Naturtöne, ekmelische Musik und eine stete Freundlichkeit – Johannes Kotschy im mica-Porträt

Am 2. Mai 1949 im oberbayerischen Neuhaus/Schliersee geboren, studierte Kotschy zum einen Pharmazie in München, zum anderen am Salzburger Mozarteum Klavier-Kammermusik bei Erika Frieser, Komposition bei Cesar Bresgen sowie musikalische Grundlagenforschung. Was sogleich auffällt: Die Kombination von Pharmazie und Musik erforderte reichlich Tribut. Prägnant beobachten ließ sich dies während seiner seinerzeitigen Teilnahme als Composer in residence beim Komponistenforum Mittersill „ein klang 1997“, als er die schöpferische Atmosphäre der Salzburger Bergwelt oft für einige Stunden oder einen ganzen Tag mit der pharmazeutischen Ebene vertauschte, um unmittelbar nach Geschäftsschluss gleich wieder ins Auto in Richtung Pinzgau zu steigen. Die Begeisterung, mit der er damals den darin nicht so erfahrenen Kollegen die Möglichkeiten von Naturtonsystemen vermittelte und eigene Stücke auf teils selbstgebastelten Instrumenten vorstellte, war ansteckend und sie ist es bis heute nicht minder, wenn man Gelegenheit hat, ihm zu begegnen, von ihm neue Erkenntnisse und neue Werke zu hören.

Ein Oberbayer in Mittelösterreich ohne Angst vor der Natur

1984 stellte Johannes Kotschy erstmals das von ihm entwickelte Naturtonsystem bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik vor. In der Folge war er Initiator des Heidelberger Naturton-Symposiums. Da ein so spezifisches System naturgemäß nicht den überragenden kommerziellen Erfolg verspricht, blieb zwar die Unterstützung durch einen renommierten Verlag aus, doch führte sie zu entsprechender Eigeninitiative in Form der Organisation des Eigenverlegerverbandes „Edition 7“. Bis 1994 war Kotschy zudem Präsident der von ihm gemeinsam mit Klaus Ager und Herbert Grassl gegründeten IG Komponisten Salzburg, 1998–2009 wirkte er als Präsident der Internationalen Gesellschaft für Ekmelische Musik, seither als deren Vizepräsident.

Ein Ausdruck der Begeisterung für seine Arbeit ebenso wie eine anschauliche Kurzfassung seiner Methodik ist Kotschys aktuell formuliertes Credo: „Für meine musikalische Arbeit benötige ich Material, Handwerk und Phantasie.  Material sind die Töne – nicht allein die zwölf herkömmlichen Halbtonstufen unseres Tonsystems, sondern alle Töne, die es gibt. Vorzugsweise verwende ich die Tonstufen des Naturtonsystems bis in die feinsten Mikrotonstufen hinein. Das Handwerk ist das Wissen um die Zusammenhänge zwischen den Tönen – Akustik, Harmonik, musikalische Grundlagenforschung. Und die Phantasie ist mein eigener Beitrag zum Entstehen der Kompositionen. Anregend dazu ist alles, was ich erlebe und fühle – ob es aus der Literatur kommt, der Malerei, aus der Natur, von den Mitmenschen und was sie tun, und was aus mir selbst kommt. Mein Ziel ist, die Menschen zu erreichen, ohne dazu Worte und Erklärungen brauchen zu müssen – denn nur die Musik kann vermitteln, was sonst unausdrückbar ist. Wie Beethoven gesagt hat: ‚Von Herzen – möge es zu Herzen gehen!‘ (Missa Solemnis)“

