in der klassischen Ausbildung gewöhnt wird – mit Probespiel, Proben, Prüfungen, möglichst perfekter Konzertwiedergabe. Alles mussgut gehen, alles soll möglichst sicher sein. Bei diesen Stücken geht es um neue Ausdrucksmöglichkeiten auf unbekanntem Terrain. Du gehst in Werke hinein, bei denen du noch gar nicht weißt, wie du dich verhalten sollst, du lernst sozusagen erst schwimmen. Lernst, das einzubringen, was sinnvoll ist.

Also geht es auch um die Erweiterung des Horizonts.

Ernst Kovacic: Und das ist eben so wichtig. Denn nur dann kannst du vielleicht auch einmal Mozart wirklich “richtig” spielen, .spürst dann eben auch die Abgründe bei Mozart. Sonst nimmst du das, was aufgeschrieben ist  und was der Harnoncourt sagt – und das ist auch schon “gesichert”. Ich sage es auch immer meinen Studenten: Ihr müsst euch hinaustrauen, weg von den etablierten Wahrheiten, und ihr müsst in neue Komponisten investieren. Das kann sich dann toll entwickeln oder eben auch nicht so toll. Nur: Alles andere ist Geschäft, nach dem Motto, ich mache das und das, damit ich das und das erreiche.

Das hat dann auch mit Strukturförderung zu tun. Dass man Leute fördert, die nicht nur neue Musik, sondern auch etablierte Musik versuchen anders aufzufassen und zu präsentieren. Um das Feld zu erweitern.

Ernst Kovacic: Genau.

Andernorts, in den USA zum Beispiel, läuft das an den Universitäten zum Teil schon  viel mehr dienstleistungsorientiert von den Angeboten her. Muss das System Uni bei uns nicht viel offener werden?

Ernst Kovacic: Es ist nur so, dass diese Strukturen bei einer Uni mit 3.500 Studierenden zum Teil so verhärtet sind. Ich habe schon vor einigen Jahren vorgeschlagen, dass man die Leute aus den verschiedenen Abteilungen – da sind die Pianisten, da die Geiger, dort die Oper, da die Regisseure und Ausstatter, und die treffen einander nie – zusammenbringen sollte. Von den 3.000 sollte man 700 herausfiltern, die ihr Studium – sagen wir ab dem dritten Studienjahr – ganz anders organisieren. Sagen wir, im Bereich Filmmusik und Medien. Man bildet einen Pool  von Lehrkräften, die sich als Dienstleister verstehen. Und wenn dann meine Geiger sich mit barocken Fugen beschäftigen, sollte es eben einen Formenlehreunterricht über Fugen im Angebot geben, speziell für Geiger, die Fugen analysieren. Man müsste diese Angebote so holen können, wie wir sie brauchen. Und da ist dann  auch ein Querschnitt von Studenten – der eine ist Kirchenmusiker, der andere Instrumentalist, der andere Komponist, Elektroniker oder Tontechniker. Ein Pool, der auch mit der Außenwelt, mit Veranstaltern, etwas organisiert. Der Außenbezug zur nicht-universitären Welt müsste konstituierend gefordert sein. Und die Prüfung ist die Abwicklung dieser Veranstaltung. Ich stieß auf Unverständnis! Wie können wir aus so etwas einen Studiengang machen, wie können wir das benoten? Aber ich bin überzeugt, in diese Richtung muss es gehen.