Seit 1985 komponiert Kotschy ausschließlich auf Basis der 72-stufigen Skala der ekmelischen Musik. Unter den Werken, die er auf dieser Basis schuf, seien nur stellvertretend das „Curriculum in ekmelischer Musik für Oboe, Klarinette, Violine, Violoncello und Gitarre“ (1991) oder das „Streichquartett Nr. 2“ (1992) genannt. Eine noch weiter gehende Vertiefung in den Bereich der Mikrointervallik findet man etwa in seinem Orchesterstück „Solaris“ (1984–88) oder in der abendfüllenden Oper „Der Untergang der Stadt Passau“ nach einem Roman von Carl Amery (seit 1995) – sie stellen Belege für die grenzenlosen Möglichkeiten der Arbeit mit Naturtonharmonik dar. Dass diese Arbeit selbstverständlich dafür offene Musiker und nicht zuletzt oft eigens entwickelte Instrumente benötigt, bildet dennoch gelegentlich eine Hürde für die Realisierung der musikalischen Vorhaben. Neben anderen, teils exotisch aussehenden Geräten entwickelte Kotschy daher auch eine neue Keyboardtastatur, die auf einfache Weise das Spiel mit Mikrotönen möglich macht. Zentral ist, dass er gerade in Salzburg – einem gegenwärtigen Zentrum der Auseinandersetzung mit ekmelischer Musik – mit dem Stadler-Quartett, aber nicht zuletzt auch unter den Studierenden am Mozarteum, Musiker findet, die sich mit Feinstufennotation beschäftigen und diese Musik auch gerne in Konzerten darbieten.

West-östlicher Einklang und Klangwürfel

Seit mittlerweile sieben Jahren von der Arbeit in der Apotheke befreit, widmet sich Kotschy nun mit umso mehr Intensität der Musik. 2007 initiierte und organisierte er in Salzburg das internationale Symposium „West-östlicher Einklang“ zu gemeinsamen Grundlagen der europäischen und der arabischen Musik mit Teilnehmern aus Nordafrika, dem Nahen Osten, Südosteuropa, Österreich und Deutschland.

Ein weiteres spezifisches Dauerprojekt ist der „Klangwürfel“, der erstmals 2009 bei der Salzburg-Biennale zu sehen und zu hören war. Ausgangspunkt hierfür war die Arbeit „Kraftklänge am Irrsee“ (2003), bei der die Töne von auf Booten am See befestigten Röhrenglocken mit jenen weiterer Glocken am Ufer gemischt wurden. Daraus folgte der Klangwürfel mit insgesamt 100 in harmonischen Verhältnissen zueinander stehenden Röhrenglocken. Dieses Instrument soll künftig auf Dauer am Kulturgut Höribach am Mondsee zu sehen und zu hören sein.

Unbeirrter Opernschöpfer

Dass Kotschy mit der Arbeit mit Mikroharmonik innerhalb der Musikszene ein Außenseiterdasein führt, ist ihm bewusst, hält ihn aber natürlich keineswegs ab, seiner Berufung weiter treu zu bleiben. Seit 1988 im oberösterreichischen Mondsee ansässig, wurde er 2013 zum Obmann der Musiktage Mondsee gewählt, wo er – „als studierter Kammermusiker und Mondseer“ (Kotschy) – zwar weniger Einfluss auf das Programm ausüben kann, sich aber mit kammermusikalischen Darbietungen auf höchstem Niveau konfrontiert sieht und „die Welt der Musik aus der Sicht eines Veranstalters“ zu sehen vermag.

Freilich ist auch die Komponistenwerkstatt nicht gerade verwaist. Zurzeit im Entstehen befinden sich ein fünftes Streichquartett und gleichzeitig nicht weniger als drei Opern, darunter „Tage im Februar“ über die als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hingerichteten Geschwister Scholl. Auch an weiteren Bühnenideen würde es nicht mangeln, doch – so Kotschy: „Auch hier geht’s um Machbarkeit. Eine große Spiel-Oper mit großem Orchester und größerer Besetzung ist heute nur noch Fiktion.“

Mit diesen Projekten – scheint’s – viel zu unausgelastet, betätigt sich Kotschy auch literarisch, wobei er zurzeit ein Werk zum Ursprung der Musik und zur Entwicklung der Musikkulturen auf der Erde erarbeitet. – Johannes Kotschy: „Ich muss mich da mit Hirnforschung beschäftigen, mit übergeordneter Harmonik und mit Physik bis zu Kern- und Astrophysik. Das ist aufregend und man lernt immer wieder Neues! Das zweite Buch zur Mikroharmonik, mit der ich schon 30 Jahre arbeite, muss halt noch warten.“

Christian Heindl

Foto Klangwürfel: Der Klangkubus von Johannes Kotschy 2009 zur Biennale Salzburg im Foyer der Universität Mozarteum. Der Kubus enthält 100 Messing-Röhrenglocken bis 1,6 m Länge in einem Umfang von 2½ Oktaven. Damit sind verschiedene Tonsysteme spielbar. Der Anschlag der Hämmer erfolgt elektromagnetisch von einem Spieltisch aus.